Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2000, Az. 1 StR 78/00

1. Strafsenat | REWIS RS 2000, 2537

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[X.]/00vom11. April 2000in der [X.] 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 11. April 2000 beschlossen:Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. November 1999 im [X.].Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlungund Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, aneine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.Die weitergehende Revision wird verworfen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zur Frei-heitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des [X.] rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zurAufhebung des Strafausspruchs, ist im übrigen aber unbegründet im Sinne des§ 349 Abs. 2 StPO.1. Der zur Tatzeit 64jährige [X.] Angeklagte, der unter einerbeginnenden organischen Persönlichkeitsstörung leidet, ist mit dem [X.] 1987 in zweiter Ehe verheiratet. Zwischen den Eheleuten war es immerwieder zu Streitigkeiten und massiven Auseinandersetzungen gekommen. [X.] hierfür war der sehr häufige Wunsch des Angeklagten gewesen, mit seinerEhefrau geschlechtlich zu verkehren. Dafür hatte diese ihm nach seiner [X.] jederzeit zur Verfügung zu stehen. Infolgedessen hatte sich seine Frau- 3 -bereits wiederholt zu einer Nachbarin geflüchtet und vorübergehend auch ineinem Frauenhaus Unterkunft gefunden.Die Situation verschärfte sich schließlich aufgrund einer Blasenerkran-kung der Ehefrau, die die Ausübung des ehelichen Verkehrs erschwerte undfür sie schmerzhaft machte. Sie litt zudem zum Tatzeitpunkt an einer Schei-denentzündung, nachdem ihr kurz zuvor ein Blasenkatheter entfernt [X.]. Am Tattag bedrängte der Angeklagte seine Frau, die sich schließlich mitseinem Vorschlag einverstanden erklärte, sich nackt auf das Bett zu legen undsich vom Angeklagten streicheln zu lassen. Dieser wollte sich dabei selbst be-friedigen. Die Ausübung des Geschlechtsverkehrs wollte seine Frau [X.] wie [X.] wußte [X.] auf keinen Fall. Während des weiteren Verlaufs faßte [X.] erregte Angeklagte indessen den Entschluß, entgegen der [X.] nun doch den Verkehr auszuüben. Er ignorierte die [X.] Frau, dies zu unterlassen. Die Geschädigte begann sich zur Wehr zusetzen, indem sie versuchte den Angeklagten wegzudrücken und ihm mit [X.] Hand gegen die Brust schlug. Es gelang ihr jedoch nicht, den auf ihrliegenden, körperlich überlegenen Angeklagten abzuwehren. Um ihren [X.] zu überwinden, hielt dieser sie an den Oberarmen fest und führte [X.] bis 30 Minuten den Geschlechtsverkehr durch. Dies war für das Opfer miterheblichen Schmerzen verbunden.2. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hatdas [X.] den Angeklagten zu Recht der Vergewaltigung schuldig ge-sprochen. Die Begründung, mit der das [X.] von der Regelwirkung [X.] für die Annahme eines besonders schweren Falles der sexu-ellen Nötigung ausgeht und den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB zugrun-delegt, hält rechtlicher Nachprüfung indessen nicht stand. Die angestellten Er-- 4 -wägungen werden den Besonderheiten des Falles, die sich aus der [X.] dem persönlichkeitsgestörten Angeklagten und der [X.] aus dem Tatverlauf ergeben, nicht in jeder Hinsicht gerecht; insoweiterweist sich die gebotene Gesamtwürdigung als lückenhaft.a) Trifft ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall nach § 177Abs. 2 StGB mit gewichtigen Milderungsgründen zusammen, so kann die [X.] entfallen. Der Bestrafung kann dann ausnahmsweise der Normal-strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrundegelegt werden. In extremen [X.]n kann sogar eine weitergehende Milderung des Normalstrafrah-mens (§ 177 Abs. 1 StGB) und die Bemessung der Strafe aus dem Rahmen fürden minder schweren Fall (§ 177 Abs. 5 StGB) in Betracht zu ziehen sein (vgl.[X.], 615; Tröndle/[X.], StGB 49. Aufl. § 177 Rdn. 35). Für [X.], ob die Regelwirkung des [X.] für den besondersschweren Fall ausnahmsweise wegen gewichtiger Milderungsgründe entfällt,ist - ähnlich wie bei der Prüfung der Voraussetzungen eines minder schwerenFalles - auf das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente undder Täterpersönlichkeit abzustellen und zu prüfen, ob sich angesichts deutlichüberwiegender Milderungsgründe die Bewertung der Tat als besonders schwe-rer Fall als unangemessen erweisen würde (vgl. [X.], 299).b) Das [X.] hat vorliegend zu Recht erwogen, ob eine Ausnahmevon der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht kommt. [X.] Würdigung hierzu begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Be-denken.Das [X.] hat gemeint, die Regelwirkung für die Annahme einesbesonders schweren Falles entfalle hier nicht. Das Schwergewicht der Milde-rungsgründe liege in der organischen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten- 5 -und nicht in einer "Abschwächung von Tatbestandselementen", die den beson-ders schweren Fall prägten. Daher hat es den Strafrahmen des § 177 Abs. 2StGB zugrundegelegt und diesen wegen nicht ausschließbarer erheblicherEinschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nach den§§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Bei der konkreten Strafbemessung hat [X.] mildernd in Rechnung gestellt, daß der Angeklagte nicht vorbestraft ist,bislang in geordneten Verhältnissen gelebt hat, daß sein Gesundheitszustandangegriffen und er wegen seines vorgerückten Alters besonders strafempfind-lich ist; überdies hat es berücksichtigt, daß die Geschädigte ihm verziehen [X.] wieder bereit ist, mit ihm zusammenzuleben. [X.] hat es aufdie Dauer der Tatausführung, die "rohe Gesinnung" des Angeklagten und [X.] ihn erkennbaren Schmerzen seiner Ehefrau sowie das mißbrauchte [X.] abgehoben, nachdem er ihr zuvor versprochen hatte, er werde sie "nurstreicheln".Die Prüfung des [X.], ob die von der Verwirklichung eines Re-gelbeispiels ausgehende Regelwirkung für die Annahme eines besondersschweren Falles der sexuellen Nötigung hier wegen Vorliegens gewichtigerMilderungsgründe entfällt, vernachläßigt wesentliche Besonderheiten [X.]. Schon das Abheben auf die von der [X.] vermißte "Ab-schwächung von Tatbestandselementen" läßt besorgen, daß die Kammer [X.] Zuge der konkreten Strafzumessung angesprochenen täterbezogenen [X.] in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang nicht hinrei-chend bedacht hat. Das gilt namentlich im Blick auf Alter und Gesundheitszu-stand des bis dahin nicht vorbestraften Angeklagten. Das [X.] hättesich überdies damit auseinandersetzen müssen, welche Bedeutung für die Be-urteilung der Schwere des Falles und den anzuwendenden Strafrahmen dielangjährige Ehe zwischen Täter und Opfer sowie der Umstand hatte, daß das- 6 -Opfer dem Angeklagten verziehen hat und wieder bereit ist, mit ihm zusam-menzuleben. Darüber hinaus wäre ausdrücklich zu erwägen gewesen, daß [X.]e Kontakt zwischen den Eheleuten zunächst [X.] stattfand.Auch das Maß der Gewaltanwendung durch den Angeklagten, mit dem er [X.] den Geschlechtsverkehr erzwang, wäre zu gewichten ge-wesen. Bei allem durfte die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten nicht nurbei der Frage einer Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGBberücksichtigt werden. Nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverstän-digen ist das emotionale Verhalten des Angeklagten raschen Wechseln [X.]. Zu seinem Krankheitsbild gehört, daß Bedürfnisse und Impulse meistohne Berücksichtigung von Konsequenzen geäußert werden. In diesem [X.] hätte auch bei der Prüfung einer Ausnahme von der [X.] des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB bedacht werden müssen, daß es sich [X.] im Zustand - insoweit einvernehmlich [X.] - sexueller Erregung be-gangene Spontantat handelte, bei der sich ersichtlich die Persönlichkeitsstö-rung des Angeklagten ausgewirkt hat.In der Gesamtschau drängte sich angesichts der Fülle gewichtiger [X.] auf, das Vorliegen eines besonders schweren Falles zu vernei-nen und den Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrundezulegen. [X.] nicht fern, daß auch dieser aus den vom [X.] angeführten Grün-den nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern wäre. Das hätte zur Folge, daßvon einer dem Angeklagten günstigeren Untergrenze des Strafrahmens auszu-gehen wäre. Nicht völlig ausgeschlossen erscheint zudem, daß einer der [X.] angenommen werden könnte, in denen trotz Verwirklichung eines[X.] im Sinne des § 177 Abs. 2 StGB bei entfallender Regelwirkungder Strafrahmen für den minder schweren Fall angewendet werden kann (§ 177Abs. 5 StGB); der neue Tatrichter wird dies jedenfalls prüfen [X.] 7 -c) Der dargestellte Mangel des Urteils führt zur Aufhebung des [X.]. Die zugrundeliegenden Feststellungen können bestehen bleiben, dasie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende Feststellungen sindzulässig.Schäfer [X.] Nack Boetticher Schluckebier

Meta

1 StR 78/00

11.04.2000

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2000, Az. 1 StR 78/00 (REWIS RS 2000, 2537)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 2537

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