Bundessozialgericht, Urteil vom 31.01.2012, Az. B 2 U 2/11 R

2. Senat | REWIS RS 2012, 9653

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - sachlicher Zusammenhang - ungeklärte Umstände - Verrichtung zur Zeit des Ereignisses - Nachweis - Beweiserleichterung - Beweislastumkehr - Anscheinsbeweis - Kraftfahrer - Ruhe- und Lenkzeiten


Leitsatz

Erleidet ein in der gesetzlichen Unfallversicherung Versicherter unter ungeklärten Umständen einen Gesundheitsschaden, liegt kein Arbeitsunfall vor, wenn er nicht in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Verrichtung einer versicherten Tätigkeit verunglückt ist.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 9. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger die Feststellung eines Arbeitsunfalls wegen des [X.] beanspruchen kann.

2

Der 1953 geborene Kläger war bei der Firma [X.] als Kraftfahrer beschäftigt. Am [X.] hatte er den Auftrag, Waren von M. aus zur Firma [X.] zu transportieren. Er fuhr gegen 1.00 Uhr in M. ab, kam gegen 2.30 Uhr in der Umgebung von [X.] an. Nachdem sich [X.] morgens bei [X.] nach dem Verbleib der Ware erkundigt hatte, kam der Kläger gegen 9.30 Uhr bei [X.] in [X.] an. Nach dem Abladevorgang bewegte er sich mit einem [X.]ämatom am Kopf langsam taumelnd. Beim Eintreffen des Rettungssanitäters zeigte er sich desorientiert und bewusstseinsgetrübt. Ferner zeigte er einen schwankenden Gang und konnte keine adäquaten Angaben zum vorangegangenen Geschehen machen. Bei der notärztlichen und der anschließenden stationären Behandlung in der [X.] vom 7. bis 29.4.2003 bestand hinsichtlich des Geschehenen eine vollständige Amnesie. Diagnostiziert wurden ein schweres Schädel-[X.]irn-Trauma unklarer Genese, eine Kalottenfraktur [X.], multiple Einblutungen fronto-basal rechts, ein passagerer [X.], ein hirnorganisches Psychosyndrom, eine retrograde Amnesie und eine chronische Bronchitis bei Nikotinabusus.

3

Die Beklagte gewährte dem Kläger [X.]eilbehandlung und ab 20.5.2003 Verletztengeld. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten führte am [X.] mit dem Inhaber der [X.] sowie einem Mitarbeiter E des Betriebs, bei dem der Kläger die Waren entladen sollte. Nach weiteren Ermittlungen verfügte die Beklagte unter dem [X.] die Einstellung der Zahlung des [X.] mit Ablauf des 27.9.2004. Mit dem Eintritt der Arbeitsfähigkeit sei nach Ablauf der 78. Woche nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr zu rechnen, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien derzeit nicht zu erbringen.

4

Der Kläger beantragte am 31.8.2004 Verletztenrente. Die Beklagte zahlte ihm im Oktober 2004 auf die "voraussichtlich zu gewährende Unfallentschädigung" einen Vorschuss in [X.]öhe von 300 €. Dieser stehe unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung, falls sich herausstelle, dass keine oder eine geringere Leistungspflicht bestehe. Auf das klägerische Schreiben vom [X.] zahlte die Beklagte unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung auf die "voraussichtlich zu gewährende Unfallentschädigung" einen weiteren Vorschuss von 1700 €.

5

Mit Bescheid vom 24.6.2005 lehnte die Beklagte eine Entschädigung aus Anlass des [X.] ab. Es lasse sich nicht feststellen, dass sich der Kläger seine Kopfverletzung bei einer versicherten Tätigkeit zugezogen habe. Ein zu entschädigender Arbeitsunfall sei nicht erwiesen. Die Vorschüsse auf Leistungen in [X.]öhe von 2000 € seien zu erstatten. [X.]iergegen erhob der Kläger Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1.2.2006 zurückwies.

6

Der Kläger hat beim [X.] [X.]eilbronn Klage erhoben. Er habe seinen Arbeitstag am [X.] wie immer begonnen, wenn er mit seinem Lkw in Richtung [X.] gefahren sei. Bei diesen Fahrten sei er gegen 1.00 Uhr zum Betrieb in M. gefahren, habe Lkw und Ladung kontrolliert und habe sich dann auf den Weg in Richtung [X.] gemacht. Wie üblich habe er die Absicht gehabt, einen vor [X.] gelegenen Parkplatz anzufahren, auf dem er üblicherweise bei dieser Tour stehe. Von dort zur [X.] in [X.] betrage die Fahrtzeit ca 20 Minuten.

7

Mit Urteil vom [X.] hat das [X.] "den Bescheid der Beklagten vom 24.6.2005 in der Gestalt des [X.]" aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das Ereignis vom [X.] als Arbeitsunfall festzustellen. Als der Kläger die versicherte Tätigkeit aufgenommen habe, sei er noch gesund gewesen. Bei der Ankunft an der Entladestelle habe er sich Verletzungen zugezogen gehabt, die aus einem Unfall resultieren müssten. Es lasse sich nicht nachweisen, dass der Kläger die versicherte Tätigkeit zwischen 1.00 Uhr und 9.30 Uhr für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen habe.

8

Gegen das Urteil des [X.] hat die Beklagte beim L[X.] Berufung eingelegt. Das Urteil überzeuge nicht, da nicht nachgewiesen sei, dass der Kläger zur [X.] eine versicherte Tätigkeit verrichtet habe. Das L[X.] hat mit Urteil vom [X.] (L 6 U 2656/09) das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Dass sich der Nachweis der Ausübung einer versicherten Tätigkeit zum Zeitpunkt des Unfalls nicht führen lasse, gehe nach dem Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten. [X.] ein Versicherter unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet habe, entfalle der Versicherungsschutz zwar nur, wenn bewiesen werde, dass er die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen habe (unter [X.]inweis auf B[X.] vom [X.] - B 2 U 24/03 R - B[X.]E 93, 279 = [X.]-2700 § 8 [X.]; B[X.] vom 4.9.2007 - [X.] U 28/06 R - veröffentlicht in Juris). Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben, denn es lasse sich nicht feststellen, dass der Kläger an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt die versicherte Tätigkeit verrichtet habe, verunglückt sei. Der Kläger habe am Unfalltag nicht ausschließlich betriebliche, sondern auch eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt. So habe er von vornherein beabsichtigt, auf einem Parkplatz eine 4 bis 4,5 Stunden dauernde Pause einzulegen, die er nach den Ermittlungen auch eingelegt habe. Die Einlegung einer nicht versicherten Pause führe "zu einer Beweislastumkehr" dergestalt, dass nicht die Beklagte die Beweislast dafür trage, dass der Kläger die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen habe, sondern der Kläger die Beweislast dafür trage, dass er nicht während einer eigenwirtschaftlichen Unterbrechung verunfallt sei.

9

Gegen das Urteil des L[X.] hat der Kläger Revision eingelegt. Es verletze §§ 7, 8 [X.]B VII, indem es zu Unrecht davon ausgehe, dass der vorliegende Fall von den Konstellationen abweiche, die den Entscheidungen des B[X.] vom 4.9.2007 ([X.] U 28/06 R) und vom [X.] (B 2 U 24/03 R) zu Grunde lagen. Bei der von ihm eingelegten Pause handle es sich nicht um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Vielmehr sei er zur Einhaltung von Ruhezeiten normativ verpflichtet. Er sei darin frei, sich die Ruhezeiten nach eigener Planung einzuteilen. Die Ungewissheit darüber, unter welchen Umständen er sich die Verletzungen zugezogen habe, gehe zu Lasten der Beklagten.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 9. Dezember 2010 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts [X.]eilbronn vom 3. März 2009 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Der Vollbeweis dafür, dass der Kläger einen Unfall in Ausübung der versicherten Tätigkeit erlitten habe, sei nicht erbracht worden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.], mit der er die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des [X.] als Arbeitsunfall begehrt, ist unbegründet.

Das [X.] hat das Urteil des [X.] im Ergebnis zu Recht aufgehoben und die [X.]lagen abgewiesen (1.). Vorliegend können nicht die "Beweiserleichterungen" gelten, die der Senat angenommen hat, wenn ein Versicherter am Arbeitsplatz und in engem zeitlichem Zusammenhang mit einer versicherten Verrichtung einen Gesundheitsschaden oder den Tod erleidet (2.). Es findet keine "Beweislastumkehr" zu Lasten des [X.] statt (3.). Ein Arbeitsunfall ist auch nicht nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins festzustellen (4.).

1. Der Versicherte kann vom zuständigen Unfallversicherungsträger nach § 102 [X.]B VII die Feststellung eines Versicherungsfalles, hier eines Arbeitsunfalles, beanspruchen, wenn ein solcher eingetreten ist (vgl B[X.] vom 5.7.2011 - [X.] U 17/10 R - [X.] 4-2700 § 11 [X.] Rd[X.]5 f). Einen Arbeitsunfall hat der [X.]läger aber nach den für das B[X.] bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] nicht erlitten.

Nach § 8 Abs 1 S 1 [X.]B VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 [X.]B VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den [X.]örper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 S 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur [X.] einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den [X.]örper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat ([X.]) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende [X.]ausalität) (vgl B[X.] vom 29.11.2011 - [X.] U 10/11 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; B[X.] vom 18.1.2011 - [X.] U 9/10 R - B[X.]E 107, 197 = [X.] 4-2700 § 2 [X.]7 Rd[X.]0; B[X.] vom 18.11.2008 - [X.] U 27/07 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.]0 mwN).

Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen bei der Tatsachenfeststellung, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur [X.]", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen im Grad des [X.], also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen [X.] zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl B[X.] vom [X.] - [X.] U 30/07 R - B[X.]E 103, 45 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] mwN). Das B[X.] ist an die Feststellung nicht nur dieser Tatsachen, sondern auch an die eines naturphilosophischen [X.]ausalzusammenhangs durch das [X.] grundsätzlich gebunden, falls - wie hier - keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen gegen die dabei zu Grunde gelegten Tatsachenfeststellungen erhoben werden und materiellrechtlich nicht ersichtlich ist, dass das [X.] die rechtlichen Vorgaben für diesen ersten Schritt der [X.]ausalitätsbeurteilung verkannt hat. Zu einer eigenständigen beweiswürdigenden Tatsachenfeststellung ist das B[X.] nur in seltenen, hier nicht einschlägigen Ausnahmesituationen befugt. Demgegenüber ist die Entscheidung über die Wesentlichkeit eines naturphilosophischen [X.]ausalzusammenhangs im Einzelfall eine reine Rechts- und Rechtsanwendungsfrage.

Eine "Verrichtung zur [X.]", die unter einen gesetzlichen Versicherungstatbestand zu subsumieren wäre, ist nicht erwiesen. Nach den vom [X.] bindend festgestellten Tatsachen ist weder nachgewiesen noch nachweisbar, dass der [X.]läger die Gesundheitsschäden bei der Ausübung einer Tätigkeit erlitten hat, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Danach steht schon nicht fest, ob der Gesundheitsschaden am [X.] oder vorher entstanden ist. Weiter ist nicht nachgewiesen, ob, wenn die Gesundheitsschädigung am [X.] zwischen 1.00 Uhr und 9.30 Uhr entstand, diese während der [X.]en der Verrichtung von [X.] oder während einer mehrstündigen Erholungspause eintrat. Als abhängig beschäftigter [X.]raftfahrer hätte er zur [X.] der Schädigung eine nach § 2 Abs 1 [X.] [X.]B VII versicherte Tätigkeit nur verrichtet, wenn er Haupt- oder Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt hätte oder eine nicht geschuldete Handlung mit der objektivierten Handlungstendenz vorgenommen hätte, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen. Es steht aber nur fest, dass er am Unfalltag um 1.00 Uhr die Ausübung der versicherten Tätigkeit als [X.]raftfahrer aufgenommen hat und dass bei ihm gegen 9.30 Uhr erhebliche Gesundheitsschäden vorgelegen haben. Allerdings war nicht feststellbar, welche versicherten und nicht versicherten Verrichtungen der [X.]läger in der Zwischenzeit ausgeführt hat.

Die Anspruchsvoraussetzungen für die Feststellung eines Arbeitsunfalls iS des § 8 Abs 1 [X.]B VII sind deshalb nicht erfüllt.

2. Das [X.] hat bei seiner Entscheidung nicht verkannt, dass bei der Beweiswürdigung der rechtliche Beweismaßstab des [X.] bei der Prüfung der versicherten Tätigkeit eines Beschäftigten auch dann erfüllt sein kann, wenn ein Versicherter an dem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt versicherte Tätigkeiten verrichtet hatte, aus ungeklärten Umständen einen Gesundheitsschaden oder den Tod erleidet, falls keine konkret festgestellten Tatsachen Zweifel daran begründen, dass er auch noch zur Unfallzeit versichert gearbeitet hat (teilweise als "Beweiserleichterung" bezeichnet).

Der Senat hat in der Entscheidung vom [X.] ([X.] U 28/06 R - Juris Rd[X.] 22) folgende Maßstäbe aufgestellt: "Die Ungewissheit darüber, aus welchen Beweggründen V ([X.]: der Versicherte) … 10 bis 20 Minuten auf der Plattform verblieben ist und was er dort getan hat, geht zu Lasten der Beklagten. Denn sie trägt bei der gegebenen Sachlage die objektive Beweislast dafür, dass der [X.]e sich während der versicherten Baustelleneinrichtung vorübergehend einer anderen, privaten Zwecken dienenden Verrichtung zugewandt hatte."

Ähnlich führte er schon im Urteil vom [X.] (B 2 U 24/03 R - B[X.]E 93, 279 = [X.] 4-2700 § 8 [X.]) aus: "[X.] ein Versicherter unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, wo er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hatte, so entfällt der Versicherungsschutz nur dann, wenn bewiesen wird, dass er die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Verrichtung unterbrochen hatte." Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zu Grunde, bei dem ein Versicherter mit einem Arbeitskollegen auf einem Dach Arbeiten verrichtete und nach einer 15 bis 30 Minuten dauernden Abwesenheit des [X.]ollegen von dem Dach abgestürzt war.

Die Umstände des vorliegenden Falls unterscheiden sich - wie das [X.] zutreffend herausgearbeitet hat - von den [X.]onstellationen, die den Entscheidungen des B[X.] vom [X.] ([X.] U 28/06 R) und vom [X.] (B 2 U 24/03 R - B[X.]E 93, 279 = [X.] 4-2700 § 8 [X.]) zu Grunde lagen. Beiden Entscheidungen lag ein Sachverhalt zu Grunde, in dem jeweils die Aufnahme einer versicherten Tätigkeit nachgewiesen war und die Versicherten aus nicht zu klärenden Umständen in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz zu einem bekannten [X.]punkt Unfälle erlitten hatten. "Beweiserleichterungen" nach den [X.] kommen daher nur in Betracht, wenn der Versicherte den räumlichen Bereich, in dem er zuletzt die versicherte Tätigkeit verrichtet hat, nicht verlassen und er dort kurz zuvor versicherte Tätigkeiten verrichtet hat (so auch [X.] in [X.]/[X.], [X.]B VII, Stand Mai 2011, [X.] § 8 Rd[X.] 340; derselbe in jurisPR-[X.] 12/2005 [X.] 5).

Daran fehlt es hier. Es ist völlig offen, wann genau, wo und bei welcher Gelegenheit der [X.]läger sich seine Verletzungen zugezogen hat. Vergleichbar liegt der Fall des [X.] mit denjenigen, die den oben genannten Urteilen zu Grunde lagen, nur insoweit, als auch der [X.]läger unter ungeklärten Umständen erhebliche Gesundheitsschäden erlitten hat. Vorliegend erstreckt sich aber der [X.]raum zwischen der Aufnahme der versicherten Tätigkeit (1.00 Uhr), einer Pause von 2.30 Uhr bis 9.00 Uhr bis zur Wahrnehmung bestehender Gesundheitsschäden (gegen 9.30 Uhr) auf mehr als acht Stunden. Für diese [X.]spanne ist unklar, wann die Schädigung stattgefunden hat und welchen konkreten versicherten und nichtversicherten Verrichtungen der [X.]läger nachgegangen ist. Der [X.]raum, in dem die Einwirkung möglicherweise erfolgte, übersteigt sogar die zeitliche Dauer einer Arbeitsschicht, die als Grenze gilt, bis zu der das Merkmal "zeitlich begrenzt" in § 8 Abs 1 S 2 [X.]B VII noch erfüllt werden kann (stRspr B[X.] vom 30.5.1985 - 2 RU 17/84 - [X.] 2200 § 548 [X.]; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B VII, Stand Mai 2011, [X.] § 8 Rd[X.]2 f).

Auch in örtlicher Hinsicht ist offen, ob der [X.]läger die Verletzungen am Arbeitsplatz, [X.] in seinem Fahrzeug, oder an einem Ort erlitten hat, den er bedingt durch die versicherte Tätigkeit aufsuchen musste, oder an einem zu eigenwirtschaftlichen Verrichtungen aufgesuchten Ort, [X.] einem Rasthof.

Das [X.] hat die [X.] der Verrichtung der versicherten Beschäftigung auch unter Berücksichtigung der rechtlichen Möglichkeit geprüft, dass die vom [X.]läger einzuhaltenden und zwingend vorgeschriebenen Ruhezeiten Teil der versicherten Tätigkeit wären (vgl zu Ruhe- und Lenkzeiten der [X.]raftfahrer: Art 6 f [X.] [X.]; unbeschadet der [X.] gilt für Fahrer in einem Arbeitsverhältnis auch das [X.], insbesondere § 21a; vgl auch [X.] vom 20.04.2011 - 5 [X.]). Hier kann offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein [X.]raftfahrer bei der Einhaltung von Ruhe-, Lenk- und Standzeiten eine versicherte Tätigkeit verrichtet. Denn das [X.] hat bindend festgestellt, dass vorliegend eine betriebliche Notwendigkeit - wie etwa einzuhaltende Lenkzeiten - für die gewählte Pausengestaltung nicht ersichtlich ist. Im Übrigen hat der Senat in dem mehrfach zitierten Urteil vom [X.] (B 2 U 24/03 R - aaO Rd[X.] 8) bereits darauf verwiesen, dass ein Versicherter, der während einer Arbeitspause oder während eines Bereitschaftsdienstes einer höchst persönlichen oder eigenwirtschaftlichen Verrichtung nachgeht, ebenso wenig versichert ist, wie ein Versicherter, der während der normalen Arbeitszeit eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit einschiebt. In beiden Fällen wird die versicherte Tätigkeit unterbrochen.

3. Eine "Umkehr der Beweislast" zu Lasten des [X.] oder eine "Rückausnahme", wie das [X.] meint, liegt nicht vor.

Das [X.] ist unzutreffend davon ausgegangen, dass die hier vorliegenden Umstände, ausgehend von den Entscheidungen des Senats eine "Beweislastumkehr" zu Lasten des [X.] bewirken. Vielmehr bleibt es bei den allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast. Danach trägt derjenige, der ein Recht - hier Feststellung eines Arbeitsunfalls - für sich beansprucht, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Ermittlung die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (stRspr; vgl B[X.] vom [X.] - [X.] U 1/05 R - B[X.]E 96, 196, 198 = [X.] 4-2700 § 8 [X.]7 Rd[X.]0 mwN; B[X.] vom 18.11.2008 - [X.] U 27/07 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.]0 mwN). Bei Tatsachen, die das [X.] nur mit dem Überzeugungsgrad des [X.] feststellen darf, schaden rein theoretische Zweifel, die immer vorliegen können, ohnehin nicht (Erforderlich ist "ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit" so [X.] in [X.]/[X.], ZPO, 32. Aufl 2011, § 286 Rd[X.] 2 mwN). Die in den oben zitierten Entscheidungen sehr unspezifisch als "Beweiserleichterungen" (zu dem Begriff vgl [X.] in [X.], ZPO, 29. Aufl, Vor § 284 Rd[X.] 25 f) bezeichneten Ausnahmesituationen zeichnen sich dadurch aus, dass weder eine Unterbrechung der versicherten Tätigkeit zur Unfallzeit noch konkrete Hilfstatsachen dafür festgestellt sind. Folglich könnten nur aus der [X.] der Umstände des Einzelfalles Zweifel an der (weiteren) Verrichtung der versicherten Tätigkeit bis zur Unfallzeit entstehen. Solche Zweifel aber, die sich nicht auf festgestellte Tatsachen stützen lassen, können auch nur rein theoretischer Natur sein.

4. Das [X.] hätte, worauf nur beiläufig hinzuweisen ist, die Verrichtung der versicherten Beschäftigung zur Unfallzeit auch nicht wegen eines Anscheinsbeweises feststellen müssen.

Beim Beweis des ersten Anscheins handelt es sich um eine Tatsachenvermutung. Bei typischen Geschehensabläufen erlaubt er den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs oder eines schuldhaften Verhaltens aufgrund von [X.], auch wenn im Einzelfall entsprechende Tatsachen nicht festgestellt werden können ([X.] in [X.], ZPO, 29. Aufl, Vor § 284 Rd[X.] 29). Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte kann also der Geschehensablauf zu Grunde gelegt werden, als habe er sich in der typischen Weise ereignet. Erforderlich ist ein Hergang, der nach der Lebenserfahrung unabhängig von den Umständen des Einzelfalls und dem Willen der handelnden Personen in einer bestimmten Weise abzulaufen pflegt und deshalb auch im zu entscheidenden Fall als gegeben unterstellt werden kann (s dazu: [X.] aaO; B[X.] [X.] 5670 Anl 1 [X.] 2102 [X.] 2 S 2). Es kann offenbleiben, ob und in welchen Fällen ein Beweis des ersten Anscheins für den Überzeugungsgrad des [X.] ausreichen kann.

Dementsprechend wird auch für einzelne Voraussetzungen des Arbeitsunfalls, wie [X.] die [X.], die Möglichkeit des Anscheinsbeweises bejaht (dazu B[X.] vom [X.] - [X.] U 23/05 R - B[X.]E 98, 79 = [X.] 4-2700 § 8 [X.] 22, Rd[X.]5; vgl auch Bolay in Hk-[X.]G, 3. Aufl 2009, § 128 Rd[X.]2; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 128 Rd[X.] ff). Vorliegend kann ein Anscheinsbeweis schon mangels eines typischen Geschehensablaufs nicht den Nachweis begründen, dass ein Unfallereignis bei der "Verrichtung einer versicherten Tätigkeit zur Unfallzeit" eingetreten ist. Neben einer feststellbaren Unfallzeit fehlt es auch an einem Erfahrungssatz des Inhalts, dass Beschäftigte im Transportgewerbe (außerhalb von Verkehrsunfällen) bei Ausübung ihrer Tätigkeit Einwirkungen ausgesetzt sind, die zu Verletzungen der vom [X.]läger erlittenen Art führen.

Nach alledem ist die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] zurückzuweisen.

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 2 U 2/11 R

31.01.2012

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Heilbronn, 3. März 2009, Az: S 6 U 767/06, Urteil

§ 8 Abs 1 SGB 7

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 31.01.2012, Az. B 2 U 2/11 R (REWIS RS 2012, 9653)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9653

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 AZR 200/10

2 U 24/03

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