Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.04.2012, Az. VI ZB 55/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 7298

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI [X.]/11
vom

17. April 2012
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 233 Fc, Fd
Zu den anwaltlichen Organisationspflichten hinsichtlich der Kontrolle von Eingaben von Fristen in ei-nen [X.].

[X.], Beschluss vom 17. April 2012 -
VI [X.]/11 -
OLG [X.]

LG Osnabrück

-
2
-

Der VI. Zivilsenat des [X.] hat am 17. April 2012
durch
den Vorsitzenden [X.], [X.], Pauge und [X.] und die Richterin von Pentz

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des [X.] vom 18.
Juli
2011 wird auf Kosten der Klägerin
als unzulässig
verworfen.

Gründe:
I.
Die Klägerin
nimmt die Beklagte wegen einer behaupteten fehler-haften ärztlichen und pflegerischen Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch.
Das [X.] hat die Klage mit Urteil vom 9.
März 2011, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 15.
März 2011, abgewiesen. Die Klägerin hat fristgerecht
Berufung gegen das Urteil [X.]. Nach einem Hinweis des Berufungsgerichts
vom 19.
Mai 2011
hat sie die Berufung mit einem am 1.
Juni 2011 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Zugleich hat sie fristgerecht Wie-1
-
3
-

dereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beru-fungsbegründungsfrist beantragt.
Zur Begründung des [X.] trägt die Klägerin vor, ihr Prozessbevollmächtigter habe sich nach dem Absenden der Be-rufungsschrift die Handakte vorlegen lassen. Er habe
auf einem gelben Merkzettel die Berufungsbegründungsfrist sowie die dazugehörige Vor-frist mit der Bitte um sofortige Eintragung notiert. Die Handakte mit dieser Weisung habe er einer Rechtsanwalts-
und Notarfachangestellten über-geben. Diese sei aufgrund einer schmerzhaften Sehnenscheidenentzün-dung sowie eines Streits mit ihrem ehemaligen Lebensgefährten nicht so konzentriert gewesen wie gewohnt. Sie müsse beim Eintragen der Frist in die Maske des computergestützten [X.]s
des Prozessbe-vollmächtigten versehentlich "Abbrechen" statt "OK" angewählt haben. Daher sei die Frist nicht in den [X.] eingetragen worden. In der Handakte habe die Mitarbeiterin
dennoch ihr Namenskürzel hinter die Fristen
gesetzt. Zur Glaubhaftmachung
ihres Vortrags hat die Klägerin eidesstattliche Versicherungen des Klägervertreters und seiner Mitarbei-terin vorgelegt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das [X.] den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand [X.] und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin habe nicht hinreichend dargelegt, dass die
Fristversäumnis ohne ein ihr zuzu-rechnendes Verschulden erfolgt sei. Der
Vortrag der Klägerin vermöge ein Organisationsverschulden
ihres Prozessbevollmächtigten
nicht aus-zuschließen. Die [X.] elektronischen Datenver-arbeitung verlange spezielle Kontrollmaßnahmen, die gewährleisteten, dass eine fehlerhafte Eingabe rechtzeitig erkannt werde. Die Klägerin 2
3
-
4
-

habe derartige Maßnahmen ihres Prozessbevollmächtigten nicht darge-tan.
Mit solchen Maßnahmen
wäre aber der Fehler seiner
Mitarbeiterin
aufgefallen.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §
574 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1, §
522 Abs.
1 Satz 4, §
238 Abs.
2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch im Übri-gen nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des §
574 Abs.
2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzu-lässig verwerfenden Beschluss
gewahrt sein müssen, nicht erfüllt sind.
1. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§
574 Abs.
2 Nr.
2 Fall
2 ZPO) erfordert keine Entscheidung des [X.]. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin weder in ih-rem rechtlichen Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG) noch in ihrem verfahrens-rechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht auf-grund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevoll-mächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den [X.]en den Zugang zu einer in der [X.] eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgrün-den nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. [X.] vom 5.
November 2002 -
VI
ZB 40/02, [X.], 437; vom 12.
April 2011 -
VI
ZB 6/10, NJW 2011, 2051 Rn.
5 mwN; vom 17.
Januar 2012 -
VI
ZB 11/11, juris Rn.
6).
4
5
-
5
-

2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde entspricht die angefochtene Entscheidung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltliche Sorg-faltspflicht bei [X.] nicht überspannt.
a) Die
Sorgfaltspflicht in [X.] verlangt von einem Rechts-anwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von [X.] zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische [X.] sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden
(vgl. [X.], Beschlüsse vom 5.
Februar 2003 -
VIII
ZB 115/02, [X.], 1815, 1816; vom
8.
Februar 2010 -
II
ZB 10/09, [X.], 533
f.).
Die elektronische Kalenderführung eines Prozessbevollmächtigten darf nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als die eines herkömmli-chen [X.]s. Werden die Eingaben in den [X.] nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker
oder durch Ausgabe eines Fehlerprotokolls durch das Programm kontrol-liert, ist darin ein anwaltliches Organisationsverschulden zu sehen. Denn bei der Eingabe der Datensätze
bestehen spezifische Fehlermöglichkei-ten. Die Fertigung eines Kontrollausdrucks ist erforderlich, um nicht nur Datenverarbeitungsfehler des [X.], sondern auch Eingabe-fehler oder -versäumnisse mit
geringem Aufwand rechtzeitig
zu erkennen und zu beseitigen
(vgl. [X.], Beschlüsse vom 23.
März 1995 -
VII
ZB
3/95, NJW 1995, 1756, 1757; vom 20.
Februar 1997 -
IX
ZB 111/96, NJW-RR 1997, 698; vom 12.
Oktober 1998 -
II
ZB 11/98, [X.], 6
7
8
-
6
-

582, 583; vom 12.
Dezember 2005 -
II
ZB 33/04, NJW-RR 2006, 500 Rn. 4; vom 2. Februar 2010 -
XI ZB 23/08 und
24/08, NJW 2010, 1363 Rn.
12;
Hartmann in [X.]/[X.], ZPO, 70.
Aufl., §
233 Rn.
126 "EDV", "Elektronischer Kalender"; [X.] in [X.], ZPO, 32.
Aufl., §
233 Rn.
16d, 44; [X.]/[X.], 3.
Aufl., §
233 Rn.
64; Musielak/[X.], ZPO, 9.
Aufl., §
233 Rn.
21; [X.]/[X.], ZPO, 29.
Aufl., §
233 Rn.
23 "Fristenbehandlung"; [X.] in [X.], ZPO, 22.
Aufl., §
233 Rn.
37 "Fristeneinhaltung" unter
g
bb).
b) Die Anforderungen des
Berufungsgerichts
an die Sorgfalts-pflichten eines Prozessbevollmächtigten stehen in
Einklang mit diesen Grundsätzen. Nach den
-
auf den Vortrag der Klägerin gestützten
-
Fest-stellungen des Berufungsgerichts
ist nicht davon auszugehen, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten eine organisatorische Anwei-sung
bestand, Eingaben in den [X.] zu kontrollieren. Daher hat
das Berufungsgericht zu Recht ein Organisationsverschulden
angenom-men. Dieses war
auch für die Versäumung der Berufungsbegründungs-frist ursächlich.
Hätte die Rechtsanwalts-
und Notarfachangestellte einen Kontrollausdruck fertigen müssen, so wäre ihr nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die
fehlende Fristeneintragung
in den [X.] aufgefallen.
Die Kontrolle ihres Handaktenvermerks durch den Klägervertreter war hingegen nicht geeignet, Eingabefehler oder -versäumnisse aufzudecken.

c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann die Klä-gerin sich nicht damit entlasten, dass ihr
Prozessbevollmächtigter der Rechtsanwalts-
und Notarfachangestellten eine konkrete Anweisung zur Eintragung der Fristen erteilt habe.
Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] kommt es zwar für den Ausschluss des einer 9
10
-
7
-

[X.] zuzurechnenden
Verschuldens ihres Anwalts (§
85 Abs.
2, §
233 ZPO) an der Fristversäumung auf allgemeine organisatorische Vorkeh-rungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei nicht mehr an, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung er-teilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. [X.] vom 15.
April 2008 -
VI
ZB 29/07, juris Rn.
7; vom 13.
April 2010 -
VI
ZB 65/08, [X.], 899; vom 20.
September 2011 -
VI
ZB 23/11, [X.], 1544 Rn.
8; vom 17.
Januar 2012 -
VI
ZB 11/11, juris Rn.
8; [X.], Beschluss vom 25.
Juni 2009 -
V
ZB 191/08, [X.], 3036 Rn.
6; Musielak/[X.], ZPO, 9.
Aufl., §
233 Rn.
25; [X.]/Gre-ger, ZPO, 29.
Aufl., §
233 Rn.
23 "Büropersonal und -organisation").
Eine konkrete Einzelanweisung entlastet den Rechtsanwalt aber dann nicht von einer unzureichenden Büroorganisation, wenn diese die bestehende Organisation nicht außer [X.] setzt, sondern sich darin ein-fügt und nur einzelne Elemente ersetzt
(vgl. Senatsbeschluss vom 12.
Januar 2010 -
VI
ZB 64/09, NJW-RR 2010, 417 Rn.
7; [X.], [X.] vom 23.
Oktober 2003 -
V
ZB 28/03, [X.], 367, 369; vom 25.
Juni 2009 -
V
ZB 191/08, [X.], 3036 Rn.
9; [X.]/[X.], 3.
Aufl., §
233 Rn.
75; [X.] in [X.], ZPO, 32.
Aufl., §
233 Rn.
43; [X.] ZPO/Wendtland, §
233 Rn.
28 [Stand: 1. Januar 2012]).
So hebt beispielsweise die Weisung, die fertiggestellte und unterschriebene [X.] an das Gericht per Telefax zu übersenden, nicht die Notwendigkeit auf, für eine Kontrolle der Durchführung der
Übermittlung zu sorgen (vgl. Senatsbeschluss vom 4.
Juli 2006 -
VI
ZB 48/05, juris Rn.
5; [X.], Beschlüsse vom 14.
Mai 2008 -
XII
ZB 34/07, [X.], 2508 Rn.
12; vom 7.
Juli 2010 -
XII
ZB 59/10, NJW-RR 2010, 1648 Rn.
15 ff.; vom 15.
Juni 2011 -
XII
ZB 11
-
8
-

572/10, NJW 2011, 2367 Rn.
13; Musielak/[X.], ZPO, 9.
Aufl., §
233 Rn.
25; [X.]/[X.], ZPO, 29.
Aufl., §
233 Rn.
23 "Büropersonal und -organisation"; [X.] in [X.], ZPO, 22.
Aufl., §
233 Rn.
34 "Büro-verschulden" unter
e).
Danach sind die Anforderungen der Rechtsprechung an die Füh-rung eines [X.]s grundsätzlich auch zu beachten, wenn ge-mäß einer konkreten Einzelanweisung eine Eintragung in einen
[X.]
vorzunehmen
ist. Im Streitfall musste der [X.] der Klägerin also auch bei der vorgetragenen Weisung, die Fristen sofort einzutragen, für eine Kontrolle der Dateneingabe in den [X.] sorgen. Die fehlenden Kontrollmaßnahmen, die sein [X.] begründen, sind daher unabhängig von dem Vorliegen der vorgetragenen
Einzelanweisung
für die Versäumung der Berufungs-begründungsfrist ursächlich geworden (vgl. auch Senatsbeschluss vom 17.
Januar 2012 -
VI
ZB 11/11, juris Rn.
9). Das Berufungsgericht hat auch insoweit
keinen entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin übergangen.
d) Die
angefochtene Entscheidung weicht nicht von dem von der
Rechtsbeschwerde angeführten
Beschluss des [X.] vom 21.
Februar 2011 (X
ZR 111/10, juris)
ab. Danach soll es zwar ausrei-chen, dass ein Rechtsanwalt nach der Versendung der Berufungsschrift in den Handakten die Berufungsbegründungsfrist und eine [X.], die Akten der zuständigen Mitarbeiterin übergibt und diese mündlich anweist, die Fristen im [X.] einzutragen; dem Rechtsanwalt soll kein Verschulden zur Last fallen, wenn es dann zu einer Fristver-säumung infolge des Versagens der Mitarbeiterin aufgrund einer inner-lich stark belastenden Ausnahmesituation kommt (juris Rn.
6). Der Be-12
13
-
9
-

schluss vom 21.
Februar 2011 ist jedoch nicht auf den Streitfall übertrag-bar, weil
er sich nicht zu den anwaltlichen Organisationspflichten beim Führen eines
[X.]s verhält. Auf die Anforderungen der Recht-sprechung an die Führung eines solchen Kalenders kam
es
dort
nicht an.
Die Angestellte hatte nicht einen Eingabefehler begangen, sondern,
statt die Frist zu notieren, die Akte ohne weiteres in die Ablage gegeben.
Galke
[X.]
Pauge

[X.]
von Pentz

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 09.03.2011 -
2 [X.]/10 -

OLG [X.], Entscheidung vom 18.07.2011 -
5 U 57/11 -

Meta

VI ZB 55/11

17.04.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.04.2012, Az. VI ZB 55/11 (REWIS RS 2012, 7298)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7298

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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