Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.12.2015, Az. 1 StR 457/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 1305

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1
StR
457/15

vom
3. Dezember
2015
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 3. Dezember 2015, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Raum,

[X.] am [X.]
Prof. Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Radtke
und [X.]in am [X.]
Dr. [X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

-
in der Verhandlung -
und
Rechtsanwalt

-
in der Verhandlung -

als Verteidiger,

Justizangestellte

-
in der Verhandlung -,
Justizobersekretärin

-
in
der Verkündung -

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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-
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] München
I vom 24.
April 2015 mit den Fest-stellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu e[X.] Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, das [X.] habe rechtlich fehlerhaft einen Rücktritt des Angeklagten vom versuchten [X.] angenommen. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sie sich gegen die Kostenentscheidung.
Die
vom [X.] vertretene
Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1
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-
I.
1.
Nach den Feststellungen des [X.] hielt sich der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 6.

.

Ihm missfiel, dass der spätere Geschädigte mit se[X.] älteren Schwester tanz-te. Er forderte
ihn deshalb außerhalb
des Clubs zu e[X.] Unterredung auf. [X.] kam es zu einem Wortgefecht mit wechselseitigen Beleidigungen, wobei nicht festgestellt werden konnte, welcher Beteiligte hiermit begonnen hatte. Als beide bereits mehr als hundert Meter in Richtung eines dem Club benachbarten Innenhofs gegangen waren und sich an e[X.] unbeleuchteten Stelle befanden, versetzte der körperlich überlegene Angeklagte dem Geschädigten, nicht [X.] aus Verärgerung über dessen Widerworte, unvermittelt wenigstens einen Schlag gegen den Kopf. Der
Geschädigte rief um Hilfe, fiel zu Boden und blieb auf dem Bauch bewegungslos liegen. Der Angeklagte schlug und trat nun mit Fäusten und Füßen vielfach auf den Kopf-
und den Gesichtsbereich des Geschädigten ein, um sich abzureagieren, nicht aber,
um diesen zu töten. Hierbei führte der Angeklagte, der Turnschuhe trug und Inhaber des schwarzen Gürtels im [X.] war, ohne Einsatz von Kampftechniken drei stampfende Tritte von oben nach unten auf den Bereich des linken Ohres und des linken [X.] des Geschädigten aus.
Er war sich, so stellt es das [X.] fest, auch aufgrund se[X.] lang-jährigen Kampfsporterfahrung, bewusst, dass solche Tritte und die daraus [X.] Verletzungen grundsätzlich geeignet sind, den Tod herbeizuführen und nahm diese potentielle Gefährlichkeit der Tritte billigend in Kauf.
Nach den Tritten ließ der Angeklagte von dem jedenfalls nun [X.] Geschädigten ab, dessen Bewusstlosigkeit er erkannt hatte. Er blieb be-2
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wegungslos in unmittelbarer Nähe des Geschädigten
stehen. Zwei Sicherheits-kräfte des Clubs, die aufgrund des [X.] aufmerksam geworden waren, eilten dem Geschädigten zu Hilfe und informierten die Rettungsleitstelle. Nach dem Eintreffen der Polizei kehrte der Angeklagte auf Aufforderung eines Poli-zeibeamten in den Club zurück. Dort teilte er seinen Bekannten mit, dass er den Geschädigten zusammengeschlagen habe, wobei er die Frage stellte: [X.] mit de[X.] Schwester tanzt.
Der Geschädigte erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma zweiten Grades, kle[X.]e Hirnblutungen, Platzwunden und Hämatome. Es bestand zumindest abstrakte Lebensgefahr.
2.
Die [X.] hat angenommen, dass der Angeklagte sich ledig-lich e[X.] gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hat; eine [X.] wegen versuchten Totschlags oder versuchten Mordes scheide jedenfalls wegen strafbefreienden Rücktritts aus. Die Kammer könne nicht ausschließen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt des Eintreffens der Sicherheitskräfte davon ausging, dass zur Vollendung eines Totschlags noch weitere Handlungen, also weitere Tritte oder Schläge, erforderlich seien und er in dieser Vorstellung vom Geschädigten abließ, zumal der Geschädigte noch atmete und -
wie später von den Rettungskräften festgestellt wurde
-
kreislaufstabil war. Abgesehen von der tiefen Bewusstlosigkeit des Geschädigten lägen keine sicheren Feststellungen vor, insbesondere auch nicht zu dem Zeitabstand zwischen dem letzten Tritt und dem Ablassen vom Geschädigten sowie dem Eintreffen der [X.]. Vor diesem Hintergrund könne nicht mit Sicherheit geklärt werden, welche Vorstellungen der Angeklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt, also nach dem dritten und letzten Tritt, hatte. Daher könne nicht zweifelsfrei von einem beendeten Versuch ausgegangen
werden. Das Ablassen des Angeklagten vom 5
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6
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Geschädigten genüge deshalb für einen strafbefreienden Rücktritt vom (unbe-endeten) versuchten Tötungsdelikt.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Das angefochtene Urteil weist einen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel auf, weil die [X.], mit denen das [X.] zur Annahme eines unbeendeten [X.] gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefreienden Rücktritt vom Tötungsdelikt angenommen
hat, an einem Erörterungsmangel leiden
und des-halb revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
1.
Die Ausführungen zum Tötungsvorsatz begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die [X.] führt
e[X.]seits
bei der Mitteilung des festgestellten Sachverhalts aus, der Angeklagte habe nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt, als er auf den am Boden liegenden Geschädigten mit Fäusten und Füßen auf des-sen Kopf und Gesicht einschlug bzw. eintrat ([X.] S.
7). Er sei sich aber bewusst gewesen, dass stampfende Tritte von oben nach unten auf
den Bereich des linken Ohres und [X.] des Geschädigten und die daraus resultieren-den Verletzungen geeignet sind, den Tod herbeizuführen und nahm die poten-tielle Gefährlichkeit der Tritte billigend in Kauf.
In der rechtlichen Würdigung ([X.] S.
7,
8) weist das [X.] ande-rerseits darauf hin, dass es jedem nach allgeme[X.] Lebenserfahrung bewusst sein müsse, dass Tritte gegen den Kopf eines am Boden liegenden Menschen 7
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möglicherweise tödliche Verletzungen herbeiführen könnten. Insbesondere aber müsse dies dem Angeklagten bewusst gewesen sein.
Die Prüfung eines bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten bricht die [X.] dann jedoch ab, obwohl die vom Angeklagten ausgeführten Tritte gegen den Kopf des Geschädigten objektive Anhaltspunkte für einen
Tötungsvorsatz bilden können; denn nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. Senat, Urteil vom 23.
Juni 2009 -
1
StR
191/09, [X.], 629 [X.]).
Die [X.] aber stellt lediglich das Wissenselement eines
Tötungsvorsatzes fest, unterlässt es dann jedoch, auch das voluntative [X.] näher zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Sie behauptet lediglich ohne substantielle Grundlage, der Angeklagte habe sich nur abreagieren wollen, und weicht dann auf die Prüfung eines eventuellen Rück-tritts des Angeklagten aus.
Bedingt vorsätzliches Handeln aber setzt voraus, dass der Täter den [X.] des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend er-kennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor der Annahme bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wis-sens-
als auch das Wollenselement geprüft und durch tatsächliche Feststellun-gen belegt werden (vgl. Senat,
Urteil vom 23.
Juni 2009 -
1
StR
191/09, [X.], 629 [X.]). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage 11
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e[X.] Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des [X.] erfolgen, in welchem insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des [X.], seine psychische Verfas-sung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen ist ([X.], Urteil vom 5.
Juni 2014 -
4
StR
439/13).
Eine solche Gesamtbetrachtung hat das [X.] nicht vorgenom-men.
2.
Auch die Prüfung eines strafbefreienden Rücktritts des Angeklagten vom versuchten Tötungsdelikt hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Zwar ist das [X.] im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass es für die Abgrenzung eines unbeendeten vom beendeten Versuch darauf an-kommt, ob der Täter nach der letzten von ihm vorgenommenen [X.] den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hielt (vgl. [X.], Beschluss vom 19.
Mai 1993 -
GSSt
1/93, [X.]St 39, 221, 227
f. [X.]) oder sich -
nach besonders gefährlichen Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben
-
keine Vorstellungen über die Folgen seines Han-delns machte (vgl. [X.], Urteil vom 2.
November 1994 -
2
StR
449/94, [X.]St 40, 304, 316).
Die Annahme eines unbeendeten Versuchs setzt gerade bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit bedingtem Tötungsvorsatz handeln-den [X.] voraus, dass Umstände festgestellt werden, die im Rahmen e[X.] Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Elemente der Tat -
wie sie auch schon bei der Prüfung des bedingten Vorsatzes relevant waren
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die Wer-14
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tung zulassen, er habe nach Beendigung se[X.] Tathandlung den tödlichen [X.] nicht mehr für möglich gehalten ([X.], Urteile vom 8.
Dezember 2010
-
2
StR
536/10, [X.], 209
und vom 28.
Mai 2013 -
3
StR
78/13).
Die erforderliche
Gesamtschau hat die [X.] unterlassen und lediglich darauf verwiesen, dass die Vorstellungen des Angeklagten zum maß-geblichen Zeitpunkt nicht sicher festgestellt werden könnten; daher könne nicht zweifelsfrei von einem beendeten Versuch ausgegangen werden. [X.] dafür, aus welchen Umständen sie schließen konnte, der Angeklagte habe nach den drei Tritten gegen den Kopf nicht mehr mit einem tödlichen Ausgang gerechnet, lassen sich dem Urteil nicht entnehmen.
Soweit die [X.] zu Gunsten des Angeklagten auf den [X.] zurückgreift ([X.] S.
34), kann dies zwar auch im Rahmen der Bewer-tung des Rücktrittshorizonts veranlasst sein. Aber der [X.] nötigt nicht dazu, innere Tatsachen zu Gunsten des Angeklagten zu unterstellen, für die es keine Anhaltspunkte gibt ([X.], Beschluss vom 14.
August 2013 -
4
StR
308/13 [X.]).
Erst müssen alle maßgeblichen objektiven Umstände zusammenfassend gewürdigt werden. Können danach immer noch keine eindeutigen Feststellun-gen getroffen werden, ist der Zweifelsgrundsatz anzuwenden ([X.], Beschluss vom 22.
Mai 2013 -
4
StR
170/13, [X.], 703, 704 f.).
Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in den Urteilsgründen nicht gerecht; denn es gab weitere konkrete Umstände unmittelbar nach der Tat, die Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten zugelassen 18
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hätten, im Urteil des [X.] aber keine Berücksichtigung gefunden ha-ben:
Die [X.] hat zwar im Rahmen der Prüfung des [X.] ([X.] S.
34) angemerkt, dass der bewusstlose [X.] noch atmete und sein Kreislauf noch stabil war. Diese Feststellungen tra-fen jedoch, wie sich
aus dem Urteil ergibt ([X.] S.
15), erst die Rettungskräfte. Diese sagten aus, die Stirn des Geschädigten sei eingedrückt und viel Blut wahrzunehmen gewesen, er habe multiple Risswunden im Kopf-
und Gesichts-bereich gehabt, sei nicht ansprechbar und in tiefer Bewusstlosigkeit gelegen.
Feststellungen des [X.] dazu, wie der Angeklagte den Zustand des Geschädigten wahrgenommen hat, fehlen. Festgestellt ist nur, dass der Angeklagte dessen Bewusstlosigkeit erkannt hatte und in unmittelbarer Nähe des Geschädigten bewegungslos stehen geblieben ist ([X.] S.
7), und zwar sei e-spannt gewirkt ([X.] S.
22). Diese Umstände würdigt die Kammer nicht.
Die Frage, aufgrund welcher Umstände der Angeklagte dagegen darauf vertrauen durfte und konnte, dass der Geschädigte den Angriff überleben wird und weitere Handlungen für einen Todeseintritt erforderlich wären, hat die Kammer unbeantwortet gelassen.
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11
-
III.
Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils wird die gegen die Kostenentscheidung gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos ([X.], Urteile vom 25.
April 2013 -
4
StR
551/12 und vom 25.
März 2010 -
1
StR
601/09, Rn.
20).
Raum
Graf
Jäger

Radtke
[X.]
25

Meta

1 StR 457/15

03.12.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.12.2015, Az. 1 StR 457/15 (REWIS RS 2015, 1305)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 1305

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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