Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.01.2021, Az. 6 StR 399/20

6. Strafsenat | REWIS RS 2021, 9146

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Gegenstand

Strafverfahren: Korrektur eines vom Sitzungsprotokoll abweichenden Urteilstenors durch das Revisionsgericht; Berücksichtigung ausländischer Verurteilungen im Rahmen der Strafzumessung


Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. Juli 2020,

a) soweit es den Angeklagten [X.]     betrifft,

aa) im Schuldspruch dahin klargestellt, dass er des Diebstahls in drei Fällen und der leichtfertigen Geldwäsche in zwei Fällen schuldig ist,

bb) in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen [X.] und 3. der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe aufgehoben; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten,

b) soweit es den Angeklagten J.     betrifft, im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]       ausweislich der Sitzungsniederschrift wegen Diebstahls in drei Fällen und wegen „leichtfertiger Geldwäsche“ in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt; das schriftliche Urteil weist demgegenüber eine Verurteilung wegen Diebstahls in drei Fällen und wegen (vorsätzlich begangener) „Geldwäsche“ in zwei Fällen aus. Den Angeklagten [X.] hat das [X.] wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem hat es [X.] getroffen. Die auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Der Angeklagte [X.]       beanstandet zu Recht, dass die Urteilsformel anders verkündet worden sei, als in der [X.] wiedergegeben. Der authentische Wortlaut der Urteilsformel ergibt sich allein aus der nach § 274 StPO maßgeblichen Sitzungsniederschrift (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. Mai 2001 - 2 StR 42/01, [X.], 100; vom 6. Februar 2013 - 1 StR 529/12 Rn. 3 mwN). Der [X.] stellt den Schuldspruch insoweit klar.

3

a) Der [X.] teilt die vom 3. Strafsenat (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Mai 2019 - 3 StR 462/18 Rn. 3 f.) und vom 5. Strafsenat (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Juni 2020 - 5 [X.] Rn. 4 f.) vertretene Auffassung, wonach die Korrektur eines vom Sitzungsprotokoll abweichenden [X.]s in der [X.] durch das Revisionsgericht eine ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge voraussetzt. Der Ansicht des 1. Strafsenats, dass die Übereinstimmung der protokollierten und der im schriftlichen Urteil enthaltenen Urteilsformel von Amts wegen zu prüfen sei, weil „die Existenz eines erstinstanzlichen Urteils und dessen Inhalt“ ebenso wie eine wirksame Anklageerhebung und ein wirksamer Eröffnungsbeschluss „gewissermaßen“ Verfahrensvoraussetzung für das Revisionsverfahren sei (vgl. [X.], Urteil vom 10. Oktober 2019 - 1 StR 632/18, [X.], 371, 372; nicht tragend), vermag der [X.] dagegen nicht zu folgen.

4

b) Dem [X.] lässt sich eine entsprechende Verfahrensrüge entnehmen. Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer die Divergenz zwischen dem ausweislich des [X.] verkündeten und dem in der [X.] wiedergegebenen [X.] im Rahmen seiner Ausführungen zur Sachrüge beanstandet hat. Der Sache nach richtet er sich gegen das Verfahren, wie sich auch aus einer Bezugnahme auf sein Vorbringen zur Begründung der - erfolglosen - Verfahrensrüge ergibt, das Urteil sei nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden (§ 338 Nr. 7 StPO). Die Rüge ist ordnungsgemäß erhoben, weil sich die beanstandete Abweichung der in der Hauptverhandlung verkündeten von der in der Urteilsgründe wiedergegebenen Urteilsformel allein aufgrund des Rügevorbringens beurteilen lässt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

5

2. Die in den Fällen II.2 und 3 der Urteilsgründe gegen den Angeklagten [X.]     verhängten Strafen haben keinen Bestand. Das [X.] hat der Strafzumessung nicht den gemäß § 261 Abs. 5 StGB eröffneten Strafrahmen zugrunde gelegt, wonach leichtfertige Geldwäsche mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht ist, sondern denjenigen des § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB, der im Falle einer vorsätzlich begangenen Tat die Verhängung einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht.

6

Der [X.] vermag nicht auszuschließen, dass sich dieser Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf die Strafzumessung ausgewirkt hat.

7

Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.2 und 3 der Urteilsgründe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.

8

3. Der Strafausspruch gegen den Angeklagten [X.]hält rechtlicher Überprüfung insgesamt nicht stand. Das [X.] hat jeweils strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte „zur Tatzeit mehrfach, unter anderem einschlägig vorbelastet“ war und dabei insbesondere auf fünf ausländische Verurteilungen abgestellt, die nach [X.] Recht tilgungsreif wären.

9

Nach den Feststellungen wurde der seinerzeit noch jugendliche bzw. heranwachsende Angeklagte von September 1995 bis 4. Februar 1997 in [X.] viermal zu Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr verurteilt, aus denen am 28. Februar 1997 eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten gebildet wurde. Der Angeklagte verbüßte davon sechs Monate; der [X.] wurde zur Bewährung ausgesetzt und schließlich erlassen. Das nächste Strafurteil gegen ihn erging erst am 4. April 2003.

Das [X.] hat bei der strafschärfenden Bewertung der ersten fünf Verurteilungen des Angeklagten berücksichtigt, dass der Angeklagte seinerzeit „Jugendlicher bzw. Heranwachsender“ war und nach [X.] Recht „Jugendstrafrecht anzuwenden gewesen wäre“. Es hat indes nicht bedacht, dass ausländische Verurteilungen nicht mehr verwertet werden dürfen, wenn sie nach [X.] Recht tilgungsreif wären (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Oktober 2011 - 4 StR 425/11, [X.], 305; vom 19. Januar 2015 - 3 StR 588/14). Das wäre hier der Fall.

Wenn am 28. Februar 1997 gegen den Angeklagten [X.]  eine Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verhängt und die Vollstreckung des [X.]es zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, hätte die Tilgungsfrist gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe d [X.] fünf Jahre betragen. Ein Fall der Fristverlängerung nach § 46 Abs. 3 [X.] hätte nicht vorgelegen. Der Ablauf der Frist wäre nicht gemäß § 47 Abs. 2 [X.] gehemmt gewesen, weil diese Vorschrift bei ausländischen Verurteilungen nicht anwendbar ist (vgl. [X.] StPO/[X.], [X.]., [X.] § 47 Rn. 4). Auch die Eintragung der Verurteilung vom 4. April 2003 hätte keine Ablaufhemmung bewirkt, weil bereits [X.] eingetreten gewesen wäre (vgl. dazu [X.] StPO/[X.], aaO Rn. 13).

4. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Die jeweils zugehörigen Feststellungen können aufrechterhalten bleiben, weil sie von den [X.] nicht berührt sind (siehe § 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

Sander     

        

Schneider     

        

Tiemann

        

Fritsche     

        

von [X.]     

        

Meta

6 StR 399/20

27.01.2021

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Lüneburg, 9. Juli 2020, Az: 22 KLs 5/20

§ 267 StPO, § 274 StPO, § 337 StPO, § 338 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO, § 46 Abs 1 Nr 1 Buchst d BZRG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.01.2021, Az. 6 StR 399/20 (REWIS RS 2021, 9146)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9146


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 6 StR 399/20

Bundesgerichtshof, 6 StR 399/20, 27.01.2021.


Az. 22 KLs 5/20

Landgericht Krefeld, 22 KLs 5/20, 31.07.2020.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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