Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.08.2014, Az. 3 StR 243/14

3. Strafsenat | REWIS RS 2014, 3447

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3
StR 243/14

vom
19. August 2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers
am 19. August
2014
gemäß §
349 Abs.
4 StPO
einstimmig beschlossen:

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 8. Januar 2014 mit den Feststellungen auf-gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psy-chiatrischen Krankenhaus (§
63 StGB) angeordnet. Die auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.

1. Dem Urteil liegen folgende Feststellungen und Wertungen des Land-gerichts zugrunde:

a) Der Beschuldigte ist seit Ende der 1980er Jahre an einer schizomani-schen Störung ([X.]) mit chronifiziertem Verlauf und schwerwiegen-dem [X.] erkrankt. Zusätzlich besteht bei ihm eine Alkohol-
und Medikamentenabhängigkeit ([X.] und 13.2). Er befand sich deshalb seit 1986 vielfach im [X.] Landeskrankenhaus [X.], verlor 1995 seinen Arbeitsplatz und bezieht seit 1996 eine Rente wegen Berufsunfä-higkeit. [X.] drohte er in einer akut psychotischen Situation seiner 1
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Mutter und seiner damaligen Verlobten, er werde sie und auch sich selbst tö-ten. Das [X.] Hannover verhängte deshalb im Januar 2000 eine Frei-heitsstrafe von sechs Monaten und ordnete die Unterbringung in einem psychi-atrischen Krankenhaus an, die bis Juni 2005 vollstreckt, sodann zur Bewährung ausgesetzt und mit Wirkung vom 29.
Juli 2008 für erledigt erklärt wurde. Auch nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug kam es zu einer Vielzahl von stationären Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken, teilweise in geschlossenen Stationen, teilweise in Wohn-
und Pflegeheimen des [X.] oder anderer Institutionen. In den Jahren nach der hier verfahrensgegenständ-lichen Tat befand sich der Beschuldigte erneut zahlreich, teilweise aufgrund des Unterbringungsrechts, zumeist aber auf freiwilliger Grundlage jeweils [X.] in stationärer psychiatrischer Behandlung.

b) Am 1.
April 2011 betrat der Beschuldigte eine Sparkassenfiliale und füllte am Serviceschalter einen Auszahlungsauftrag aus. Nachdem es aufgrund eines technischen Problems zu zeitlichen Verzögerungen bei der Bearbeitung gekommen war, drängte der Beschuldigte aufgebracht und lautstark gegenüber dem Mitarbeiter des Kreditinstituts auf umgehende Auszahlung. Er versuchte, einen Monitor, auf dem der Filialleiter die Ursache für die Verzögerung feststel-len wollte, herumzudrehen und sich selbst einen Blick auf die Kontounterlagen zu verschaffen. Als der Filialleiter ihm dies aus Datenschutzgründen untersag-te, wurde er von dem Beschuldigten mit den Worten "Dreck", "[X.]" und "Schwanzlutscher" beschimpft und damit bedroht, der Beschuldigte werde ihm den "Schwanz" abschneiden und ihm in den Mund stecken. Nunmehr [X.] der Filialleiter den Auszahlungsauftrag und wies den Beschuldigten aus den Geschäftsräumen. Daraufhin ging der Beschuldigte zu seiner Sporttasche, die er beim Betreten der Filiale abgestellt und auf die
er ein Samuraischwert gelegt hatte. Das Schwert hatte eine stumpfe Metallklinge mit einer [X.]
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ge von 62 cm, die sich in einer Plastikscheide befand. Dieses Schwert nahm der Beschuldigte, hielt es mit beiden Händen in Richtung des Filialleiters und drohte diesem, er werde "ihm den Kopf abschneiden", "ihn aufschlitzen" und ihm "den Kopf abhacken". Der Filialleiter bekam Angst um sein und der ande-ren Beschäftigten körperliches Wohl und veranlasste, dass ein Mitarbeiter den Notruf betätigte. Kurz danach verließ der Beschuldigte -
in der einen Hand sei-ne Sporttasche, in der anderen das Schwert haltend -
die Filiale. Von den alar-mierten Polizeibeamten wurde der Beschuldigte einige Zeit später im Bereich der [X.] angetroffen und aufgefordert, das Schwert fallen zu lassen. Als er nur mit den Worten "[X.]?" reagierte, wurde er unter Einsatz eines Pfeffersprays überwältigt und zur Polizeidienststelle verbracht. Dabei [X.] er die Polizeibeamten unter anderem mit den Worten "Nazis" und "korrupte Schweine".

Neben dieser [X.] hat das [X.] zwei weitere Geschehnisse festgestellt: Ende August 2011 betrat der Beschuldigte trotz eines gegen ihn bestehenden Hausverbots das psychiatrische Wohnheim "C.

", um seine dort lebende Freundin zu besuchen. Er wurde von Mitarbeiterinnen der Einrichtung aufgefordert, das Gebäude zu verlassen. Darauf beschimpfte er die Frauen mit den Worten "[X.]"
und "[X.]"
und drohte ihnen an, sie wür-den mit einem Bolzenschussgerät getötet, ihre Leichen würde man "auf der [X.] finden". Sodann beruhigte er sich und verließ das Wohnheim. Im Mai 2013 geriet der Beschuldigte am [X.] mit einem [X.] in einen Konflikt. Er simulierte in der Art eines Kampfkünstlers einen
Tritt sowie einen Faustschlag gegen [X.], ohne dadurch Verletzungen herbei-zuführen. Die Ermittlungsverfahren wegen dieser Vorfälle hat die [X.] im Hinblick auf das vorliegende Verfahren jeweils nach §
154 Abs.
1 StPO eingestellt.
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c) Das [X.] hat -
dem Gutachten der psychiatrischen Sachver-ständigen folgend -
nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei der Tatbegehung aufgehoben war. Ursächlich war die schizomanische Erkrankung des Beschuldigten, die zu groben Störungen der Selbststeuerung im Sinne von distanz-
und schamlosem Verhalten führt, die Kritikfähigkeit nahezu aufhebt und den Beschuldigten Aggressionen nicht als eigene Affekte, sondern als gerechtfertigte Reaktionen auf [X.] anderer erleben lässt. Von der erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit war die [X.] ebenso überzeugt wie von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit [X.], dass der Beschuldigte zukünftig erneut gleichartige Taten sowie auch ein-fache Körperverletzungshandlungen geringeren Ausmaßes (UA S.
20, 21) be-gehen wird. Die begangene Bedrohung hat sie wegen der psychischen Auswir-kungen auf die Mitarbeiter der Sparkasse als Tat der mittleren Kriminalität ein-gestuft und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
auf die Gefahr der Wiederholung solcher Taten gestützt.

2. Die Anordnung der Unterbringung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende [X.], die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei fest-steht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.]en aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höhe-ren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes 6
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in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwen-dige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Per-sönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen Anlass-tat(en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforde-rungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. [X.], Beschluss vom 4.
Juli 2012 -
4 [X.], [X.], 337, 338
mwN).
Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen ([X.], Beschluss vom 24.
Oktober 2013 -
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StR 349/13, juris
Rn. 5).

Darüber hinaus muss die Anordnung verhältnismäßig sein. Der Grund-satz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals [X.] gere-gelt, um seine Bedeutung bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuheben. Er beherrscht auch die Anordnung und Fort-dauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und gebietet, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im
öffent-lichen Interesse unerlässlich ist ([X.], Beschluss vom 5. Juli 2013 -
2 BvR 789/13, [X.], 360 (nur [X.])). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende [X.] außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde ([X.], Beschluss vom 26. Juni 2007 -
5 [X.], [X.], 300, 301). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungs-belangen der Allgemeinheit und dem [X.] ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. [X.], Urteil vom 8. Oktober 1985 -
2 BvR 1150/80 u.a., [X.]E 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur 9
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der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres
Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die [X.], ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken ([X.], Urteil vom 31.
Juli 2013 -
2 [X.], [X.], 339, 340).

b)
Gemessen hieran hat die [X.] die Voraussetzungen der Un-terbringung nicht ausreichend belegt.

Das [X.] ist zwar im Ausgangspunkt ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Bedrohung (§ 241 StGB) nach der Rechtsprechung des [X.] eine Straftat der mittleren Kriminalität darstellen kann, [X.] die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechtfertigen vermag, wenn die Bedrohung mit dem Tod geeignet ist, den Bedrohten nach-haltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträch-tigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt ([X.], Beschluss vom 22.
Februar 2011 -
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StR
635/10, NStZ-RR 2011, 202 mwN). Gleichwohl war nach den Feststellungen die Schwelle zur Erheblichkeit nur geringfügig überschritten. Den daraus resultierenden erhöhten Anforderungen an die [X.] werden die Darlegungen im Urteil nicht gerecht.

Der Beschuldigte, dessen aggressiver Impulsdurchbruch in Form der Bedrohung auch dadurch verursacht war, dass der Filialleiter zuvor seinen Überweisungsauftrag zerrissen hatte, beruhigte sich nach Ausstoßen der Dro-hungen letztlich selbst wieder und verließ die Geschäftsräume ohne fremdes Zutun. Auch bei dem Geschehen, welches 1998 zu einer ersten Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geführt hatte, war er über 10
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verbale Drohungen nicht hinausgegangen und hatte sich aufgrund des Zure-dens eines Polizeibeamten zum Aufgeben entschlossen. Seit seiner Entlassung
aus dem Maßregelvollzug im Jahr 2005 hatte
die [X.] überwie-gend durch freiwillige Aufenthalte in Kliniken der Allgemeinpsychiatrie oder ver-schiedenen psychiatrischen Nachsorgeeinrichtungen
stattgefunden. Es kommt hinzu, dass nach den Feststellungen des [X.] das Ziel der Unterbrin-gung (vgl. dazu LK/Schöch, StGB, 12.
Aufl.,
§
63 Rn. 2), die Heilung und deutli-che Verbesserung des Zustandes des Beschuldigten, durch die Maßregel nicht mehr zu erwarten ist (UA S.
24). Somit
geht es bei der Unterbringung aus-schließlich um den Schutz der Allgemeinheit durch Freiheitsentziehung. Dies macht die Anordnung der Maßregel zwar nicht unzulässig (vgl. [X.], Urteil vom 13.
Juli 1989 -
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StR
308/89, [X.], 122, 123), indes stellt die ungünstige Behandlungsprognose einen Umstand dar, der bei der Prüfung der [X.] hat (vgl. [X.], Beschluss vom 5.
Juli 2013 -
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BvR
708/12, juris
Rn. 40 ff.; Beschluss vom 5.
Juli 2013 -
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BvR
789/13, [X.], 360 ([X.])).

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Diese Besonderheiten sind vom [X.] in die Erwägungen nicht einbezogen worden. Es muss deshalb erneut entschieden werden, ob die Un-terbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unter diesen Umständen unerlässlich ist oder ob die [X.] wie im bisher geschehenen Umfang ausreicht.
[X.] Hubert

Schäfer

Mayer
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Meta

3 StR 243/14

19.08.2014

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.08.2014, Az. 3 StR 243/14 (REWIS RS 2014, 3447)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3447

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4 StR 224/12

2 BvR 789/13

2 StR 220/13

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