Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.05.2022, Az. 6 StR 169/22

6. Strafsenat | REWIS RS 2022, 6133

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafzumessung: Folgewirkungen bei sexuellem Kindesmissbrauch


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] (Oder) vom 11. Januar 2022 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

3

a) Das [X.] hat bei der Bemessung der Strafen in den drei Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB aF) zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, „dass sexuelle Missbrauchshandlungen erfahrungsgemäß und in der Regel mit psychischen Beeinträchtigungen bei den Opfern einhergehen“, und dazu weiter ausgeführt: „Dass sich derzeit bei der Geschädigten solche psychische Tatauswirkungen nur in sehr abgeschwächter Form, wie dem bislang gezeigten Verdrängen der gesamten Situation, zeigen, schließt nach der langjährigen Erfahrung der Kammer nicht aus, dass sich insoweit noch später Beeinträchtigungen zeigen werden, die auf die Taten des Angeklagten zurückzuführen sein werden.“ Bei der Bemessung der Strafen in den fünf Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB aF) hat es „die damit regelmäßig einhergehenden psychischen Belastungen auf Seiten des Geschädigten“ zu Lasten des Angeklagten gewertet und dazu weiter ausgeführt: „Obwohl der Geschädigte bislang noch versucht, diese Auswirkungen der Taten zu verdrängen, und sich gegen eine psychologische Betreuung sperrt, geht die Kammer auf Grund ihrer langjährigen Erfahrung mit Missbrauchsdelikten davon aus, dass auch bei dem Geschädigten über kurz oder lang therapeutische Hilfe nötig sein wird, um das Tatgeschehen aufarbeiten zu können.“

4

Diese Ausführungen stoßen auf durchgreifende rechtliche Bedenken. Sie lassen besorgen, dass das [X.] dem Angeklagten unter Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB den Strafzweck der §§ 176, 176a aF StGB strafschärfend angelastet hat, der in dem Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes liegt (vgl. [X.], Beschluss vom 20. August 2003 – 2 [X.], [X.], 41, 42 mwN). Im Übrigen dürfen bei Delikten des (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern zwar solche Tatfolgen beim Opfer als verschuldete Auswirkungen der Tat im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB strafschärfend gewertet werden, die über die tatbestandlich vorausgesetzte abstrakte Gefährdung des Kindeswohls hinausgehen. Dies setzt aber voraus, dass die Folgewirkungen der Tat konkret festgestellt sind. Das ist hier nicht der Fall. Eine zum Nachteil des Angeklagten auf bloße Vermutungen gestützte Strafzumessung ist indes unzulässig (vgl. [X.], Beschluss vom 25. September 2018 – 4 StR 192/18Rn. 4 mwN).

5

b) Es ist nicht auszuschließen, dass das [X.] ohne die rechtsfehlerhaften Erwägungen auf niedrigere Strafen und eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte.

6

2. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:

7

Soweit das [X.] in den Urteilsgründen hinsichtlich des Umfangs der Beweisaufnahme „und damit die von der Kammer erhobenen Beweismittel“ auf die Sitzungsniederschrift verwiesen hat ([X.], gefährdet dies den Bestand des Urteils zwar nicht, weil es dessen ungeachtet aus sich heraus verständlich ist (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO). Grundsätzlich sind Bezugnahmen oder Verweisungen auf andere Urkunden, Aktenbestandteile oder sonstige Erkenntnisse jedoch unzulässig. Eine Bezugnahme wegen der Einzelheiten erlaubt § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nur für bei den Akten befindliche Abbildungen (vgl. [X.], Urteil vom 20. Oktober 2021 – 6 [X.], [X.], 125 mwN).

Sander     

      

Feilcke     

      

Tiemann

      

Wenske     

      

von [X.]     

      

Meta

6 StR 169/22

18.05.2022

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt (Oder), 11. Januar 2022, Az: 21 KLs 19/21

§ 46 Abs 2 S 2 StGB, § 46 Abs 3 StGB, § 176 Abs 1 StGB, § 176a StGB vom 30.11.2020

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.05.2022, Az. 6 StR 169/22 (REWIS RS 2022, 6133)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6133 NJW 2022, 3798 REWIS RS 2022, 6133

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

6 StR 339/22 (Bundesgerichtshof)


2 StR 427/16 (Bundesgerichtshof)

Strafurteil wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern: Aufnahme neuer Erkenntnisse in die Urteilsgründe nach Anwendung einer …


2 StR 47/20 (Bundesgerichtshof)

Besitzverschaffung an kinderpornographischen Schriften: Beteiligter an dem in einer kinderpornographischen Schrift dargestellten sexuellen Missbrauch als …


3 StR 416/15 (Bundesgerichtshof)


3 StR 436/22 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

4 StR 192/18

6 StR 319/21

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.