Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.10.2014, Az. AK 29/14

3. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2106

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

AK 29/14
vom
16. Oktober 2014
in dem Strafverfahren
gegen

wegen
Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie der Angeschuldigten und ihres Verteidigers am 16.
Oktober 2014 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa weiter erforderliche Haftprüfung durch den Bundesge-richtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe:
I.

Die Angeschuldigte wurde am 31.
März 2014 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 28.
März 2014 (2
BGs
102/14) festgenommen und befindet sich seither ununterbrochen in [X.]. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeschul-digte, eine [X.] St[X.]tsangehörige, habe in [X.] im Februar 2014 durch vier rechtlich selbständige Handlungen, teilweise gemeinschaftlich mit anderen und durch einen Dritten handelnd, eine terroristische Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedst[X.]ten der [X.] unterstützt, deren [X.] und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§
211 StGB) und Totschlag (§
212 StGB) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des §
308 1
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Abs.
1 bis 4 StGB zu begehen (Vergehen, strafbar nach § 129a Abs.
1 Nr.
1, Abs.
2 Nr.
2, Abs.
5 Satz 1, §
129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB); sie habe die ausländische terroristische Vereinigung "Islamischer St[X.]t im [X.] und Großsy-rien" (abgekürzt: [X.]) durch vier Geldzahlungen in Höhe von insgesamt

S.

, der sich der Vereinigung mit Wissen der Angeschuldigten als Kämpfer angeschlossen hatte, unterstützt.

Der [X.] beim [X.] hat gegen die [X.] unter dem 15.
September 2014 Anklage zum St[X.]tsschutzsenat des [X.] erhoben. Gegenstand der Anklage sind neben den Vorwürfen aus dem Haftbefehl vier weitere Unterstützungshandlungen in Form von Übergaben von Ausrüstungsgegenständen und Geldbeträgen an

S.

.

Eine Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten u.a. durch Mitglieder oder Unterstützer des "[X.]", die [X.] St[X.]tsangehörige sind, sich in der [X.] aufhalten oder hier tätig werden, hat das [X.] am 6.
Januar 2014 erteilt (§
129b Abs. 1 Satz 3 StGB).

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Die Angeschuldigte ist der ihr im Haftbefehl vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.
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a) Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

[X.]) "Islamischer St[X.]t im [X.] und in [X.]/[X.] fil-Iraq [X.] ([X.]/[X.])"

Beim "Islamischen St[X.]t im [X.] und in [X.]" handelt es sich um eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen das Gebiet des heutigen [X.] und die histo-rische Region "ash-Sham" -
die heutigen St[X.]ten [X.], [X.] und [X.] sowie [X.] -
umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottes-st[X.]t" zu errichten. Wer sich den Ansprüchen dieser Vereinigung entgegen-setzt, wird begriffen als "Feind des Islam"; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte hält sie für ein legitimes Mittel des Kampfes.

Die Organisation geht zurück auf die von [X.] Anfang 2004 als [X.] gegen die [X.] im [X.] gegründete "Ja--[X.]" ("Gemeinschaft des einen Gottes und des Kampfes"). Im Oktober 2004 leistete az-

auf [X.] und dessen "[X.] [X.]" ("Organisation der Basis des [X.] im [X.]") und bekannt wurde als "al-Im Dezember 2005 ernannte [X.] zu seinem Stellvertreter im [X.]. Die "[X.]" trat zunächst hervor mit Angriffen auf zivile Angehörige westli-cher St[X.]ten im [X.], die Opfer von Anschlägen, Entführungen und -
auf so-dann verbreiteten Videofilmen festgehaltenen -
Hinrichtungen wurden. Ab 6
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Herbst 2005 verlegte sie sich auf medienwirksame Sprengstoffanschläge, vor-nehmlich in [X.] und im [X.], aber am 9. November 2005 auch auf mehrere Hotels in [X.]/[X.].

Anfang 2006 schloss sich die "[X.]" zunächst unter der Dachorganisation "[X.] der [X.] im [X.]" mit weiteren Gruppierungen zusam-men. Nach [X.] Tod im Juni 2006 rief dessen Nachfolger [X.] im Oktober 2006 einen das Gebiet von [X.] und mehrere Nordwest-provinzen umfassenden islamischen St[X.]t aus und benannte den [X.] um in "[X.] fil-Iraq"
("Islamischer St[X.]t im [X.]", "[X.]"). Die von [X.] gegen den "[X.]" ins Leben gerufene und mit Waffen ausge-rüstete, zeitweise bis zu 100.000 Stammesangehörige umfassende "Erwe-ckungsbewegung" führte zu keiner entscheidenden Schwächung. So fielen den Autobomben-
und Selbstmordanschlägen des "[X.]" im [X.] allein 2007 etwa 1.900 Menschen zum Opfer; 2008 bis 2012 kam es bei Anschlägen vor allem auf schiitische Moscheen und Pilger sowie auf frequentierte Märkte zu insge-samt etwa 3.000 Toten.

Im Frühjahr 2010 wurde [X.] bei einer [X.] und der [X.] Regierungstruppen getötet. Sein Nachfolger wurde [X.]. Unter dessen Führung beteiligte sich der "[X.]" nach dem am 11.
Februar 2012 veröffentlichten Aufruf des zwischenzeitlichen "al--Anführers [X.] an die Muslime des Nahen Ostens, den Kampf gegen das Assad-Regime aufzunehmen, auch am [X.]. [X.] kooperierte er unter anderem mit der 2011 gegründeten, vom [X.] [X.] angeführten Kämpfergruppe "Jabhat [X.] li Ahl ash-Sham" ("[X.] für das syrische Volk"; "[X.]-Front"), deren Aktio-nen sich vornehmlich gegen Einrichtungen und Angehörige der [X.] 10
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richteten. Im April 2013 verkündete [X.] die Vereinigung von "[X.]" und "[X.]" zum "Islamischen St[X.]t im [X.] und in [X.]/[X.] fil-Iraq [X.] ([X.]/[X.])". Dem widersprach [X.] und -Zawahiri, worauf dieser den [X.] annullierte und beide Parteien zur Beilegung ihrer Streitigkeiten auf der Grundlage einer Gebietsabgrenzung -
"[X.]" im [X.], "[X.]" in [X.] -
auf-rief. Dies führte zum
Bruch [X.]s sowohl mit "[X.]". In Veröffentlichungen vom 15. und 28.
Juni 2013 warf er [X.] die "Heiligsprechung" des [X.] vor und erklärte "[X.]" zum Teil des "[X.]" sowie [X.] zum "Abtrünnigen".

Dem "[X.]" gelang es, sich in einigen Regionen [X.] als Ord-nungsmacht festzusetzen. Aus dem Kampf gegen das Assad-Regime zog sich die Organisation in der Folge weitgehend zurück und konzentrierte sich auf die Machterhaltung in den von ihr beherrschten Gebieten. Angehörige anderer [X.] sowie die Teile der Zivilbevölkerung, die den [X.] "[X.]" in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrich-tung ausgesetzt. Im August 2013 kam es bei Operationen mehrerer Gruppen in der [X.] unter der Führung des "[X.]" zu Massakern unter der regie-rungstreuen alawitischen Zivilbevölkerung, denen 190 Menschen zum Opfer fielen; weitere ca. 200 wurden entführt. Unter den syrischen Oppositionsgrup-pen ist
die Organisation wegen des von ihr eingeschlagenen Weges zwischen-zeitlich isoliert; teils im offenen Kampf gegen den "[X.]" haben andere Grup-pierungen in einigen Regionen wieder die Oberhand gewonnen. Auch "al-rücklich vom Vorgehen des "[X.]".

Wegen der Parteinahme der [X.] "[X.]" für das Assad-Regime verübte der "[X.]" ferner am 2. Januar 2014 einen Bombenanschlag in 12
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einem schiitischen Wohngebiet in [X.], der vier Menschen tötete und 77 ver-letzte. Daneben kam es zu weiteren Aktionen im [X.], so zu dem Überfall auf die Gefängnisse in [X.] und [X.] am 22. Juli 2013 sowie einen Selbstmordanschlag in [X.] am 29. September 2013 mit jeweils mehreren [X.]. Anfang Juni 2014 gelang es ihm, die Stadt [X.] unter seine Ge-walt zu bringen. Am 29.
Juni 2014 rief der "[X.]" durch seinen offiziellen Spre-cher [X.] das Kalifat aus und benannte sich in "Der isla-mische St[X.]t" um. Zum Kalifen "[X.]" wurde [X.] der Organisation, [X.], ernannt. Die Organisation erhebt seither den Führungsan-spruch in der globalen [X.]-Bewegung.

Die Führung des "[X.]" besteht aus [X.]", derzeit [X.], dem "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche unterstellt sind, so ein "[X.]" und ein "Propagandaminister". Zugeordnet sind der Führungsebene beratende "[X.]" sowie "Gerichte", die über die Ein-haltung der Regeln der Sharia wachen. Veröffentlichungen werden in der [X.]" produziert und über die Medienstelle "al-r-breitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift: "Allah -
Rasul -
Muhammad", auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islami-schen Glaubensbekenntnis.

Die etwa 10.000 bis 15.000 Kämpfer -
im [X.] bestehend aus sunniti-schen Teilen der ehemaligen [X.] von [X.] -
sind dem "[X.]" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

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bb) Die Tathandlungen der Angeschuldigten:

Die Angeschuldigte ist nach islamischem Recht mit dem gesondert Ver-folgten

S.

verheiratet, der Mitte 2013 nach [X.] ging, sich dort Ende September 2013 dem [X.] als kämpfendes Mitglied anschloss und unter ande-

Juli 2014 beteiligt war. Der Bitte

S.

s um Überweisung von Geld, das für die militärische Ausrüstung und "die Brüder"
benötigt würde, entsprach die [X.]. Sie sicherte

S.

am 2.
Februar 2014 in einem Telefonat zu, Geld an einen von diesem benannten Mittelsmann in der [X.] zu schicken. Am 4.

Februar 2014 übergab sie ihrer Freundin

Z.

über-

19.
Februar 2014 durch den Mitangeschuldigten M.

wirkte die Angeschul-digte mit. Das Geld erhielt

S.

jeweils von dem Mittelsmann in [X.]. Er verwendete es teilweise dazu, Nahrung und Kampfmittel (Grana-ten) für sich und seine Mitkämpfer vom "[X.]"
zu kaufen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Tathandlungen wird auf den Haftbefehl und die Anklageschrift Bezug genommen.

b) Die Angeschuldigte hat sich zu den Tatvorwürfen nicht geäußert. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den im Haftbefehl und in der [X.] vom 15.
September 2014 ausführlich dargelegten Beweismitteln, zu den Strukturen des "[X.]"
insbesondere aus den verschiedenen Auswertevermer-ken des [X.] sowie [X.] des [X.], zu der Einbindung der Angeschuldigten im Wesentlichen aus Tele-fongesprächen, elektronischen Speichermedien und Ermittlungen beim [X.] [X.].
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2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs.
2 Nr.
2 StPO). Die Angeschuldigte hat im Falle ihrer Verurteilung mit einer erheblichen, Fluchtanreiz bildenden Freiheitsstrafe zu rechnen. Sie ist mit ihrem am 2.
Oktober 2012 geborenen [X.] bereits im Mai 2013 nach [X.] gereist und hat sich dort einige Zeit aufgehalten. Im Spätherbst 2013 unternahm sie eine weitere Reise dorthin. Vor ihrer Festnahme beabsichtigte sie, sich erneut mit ihrem [X.] zu

S.

nach [X.] zu begeben. Die Angeschuldigte kann mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein Netzwerk Gleichgesinnter zurückgreifen, das sie im Falle des [X.] unterstützt. Der Zweck der [X.] kann deshalb auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO).

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersu-chungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die be-sondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.

Nach der Festnahme der Angeschuldigten am 31.
März 2014 mussten zunächst zahlreiche sichergestellte digitale Datenträger ausgewertet werden, was sich als technisch schwierig und zeitaufwändig erwies. Auf der so erlang-ten Tatsachengrundlage hat der [X.] unter dem 15.
September 2014 die Anklageschrift erstellt. Diese ist am 17.
September 2014 beim zuständigen St[X.]tsschutzsenat des [X.] eingegangen. Dessen Vorsitzende hat am Tag darauf die Zustellung an den Verteidiger verfügt und eine Erklärungsfrist bis zum 31.
Oktober 2014 einge-räumt. Für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens ist geplant, mit der Hauptverhandlung in der 50.
Kalenderwoche 2014 zu beginnen.
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Das Verfahren ist danach mit der in Haftsachen gebotenen Beschleuni-gung geführt worden.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht auch noch nicht
außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe.

[X.]

Pfister Gericke
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Meta

AK 29/14

16.10.2014

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.10.2014, Az. AK 29/14 (REWIS RS 2014, 2106)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2106

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