Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.09.2017, Az. XI ZR 545/15

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 4794

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[X.]:[X.]:BGH:2017:260917U[X.]545.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
XI ZR 545/15
Verkündet am:

26. September 2017

Weber,

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der XI.
Zivilsenat des [X.] hat gemäß §
128 Abs.
2 ZPO im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum 31.
August 2017 einge-reicht werden konnten, durch den Vizepräsidenten Prof.
Dr.
Ellenberger, [X.]
[X.] sowie die Richterinnen Dr.
Menges, Dr.
Derstadt und Dr.
Dauber
für Recht erkannt:
Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 19.
Zivilsenats des [X.] vom 11.
November 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte nach Widerruf auf Rückabwicklung eines Darlehensvertrags in Anspruch.
Mit "[X.]/Darlehensvertrag" vom 5.
Dezember 2004 [X.] sich der
Kläger in Höhe von 60.000

.

GmbH & Co. Verwaltungs KG, H.

Fonds Nr.
158, ei-nem Filmfonds. Die Einlage erbrachte er in Höhe von 31.920

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3
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Mitteln. Die Finanzierung der übrigen Einlage in Höhe von 28.080

obligatorisch durch ein von der Beklagten gewährtes Darlehen mit einer Lauf-zeit von 8
Jahren. Das Formular "[X.]/Darlehensvertrag" ent-hielt auf Seite
3 die von dem Kläger ebenfalls am 5.
Dezember 2004 unter-zeichnete Bestätigung, "die Vertragsunterlagen inkl. Beteiligungsprospekt sowie die beiden Widerrufsbelehrungen erhalten und zur Kenntnis genommen zu ha-ben". Die Widerrufsbelehrungen lauteten wie folgt:
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-
5
-
Seit Dezember 2012 ist das Darlehen vollständig zurückgeführt.
Mit Schreiben vom 15.
Januar 2014 widerrief der Kläger seine auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Erstattung des von ihm zur [X.] der Beteiligung aufgebrachten Eigenkapitals abzüglich der an ihn ausbezahlten Barausschüttungen, Zug um Zug gegen Übertragung sämtlicher Rechte aus der Fondsbeteiligung, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten hinsichtlich dieser Übertragung, Nutzungsersatz in Höhe von 5 Pro-zentpunkten über dem Basiszinssatz bezogen auf die an die Beklagte erbrach-ten Zins-
und Tilgungsleistungen sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwalts-kosten.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen, weil die Widerrufsbelehrung dem Muster der Anlage
2 zur [X.] in der zum Zeitpunkt des Vertrags-schlusses gültigen Fassung entspreche und ein Widerruf zudem als verwirkt anzusehen wäre. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe:
Die Revision des [X.] hat Erfolg.

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6
-
I.
Das Berufungsgericht ([X.], Urteil vom 11.
November 2015

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[X.], juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung -
soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung
-
im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger könne sich nicht auf ein Widerrufsrecht nach §
495 Abs.
1, §
355 [X.] berufen. Zwar sei der Widerruf nicht verfristet gewesen,
da [X.] ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung der Lauf der Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt worden sei. Die Widerrufsbelehrung sei zu beanstanden, da sie angesichts der Formulierung "die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Be-lehrung" nicht ordnungsgemäß über den Beginn der Widerrufsfrist belehre. Die Beklagte könne sich auch nicht auf §
14 Abs.
1 [X.] berufen, da die [X.] nicht der [X.] nach Anlage
2 zu §
14 Abs.
1 [X.] in der maßgeblichen Fassung entsprochen habe. Sowohl die Über-schrift als auch die Angaben zum Widerrufsadressaten wichen von dem Muster ab.
Der Wirksamkeit des Widerrufs stehe jedoch der Einwand des [X.] nach §
242 BGB entgegen. Der Widerruf werde aus Gründen aus-geübt, die von dem
Schutzzweck des Widerrufsrechts nicht gedeckt seien. Denn der von dem Kläger am 15.
Januar 2014 erklärte Widerruf sei nicht mehr zum Schutz vor Übereilung erfolgt, wie schon der zeitliche Abstand von neun Jahren zum Abschluss des Darlehensvertrags und von
über einem Jahr zur vollständigen Rückführung des Darlehens zeige. Schutz vor Vertragsreue sei jedoch gerade nicht der Schutzzweck des Widerrufsrechts. Dem Rechtsmiss-brauchseinwand stehe auch nicht entgegen, dass die Ausübung des Widerrufs-rechts keiner Begründung bedürfe. Die Möglichkeit der Beklagten, eine Nachbe-8
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-
lehrung zu erteilen, könne bei der Frage der Verwirkung eine Rolle spielen, nicht aber bei der Frage, ob ein Rechtsmissbrauch gegeben sei.

II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht in al-len Punkten stand.
1. Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dem Kläger habe ursprünglich ein Recht zum Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung nach §
495 Abs.
1 BGB in Verbindung mit §
355 Abs.
1 und 2 BGB in der vom 1.
August 2002 bis zum 10.
Juni 2010 geltenden Fassung (nachfolgend: [X.]) zugestanden. Dass das Widerrufsrecht des [X.] nach §
358 Abs.
2 Satz
2 BGB in der vom 1.
August 2002 bis zum 29.
Juli 2010 geltenden Fassung ausgeschlossen gewesen sei, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und wird von den Parteien auch nicht geltend gemacht.
2. Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, die [X.] sei bei Erklärung des Widerrufs im Januar 2015 nicht abgelaufen gewesen.
a) Die dem Kläger erteilte Widerrufsbelehrung unterrichtete diesen mit-tels des Einschubs "frühestens" unzureichend deutlich über den Beginn der [X.] (Senatsurteile vom 12.
Juli 2016

XI
ZR 564/15, [X.]
211, 123 Rn.
18 und vom 25.
April 2017

XI
ZR 108/16, [X.], 1008 Rn.
11).
b) Überdies kann sich die Beklagte -
wie das Berufungsgericht jedenfalls im Ergebnis richtig erkannt hat -
nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters 11
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-
für die Widerrufsbelehrung aus Anlage
2 zu §
14 Abs.
1 und 3 [X.] in der vom 1.
September 2002 bis zum 7.
Dezember 2004 geltenden Fassung (nach-folgend: [X.]) berufen.
[X.]) Rechtsfehlerhaft ist zwar die Annahme des Berufungsgerichts, die Ergänzung der Überschrift "Widerrufsbelehrung" durch den Zusatz "Nr.
2 zum Darlehensvertrag mit der He.

(Abschnitte B. und [X.])" stehe der Berufung auf die Gesetzlichkeitsfiktion entgegen. Wie der Senat nach Erlass des [X.] entschieden hat, entsprach eine solche Ergänzung der Überschrift ihrer Qualität nach den vom Gesetzgeber selbst nach Art.
245 EGBGB in der vom 1.
August 2002 und bis zum 10.
Juni 2010 geltenden Fassung, §
14 Abs.
1 und 3 [X.] in der vom 1.
September 2002 bis
zum 10.
Juni 2010 geltenden Fassung (nachfolgend: [X.]) als zuträglich anerkannten Abweichungen, ohne die Deutlichkeit der Belehrung zu schmälern, und ließ damit die Gesetzlichkeitsfik-tion unberührt (Senatsurteile vom 12.
Juli 2016

XI
ZR 564/15, [X.], 123 Rn.
23 und vom 20.
Juni 2017

XI
ZR 72/16, [X.], 1599
Rn.
25).
Dies gilt ebenfalls für die im ersten Satz des Abschnitts "Widerrufsrecht" eingefügte Formulierung "im [X.] enthaltene, auf die Aufnahme der Fremdfinanzierung (Darlehensvertrag) gerichtete", mit der die Widerrufsbe-lehrung ebenfalls nur einem konkreten Verbrauchervertrag zugeordnet worden ist, sowie für die im ersten Halbsatz des Abschnitts "[X.]" vorgenommene Umstellung ("Falls Sie diesen Darlehensvertrag widerrufen" statt "Widerrufen Sie diesen Darlehensvertrag"), die ohne Abstriche bei der Verständlichkeit des Textes die Formulierung des Musters durch ein Synonym ersetzt.

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-
9
-
Schließlich steht der Berufung auf die Gesetzlichkeitsfiktion auch nicht entgegen, dass als Adressat der Widerrufserklärung nicht die Beklagte selbst angegeben ist. Die Bezeichnung eines Empfangsvertreters ist an sich zulässig und nach §
14 Abs.
1 und 3 [X.] [X.] für sich unschädlich (Senatsurteil vom 20.
Juni 2017

XI
ZR 72/16, [X.], 1599 Rn.
26). Zudem ist in der [X.] entsprechend [X.] (3) der Anlage 2 zu §
14 Abs.
1 und 3 [X.] [X.] die ladungsfähige Anschrift der Empfangsbevoll-mächtigten angegeben (zu diesem Erfordernis
Senatsurteile vom 12.
Juli 2016

XI
ZR 564/15, [X.], 123 Rn.
24 und vom 20.
Juni 2017, [X.]O).
bb) Allerdings hat die Beklagte das Muster für die Widerrufsbelehrung, was der Senat durch einen Vergleich selbst feststellen kann (Senatsurteile
vom 12.
Juli 2016

XI
ZR 564/15, [X.], 123 Rn.
25 und vom 20.
Juni 2017

XI
ZR 72/16, [X.], 1599 Rn.
27
ff., jeweils mwN), in anderer Weise einer inhaltlichen Bearbeitung unterzogen, die über das nach §
14 Abs.
3 [X.] [X.] für den Erhalt der Gesetzlichkeitsfiktion [X.] hinausgeht. Unter der Überschrift "[X.]" hat sie den [X.] (8) nicht vollständig umgesetzt, indem sie von dem Hinweis für die Belehrung für den Darlehensvertrag nur den ersten Absatz übernommen hat. Da der zweite Ab-satz

anders als z.B. der [X.] (2)

nicht optional gestaltet war, hat seine Nichtübernahme zur Folge, dass die Beklagte sich nicht auf die [X.] berufen kann, auch wenn das Darlehen hier nicht der Finanzierung der Überlassung einer Sache diente.
3. Das Berufungsgericht hat jedoch die Voraussetzungen verkannt, unter denen die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher als [X.] Rechtsausübung qualifiziert werden kann (vgl. dazu Senatsurteile vom 12.
Juli 2016

XI
ZR 501/15, [X.], 105 Rn.
17
ff. und XI
ZR 564/15, [X.], 123 Rn.
43
ff.). Eine solche Qualifizierung kommt nicht allein des-18
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-
10
-
halb in Betracht, weil die Erklärung des Widerrufs nicht durch den Schutzzweck des [X.] motiviert ist (Senatsurteile vom 12.
Juli 2016

XI
ZR 501/15, [X.]O
Rn.
20
ff. und XI
ZR 564/15, [X.]O
Rn.
45
ff.).

III.
Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als rich-tig dar

561 ZPO).
Insbesondere steht nicht abschließend fest, dass es dem Kläger nach §
242 BGB verwehrt ist, sich auf die Rechtsfolgen des Widerrufs zu berufen. Gerade bei

wie hier

beendeten [X.] kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs nach den für die Verwirkung allgemein geltenden Maßgaben schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den [X.] nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den [X.] gemäß §
355 Abs.
2 Satz
2 [X.] nachzubelehren
(vgl. Senatsurteile vom 12.
Juli 2016

XI
ZR 501/15, [X.], 105 Rn.
39
ff. sowie XI
ZR 564/15, [X.], 123 Rn.
34
ff., vom 11.
Oktober 2016

XI
ZR 482/15, [X.], 2295 Rn.
30
f., zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen, und
vom 21.
Februar 2017

XI
ZR 381/16, [X.], 806 Rn.
22). Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigen-den Umständen des Einzelfalles (Senatsurteile vom
12.
Juli 2016

XI
ZR 501/15, [X.]O Rn.
40 und XI
ZR 564/15, [X.]O Rn.
37 sowie vom 21.
Februar 2017, [X.]O). Dieser Würdigung kann der Senat, da sich das Berufungsgericht bisher nicht mit der Frage der Verwirkung auseinandergesetzt hat, nicht vorgrei-fen.
21
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11
-

IV.
Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§
562 Abs.
1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
563 Abs.
1 Satz
1 ZPO).

Ellenberger

[X.]

Menges

Derstadt

Dauber

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 27.02.2015 -
3 O 103/14 -

[X.], Entscheidung vom 11.11.2015 -
19 [X.] -

23

Meta

XI ZR 545/15

26.09.2017

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.09.2017, Az. XI ZR 545/15 (REWIS RS 2017, 4794)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4794

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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