Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.10.2022, Az. 1 StR 347/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 6789

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Gegenstand

Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bei einem Sexualdelikt als Anlasstat


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. Juni 2022 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 108 Fällen, davon in Tateinheit mit Herstellung kinderpornographischer Inhalte in drei Fällen, und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und mit Herstellung kinderpornographischer Inhalte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die [X.] der Maßregel nach § 64 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die [X.] hat rechtsfehlerfrei einen Hang des Angeklagten festgestellt, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen. Ihre anschließende Würdigung, der Alkoholkonsum des Angeklagten sei neben der dominierenden „pädophile(n) Neigung als Nebenströmung“ ([X.]) „nicht von entscheidender Bedeutung“ für die Begehung der [X.], zudem sei sein Leistungsverhalten nicht beeinträchtigt gewesen und ihm sei „eine normale Lebensführung“ gelungen ([X.] f.), lässt besorgen, dass sie von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist.

3

a) Da die Unterbringung nach § 64 StGB eine den Angeklagten beschwerende Maßregel ist, müssen sämtliche Voraussetzungen einschließlich des symptomatischen Zusammenhangs zwischen Hang und [X.] sicher feststehen (st. Rspr.; [X.], Beschlüsse vom 23. Februar 2022 – 6 [X.]/21 Rn. 6; vom 23. November 2021 – 2 [X.] Rn. 7 und vom 15. Juli 2020 – 4 StR 89/20 Rn. 8; je mwN). Dabei muss der Hang nicht die alleinige Ursache für die Tatbegehung sein; es genügt, wenn er neben anderen Umständen zur Tat beigetragen hat (st. Rspr.; [X.], Beschlüsse vom 5. März 2022 – 3 [X.] Rn. 7; vom 1. März 2022 – 4 StR 2/22 Rn. 4 und vom 10. Februar 2022 – 1 StR 396/21 Rn. 7; Urteil vom 13. April 2022 – 2 [X.]/21 Rn. 27; je mwN). Freilich gelten diese Maßstäbe auch bei Sexualdelikten, auch wenn diese eher selten als [X.]en festzustellen sein sollten (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Dezember 2018 – 1 [X.] Rn. 3 f.; Urteil vom 3. März 2000 – 2 StR 598/99, [X.]R StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 3 je mwN).

4

b) Hier widerspricht das Ablehnen einer ausreichenden Mitursächlichkeit der strafzumessungsrechtlichen Erwägung, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten – wenngleich nur nicht ausschließbar – ‚alkoholbedingt enthemmt‘ gewesen ([X.]). Da das [X.] einen fehlerhaften Maßstab angelegt hat, ist nicht auszuschließen, dass es sich der gebotenen weiteren Aufklärung der Auswirkung des Hangs auf die [X.] verschlossen hat. Denn der Angeklagte konsumierte spätestens seit seinem 13. Lebensjahr, mithin seit rund 27 Jahren, Alkohol in einem schädlichen Ausmaß. Jedenfalls zu Beginn des Tatzeitraums im Januar 2019 nahm er täglich hochprozentige Alkoholika, überwiegend Rum und Whiskey, zu sich, und zwar bis zu 1,4 Liter pro Tag ([X.] f.). Damit hat sich die Prüfung einer andauernden und tatbegünstigenden Enthemmung infolge des schädlichen Alkoholkonsums aufgedrängt.

5

2. Da anhand der bisherigen Feststellungen die übrigen Voraussetzungen des § 64 StGB nicht sicher ausgeschlossen werden können, ist über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) – neu zu verhandeln und zu entscheiden. Das Verbot der Schlechterstellung steht dem nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).

Jäger     

  

Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. [X.] ist urlaubsbedingt
gehindert zu unterschreiben.

  

Wimmer

 

 

Jäger

 

 

  

Leplow     

  

     Pernice     

  

Meta

1 StR 347/22

18.10.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stuttgart, 7. Juni 2022, Az: 3 KLs 22 Js 12787/21

§ 64 StGB, § 176 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.10.2022, Az. 1 StR 347/22 (REWIS RS 2022, 6789)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6789

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