Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.02.2024, Az. IX B 113/22

9. Senat | REWIS RS 2024, 495

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Gegenstand

Kein Anspruch auf Aktenkopien gemäß Art. 15 DSGVO für juristische Personen im Klageverfahren


Leitsatz

1. NV: Die Anwendungserweiterung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) durch § 2a Abs. 5 der Abgabenordnung gilt nur für das Besteuerungsverfahren nach der Abgabenordnung, nicht jedoch für das Verfahren vor den Finanzgerichten.

2. NV: Eine juristische Person kann unmittelbar aus Art. 15 DSGVO keine Rechte ableiten.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des [X.] vom 15.11.2022 - 1 K 1307/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, führt vor dem [X.] ([X.]) des [X.] ein Klageverfahren gegen den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) wegen Umsatzsteuer 2011 bis 2014. In der Klageschrift vom 21.09.2021 beantragte die Klägerin, das [X.] möge ihr nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 3 der Datenschutz-Grundverordnung ([X.]) Auskunft über personenbezogene Daten in Form der Überlassung vollständiger Kopien, einschließlich Notizen und Vermerke, aus den Gerichtsakten, den Verwaltungsakten des [X.], den Rechtsbehelfsakten des [X.] und gegebenenfalls vorliegender weiterer Beiakten erteilen.

2

Nachdem die Klägerin von der ihr durch das [X.] eingeräumten Möglichkeit der Akteneinsicht nach § 78 Abs. 1 der [X.]sordnung ([X.]O) keinen Gebrauch gemacht und vorgetragen hatte, dass sie sich zunächst nicht auf § 78 [X.]O berufe, sondern auf Art. 15 [X.], wies das [X.] den Antrag mit Beschluss vom 15.11.2022 zurück.

3

Das [X.] hat der hiergegen gerichteten Beschwerde nicht abgeholfen.

4

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

        

den Beschluss aufzuheben und ihr nach Art. 15 [X.] Auskunft über ihre personenbezogenen Daten in Form der Überlassung vollständiger (elektronischer) Kopien, einschließlich Notizen und Vermerke, aus den Gerichtsakten, den Verwaltungsakten des [X.], den Rechtsbehelfsakten des [X.] und gegebenenfalls vorliegender weiterer Beiakten zu erteilen,

 

hilfsweise,

 

das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union ([X.]) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

        

-       

"Sind Art. 1 Abs. 1 [X.] beziehungsweise Art. 4 Nr. 1 [X.] in dem Sinne auszulegen, dass auch Informationen über steuerlich relevante Daten einer Ein-Mann-GmbH zugleich Informationen über das Vermögen des einzigen Gesellschafter-Geschäftsführers der GmbH beinhaltet mit der Folge, dass die [X.] auch für diese Fallkonstellation gilt, obwohl die Daten aus der Sphäre einer juristischen Person resultieren?

        

-       

Für den Fall der Bejahung der ersten Frage: Wird ein Gericht zusammen mit der Steuerbehörde gemeinsamer Verantwortlicher im Sinne des Art. 26 [X.] dadurch, dass die Finanzbehörde die den Streitfall betreffenden Behördenakten nach Empfang der Klageschrift an das Gericht zu übermitteln hat (§ 71 Abs. 2 [X.]O) und diese Akten durch Verarbeitung der personenbezogenen Daten im Rahmen der Rechtsprechung des Spruchkörpers des Gerichts in das Urteil des Betroffenen mit einfließen oder aber handelt es sich bei dem Spruchkörper eines Gericht einerseits und der Finanzbehörde andererseits nicht um gemeinsame Verantwortliche im Sinne des Art. 26 [X.], sondern um allein 'Verantwortliche' im Sinne des Art. 4 Nr. 7 [X.], die für ihre eigenen Aktenkonvolute jeweils selbst verantwortlich sind, so dass einem Gericht die Verpflichtungen aus Art. 15 [X.] bezüglich der nach § 71 Abs. 2 [[X.]O] vorgelegten Behördenakten entzogen ist?

        

-       

Kann für den Fall der Bejahung der ersten Frage eine Regelung wie § 78 [X.]O, die isoliert bereits lange [vor] Inkrafttreten der [X.] Geltung entfaltet hat, dennoch über Art. 23 Abs. 1 lit. f [X.] als lex specialis Regelung der vollumfänglichen Anwendung des Art. 15 [X.] entgegenstehen, obwohl im aktuellen Gesetzgebungsverfahren durch den Gesetzgeber kein konkreter Bezug dieser Norm zur [X.] hergestellt wurde bzw. wegen der zeitlichen Komponente früher gar nicht hergestellt werden konnte?"

5

Das [X.] hat keinen Antrag gestellt.

Gründe

II.

6

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

7

Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin besondere, über § 78 [X.]O hinausgehende Rechte in Form der Überlassung vollständiger, elektronischer Kopien, einschließlich Notizen und Vermerke, aus den Gerichtsakten, den Verwaltungsakten des [X.], den Rechtsbehelfsakten des [X.] und gegebenenfalls vorliegender weiterer Beiakten zu erteilen, im anhängigen finanzgerichtlichen Verfahren nicht zustehen. Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2, Abs. 3 [X.] kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht.

8

1. Eine Akteneinsicht in die vom [X.] bereitgestellten Akten auf Grundlage des § 78 Abs. 1 [X.]O hat die Klägerin ausdrücklich abgelehnt. Dies schließt es auch aus, dass insoweit ein Verstoß gegen den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte (vgl. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 20.10.2021 - XI R 19/20, Rz 49 f., mit Verweis auf [X.] vom 09.11.2017 - [X.]/16, [X.]:[X.]; [X.] vom 16.10.2019 - [X.]/18, [X.]:C:2019:861; C.F. (Contrôle fiscal) vom 04.06.2020 - [X.]/19, [X.]:[X.], Rz 29 ff.) vorliegt.

9

Die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Satz 2 [X.]O liegen nicht vor. Zwar kann hiernach eine Akteneinsicht durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg gewährt werden, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Allerdings ergibt sich hieraus keine Verpflichtung des Gerichts, eine Papierakte in eine elektronische Akte zu überführen, um eine solche Akteneinsicht zu ermöglichen ([X.] vom 04.07.2019 - VIII B 51/19, Rz 16 sowie vom 30.10.2023 - X B 35/23 (AdV), Rz 24).

2. Ein Anspruch auf Überlassung der begehrten elektronischen Kopien über den Anwendungsbereich des § 78 [X.]O hinaus ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2, Abs. 3 [X.].

a) Dabei kann dahinstehen, ob --wie vom [X.] des [X.] bereits [X.] die Finanzgerichtsordnung dem Datenschutzrecht und damit auch dem Auskunftsrecht aus Art. 15 [X.] vorgeht ([X.]-Beschluss vom 29.08.2019 - X S 6/19, Rz 23, unter Verweis auf die Stellungnahme der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Bundesratsstellungnahme vom 23.03.2017 zu Nr. 6, BTDrucks 18/11655, S. 27; ebenso [X.]-Beschluss vom 18.03.2021 - V B 29/20, [X.]E 272, 296, [X.] 2021, 710, Rz 23; zu § 299 der Zivilprozessordnung vgl. Beschluss des [X.] vom 22.06.2023 - 2 VA 5/23; zustimmend z.B. [X.] in Tipke/[X.], § 78 [X.]O Rz 1; kritisch Schaz, [X.] 2020, 338, 339 f.).

b) Jedenfalls enthält die [X.] nach deren Art. 1 Abs. 1 und 2 nur Vorschriften zum Schutze natürlicher Personen. Sie erfasst nicht die Daten, die juristische Personen betreffen ([X.]-Urteil J & S Service vom 10.12.2020 - [X.]/19, [X.]:C:2020:1011, Rz 41). Als betroffene Personen kommen daher nur natürliche Personen in Betracht (vgl. Art. 4 Nr. 1 [X.]). Im Erwägungsgrund 14 der [X.] heißt es hierzu, dass die [X.] nicht für die Verarbeitung personenbezogener Daten juristischer Personen und insbesondere als juristische Person gegründeter Unternehmen, einschließlich Name, Rechtsform oder Kontaktdaten der juristischen Person, gilt. Dementsprechend betont der [X.], dass der Begriff "Informationen, die sich auf Körperschaften beziehen" streng von dem unionsrechtlich definierten Begriff der personenbezogenen Daten natürlicher Personen zu unterscheiden ist. Das Recht natürlicher Personen auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten ist ein Grundrecht, das durch Art. 8 Abs. 1 der [X.] garantiert wird. Dagegen werden Informationen, die juristische Personen betreffen, im Unionsrecht nicht in vergleichbarer Weise geschützt (vgl. [X.]-Urteil J & S Service vom 10.12.2020 - [X.]/19, [X.]:C:2020:1011, Rz 46).

Im Streitfall kann die Klägerin, eine GmbH, als juristische Person daher keine Rechte aus Art. 15 [X.] ableiten.

c) Ob der Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin gegebenenfalls Rechte betreffend Daten einer sogenannten "Ein-Mann-GmbH" geltend machen kann, braucht der [X.] nicht zu entscheiden. Den hier streitgegenständlichen Antrag hat der Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin nicht als möglicherweise betroffene natürliche Person im eigenen Namen, sondern im Namen der Klägerin, also einer juristischen Person, gestellt.

d) Auch soweit sich die Klägerin auf § 2a Abs. 5 der Abgabenordnung ([X.]) beruft, begründet dies keine Anwendung des Art. 15 [X.]. Die Anwendungserweiterung der [X.] durch § 2a Abs. 5 [X.] gilt nur für das Besteuerungsverfahren nach der Abgabenordnung (so auch [X.] in Tipke/[X.], § 2a [X.] Rz 24a), nicht jedoch für das Verfahren vor den Finanzgerichten.

3. Der erkennende [X.] sieht keinen Anlass für die Einholung einer Vorabentscheidung des [X.] nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

a) Nach Ansicht des [X.]s bestehen --auf Grundlage der oben genannten Rechtsprechung des [X.]-- keine Zweifel daran, dass gemäß Art. 1 Abs. 1 und 2 [X.] juristische Personen keine Rechte aus der [X.] ableiten können, sondern lediglich die dahinterstehenden, betroffenen (natürlichen) Personen.

b) Mangels Anwendbarkeit der [X.] ist im vorliegenden Verfahren auch nicht klärbar, ob [X.] und [X.] gemeinsam Verantwortliche im Sinne des Art. 26 [X.] sein können.

c) Die Frage, ob Art. 23 Abs. 1 [X.] von seinem Anwendungsbereich nationale Gesetzgebungsmaßnahmen, die vor dem Inkrafttreten der [X.] erlassen wurden, ausschließt, hat der [X.] bereits beantwortet ([X.]-Urteil [X.] (Copies du dossier médical) vom 26.10.2023 - C-307/22, [X.]:C:2023:811, Rz 56) und ist im Streitfall auch nicht entscheidungserheblich.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX B 113/22

08.02.2024

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 15. November 2022, Az: 1 K 1307/21, Beschluss

Art 1 EUV 2016/679, Art 15 EUV 2016/679, § 78 FGO, § 2a Abs 5 AO, Art 8 Abs 1 EUGrdRCh, Art 26 EUV 2016/679, § 71 Abs 2 FGO, Art 267 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.02.2024, Az. IX B 113/22 (REWIS RS 2024, 495)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 495

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