Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.06.2020, Az. 1 StR 95/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1878

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Divergenzvorlage in einem selbstständigen Einziehungsverfahren: Zulässiges Rechtsmittel gegen einen ohne Hauptverhandlung gefassten amtsgerichtlichen Einziehungsbeschluss nach vorheriger Urteilsaufhebung und Rückverweisung durch das Rechtsbeschwerdegericht


Tenor

Die Sache wird an das [X.] zurückgegeben.

Gründe

1

Die [X.] betrifft die Frage, ob gegen den Beschluss des Amtsgerichts, mit dem nach Einspruch des [X.] gegen einen selbständigen Einziehungsbescheid gemäß § 29a Abs. 5 OWiG ohne mündliche Verhandlung entschieden wurde, die Rechtsbeschwerde oder die sofortige Beschwerde das statthafte Rechtsmittel ist.

I.

2

1. [X.] ist verantwortlicher Geldspielgeräteaufsteller in einer Spielhalle in [X.]      , wo er im Oktober und November 2016 sechs Geldspielgeräte trotz abgelaufener Zulassung betrieb. Durch das unerlaubte fahrlässige Weiterbetreiben der Spielgeräte erzielte er Einnahmen in Höhe von 20.436,80 Euro. Das eingeleitete Bußgeldverfahren stellte die Stadtverwaltung [X.]       gemäß § 47 Abs. 1 OWiG ein. Zugleich ordnete sie mit Bescheid vom 9. August 2017 die selbständige Einziehung der [X.] an (§ 29a Abs. 5 OWiG). Hiergegen legte der [X.] Einspruch ein. Mit Urteil vom 3. Mai 2018 hat das [X.] daraufhin die „Einziehung eines Geldbetrages“ von 20.436,80 Euro angeordnet.

3

2. Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] hat das [X.] dieses Urteil - nicht aber die getroffenen Feststellungen - mit der Begründung aufgehoben, das Amtsgericht habe bei der Bemessung der [X.] Aufwendungen nicht in Abzug gebracht, und die Sache zu neuer Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen. Mit Schreiben vom 17. April 2019 hat das Amtsgericht den Beteiligten mitgeteilt, dass es nunmehr ohne Hauptverhandlung durch Beschluss zu entscheiden beabsichtige (§ 72 OWiG), gegen den nur die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG zulässig sei. Nachdem die Staatsanwaltschaft [X.] und der [X.] sich mit einer Entscheidung im [X.] einverstanden erklärt hatten, hat das [X.] durch Beschluss vom 3. September 2019 den einzuziehenden Betrag auf 10.000 Euro festgesetzt. Hiergegen hat der [X.] erneut Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

4

3. Das [X.] hält die Rechtsbeschwerde für statthaft und möchte über diese entscheiden. Hieran sieht es sich durch die Rechtsprechung des [X.] und der Oberlandesgerichte [X.], [X.] und [X.] gehindert, die stattdessen die sofortige Beschwerde für gegeben hielten. Zugleich meint das [X.] auch dieser Ansicht - welche zur Zuständigkeit des [X.]s [X.] ([X.]) führen würde - nicht folgen zu können, weil das [X.] die Rechtsbeschwerde als das statthafte Rechtsmittel ansehe. Mit Beschluss vom 12. Februar 2020 hat das [X.] daher dem [X.] folgende Rechtsfrage zur Beantwortung vorgelegt:

5

„Ist gegen den Beschluss des Amtsgerichts, mit dem nach Einspruch des [X.] gegen einen selbständigen Einziehungsbescheid gemäß § 29a Abs. 5 OWiG ohne mündliche Verhandlung entschieden wurde, die Rechtsbeschwerde oder die sofortige Beschwerde das statthafte Rechtsmittel?“

6

Der [X.] beantragt, die Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass die sofortige Beschwerde das statthafte Rechtsmittel sei.

II.

7

Die Voraussetzungen für eine Vorlage nach § 121 Abs. 2 [X.] i.V. mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG sind nicht gegeben.

8

Das [X.] ist durch Rechtsprechung des [X.] und anderer Oberlandesgerichte nicht gehindert, über das Rechtsmittel des [X.] wie beabsichtigt zu entscheiden. Der vorlegende Bußgeldsenat ist als Rechtsbeschwerdegericht mit einer besonderen Prozesslage befasst, die auf die rechtliche Beurteilung wesentlichen Einfluss hat. Es fehlt daher an einer auf dieselbe Rechtsfrage bezogenen Abweichung (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 24. April 1986 - 2 StR 565/85, [X.]St 34, 71, 74 ff.; [X.], [X.], 26. Aufl., § 121 [X.] Rn. 64a; KK-Feilcke, [X.], 8. Aufl., § 121 [X.] Rn. 34; [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 121 Rn. 21, 26).

9

1. Für eine ([X.] von vornherein unmaßgeblich sind jene obergerichtlichen Entscheidungen, die im selbständigen [X.] nach dem OWiG die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 OWiG für das statthafte Rechtsmittel gegen amtsgerichtliche Beschlüsse halten ([X.], [X.], 167 f. und Beschluss vom 20. Mai 2011 - 1 Ss 193/11, unveröffentlicht; vgl. ferner [X.], Beschluss vom 20. Juni 2016 - 1 (8) [X.]). Denn das vorlegende Gericht möchte insbesondere gestützt auf § 71 Abs. 1, §§ 72, 87 Abs. 3 Satz 2 OWiG zum selben Ergebnis gelangen (vgl. allgemein dazu [X.], Beschlüsse vom 14. Dezember 1999 - 5 AR ([X.]) 2/99 Rn. 6 und vom 23. Februar 1977 - IV ARZ ([X.]) 2/77 Rn. 6).

2. a) Nach der - aus den Gründen der Zuschrift des [X.]s zutreffenden - Rechtsprechung des [X.] ([X.], Beschluss vom 29. April 1983 - 2 [X.], [X.]St 31, 361 zum gleichgeregelten selbständigen Rückerstattungsverfahren des [X.] aF; vgl. auch [X.], Beschluss vom 19. März 1993 - 2 ARs 43/93, [X.]St 39, 162) und anderer Oberlandesgerichte (OLG [X.], [X.], 39; OLG [X.], [X.] 1994, 404; vgl. ferner OLG [X.], NVwZ 1996, 934, 935; [X.], [X.] 2011, 57 bei einem Vorgehen nach § 82 Abs. 2, § 47 Abs. 2 OWiG) ist das statthafte Rechtsmittel gegen einen amtsgerichtlichen Beschluss im selbständigen [X.] nach dem OWiG die sofortige Beschwerde, über die das [X.] ([X.], § 46 Abs. 7 OWiG) zu befinden hat.

Dies folgt aus § 87 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5, § 46 Abs. 1 OWiG i.V. mit § 436 Abs. 2, § 434 Abs. 2 [X.]. Der selbständige Einziehungsbescheid steht nur hinsichtlich seiner Form und der Anfechtungsmöglichkeit einem Bußgeldbescheid gleich, wohingegen §§ 71 ff. OWiG für das Hauptverfahren und daher auch §§ 79 ff. OWiG zum Rechtsbeschwerdeverfahren unanwendbar sind. Vielmehr ist insoweit im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks. V/1269, [X.] und 10/318, [X.]) auf die Regelungen der [X.] zum selbständigen [X.] zurückzugreifen. Danach entscheidet das Tatgericht durch einen gemäß § 434 Abs. 2 [X.] der sofortigen Beschwerde unterliegenden Beschluss, durch Urteil aufgrund einer mündlichen Verhandlung nur dann, wenn dies beantragt oder gerichtlich angeordnet wurde. Für deren Durchführung sind nach § 434 Abs. 3 Satz 1, zweiter Halbsatz [X.], § 46 Abs. 1 OWiG die in §§ 71 ff. OWiG enthaltenen Vorschriften über die Hauptverhandlung sinngemäß heranzuziehen. Folglich ist gegen ein ergangenes Urteil die Rechtsbeschwerde statthaft (vgl. BayObLG, [X.], 23; [X.], [X.] 2007, 108; OLG [X.], NVwZ 1996, 934, 935; [X.], [X.], 8. Aufl., § 434 Rn. 12; [X.] in [X.] OWiG, [X.]., § 87 Rn. 62). So lag es hier im ersten Rechtsgang.

b) Die zuvor genannten Entscheidungen (eingangs 2. a)) verhalten sich ausnahmslos zur Anfechtung eines im ersten Rechtsgang erlassenen Beschlusses des Amtsgerichts. Zu der hier relevanten Frage, welches Rechtsmittel gegen einen Beschluss im selbständigen [X.] nach einer teilweisen [X.] und Zurückverweisung durch das Rechtsbeschwerdegericht gegeben ist, liegt hingegen soweit ersichtlich keine obergerichtliche Rechtsprechung vor, wonach auch in diesem Fall die sofortige Beschwerde statthaft ist (vgl. OLG [X.], NVwZ 1996, 934, 936 mit Hinweisen zu §§ 77, 77a OWiG und zur Fassung der Urteilsgründe; s. auch [X.], NVwZ 1993, 508, 509; [X.], Beschluss vom 18. März 2019 - 2 Rb 9 Ss 852/18 Rn. 30).

3. Die aufgezeigte Rechtsfrage ist auch nicht deshalb mit der Vorlagefrage identisch, weil wegen der Gleichheit des Rechtsproblems die Entscheidung ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der Fälle und der anwendbaren Vorschriften nur einheitlich ergehen könnte (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Dezember 2001 - 4 [X.], [X.]St 47, 181, 183; [X.], [X.], 26. Aufl., § 121 [X.] Rn. 64; SK-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 121 [X.] Rn. 22; KK-Feilcke, [X.], 8. Aufl., § 121 [X.] Rn. 34; jeweils mwN). Vielmehr liegt unter Beachtung der Art der vorgelegten Rechtsfrage (vgl. [X.], Beschlüsse vom 5. November 1991 - 4 StR 350/91, [X.]St 38, 106, 108 f. und vom 31. Oktober 1978 - 5 StR 432/78, [X.]St 28, 165, 167 f.) ein in wesentlichen Belangen abweichender Sachverhalt vor, bei dem auch nach der Rechtsansicht u.a. des [X.] ([X.]St 31, 361) die [X.] der Rechtsbeschwerde gemäß § 79 OWiG nicht von vornherein ausscheidet. Denn im Rahmen dieser Ansicht führt die erfolgte [X.] - insbesondere da die Feststellungen aufrechterhalten worden sind - zu dem Problem, ob es dem Tatgericht noch im zweiten Rechtsgang möglich ist, im Rahmen von § 434 [X.] die Verfahrensart zu wechseln und den Rechtsmittelzug zu ändern. Sollte dies hier zu verneinen sein, würde es im [X.] bei dem Verweis von § 434 Abs. 3 Satz 1, zweiter Halbsatz [X.] auf §§ 71 ff. OWiG bleiben. Für diesen Fall hätte das Amtsgericht gleichermaßen einen urteilsersetzenden Beschluss nach § 72 OWiG erlassen, gegen den in Übereinstimmung mit dem [X.] die Rechtsbeschwerde statthaft wäre.

4. Die Sache ist damit zur eigenen Entscheidung an den vorlegenden Bußgeldsenat zurückzugeben.

Raum     

        

Jäger     

        

[X.]

        

Bär     

        

Leplow     

        

Meta

1 StR 95/20

18.06.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend OLG Karlsruhe, 12. Februar 2020, Az: 22 Js 27517/17 - 10 OWi

§ 121 Abs 2 GVG, § 29a Abs 5 OWiG, § 46 Abs 1 OWiG, § 71 OWiG, §§ 71ff OWiG, § 72 OWiG, § 79 Abs 3 S 1 OWiG, §§ 79ff OWiG, § 87 Abs 3 S 2 OWiG, § 87 Abs 5 OWiG, § 434 Abs 2 StPO, § 434 Abs 3 S 1 Halbs 2 StPO, § 436 Abs 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.06.2020, Az. 1 StR 95/20 (REWIS RS 2020, 1878)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1878

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

201 ObOWi 1453/21 (BayObLG München)

Bestimmung des Wertes des Erlangten im selbständiges Einziehungsverfahren


16 Qs 30/19 (Landgericht Freiburg)


2 ARs 170/21 (Bundesgerichtshof)

Verkehrsordnungswidrigkeit: Gerichtliche Zuständigkeit für selbständige Einziehungsverfahren in Baden-Württemberg


4 StR 84/22 (Bundesgerichtshof)

Rechtsbeschwerde im Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung: Rüge unzulässiger Beschränkung der Verteidigung durch Nichtüberlassung von Rohmessdaten


5 StR 387/18 (Bundesgerichtshof)

Verschlechterungsverbot bei Rechtsmittel oder Wiederaufnahmeantrag des Angeklagten, seines gesetzlichen Vertreters oder der Staatsanwaltschaft zu seinen …


Referenzen
Wird zitiert von

201 ObOWi 1453/21

2 StR 201/21

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.