Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.03.2013, Az. 2 StR 392/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 7458

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 392/12
vom
13.
März 2013
in der Strafsache
gegen

wegen [X.] [X.] Schriften u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 13.
März 2013, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Becker

und [X.] am [X.]
Prof. Dr.
Fischer,
[X.],
Dr. [X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],

Bundesanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

in der Verhandlung und bei der Verkündung,
Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Verteidiger,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 29.
Februar 2012 aufgehoben.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungs-verwahrung entfällt.
Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen, jedoch wird die Gebühr um ein Drittel ermäßigt. Je ein Drittel der gerichtlichen Auslagen des ersten Revisionsverfahrens und der hier entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten f[X.] der Staatskasse zur Last, ebenso die gesamten gerichtlichen Auslagen der Neuverhandlung vor dem [X.] und des zweiten Revisionsverfahrens sowie die gesamten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hatte
den Angeklagten zunächst durch Urteil vom 29.
März 2011 wegen [X.] [X.] Schriften in 22 Fällen und wegen Besitzes [X.] Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, die Sache insoweit zu neuer [X.] und Entscheidung zurückverwiesen und die weitergehende Revision als un-begründet verworfen (Beschluss vom 26.
Oktober 2011

2 [X.], [X.], 212).
1
-
4
-
Das [X.] hat nunmehr auf der Grundlage des in Rechtskraft erwachse-nen Schuld-
und Strafausspruchs erneut die Unterbringung in der Sicherungsverwah-rung angeordnet. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.
1. Nach den bindend gewordenen Feststellungen zu den Anlasstaten
war der im Tatzeitraum 46jährige Angeklagte, der seit Geburt an einer schweren Contergan-Schädigung an Armen, Händen und einem Fuß leidet,
seit 2006 Nutzer eines sog.
Filesharing-Netzwerks.
Über dieses
Netzwerk lud er Bild-
und Videodateien
aus dem [X.] herunter, die sexuelle Handlungen an und mit Kindern wiedergaben. Spätes-tens seit Oktober 2008 verwandte er für das Herunterladen der Dateien und deren Speicherung auf seinem Computer eine Software, durch die von ihrem Nutzer in be-stimmten Ordnern gespeicherte Dateien zum Herunterladen
durch alle anderen [X.] freigegeben wurden. Durch die Verwendung dieses Programms stellte der Angeklagte jeweils mit Zustandekommen der [X.]verbindung seines Computers in der [X.] vom 14.
Oktober bis zum 3.
November 2008 an 21 Tagen [X.] bei dem Netzwerk angemeldeten Nutzern eine Videodatei zum Herunterladen zur Verfügung, die den sexuellen Missbrauch eines ca. acht-
bis zehnjährigen Mädchens durch [X.] zeigte. Am 20.
Januar 2009 stellte er den [X.] neben einer Reihe anderer Filmdateien mit kinderpornographischem Inhalt die Datei eines Videofilms zur Verfügung, auf dem
ein ca. zehnjähriges Mädchen beim Oralverkehr mit
einem erwachsenen Mann zu sehen war. Außerdem besaß der Angeklagte Bild-
und Filmmaterial mit kinderpornographischem Inhalt
im Umfang von mehreren hun-derttausend Dateien auf mehreren Speichermedien, die bei einer Durchsuchung am 20.
Januar 2009 bei ihm sichergestellt wurden.
2
3
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5
-
2. Das [X.] hat neben den formellen Voraussetzungen für die Anord-nung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß §
66 Abs.
2 StGB aF auch die materiellen Voraussetzungen gemäß §
66 Abs.
1 Nr.
3 StGB aF als erfüllt angesehen. Es hat einen auf der
Pädophilie des Angeklagten beruhen-den Hang zur Begehung von erheblichen Straftaten angenommen.
Von dem Ange-klagten sei auch in Zukunft ernsthaft die Begehung von Delikten zu erwarten, die in den Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§
176 StGB) bzw. des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§
176a StGB) fielen. Bei der Gefährlichkeitsprog-nose hat das [X.] zunächst die vier früheren Verurteilungen des Angeklagten wegen (teilweise auch schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern -
erstmals 1979, zuletzt 1999
-
und die danach erfolgte Verlagerung strafbaren Verhaltens in den Be-reich des Besitzes und des [X.] von Kinderpornographie
berücksichtigt, die als Abschwächung der Deliktsintensität zu sehen sei. Mit dem Sachverständigen ist
das [X.] hinsichtlich solcher Missbrauchsdelikte bei [X.], die -
wie der Angeklag-te
-
bereits mit "[X.]"
aufgef[X.] seien und in der Folge Kinderporno-graphie konsumiert hätten, von einem mittelgradigen Rückfallrisiko von 40% bis 50%
ausgegangen. Dieses Rückfallrisiko erfahre bei dem Angeklagten aufgrund seiner körperlichen Beschwerden eine gewisse Absenkung, die nicht zu beziffern sei. Neben dem Konsum von Kinderpornographie, der mit einer ständigen Konfrontation mit dem Thema Pädophilie verbunden und durch Entbehrung unmittelbaren sexuellen Kontakts gekennzeichnet sei, sei ausschlaggebend als risikoerhöhend zu werten, dass der [X.] in den vergangenen
Jahren stets den Kontakt zu Kindern gesucht habe, den
Kontakt
zu Kindern als risikolos empfinde
und weder Einsicht in die Notwendigkeit ihm angeratener Vermeidungsstrategien noch in die Schädigung von Kindern auch durch nicht gewaltsame sexuelle Übergriffe zeige.

4
-
6
-
II.
Der [X.] hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, da das [X.] dem für die Gefährlichkeitsprognose anzuwendenden Maßstab nicht hin-reichend Rechnung getragen
hat.

1. Nach der Weitergeltungsanordnung des [X.] ([X.], Urteil vom 4. Mai 2011

2 BvR 2365/09 u.a., [X.]E 128, 326, 404 ff.)
dür-fen die -
an sich verfassungswidrigen
-
gesetzlichen Regelungen zur
Sicherungsver-wahrung nur aufgrund einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung"
angewandt wer-den. Die Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Gewalt-
oder Sexualdelikte muss "aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten"
sein. Dies stellt gegenüber der früheren
Rechtsanwendung höhere Anfor-derungen nicht nur an die Erheblichkeit der zu erwartenden weiteren Straftaten, son-dern auch an die
Wahrscheinlichkeit der künftigen Straffälligkeit des Angeklagten (vgl. [X.], Urteil vom 4.
August 2011

3 [X.], [X.], 692; Beschluss vom 13.
September 2011

5 [X.], [X.], 196; Beschluss vom 24.
Juli 2012

1
StR
57/12;
Senat, Beschluss vom 26.
Oktober 2011

2 [X.], [X.], 212).
Die vom [X.] geforderte besonders strenge Verhältnis-mäßigkeitsprüfung verlangt vom Tatrichter daher eine eingehende Prognoseentschei-dung über das Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung schwerer Gewalt-
oder Sexualdelikte ohne die Maßregel. Dies erfordert eine auf die Umstände des Einzelfalls zugeschnittene, detaillierte Darlegung derjenigen Taten, die in Zukunft vom Täter zu erwarten sind ([X.], Beschluss vom 24.
Januar 2012

4 StR 594/11, [X.], 141; Senat, Urteil vom 18.
Juli 2012

2 [X.]/11).
Die für den
Wahrscheinlichkeitsgrad
zu benennenden Umstände ergeben sich dabei regel-mäßig auch aus Anzahl, Frequenz und Tatbildern von Vorverurteilungen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 24.
Januar 2012

5 StR 535/11
u.
vom 10.
Januar 2013

1 StR 93/11).
5
6
-
7
-
2. Nach diesem Maßstab unterliegt es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das [X.] zur Begründung der Gefährlichkeitsprognose eingangs von ei-nem mittelgradigen Rückfallrisiko in Bezug auf sog. "hands-on-Delikte"
ausgeht, ohne mit diesem
wiederholt verwendeten Begriff schon die konkret
zu erwartende Sexualde-linquenz näher zu beschreiben. Damit legt das [X.] nicht dar, welche Strafta-ten aus der Bandbreite eines sexuellen Missbrauchs von Kindern mit welcher Wahr-scheinlichkeit von dem Angeklagten zu erwarten sind, dessen letzte einschlägige Tat aus Dezember 1998 längere [X.] zurückliegt, dessen erhebliche körperliche Beein-trächtigungen aufgrund der Contergan-Schädigung weiter fortschreiten
und dem der Sachverständige immerhin attestierte, dass die
Strafandrohung für schwere Delikte des sexuellen Missbrauchs von Kindern bei ihm Wirkung zeige
(UA S.
7). Neue Um-stände, welche
die Gefährlichkeitsprognose negativ beeinflussen könnten, hat das [X.] nicht festgestellt.
3. Der Senat schließt nunmehr aus, dass ein neues Tatgericht noch Tatsachen feststellen könnte, die bei Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Er entscheidet
7
8
-
8
-
deshalb selbst in entsprechender Anwendung des §
354 Abs.
1 StPO dahin, dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.

Becker

Fischer

Appl

[X.]

[X.]

Meta

2 StR 392/12

13.03.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.03.2013, Az. 2 StR 392/12 (REWIS RS 2013, 7458)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7458

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 328/11

2 BvR 2365/09

3 StR 175/11

5 StR 189/11

4 StR 594/11

2 StR 605/11

1 StR 93/11

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