Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.02.2013, Az. B 8 SO 32/12 B

8. Senat | REWIS RS 2013, 7750

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - Ermessensentscheidung - Ermessensfehler - Nichtberücksichtigung eines aus Sicht des Gerichts entscheidungserheblichen Vortrags - Verpflichtung zur Berücksichtigung bei Eingang vor Wirksamkeit des Beschlusses - Verpflichtung zur Durchführung einer erneuten Anhörung - absoluter Revisionsgrund


Tenor

Auf die Beschwerden der Kläger wird der Beschluss des [X.] vom 1. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Kläger machen als Rechtsnachfolger Leistungen für die Erstausstattung der Wohnung ihrer während des Berufungsverfahrens verstorbenen Mutter nach dem [X.] - ([X.]) geltend.

2

Der Antrag bei der [X.] und die Klage zum [X.] blieben ohne Erfolg (Bescheide vom [X.] und 12.10.2009; Widerspruchsbescheid vom [X.]; Urteil vom [X.]). Nach dem Tod der Mutter am 16.10.2011 haben die Kläger als Rechtsnachfolger das vorliegende Verfahren (und weitere 18 Berufungsverfahren) fortgeführt. Mit Schreiben vom 5.12.2011, den Klägern zugestellt am 7.12.2011, hat das [X.] ([X.]) - verbunden mit einer Anhörung zur vorgesehenen Entscheidung der Berufung durch Beschluss - darauf hingewiesen, Sozialhilfeansprüche seien grundsätzlich höchstpersönliche Ansprüche, die beim Tode des Berechtigten erlöschten. Dies könne einem Erfolg im Klageverfahren entgegenstehen. Es bestehe Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum [X.] Mit Telefax, gerichtet an das [X.], datiert vom 7.12.2011, das einen gerichtlichen Eingangsstempel nicht trägt und nach der Fußzeile des Empfangsgeräts am 20.12.2011, 13.59 Uhr, eingegangen ist, haben die Kläger vorgetragen, es gebe selbstverständlich vorleistende Dritte bezüglich der geltend gemachten Bedarfe, sodass nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) von der Vererblichkeit der Ansprüche auszugehen sei. Mit einem an das [X.] gerichteten Telefax, datiert vom [X.], das einen Eingangsstempel nicht trägt und nach der Fußzeile des Empfangsgeräts am 1.2.2012, 23.05 Uhr, eingegangen ist, haben die Kläger ein weiteres Schreiben vom 12.12.2011 übersandt, in dem sie ausführen, dass sie im Vertrauen auf die spätere Bewilligung Hilfe geleistet hätten bezüglich der unbedingt notwendigen Wohnungseinrichtung.

3

Das [X.] hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen (Beschluss vom 1.2.2012). Die Berufung sei unbegründet, der geltend gemachte Anspruch sei jedenfalls mit dem Tode der Hilfesuchenden untergegangen. Die Rechtsnachfolger hätten zwar behauptet, es gebe selbstverständlich vorleistende Dritte, dieser Vortrag sei jedoch so unkonkret, dass er keinen Ansatz für weitere Ermittlungen biete. Der Beschluss ist am [X.] abgesandt und den Klägern am 11.2.2012, der [X.] jedenfalls danach zugestellt worden.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Beschluss wenden sich die Kläger mit ihren Beschwerden zum [X.] (BSG). Sie rügen [X.] einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz <[X.]>). Das [X.] habe unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden und damit § 153 Abs 4, § 62 [X.] verletzt.

5

II. Die Beschwerden der Kläger sind zulässig. Sie sind nach Gewährung von Prozesskostenhilfe fristgerecht erhoben und genügen hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensfehler den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.]. Mit der Rüge der Verletzung des § 153 Abs 4 [X.] ist regelmäßig, auch ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, zugleich die Besetzung des Berufungsgerichts nur mit Berufsrichtern und damit ein absoluter Revisionsgrund nach § 202 [X.] iVm § 547 [X.] Zivilprozessordnung gerügt ([X.]-1500 § 153 [X.]3). Nähere Ausführungen zur Kausalität sind deshalb entbehrlich (vgl [X.]-1500 § 153 [X.] Rd[X.]0 mwN). Der gerügte Verfahrensmangel liegt auch vor. Auf der Grundlage von § 160a Abs 5 [X.] konnte daher der Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen werden.

6

Das [X.] hat mit seinem Vorgehen § 153 Abs 4 [X.] verletzt. Es hätte nach dem von den Klägern in der Begründung der Beschwerden zutreffend dargestellten Sachstand nicht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden dürfen. Nach § 153 Abs 4 [X.] kann das [X.], außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 [X.], die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Zwar steht diese Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzung, überprüft werden ([X.]-1500 § 153 [X.]3; [X.] 4-1500 § 153 [X.]). Die Entscheidung des [X.] beruht hier aber deshalb auf einer groben Fehleinschätzung, weil es aus seiner Sicht entscheidungserhebliches Vorbringen der Kläger nicht zur Kenntnis genommen hat. Die Kläger haben auf den mit der Anhörung zur Entscheidung durch Beschluss verbundenen Hinweis des Gerichts hin vorgetragen, dass sie selbst im Vertrauen auf die spätere Bewilligung Hilfe vorgeleistet hätten. Diesen Vortrag hat das [X.], das lediglich den Vortrag im vorangegangenen Schreiben als nicht hinreichend substantiiert angesehen hat, nicht weiter zur Kenntnis genommen. Auf den Vortrag, wer als Dritter vorgeleistet hat, kam es nach der Rechtsauffassung des [X.] aber an; denn es ist, der Rechtsprechung des [X.] ([X.]E 96, 18, 20) folgend, davon ausgegangen, Sozialhilfeansprüche seien nach Maßgabe der §§ 58, 59 Sozialgesetzbuch [X.] ausnahmsweise (nur dann) vererblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt habe, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt habe.

7

Das [X.] hat mit seinem Vorgehen die Kläger überdies nicht vor seiner Entscheidung ordnungsgemäß angehört, sodass auch von daher die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 153 Abs 4 [X.] nicht vorlagen. Auch die [X.] nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.] ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs, das bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens im [X.] nicht verkürzt werden darf ([X.]-1500 § 153 [X.] Rd[X.] mwN). Es hätte nach dem neuen Tatsachenvortrag der Kläger, der nach Ansicht des [X.] entscheidungserheblich gewesen wäre, eine neue Anhörungsmitteilung erfolgen müssen, weil sich gegenüber der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssit[X.]tion entscheidungserheblich geändert hatte (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 153 RdNr 20 mwN zur stRspr des BSG).

8

Dies wäre auch nach Beschlussfassung erforderlich gewesen. Denn bei Eingang des weiteren Schreibens war der Beschluss noch nicht wirksam geworden. Gemäß § 142 Abs 1 iVm § 133 [X.] werden Beschlüsse, die ohne mündliche Verhandlung ergehen, erst mit der Zustellung wirksam. Vorbringen der Beteiligten, das nach Fristablauf, aber vor der Herausgabe der Entscheidung bei Gericht eingeht, ist von diesem also zu berücksichtigen. Auf Grundlage der Aktenführung kann der Tag des Eingangs des Schreibens der Kläger vom 12.12.2011 zwar nicht mit letzter Gewissheit festgestellt werden, weil ein Eingangsstempel auf jedem der bei Gericht per Telefax eingegangenen Schreiben der Kläger (wie auch schon auf den per Telefax übersandten Schreiben ihrer Mutter) fehlt. Aus der Fußzeile des [X.], die offensichtlich von einem der Empfangsgeräte des [X.] stammt, und der Paginierung der Akte ergibt sich aber, dass das Schreiben dem Gericht jedenfalls vor Absendung des Beschlusses am [X.] vorlag. Das [X.] hätte aufgrund seiner prozess[X.]len Fürsorgepflicht die Vorbereitung der Zustellung des Beschlusses abbrechen, die Sache wieder an sich ziehen und das Vorbringen der Kläger noch einbeziehen ([X.]-1500 § 153 [X.] RdNr 9 und [X.] 4-1500 § 153 [X.] RdNr 8) und ggf eine erneute Anhörung durchführen müssen.

9

Das [X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 32/12 B

28.02.2013

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Frankfurt, 11. August 2010, Az: S 30 SO 265/09Urt

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 133 S 1 SGG, § 133 S 2 SGG, § 202 SGG, § 547 Nr 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.02.2013, Az. B 8 SO 32/12 B (REWIS RS 2013, 7750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7750

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