Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.04.2017, Az. 5 StR 78/17

5. Strafsenat | REWIS RS 2017, 12116

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Gegenstand

Unterbringung eines Straftäters in einem psychiatrischen Krankenhaus: Volle Schuldfähigkeit trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit; Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose nach neuem Recht


Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. November 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich ihre auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s hat die Angeklagte zwei Körperverletzungen (Fälle II.1 und 2 der Urteilsgründe) und zwei versuchte Körperverletzungen (Fälle [X.]) und 3 b) der Urteilsgründe) begangen.

3

Zur Schuldfähigkeit der Angeklagten hat das [X.] ausgeführt, dass sie an einer chronischen Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie leide und bei ihr daneben ein polyvalenter [X.] bestehe. In den drei Fällen II.1, II.2 und [X.]) sei ihre Einsichtsfähigkeit „aufgrund der bei ihr zum Tatzeitpunkt aufgrund einer floriden psychotischen Symptomatik mit subjektivem [X.] nicht ausschließbar ausgeschlossen, jedenfalls aber erheblich vermindert“ gewesen; im Fall [X.]) sei ihre Einsichtsfähigkeit „aufgrund eines akuten Schubs einer floriden psychotischen Symptomatik mit halluzinatorischem Wahnerleben“ aufgehoben gewesen.

II.

4

Die Unterbringung der Angeklagten hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

5

1. Die [X.] nach § 63 StGB setzt zunächst voraus, dass die Schuldfähigkeit bei der Begehung der [X.] zumindest erheblich vermindert war und die Tatbegehung des [X.] auf diesem Zustand beruht. Diese Voraussetzung wird im angefochtenen Urteil für die [X.] II.1, II.2 und [X.]) nicht rechtsfehlerfrei belegt.

6

Insoweit lassen die Ausführungen zur Schuldfähigkeit der Angeklagten besorgen, dass das [X.] die Auffassung vertritt, bereits mit der Feststellung einer erheblichen verminderten Einsichtsfähigkeit sei § 21 StGB erfüllt und damit auch die Grundlage für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB gegeben. Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich jedoch erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Unrechtseinsicht zur Folge hat. Ein Täter, der trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war - voll schuldfähig, womit auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht kommt (st. Rspr., vgl. [X.], Urteile vom 2. Februar 1966 - 2 StR 529/65, [X.]St 21, 27, 28, und vom 6. März 1986 - 4 StR 40/86, [X.]St 34, 22, 26 f.; Beschluss vom 20. November 2012 - 1 [X.], [X.], 246, 247 mwN).

7

2. Soweit das [X.] im Fall [X.]) der Urteilsgründe zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Einsichtsfähigkeit der Angeklagten bei der Begehung dieser [X.] aufgehoben gewesen sei, kann sich die [X.] nach § 63 StGB auf keine tragfähige Gefährlichkeitsprognose stützen.

8

Für eine negative Gefährlichkeitsprognose muss die Gesamtwürdigung von der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.] ergeben, dass aufgrund seines Zustands mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, wie sie die zum 1. August 2016 in [X.] getretene Neufassung des § 63 Satz 1 StGB nunmehr konkretisiert, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. [X.], Urteile vom 17. August 1977 - 2 StR 300/77, [X.]St 27, 246, 248 f., und vom 17. November 1999 - 2 StR 453/99, [X.]R StGB § 63 Gefährlichkeit 27; Beschluss vom 8. Januar 2014 - 5 [X.], NJW 2014, 565).

9

Das [X.] hat die Gefahr einer Begehung weiterer Gewaltstraftaten durch die Angeklagte maßgeblich mit den drei im Sinne des § 63 Satz 1 StGB erheblichen [X.] II.1, II.2 und [X.]) begründet ([X.] f., 36), die in Alltagssituationen im öffentlichen Raum gegenüber arglosen Opfern begangen wurden und in den Fällen II.1 und 2 bei den dort älteren und gebrechlichen Geschädigten auch zu nicht unerheblichen Verletzungen führten. Bei diesen [X.] ist indes - wie dargelegt - nicht rechtsfehlerfrei festgestellt worden, dass sie aufgrund eines Zustands zumindest verminderter Schuldfähigkeit begangen worden sind. Auf diesem Fehler beruht die Unterbringungsanordnung. Die [X.] der versuchten Körperverletzung im Fall [X.]) hat schon das [X.] nicht für seine Gefährlichkeitsprognose herangezogen.

3. Von der Aufhebung nicht betroffen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen. Die ihnen zugrunde liegende Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf. Insoweit war die Revision zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

III.

Der Umstand, dass allein die Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, [X.], 424; vom 20. November 2012 - 1 [X.], aaO, und vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, [X.]R StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1), weil die Unterbringung nach § 63 StGB und der auf § 20 StGB gestützte Freispruch gleichermaßen von der Bewertung der Schuldfähigkeit abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht.

Mutzbauer   

        

Dölp   

        

Ri[X.] Prof. Dr. König
ist wegen Urlaubs an
der Unterschriftsleistung
gehindert.

                                   

Mutzbauer

        

[X.]   

        

[X.]   

        

Meta

5 StR 78/17

25.04.2017

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bremen, 8. November 2016, Az: 1 KLs 4/16

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 63 S 1 StGB vom 08.07.2016

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.04.2017, Az. 5 StR 78/17 (REWIS RS 2017, 12116)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12116

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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