Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.09.2015, Az. XI R 31/13

11. Senat | REWIS RS 2015, 5678

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Gegenstand

Sog. "Tumormeldungen" eines Arztes für ein Krebsregister keine umsatzsteuerfreien Heilbehandlungen


Leitsatz

NV: Sog. "Tumormeldungen" eines Arztes für ein Krebsregister, die in der reinen Dokumentation erfolgter Behandlungen von Patienten bestehen, sind keine umsatzsteuerfreien Heilbehandlungen .

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 18. Juni 2013  5 K 5412/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine aus den Ärzten Dr. [X.] und [X.] bestehende GbR, betrieb in den Jahren 2004 und 2005 (Streitjahre) eine urologische Gemeinschaftspraxis.

2

Die Klägerin erbrachte in den Streitjahren sog. "Tumormeldungen" für ein [X.]. Sie meldete auf einem einheitlichen Formblatt bestimmte Identitätsdaten (z.B. Familienname, Vorname, Anschrift und Geburtsdatum) von Patienten und deren epidemiologische Daten (z.B. Tumordiagnose, Lokalisation des Tumors und Art der Therapie) an eine Klinik als "zentrale Anlaufstelle" zur Weiterleitung der Tumordokumentationen an das [X.] und erhielt für jede vorgenommene "Tumormeldung" eine (pauschale) Vergütung von der Klinik. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) umfasste die jeweilige "Tumormeldung" lediglich eine reine Dokumentation erfolgter Behandlungen von Krebspatienten und erforderte keine weitere gutachterliche oder fachliche Tätigkeit des Arztes.

3

Die entsprechenden Umsätze sah die Klägerin als nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung (UStG) steuerfrei an.

4

Nach einer Außenprüfung behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) die streitgegenständlichen Umsätze in den geänderten [X.] für die Streitjahre vom 18. Oktober 2011 dagegen als steuerpflichtig.

5

Die hiergegen erhobene Sprungklage hatte keinen Erfolg. Das klageabweisende Urteil des [X.] ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1714 veröffentlicht.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

7

Entgegen der Auffassung des [X.] hätten die von ihr vorgenommenen Tumormeldungen an das [X.] therapeutischen Charakter und dienten dem Schutz der Gesundheit sämtlicher eigener und von anderen Ärzten behandelten Patienten. Anhand der Einsichtnahme in dieses Register nutzten sie, die Klägerin, und andere Urologen die Möglichkeiten, ihre Früherkennungsmethoden, konkrete Therapiemaßnahmen und die Nachsorge an die im [X.] erfassten Krankheitsverläufe anderer gleich gelagerter Fälle anzulehnen und darauf abzustimmen. Dabei gehe es auch um die Wirkung und Verträglichkeit des Einsatzes bestimmter Krebsbekämpfungsmittel bei behandelten Patienten.

8

Die Steuerfreiheit der streitgegenständlichen Leistungen entspreche auch dem Zweck der Steuerbefreiung, die Kosten der ärztlichen Heilbehandlung zu senken. Denn der jeweilige Arzt könne seine Behandlung aufgrund der [X.] darauf abstimmen, welche Behandlungsmethoden zur Krebsbekämpfung am effektivsten seien.

9

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2004 und 2005 vom 18. Oktober 2011 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer für das [X.] um 1.604,67 € und für das [X.] um 1.537,44 € vermindert wird,
hilfsweise die Rechtssache dem [X.] ([X.]) vorzulegen.

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass die "Tumormeldungen" der Klägerin für das [X.] nicht umsatzsteuerfrei sind.

1. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sind steuerfrei die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker.

Diese Vorschrift beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ([X.]/[X.]), nach der "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden", steuerfrei sind. Sie ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.]) richtlinienkonform auszulegen (vgl. dazu ausführlich mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des [X.] und des [X.]: [X.]-Urteil vom 26. August 2014 XI R 19/12, [X.]E 247, 276, BStBl II 2015, 310, Rz 20 bis 22).

a) Der Begriff der "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der [X.]/[X.] umfasst Leistungen, die der Diagnose, Behandlung und, soweit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Daraus folgt, dass ärztlichen Leistungen, die zu dem Zweck erbracht werden, die menschliche Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der [X.]/[X.] vorgesehene Steuerbefreiung zukommt (vgl. z.B. [X.]-Urteile Klinikum Dortmund vom 13. März 2014 [X.]/12, [X.]:[X.], [X.], 271, Rz 29 f.; [X.] vom 2. Juli 2015 [X.]/14, [X.]:C:2015:437, [X.] 2015, 636, Rz 20 f.).

b) Zu den nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG steuerfreien Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gehören nach der Rechtsprechung des [X.] auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, wie vorbeugende Untersuchungen und ärztliche Maßnahmen an Personen, die an keiner Krankheit oder Gesundheitsstörung leiden, sowie Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden ([X.]-Urteile vom 18. August 2011 V R 27/10, [X.]E 235, 58, [X.]/NV 2011, 2214, Rz 14; in [X.]E 247, 276, BStBl II 2015, 310, Rz 23; vom 5. November 2014 XI R 11/13, [X.]E 248, 389, [X.]/NV 2015, 297, Rz 20). Das Gleiche gilt für Folgebehandlungen, d.h. medizinische Maßnahmen, die dazu dienen, die negativen Folgen der Vorbehandlung zu beseitigen (vgl. [X.]-Urteil vom 19. März 2015 V R 60/14, [X.]E 249, 562, [X.]/NV 2015, 939, Rz 13). Keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin sind "ärztliche Leistungen", "Maßnahmen" oder "medizinische Eingriffe", die zu anderen Zwecken erfolgen ([X.]-Urteile in [X.]E 235, 58, [X.]/NV 2011, 2214, Rz 14; in [X.]E 248, 389, [X.]/NV 2015, 297, Rz 22, jeweils m.w.N.).

c) Dementsprechend hat der [X.] entschieden, dass "die Beförderung von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen für verschiedene Krankenhäuser und Laboratorien, offensichtlich keine 'ärztliche Heilbehandlung' oder 'Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin' im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der [X.] darstellt, da sie nicht zu den ärztlichen Leistungen gehört, die unmittelbar tatsächlich dem Zweck dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen, oder tatsächlich dem Zweck dienen, die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen" ([X.]-Urteil [X.], [X.]:C:2015:437, [X.] 2015, 636, Rz 23).

Derartige Leistungen können zwar einer Heilbehandlung dienen, stellen aber selbst keine solche dar (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 18. März 2015 XI R 15/11, [X.]E 249, 359, [X.]/NV 2015, 1215, Rz 20, zur Überlassung von Praxisräumen nebst Ausstattung durch einen Arzt an andere Ärzte).

2. Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass die "Tumormeldungen" der Klägerin für das [X.] keine umsatzsteuerfreien Heilbehandlungen sind.

a) Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des [X.] bestanden die Leistungen der Klägerin in der reinen Dokumentation erfolgter Behandlungen, erforderten keine gutachterliche oder fachliche Tätigkeit des Arztes und waren weder als Abschluss noch als Vorbereitung einer Therapie anzusehen. Das [X.] hat diese Feststellungen dahingehend gewürdigt, dass die von der Klägerin vorgenommenen "Tumormeldungen" für das [X.] keinem therapeutischen Zweck dienten, da es an dem notwendigen unmittelbaren Bezug zu einer Heilbehandlungstätigkeit fehle (zustimmend [X.] in: [X.]/[X.], [X.], § 98 Rz 100; [X.], [X.] 2015, 523, 532; Hölzer in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 14 Rz 84 und 371). Diese Würdigung ist möglich, verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze, sie bindet daher gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O den Senat (vgl. dazu z.B. [X.]-Urteil vom 29. Juli 2015 XI R 23/13, [X.]E 251, 86, Rz 27, m.w.N.).

b) Aus den von der Klägerin angeführten [X.]-Urteilen D. vom 14. September 2000 [X.]/98 ([X.]:[X.], [X.], 432), Unterpertinger vom 20. November 2003 [X.]/01 ([X.]:C:2003:625, [X.] 2004, 70) und [X.] und [X.] vom 20. November 2003 C-307/01 ([X.]:[X.], [X.] 2004, 75) sowie aus [X.]. 5 des Einführungsschreibens zu § 4 Nr. 14 UStG in der ab dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung (Schreiben des [X.] vom 26. Juni 2009, [X.], 756) ergibt sich nichts anderes. Darin wird ausgeführt, dass heilberufliche Leistungen nur umsatzsteuerfrei sind, wenn bei der Tätigkeit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht. Von diesen Grundsätzen ist auch das [X.] ausgegangen. Es konnte jedoch das Vorliegen eines im Vordergrund stehenden therapeutischen Ziels nicht feststellen.

c) Entgegen der von der Klägerin geäußerten Rechtsansicht genügt es für die Annahme eines therapeutischen Zwecks ihrer "Tumormeldungen" für das [X.] nicht, dass andere Ärzte ihre konkreten Therapiemaßnahmen auf die Eintragungen im [X.] abstimmen können und die Datenbank der Verbesserung der medizinischen Betreuung der Patienten dient.

aa) [X.] wurden zur Krebsbekämpfung, insbesondere zur Verbesserung der Datengrundlage für die Krebsepidemiologie eingerichtet (§ 1 Abs. 1 des [X.]gesetzes). Sie haben das Auftreten und die Trendentwicklung aller Formen von Krebserkrankungen zu beobachten, insbesondere statistisch-epidemiologisch auszuwerten, Grundlagen der Gesundheitsplanung sowie der epidemiologischen Forschung einschließlich der Ursachenforschung bereitzustellen und zu einer Bewertung präventiver und [X.] Maßnahmen beizutragen; sie haben vornehmlich anonymisierte Daten für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung zu stellen (§ 1 Abs. 2 des [X.]gesetzes).

bb) Lediglich mögliche und mittelbare Auswirkungen einer Leistung --wie der Meldungen der Klägerin für das [X.]-- auf die Heilbehandlung eines bei Ausführung dieser Leistung nicht bestimmbaren Personenkreises dienen nicht unmittelbar tatsächlich dem Zweck, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen, oder die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. [X.]-Urteil [X.], [X.]:C:2015:437, [X.] 2015, 636, Rz 23; [X.]-Urteil in [X.]E 249, 359, [X.]/NV 2015, 1215, Rz 20).

Die "Tumormeldungen" der Klägerin für das [X.] sind --im Gegensatz zu dem vom [X.] im Urteil [X.] vom 18. November 2010 [X.]/09 ([X.]:[X.], [X.] 2011, 215) entschiedenen [X.] auch kein unerlässlicher, fester und untrennbarer Bestandteil der Heilbehandlung durch die Klägerin. Das zeigt sich bereits daran, dass in den Streitjahren die Meldungen bei einem Widerspruch des Patienten zu unterlassen bzw. im Falle eines Widerspruchs die gemeldeten Daten zu löschen waren (§ 3 Abs. 2 Satz 6 des [X.]gesetzes).

3. Eine Vorlage der Rechtssache an den [X.] ist nicht erforderlich. Die Grundsätze der Steuerfreiheit von Heilbehandlungen sind durch die Rechtsprechung des [X.] geklärt. Ob eine Leistung im konkreten Einzelfall einem therapeutischen Ziel dient, ist eine tatsächliche Feststellung, die dem [X.] als Tatsachengericht obliegt (vgl. z.B. [X.]-Urteil [X.] vom 10. Juni 2010 [X.], [X.]:C:2010:334, [X.] 2010, 540, Rz 44; [X.]-Urteil vom 1. Oktober 2014 XI R 13/14, [X.]E 248, 367, [X.]/NV 2015, 451, Rz 19).

4. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

5. Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Urteil, weil die Beteiligten darauf verzichtet haben (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 [X.]O).

Meta

XI R 31/13

09.09.2015

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 18. Juni 2013, Az: 5 K 5412/11, Urteil

§ 4 Nr 14 UStG 1999, § 4 Nr 14 UStG 2005, UStG VZ 2005, Art 13 Teil A Abs 1 Buchst c EWGRL 388/77, § 1 KRG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.09.2015, Az. XI R 31/13 (REWIS RS 2015, 5678)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5678

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