Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.11.2021, Az. 1 StR 322/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2021, 1416

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Gegenstand

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Annahme einer einheitlichen Tat des Handeltreibens aufgrund einer Bewertungseinheit bzw. nach den Grundsätzen für Serienstraftaten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 28. April 2021 - unter Erstreckung auf den Mitangeklagten D.     - aufgehoben,

a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit er in dem Fall [X.] der Urteilsgründe verurteilt worden ist;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe;

c) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen, davon in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit versuchtem unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des [X.]               vom 6. August 2019 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 16.260 Euro angeordnet. Zudem hat das [X.] bestimmt, dass von der Strafe fünf Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten.

2

Die auf die Beanstandung der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge - unter Erstreckung auf den Mitangeklagten [X.](§ 357 Satz 1 StPO) - den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3

Das [X.] hat zu [X.] der Urteilsgründe folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

4

Der Angeklagte und der nicht revidierende Mitangeklagte [X.]erwarben gemeinschaftlich ab August 2017 Betäubungsmittel über das [X.] und veräußerten diese anschließend im Großraum [X.]. Dadurch wollten sie ihren eigenen Betäubungsmittelkonsum finanzieren und sich zudem eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen. Zwischen September 2017 und Mai 2018 bestellten sie insgesamt mindestens 6.310 Gramm Amphetamin, 95 [X.], 36 Gramm [X.] sowie 1.520 [X.]-Tabletten. Das [X.] vermochte die Anzahl, den Zeitpunkt und die Zusammensetzung der Einzelbestellungen nicht festzustellen und hat vor diesem Hintergrund zugunsten des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt einer „umfassenden Bewertungseinheit“ lediglich eine Tat des Handeltreibens angenommen.

5

Die Angeklagten erlösten aus der Veräußerung der Betäubungsmittel Einnahmen in Höhe von 18.370 Euro. Nach Abzug eines sichergestellten Betrages, auf den der Angeklagte verzichtet hat, hat das [X.] gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 16.260 Euro angeordnet.

II.

6

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen nur einer Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in dem [X.] der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

a) Anders als das [X.] meint, ist in diesem Fall keine Bewertungseinheit gegeben, die es rechtfertigen würde, von nur einer Tat des Handeltreibens auszugehen. Bei einer Bewertungseinheit werden sämtliche Betätigungen, die sich im Rahmen ein und desselben Güterumsatzes auf den Vertrieb einer einheitlichen Rauschgiftmenge beziehen, vom gesetzlichen Tatbestand in dem pauschalierenden, verschiedenartige Tätigkeiten umfassenden Begriff des Handeltreibens und damit zu einer Tat des Handeltreibens verbunden. Dabei ist entscheidend, dass sich die Bemühungen des [X.] auf dieselbe Rauschgiftmenge beziehen. Eine Bewertungseinheit kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Betäubungsmittel aus einem einheitlichen Erwerbsvorgang stammen, aber auch dann, wenn Drogen aus verschiedenen Erwerbsvorgängen zu einem einheitlichen Verkaufsvorrat vereint werden (vgl. insgesamt [X.], Beschlüsse vom 12. November 2019 - 1 [X.]/19 Rn. 6; vom 3. September 2019 - 1 StR 300/19 Rn. 10; vom 28. Mai 2018 - 3 [X.] Rn. 7 mwN und vom 24. Januar 2017 - 3 StR 487/16 Rn. 4 mwN).

8

Die Strafkammer hat jedoch festgestellt, dass die Angeklagten die Betäubungsmittel jeweils nur in solchen [X.] bestellten, dass sie sie innerhalb weniger Tage vollständig verkaufen konnten. Überdies ist das [X.] aufgrund der Einlassungen des Angeklagten und des Mitangeklagten [X.] davon ausgegangen, dass [X.] der Urteilsgründe „zahlreiche gemeinsame Bestellungen“ (so der Angeklagte [X.]) bzw. eine „Vielzahl von Bestellungen“ (so der Mitangeklagte [X.]) im Zeitraum September 2017 bis Mai 2018 umfasste. Vor diesem Hintergrund scheidet die Annahme einer Bewertungseinheit aus.

9

b) Aber auch nach den Grundsätzen, die für [X.] gelten, ist die Annahme nur einer Tat des Handeltreibens hier nicht möglich. Es liegen ausreichende tatsächliche Anknüpfungspunkte für die Feststellung einer Mindestanzahl von [X.] vor.

Für Serientaten ist anerkannt, dass es - soweit sich der genaue Zeitpunkt der jeweiligen Taten nicht ermitteln lässt - ausreichend ist, wenn sie etwa durch die Kennzeichnung der Art und Weise der Tatbegehung, der Beute oder durch die Benennung des Geschädigten individualisiert werden können.Soweit sich die Häufigkeit von [X.] nicht sicher ermitteln lässt, ist unter Anwendung des [X.] eine individualisierbare Mindestzahl festzustellen und gegebenenfalls der Schuldumfang zu schätzen. Nur, wenn sich auch bei sorgfältiger Beweiserhebung keine Anhaltspunkte für die Aufteilung des [X.] auf bestimmbare [X.] ergeben, kann im Extremfall der [X.] die Annahme nur einer Tat gebieten (vgl. [X.], Urteile vom 12. August 1999 - 5 StR 269/99 Rn. 13; vom 19. Juli 1995 - 2 [X.] Rn. 20 und vom 6. Dezember 1994 - 5 [X.] Rn. 22 ff., [X.]St 40, 374, 376 f.; [X.], StGB, 68. Aufl., Vor § 52 Rn. 53, 56 mwN; siehe insgesamt auch LK-StGB/[X.], 13. Aufl., [X.]. zu §§ 52 ff. Rn. 81 ff.).

Der Mitangeklagte [X.] hat bezogen auf [X.] der Urteilsgründe über die zuvor genannten Gesichtspunkte hinaus angegeben, dass sie Amphetamin meistens in [X.] von 500 Gramm bis 1.000 Gramm bestellt hätten; [X.] üblicherweise 500 Tabletten, nur einmal 1.000 Tabletten. Beide Angeklagten haben sich zudem dahingehend eingelassen, dass von den [X.] der Urteilsgründe umfassenden Bestellungen drei Bestellungen über jeweils ein Kilogramm Amphetamin von so schlechter Qualität waren, dass sie die Betäubungsmittel entsorgen mussten. Damit bestehen aber tatsächliche Anhaltspunkte für die Aufteilung auf eine Mindestanzahl individualisierbarer [X.], so dass die Annahme nur einer Tat bezüglich der Gesamtmengen der bestellten Betäubungsmittel ausscheidet.

Es ist hier auch nicht von vornherein auszuschließen, dass der Angeklagte durch die Annahme nur einer Tat beschwert ist, da [X.] der Urteilsgründe die Einsatzstrafe betrifft. Zudem könnten insbesondere vor dem Hintergrund, dass drei Bestellungen über jeweils ein Kilogramm Amphetamin von so schlechter Qualität waren, dass sie nicht veräußert werden konnten, sowie weitere 1.000 Gramm Amphetamin gar nicht bei den Angeklagten ankamen ([X.]), jeweils minder schwere Fälle nach § 29a Abs. 2 BtMG in Betracht kommen.

2. Die Aufhebung der Verurteilung in dem [X.] der Urteilsgründe hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs und der Einziehungsentscheidung zur Folge.

Der Senat hebt die Feststellungen in dem [X.] der Urteilsgründe, auch wenn sie nur teilweise von dem Rechtsfehler betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO), insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu den Bestellungen im Tatzeitraum September 2017 bis Mai 2018 zu ermöglichen.

Die Kompensationsentscheidung auf Grund rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung bleibt von der Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs unberührt (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2019 - 1 StR 50/19 Rn. 10 mwN).

3. Gemäß § 357 Satz 1 StPO ist die Aufhebung der Verurteilung in dem [X.] der Urteilsgründe und der Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen auf den nicht revidierenden Mitangeklagten [X.] zu erstrecken. Dies führt auch bei diesem zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.

4. Der Senat weist für den Fall einer erneuten Verurteilung in dem [X.] der Urteilsgründe darauf hin, dass die gesamtschuldnerische Haftung der Angeklagten für die Einziehung des Wertes von Taterträgen in den [X.] aufzunehmen ist.

Raum     

        

Jäger     

        

[X.]

        

Hohoff     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 322/21

02.11.2021

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Ravensburg, 28. April 2021, Az: 7 KLs 24 Js 11337/18

§ 261 StPO, § 267 Abs 1 StPO, § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.11.2021, Az. 1 StR 322/21 (REWIS RS 2021, 1416)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1416

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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