Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.11.2016, Az. VII R 9/15

7. Senat | REWIS RS 2016, 2775

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Gegenstand

Einreihung langer "Dehnhülsen" in die Kombinierte Nomenklatur


Leitsatz

1. Rohre sind Unterlegscheiben nicht ähnlich, auch wenn sie z.B. im Windanlagenbau als "Dehnhülsen" in einer Schraubverbindung verwendet werden sollen.

2. Der Verwendungszweck einer Ware kann ein objektives Einreihungskriterium sein, sofern er sich aus der Natur des Erzeugnisses ergibt bzw. der Ware innewohnt und wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen auf den Verwendungszweck Bezug genommen wird.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 18. Juli 2014  4 K 183/12 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --[X.]--) wendet sich gegen ein Urteil, mit dem er unter Aufhebung einer verbindlichen Zolltarifauskunft ([X.]) verpflichtet wurde, eine [X.] zu erteilen, nach der "[X.]", deren Länge den äußeren Querschnitt des Rohres mehr als zweimal überschreitet, in die [X.]. 7318 29 00 der Kombinierten Nomenklatur ([X.]) als ähnliche Waren aus Eisen oder Stahl ohne Gewinde wie "Schrauben, Bolzen, Muttern, Schwellenschrauben, Schraubhaken, Niete, Splinte, Keile, Unterlegscheiben" einzureihen sind.

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beantragte die Erteilung einer [X.] mit dem Vorschlag der Einreihung unterschiedlich langer [X.] in die [X.]. 7326 90 98 [X.] ("andere Waren aus Eisen oder Stahl").

3

Das [X.] erließ im März 2012 zwei [X.]. Die [X.], deren Länge den Querschnitt des Rohres mehr als zweimal überschritt (vgl. Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur --Erl[X.]-- zu [X.]. 7304 Rz 01.0), reihte das [X.] mit der streitgegenständlichen [X.] mit der Nr. [X.] ... in die zur [X.]. 7304 [X.] "Rohre und Hohlprofile, nahtlos, aus Eisen (ausgenommen Gusseisen) oder Stahl" gehörende Codenr. 7304 39 92 30 0 [X.] ein. Die die kürzeren [X.] betreffende [X.] ist nicht im Streit.

4

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat die Klägerin Klage erhoben und in der mündlichen Verhandlung die Einreihung der längeren [X.] in die [X.]. 7318 29 00 [X.] beantragt.

5

Unter Aufhebung der streitgegenständlichen [X.] verpflichtete das Finanzgericht ([X.]) das [X.], eine [X.] zu erteilen, in der die streitgegenständlichen Waren in die [X.]. 7318 29 00 [X.] eingereiht werden. Die langen [X.] seien zwar Rohre i.S. der [X.]. 7304 39 92 [X.], jedoch auch den in der [X.]. 7318 29 00 [X.] genannten Waren, insbesondere den Unterlegscheiben, ähnlich und damit gemäß den Erläuterungen zum Harmonisierten System ([X.]) zu [X.]. 7304 Rz 29.0 aus der [X.]. 7304 [X.] "ausgewiesen"; im Übrigen führe auch die [X.]. a im Hinblick auf die genauere Warenbezeichnung zu einem Vorrang der Einreihung unter [X.]. 7318 [X.]. Dass [X.] anders als Unterlegscheiben nicht flach seien, sich also äußerlich von diesen unterschieden, und auch nicht dazu dienten, das zu verbindende Stück zu schützen, stehe der Feststellung einer Ähnlichkeit nicht entgegen, denn die für die [X.]. 7318 [X.] wesentlichen Merkmale bestimmten sich nach der Funktion und Funktionsweise von [X.]. Eine Ähnlichkeit sei gegeben, wenn eine Ware aus Eisen oder Stahl eine vergleichbare Funktion in einer vergleichbaren Art und Weise erfülle wie eine in der Warenbeschreibung der [X.]. 7318 [X.] ausdrücklich genannte Ware.

6

Mit seiner Revision macht das [X.] geltend, die streitgegenständlichen Rohre seien in die [X.]. 7304 [X.] einzureihen.

7

Die Klägerin schließt sich der Rechtsauffassung des [X.] an und weist ergänzend auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) im Urteil [X.] vom 4. März 2015 [X.]/13 ([X.]:C:2015:139) hin, wonach die Verwendungsbestimmung des Herstellers sowie die Art und Weise und der Ort der Verwendung bei der Tarifierung relevant seien.

Entscheidungsgründe

II.

8

Die zulässige Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die angefochtene [X.] ist rechtmäßig.

9

1. Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der [X.]itionen und [X.]itionen der [X.] und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Soweit in den [X.]itionen und Anmerkungen nichts anderes bestimmt ist, richtet sich die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der [X.]. Daneben gibt es Erläuterungen und Einreihungsavise, die ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen sind (vgl. etwa Senatsurteil vom 7. Juli 2015 VII R 65/13, [X.], 1605; [X.] vom 5. März 2015 [X.], [X.]:C:2015:152; [X.] vom 27. November 2008 [X.]/07, [X.]:[X.], Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --[X.]-- 2009, 15, 16).

Auf den Verwendungszweck einer Ware darf abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (z.B. [X.] vom 18. Juli 2016 VII B 98/15; vom 24. Oktober 2002 VII B 17/02, [X.] 2003, 216; vom 14. November 2000 VII R 83/99, [X.] 2001, 499, [X.] 2001, 128; vom 5. Oktober 1999 VII R 42/98, [X.], 501, [X.] 2000, 56). Der Verwendungszweck kann ein objektives [X.] sein, sofern er sich aus der Natur des Erzeugnisses ergibt bzw. der Ware innewohnt; ob dies zutrifft, muss sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses beurteilen lassen (vgl. [X.] vom 22. September 2016 [X.]/15, [X.]:[X.], [X.] 2016, 265; [X.], [X.]:C:2015:139; [X.] vom 12. Dezember 2013 [X.]/12, [X.]:C:2013:824, [X.] 2014, 105; [X.] vom 12. Juli 2012 [X.]/11, [X.]:[X.], m.w.N.; [X.] vom 29. April 2010 [X.]/09, [X.]:[X.], [X.] 2010, 190).

Umstände des Vertriebs, die Beschreibung in Verkaufs- oder Herstellerprospekten, der Umfang der tatsächlichen Verwendung und die Bezeichnung im Handelsverkehr sind keine Kriterien, aus denen die Einreihung einer Ware folgt (z.B. Senatsbeschluss vom 9. Oktober 2008 VII B 31/08, [X.] 2009, 236). Gleichwohl lassen sich aus den genannten Unterlagen, insbesondere bei Spezialanfertigungen, bei denen der Verwendungszweck nicht auf der Hand liegt, mitunter Anhaltspunkte für die Prüfung und Ermittlung der objektiven Beschaffenheitsmerkmale gewinnen; insoweit können auch detaillierte Auftrags- oder Lieferunterlagen, Zeichnungen und Skizzen für die Ermittlung der für die Zweckbestimmung artspezifischen, charakteristischen Merkmale zu berücksichtigen sein (vgl. z.B. [X.]-Urteil [X.] vom 17. März 2005 [X.], [X.]:C:2005:182, [X.] 2005, 161; Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015 VII B 145/14; Senatsurteil vom 9. Oktober 2001 VII R 69/00, [X.] 2002, 560, [X.] 2002, 46).

Das die [X.]. 9018, 9019 [X.] und [X.]. 8543 [X.] betreffende [X.]-Urteil [X.] ([X.]:C:2015:139, Rz 51 ff.) gibt keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. In diesem Urteil hat der [X.] erneut entschieden, bei der Prüfung der Frage, ob eine Ware für medizinische Zwecke bestimmt sei, seien alle relevanten Aspekte des konkreten Falls zu berücksichtigen, soweit es sich dabei um dieser Ware innewohnende objektive Merkmale und Eigenschaften handele. An der Verknüpfung des Verwendungszwecks mit den objektiven Merkmalen der Ware wird damit ausdrücklich festgehalten.

Zwar hat der [X.] weiter ausgeführt, als relevante Aspekte seien auch die Verwendung, die der Hersteller für die betreffende Ware vorgesehen habe, sowie die Art und Weise und der Ort der Verwendung dieser Ware zu prüfen. Hierbei handelt es sich jedoch um Besonderheiten der dort streitgegenständlichen [X.]itionen bzw. Waren (vgl. etwa die [X.] zu [X.]. 9018 Rz 19.0). Eine Verallgemeinerung derart, dass nunmehr Waren (ausschließlich) nach dem (vom Hersteller oder Einführer angegebenen) Verwendungszweck einzureihen sind, hat der [X.] mit der Formulierung "soweit es sich dabei um dieser Ware innewohnende objektive Merkmale und Eigenschaften handelt" ausdrücklich ausgeschlossen.

2. Im Streitfall hat das [X.] festgestellt, die Waren würden vom Wortlaut der [X.]. 7304 [X.] "Rohre und Hohlprofile, nahtlos, aus Eisen (ausgenommen Gusseisen) oder Stahl" erfasst. Hiergegen wurden keine [X.] erhoben. Es stellt sich deshalb lediglich die Frage, ob die Rohre auch den Tatbestand einer anderen [X.]ition der [X.] erfüllen, d.h. ob eine Konkurrenzsituation besteht, die nach den allgemeinen Vorschriften aufzulösen ist, bzw. ob der Tatbestand der [X.] [X.]. 7304 Rz 29.0 (Verarbeitung zu eindeutig erkennbaren Waren) erfüllt ist. Beides ist nicht der Fall.

In die [X.]. 7318 29 00 [X.], deren Tatbestand nach Auffassung des [X.] erfüllt ist, sind Waren aus Eisen oder Stahl einzureihen, die Schrauben, Bolzen, Muttern, Schwellenschrauben, Schraubhaken, Nieten, Splinten, Keilen, Unterlegscheiben (einschließlich Federringen und -scheiben) ohne Gewinde ähnlich sind.

Eine Ähnlichkeit der streitgegenständlichen Waren mit den der eigentlichen Befestigung bzw. Verbindung von Waren dienenden Schrauben etc. hat das [X.] unstreitig zutreffend ausgeschlossen und lediglich eine Ähnlichkeit mit Unterlegscheiben angenommen. Das sind im Allgemeinen kleine, ziemlich dünne Scheiben mit einem Loch in der Mitte, die zwischen die Mutter und das zu verbindende Stück gesetzt werden, um dieses zu schützen ([X.] zu [X.]. 7318 Rz 27.0). Die Erl[X.] zu [X.]. 7304 Rz 01.0, wonach Waren (ohne Gewinde), deren Länge die größte äußere Querschnittsabmessung nicht zweimal überschreitet, u.U. als Unterlegscheiben angesehen werden können, deutet darauf hin, dass Rohre, bei denen dies nicht der Fall ist, nicht als Unterlegscheiben einzureihen sind.

Diese Merkmale liegen bei der hier zu tarifierenden Ware jedoch nicht vor. Vielmehr haben die streitgegenständlichen Waren nach den Feststellungen des [X.] optisch keine Ähnlichkeit mit Unterlegscheiben (einschließlich Federringen und -scheiben) und sind nach ihren objektiven Eigenschaften auch nicht geeignet, das zu verbindende Stück zu schützen.

Soweit das [X.] meint, für eine Ähnlichkeit genüge es, dass bei zweckentsprechender Verwendung eine Schraube durch die [X.] durchgeführt werde, sie ein typischer Bestandteil eines Verbindungssystems auf der Basis einer Dehnschraube sei und sie bei entsprechender Verwendung eine ähnliche Funktion übernehmen könne wie "andere Sicherungsringe und -scheiben" der [X.]. 7318 21 [X.], fehlt es an Feststellungen dazu, in welchen objektiven Eigenschaften und Merkmalen der Waren sich dies niederschlägt. Allein daraus, dass ein Rohr "verwendungsspezifisch abgelängt" wurde, d.h. eine bestimmte Länge hat, folgt weder eine Verarbeitung zu noch eine Ähnlichkeit mit einer anderen Ware. Jedes Rohr hat eine bestimmte Länge; diese orientiert sich regelmäßig am Verwendungszweck. Im Streitfall kommt hinzu, dass die Waren unterschiedliche Längen haben und nicht einmal von der Klägerin das Vorliegen "einer" "dehnhülsenspezifischen" Länge behauptet wird. Auch aus der Verwendung eines für den "Windanlagenbau" geeigneten Materials und entsprechender Herstellungsprozesse folgt nicht, dass die Waren den Unterlegscheiben ähnlich sind, denn für den "Windanlagenbau" werden die unterschiedlichsten Waren benötigt.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VII R 9/15

08.11.2016

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG Hamburg, 18. Juli 2014, Az: 4 K 183/12, Urteil

Pos 7304 UPos 3992 KN, Pos 7318 UPos 2900 KN

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.11.2016, Az. VII R 9/15 (REWIS RS 2016, 2775)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2775

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