Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.03.2012, Az. 1 StR 530/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 8551

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Gegenstand

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 2. August 2011 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren nach §§ 460, 462 StGB zuständigen Gericht vorbehalten.

Von Rechts wegen

Gründe

I.

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus anderen Verurteilungen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verurteilt, unter Aufrechterhaltung zweier Maßregeln der Besserung und Sicherung. Mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten eingelegten, wirksam auf den [X.] beschränkten und mit der Sachrüge begründeten Revision beanstandet die [X.]aatsanwaltschaft die Gesamtstrafenbildung. Zu Unrecht habe das [X.] die mit [X.]rafbefehl des [X.] vom 13. April 2007 verhängte [X.]rafe als vollstreckt und damit als erledigt im Sinne von § 55 Abs. 1 [X.]GB  angesehen. Die Revision der [X.]aatsanwaltschaft hat Erfolg.

II.

2

1. Der jetzigen Verurteilung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

3

Ende 2007 erwarb der Angeklagte zwei Kilogramm Haschisch, um aus dem Weiterverkauf des [X.] Gewinn zu erzielen. Einen geringen Teil der Droge konsumierte der Angeklagte selbst.

4

Dafür hat die [X.] eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt.

5

2. Bei der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 55 [X.]GB hat das [X.] Einzelstrafen aus den Verurteilungen vom 6. November 2007, 13. Mai 2009, 14. Oktober 2009 und 24. Januar 2008 (Berufungsurteil) einbezogen, einmal unter Auflösung einer früheren Gesamtstrafe. Unberücksichtigt ließ die [X.] den [X.]rafbefehl des [X.] vom 13. April 2007.

6

Dies hat die [X.] wie folgt begründet:

7

Da ein großer Teil der vom [X.] Bayreuth mit Urteil vom 13. Mai 2009 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe, in die die [X.]rafe aus dem [X.]rafbefehl einbezogen worden war, bereits vollstreckt ist (im [X.] an die vollständige Verbüßung der mit Urteil des [X.] vom 6. November 2007 verhängten Freiheitsstrafe bis zum 11. April 2009), sei die mit [X.]rafbefehl des [X.] vom 13. April 2007 verhängte Geldstrafe „zu Gunsten des Angeklagten als bereits vollstreckt anzusehen“.

III.

8

Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Vollstreckung einer Gesamtstrafe, deren Höhe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen darf (§ 54 Abs. 2 Satz 1 [X.]GB), stellt sich als einheitlicher Vorgang dar und nicht als sukzessive Vollstreckung der einbezogenen Einzelstrafen (etwa unter primärer Anrechnung auf die lästigste Sanktion entsprechend dem Rechtsgedanken des § 366 Abs. 2 BGB). Durch die Bildung der Gesamtstrafe verlieren die Einzelstrafen ihre selbständige Bedeutung ([X.], Urteil vom 16. Dezember 1954 - 3 [X.]R 189/54 -, [X.][X.] 7, 180, 182). Es kann nurmehr die Gesamtstrafe vollstreckt werden ([X.], Urteil vom 6. Juli 1956 - 2 [X.]R 37/55 -, [X.][X.] 9, 370, 385). Die Annahme einer fiktiven Vollstreckung einer einbezogenen Einzelstrafe widerspricht deshalb den gesetzlichen Vorgaben des § 55 Abs. 1 [X.]GB. Die Anrechnung der bisher verbüßten [X.]rafe gehört im Übrigen zur [X.]rafzeitberechnung, für die die Vollstreckungsbehörde und nicht das erkennende Gericht zuständig ist ([X.], Beschluss vom 25. Januar 1967 - 2 [X.] -, [X.][X.] 21, 186; [X.]/[X.]/[X.], Praxis der [X.]rafzumessung, 4. Aufl. Rn. 694).

9

Entfällt eine teilweise vollstreckte Gesamtstrafe im Rahmen einer neuen nachträglichen (§ 55 [X.]GB) Gesamtstrafenbildung, so sind deshalb alle Einzelstrafen, die der entfallenen Gesamtstrafe zugrunde lagen, noch nicht erledigt im Sinne von § 55 Abs. 1 [X.]GB (so - der Sache nach - auch BayObLG, Beschluss vom 13. September 1957 - 3 [X.] 29/57 -, NJW 1957, 1810).

Über die Gesamtstrafenbildung muss daher neu befunden werden. Maßgebend ist die Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung ([X.], Beschlüsse vom 8. Oktober 2010 - 3 [X.]R 368/10 -, Rn. 2; vom 20. Dezember 2011 - 3 [X.]R 374/11 - , Rn. 5, [X.]. mwN).

IV.

Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354 Abs. 1 b Satz 1 [X.]PO zu entscheiden.

Die Vorschrift findet nicht nur bei den Angeklagten [X.], sondern auch - auf die Revision der [X.]aatsanwaltschaft - bei ihn begünstigenden Rechtsfehlern Anwendung ([X.], Urteil vom 30. November 2006 - 4 [X.]R 278/06 -, Rn. 9).

Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung aus den rechtskräftigen Einzelstrafen obliegt dem nach § 462a Abs. 3 [X.]PO zuständigen Gericht (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2010 - 1 [X.]R 635/09 -, Rn. 23; Beschluss vom 28. Oktober 2004 - 5 [X.]R 430/04).

Der Senat kann vorliegend die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels nach § 473 Abs. 4 [X.]PO nicht selbst treffen. Darüber hat deshalb das für das Nachverfahren nach §§ 460, 462 [X.]PO zuständige Gericht zusammen mit der abschließenden Sachentscheidung zu befinden (vgl. [X.], Beschluss vom 9. November 2004 - 4 [X.]R 426/04 -, [X.]R [X.]PO § 354 [X.] 1 Entscheidung 3).

Nack                                    Wahl                                    Rothfuß

                  [X.][X.]

Meta

1 StR 530/11

06.03.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bayreuth, 2. August 2011, Az: 1 KLs 121 Js 5082/11

§ 460 StPO, § 462 StPO, § 54 Abs 2 S 1 StGB, § 55 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.03.2012, Az. 1 StR 530/11 (REWIS RS 2012, 8551)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8551

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