Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.04.2010, Az. 4 StR 644/09

4. Strafsenat | REWIS RS 2010, 7823

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Gegenstand

Strafverfahren: Anforderungen an die Urteilsfeststellungen bezüglich der sachverständigen Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. Juli 2009 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen und wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

2

Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Den Verfahrensrügen bleibt der Erfolg aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] vom 9. Februar 2010 versagt. Hingegen führt das Rechtsmittel auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch; im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3

1. Die Ausführungen des [X.]s zur Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

4

Die Urteilsgründe beschränken sich in diesem Zusammenhang darauf, das Ergebnis der Exploration durch den vom [X.] beauftragten psychiatrischen Sachverständigen Dr. S. wiederzugeben, wonach der Angeklagte weder an einer schizophrenen Psychose noch an einer wahnhaften Störung leide und auch eine Affekttat auszuschließen sei. Vielmehr habe der Angeklagte lediglich eine akzentuierte Persönlichkeit mit Mängeln in der [X.] Kompetenz und benötige daher psychotherapeutische Behandlung; die Eingangsvoraussetzungen von § 20 StGB seien indes nicht erfüllt. Das [X.] ist dieser Einschätzung des Sachverständigen dann trotz "nicht unerheblicher Bedenken im Ergebnis" gefolgt und hat eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB zum Zeitpunkt der Taten verneint.

5

2. Diese Erwägung des [X.]s ist so allgemein gehalten, dass dem Senat die revisionsgerichtliche Prüfung, ob die [X.] bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist und die Voraussetzungen einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei verneint hat, nicht möglich ist.

6

Der Tatrichter hat die Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen; es handelt sich insoweit um eine Rechtsfrage, die vor dem Hintergrund einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter zu beantworten ist ([X.]St 43, 66, 77; 49, 45, 53; [X.], Urteil vom 6. Mai 1997 – 1 StR 17/97, [X.]R StGB § 21 seelische Abartigkeit 31). Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen im angefochtenen Urteil ersichtlich schon deshalb nicht, weil die [X.] selbst erhebliche Zweifel am Ergebnis des Sachverständigengutachtens erkennen lässt, ohne diese auch nur ansatzweise näher zu erläutern. [X.] bleibt auch der in den Urteilsgründen mitgeteilte Umstand, dass der im Zuge der einstweiligen Unterbringung des Angeklagten tätig gewordene psychiatrische Sachverständige Dr. G. in zwei – vorläufigen – Stellungnahmen eine psychotische Erkrankung nicht ausgeschlossen hat.

II.

7

Trotz der im Hinblick auf das [X.] außerordentlich maßvollen Einzelstrafen – vor allem in [X.] 3 der Urteilsgründe – kann der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass sich der Rechtsfehler bei der Strafbemessung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, und hebt den Rechtsfolgenausspruch daher insgesamt auf.

[X.]                                 Solin-Stojanović

                            [X.][X.]

Meta

4 StR 644/09

07.04.2010

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Halle (Saale), 9. Juli 2009, Az: 13 KLs 8/08 - 271 Js 1048/08, Urteil

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.04.2010, Az. 4 StR 644/09 (REWIS RS 2010, 7823)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7823

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Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 59/12

1 StR 59/12

4 StR 644/09

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