Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2020, Az. 4 StR 597/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1342

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Gegenstand

Korrektur einer rechtskräftigen Revisionsentscheidung in Strafsachen


Tenor

Der Antrag des [X.] vom 15. Oktober 2020, den Beschluss des Senats vom 5. Mai 2020 aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen, wird abgelehnt. Es verbleibt bei der Entscheidung des Senats vom 5. Mai 2020.

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten am 9. Juli 2019 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat mit Beschluss vom 5. Mai 2020 das Urteil im Strafausspruch gemäß § 349 Abs. 4 StPO auf und verwies die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere [X.] des [X.] zurück; die weiter gehende Revision des Angeklagten wurde gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

I.

2

Eine erneute Hauptverhandlung hat bislang noch nicht stattgefunden. Vielmehr sind die Akten über den [X.] erneut dem [X.] vorgelegt worden mit dem Antrag, den Senatsbeschluss vom 5. Mai 2020 aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.

3

Dem Antrag liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4

Die von der [X.] des [X.] auf der Grundlage der Beratung verfasste, 16 Seiten umfassende, ordnungsgemäß unterschriebene und zur Zustellung an die Verfahrensbeteiligten bestimmte [X.] ging am 9. August 2019 auf der Geschäftsstelle des [X.] ein. Aus nicht mehr aufklärbaren Gründen gelangte neben dem Original der [X.] auch eine 18 Seiten umfassende „beglaubigte Abschrift“ eines [X.] zu den Gerichtsakten, die mit der Urschrift nicht übereinstimmte, vielmehr in der Beweiswürdigung und bei der Strafzumessung von der [X.] abwich. Entgegen der Zustellungsverfügung des Vorsitzenden der [X.] vom 9. August 2019, die sich auf die [X.] des Urteils bezog, wurde den Verteidigern versehentlich eine Ausfertigung der Entwurfsfassung zugestellt, die nicht als [X.] erkennbar war. Nach Eingang der Revisionsbegründung, mit der die Verteidiger sachlich-rechtliche Fehler des ihnen zugestellten „Urteils“ beanstandeten, wurde – aus ebenfalls nicht mehr aufklärbaren Gründen – auch nur der 18-seitige [X.] als „beglaubigte Abschrift“ zu den Handakten des [X.]s und sodann zu dem für die Revisionsinstanz zusammengestellten sogenannten [X.] genommen. Auf dieser Grundlage erstellte der [X.] seinen auf § 349 Abs. 2 StPO gestützten Verwerfungsantrag und fasste der Senat seinen Beschluss vom 5. Mai 2020. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung befand sich die [X.] des Urteils in den dem Senat ebenfalls vorgelegten Gerichtsakten.

II.

5

Eine Aufhebung des [X.] vom 5. Mai 2020 kommt in der hier vorliegenden Fallkonstellation nicht in Betracht. Es verbleibt bei der teilaufhebenden Entscheidung.

6

1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s können Entscheidungen des [X.] grundsätzlich weder aufgehoben noch abgeändert werden. Das gilt nicht nur für nach § 349 Abs. 2 StPO ergangene Beschlüsse über die Verwerfung der Revision, durch die das Verfahren wie durch ein Verwerfungsurteil nach § 349 Abs. 5 StPO rechtskräftig abgeschlossen wird (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. Januar 1962 – 4 StR 392/61, [X.]St 17, 94, und vom 24. März 2011 – 4 [X.]), sondern auch für einen nach § 349 Abs. 4 StPO gefassten Beschluss, mit dem die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Tatgericht zurückverwiesen wird und der deshalb lediglich formelle Rechtskraft erlangt (vgl. [X.], Beschluss vom 10. September 2015 ‒ 4 StR 24/15 Rn. 8 mwN; vgl. auch Beschluss vom 4. April 2006 ‒ 5 [X.] für Entscheidungen nach § 349 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 StPO). Ein Bedürfnis der Rechtspflege und der Allgemeinheit nach Rechtssicherheit verbietet es auch im Revisionsverfahren, einen Eingriff in die Rechtskraft einer gerichtlichen Sachentscheidung zuzulassen, es sei denn, die Voraussetzungen der speziell für diesen Verfahrensabschnitt geltenden Ausnahmevorschrift des § 356a StPO wären erfüllt, wonach die Entscheidung des [X.] unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 10. September 2015 – 4 StR 24/15 mwN; Beschluss vom 14. November 2019 – 1 [X.]/19).

7

2. Zwar hat die Rechtsprechung eine Korrektur einer formell bzw. materiell rechtskräftigen Revisionsentscheidung in eng begrenzten Ausnahmefällen zugelassen (vgl. [X.], Beschluss vom 13. November 1925 – [X.], [X.]St 59, 419 bei irrtümlicher Annahme der Mitwirkung eines funktionell unzuständigen Urkundsbeamten bei Anbringung der Revisionsanträge; [X.], Beschluss vom 28. Januar 1997 – 1 [X.] bei fehlender Kenntnis des [X.] von der Revisionsrücknahme und der Entscheidung des [X.] über die Kostenfolge, die den dem [X.] vorgelegten Akten nicht beigefügt waren; [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2007 – 2 [X.] bei Verursachung des Irrtums des [X.] über ein Verfahrenshindernis durch eine dem Angeklagten zuzurechnende Täuschung; [X.], Beschluss vom 27. Oktober 2015 – 1 [X.] zur Verfahrenseinstellung nach nachträglich bekannt gewordenem Tod des Beschwerdeführers).

8

Ein solcher Ausnahmefall, der eine Durchbrechung der formellen bzw. materiellen Rechtskraft einer Revisionsentscheidung rechtfertigen könnte, liegt aber jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen nicht vor.

9

a) Den den vorgenannten [X.] zugrundeliegenden Fallkonstellationen ist – soweit ersichtlich – gemein, dass die jeweiligen Revisionsentscheidungen auf einer – nicht erkennbar – unvollständigen oder falschen Aktenlage getroffen wurden und dem Revisionsgericht infolgedessen für das Revisionsverfahren erhebliche prozessuale Tatsachen verborgen blieben oder ihm für die Revisionsentscheidung maßgebliche verfahrensverändernde Entscheidungen nicht bekannt wurden.

Von dieser engen Begrenzung einer Rechtskraftdurchbrechung ist auch der 1. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 14. November 2019 (1 [X.]/19) ausgegangen und hat die Aufhebung eines lediglich versehentlich auf einer unzutreffenden tatsächlichen Grundlage ergangenen [X.] abgelehnt. Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in welchem statt des nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO ergänzten, zugestellten und vom Angeklagten mit der Revision angegriffenen Urteils aufgrund eines Versehens lediglich die Ausfertigung der Fassung des ursprünglich gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Urteils zum [X.] gelangte, auf dessen Grundlage sodann ein Senatsbeschluss gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO erging. Zur Begründung hat der 1. Strafsenat darauf verwiesen, dass der von der Tatsacheninstanz vollständig vorgelegte Akteninhalt lediglich nicht vollständig – soweit für die Revisionsentscheidung erforderlich – zum Inhalt des [X.]s gelangte. Ein solches Versehen könne jedoch einen Eingriff in die formelle bzw. materielle Rechtskraft einer Entscheidung im Revisionsverfahren nicht rechtfertigen.

b) So liegt der Fall auch hier.

Dem Senat lagen bei seiner Beschlussfassung die vollständigen Akten der Tatsacheninstanz einschließlich der [X.] im Original vor. Auch im vorliegenden Fall war es einem Versehen geschuldet, dass bei der Zusammenstellung des lediglich für den internen Gebrauch bestimmten [X.]s (vgl. dazu [X.], Urteil vom 18. Juni 2009 – 3 [X.] [unter dem Gesichtspunkt des [X.]]) nicht eine Kopie oder eine Ausfertigung der Urschrift des Urteils, sondern eine „Ausfertigung“ des [X.] zu den senatsinternen Akten gelangte, auf dessen Grundlage die Beschlussfassung erfolgte. Die Aktenvorlage war indes vollständig erfolgt. Die Senatsentscheidung ist deshalb zwar auf einer tatsächlich falschen Grundlage ergangen; dies war aber nicht Folge einer unvollständigen oder falschen Aktenlage, sondern beruhte auf einem Versehen.

Der Senat folgt daher für den vorliegenden Fall der Rechtsauffassung des 1. Strafsenats, zumal sich auch in Ansehung des Originalurteils die auf falscher Tatsachengrundlage getroffene teilaufhebende Senatsentscheidung zum Vorteil des Angeklagten auswirkt. Soweit sich aus der Entscheidung des Senats vom 10. September 2015 (4 StR 24/15) etwas anderes ergibt, hält der Senat hieran nicht fest.

Es verbleibt nach alledem bei der Senatsentscheidung vom 5. Mai 2020.

Sost-Scheible     

        

Quentin     

        

Rin[X.] Dr. Bartel befindet
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.

                                   

Sost-Scheible

        

Rommel     

        

Lutz     

        

Meta

4 StR 597/19

09.11.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 5. Mai 2020, Az: 4 StR 597/19, Beschluss

§ 349 Abs 2 StPO, § 349 Abs 4 StPO, § 349 Abs 5 StPO, § 356a StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2020, Az. 4 StR 597/19 (REWIS RS 2020, 1342)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1342

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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