Bundesfinanzhof, EuGH-Vorlage vom 14.07.2010, Az. XI R 27/08

11. Senat | REWIS RS 2010, 4826

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Gegenstand

EuGH-Vorlage zu den Voraussetzungen einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen


Leitsatz

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Liegt eine "Übertragung" eines Gesamtvermögens i.S. von Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG vor, wenn ein Unternehmer den Warenbestand und die Geschäftsausstattung seines Einzelhandelsgeschäfts an einen Erwerber übereignet und ihm das in seinem Eigentum stehende Ladenlokal lediglich vermietet ?

2. Kommt es dabei darauf an, ob das Ladenlokal durch einen auf lange Dauer abgeschlossenen Mietvertrag zur Nutzung überlassen wurde oder ob der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit läuft und von beiden Parteien kurzfristig kündbar ist ?

Tatbestand

1

I. Sachverhalt

2

Streitig ist das Vorliegen einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S. von § 1 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG).

3

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), Frau S., betrieb bis zum 30. Juni 1996 in einem in ihrem Eigentum stehenden Ladenlokal ein Einzelhandelsgeschäft mit Sportartikeln. Laut Rechnung vom 29. August 1996 veräußerte sie zum 30. Juni 1996 folgende Gegenstände zu den angegebenen Preisen an die [X.] (GmbH):

4

Warenübernahme laut Übergabeinventur:

400.000 DM

Ladeneinrichtung:

55.000 DM

455.000 DM.

5

Die Klägerin wies in der Rechnung keine Umsatzsteuer aus.

6

Das Ladenlokal vermietete sie ab 1. August 1996 auf unbestimmte Zeit an die GmbH. Der Mietvertrag konnte gemäß der gesetzlichen Kündigungsfrist von jeder [X.] spätestens am dritten Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des folgenden Kalendervierteljahres gekündigt werden.

7

Die GmbH führte das Sportgeschäft fort und gab es zum 31. Mai 1998 auf.

8

Die Klägerin behandelte die Veräußerung des [X.] und der Ladeneinrichtung als eine nach § 1 Abs. 1a UStG nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen und gab die Erlöse daraus nicht in ihrer Umsatzsteuererklärung für das [X.] an.

9

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) vertrat dagegen die Auffassung, dass die Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen nicht vorgelegen hätten, weil das Grundstück als wesentliche Geschäftsgrundlage nicht mitveräußert worden sei. Er behandelte den Vorgang im [X.] für 1996 als steuerbar und setzte die Umsatzsteuer entsprechend fest.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, dass die Übertragung des [X.] und der Ladeneinrichtung nicht steuerbar sei. Die Gesamtwürdigung der Umstände führe im Streitfall zum Vorliegen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S. von § 1 Abs. 1a UStG. Der zwischen der Klägerin und der GmbH abgeschlossene Mietvertrag habe eine dauerhafte Unternehmensfortführung ermöglicht. Die GmbH habe das Unternehmen auch tatsächlich als organische Einheit dauerhaft fortgeführt.

Mit seiner Revision macht das [X.] im Wesentlichen geltend, der Warenbestand und die Ladeneinrichtung stellten für sich allein kein hinreichendes Ganzes dar, um ein Einzelhandelsgeschäft betreiben zu können. Ohne Ladenlokal sei der Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts in der Regel nicht möglich. Eine dauerhafte Fortführung des Unternehmens sei bei einem Mietvertrag mit gesetzlicher Kündigungsfrist nicht gewährleistet.

Das [X.] beantragt sinngemäß, das [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Der [X.] legt dem [X.] ([X.]) die im Leitsatz bezeichneten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des [X.] aus.

1. Die maßgeblichen Vorschriften und Bestimmungen

a) Nationales Recht

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.

"Die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen unterliegen nicht der Umsatzsteuer. Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. Der erwerbende Unternehmer tritt an die Stelle des Veräußerers."

b) Unionsrecht

Nach Art. 2 Nr. 1 der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ([X.][X.]) unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer.

Nach Art. 5 Abs. 1 der [X.][X.] gilt als "Lieferung eines Gegenstands ... die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen".

Art. 5 Abs. 8 der [X.][X.] lautet:

"Die Mitgliedstaaten können die Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Die Mitgliedstaaten treffen gegebenenfalls die erforderlichen Maßnahmen, um Wettbewerbsverzerrungen für den Fall zu vermeiden, dass der Begünstigte nicht voll steuerpflichtig ist."

Nach Art. 6 Abs. 5 der [X.][X.] gilt Art. 5 Abs. 8 der [X.][X.] "unter den gleichen Voraussetzungen für Dienstleistungen".

2. Zur Anrufung des [X.]

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] bezweckt Art. 5 Abs. 8 der [X.][X.], die Übertragung von Unternehmen oder Unternehmensteilen zu erleichtern und zu vereinfachen (vgl. [X.]-Urteil vom 27. November 2003 Rs. [X.]/01 --Zita [X.], [X.]. 2003, [X.], [X.] Beilage 2004, 128, Rz 39). Der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff "Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens" erfasst die Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines selbständigen Unternehmensteils, die jeweils materielle und gegebenenfalls immaterielle Bestandteile umfassen, die zusammengenommen ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann; er schließt jedoch nicht die bloße Übertragung von Gegenständen wie den Verkauf eines [X.] ein ([X.]-Urteil in [X.]. 2003, [X.], [X.] Beilage 2004, 128, Rz 40). Der Erwerber muss darüber hinaus die Absicht haben, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu betreiben und nicht nur die betreffende Geschäftstätigkeit sofort abzuwickeln sowie gegebenenfalls den Warenbestand zu verkaufen ([X.]-Urteil in [X.]. 2003, [X.], [X.] Beilage 2004, 128, Rz 44).

b) In dem vom [X.] zu entscheidenden Rechtsstreit kommt es darauf an, ob die Klägerin mit der Übereignung des [X.] und der Geschäftsausstattung sowie der Vermietung des Ladenlokals, i.S. des Art. 5 Abs. 8 der [X.][X.] ein Gesamtvermögen an die GmbH "übertragen" hat.

aa) Der [X.] geht davon aus, dass der Begriff "Übertragung" des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens in Art. 5 Abs. 8 der [X.][X.], soweit er sich auf Gegenstände bezieht, an die "Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen" (Art. 5 Abs. 1 der [X.][X.]) anknüpft. Das ergibt sich aus dem [X.], in dem Art. 5 Abs. 8 der [X.][X.] steht (vgl. dazu [X.]-Urteil in [X.]. 2003, [X.], [X.] Beilage 2004, 128, Rz 36).

Danach wäre die Vermietung des Ladenlokals nicht als Teil der Übertragung des Sportgeschäfts zu berücksichtigen. Denn die Klägerin hat der GmbH nur ein kündbares obligatorisches Nutzungsrecht eingeräumt und nicht das (wirtschaftliche) Eigentum an dem Ladenlokal auf die GmbH übertragen und somit das Ladenlokal nicht an die GmbH geliefert.

Jedoch gilt Art. 5 Abs. 8 der [X.][X.] nach Art. 6 Abs. 5 der [X.][X.] unter den gleichen Voraussetzungen für Dienstleistungen.

So hat der [X.] ohne weiteres eine gemäß Art. 5 Abs. 8 der [X.][X.] nicht steuerbare Geschäftsveräußerung in einem Fall angenommen, in dem das dem Erwerber überlassene Betriebsgrundstück nur angemietet war (vgl. [X.]-Urteil vom 29. April 2004 Rs. [X.]/02 --Faxworld--, [X.]. 2004, [X.], [X.] Beilage 2004, 225, Rz 13, 29, 33).

bb) Der [X.] hat den Zweck des Art. 5 Abs. 8 der [X.][X.] darin gesehen, zu vermeiden, dass die Mittel des Begünstigten übermäßig steuerlich belastet werden (vgl. [X.]-Urteil in [X.]. 2003, [X.], [X.] Beilage 2004, 128, Rz 39).

Zwar würde es der Gleichbehandlung der jeweiligen Erwerber dienen, wenn ihre steuerliche Belastung nicht davon abhinge, ob der jeweilige Übertragende des Gesamt- oder Teilvermögens Eigentümer des einem Erwerber überlassenen Geschäftsgrundstücks oder nur dessen Mieter ist. Der [X.] hat aber Zweifel, ob diesem Interesse ein derartiges Gewicht beizumessen ist, dass unberücksichtigt bleiben kann, dass der zurückbehaltene Teil des Gesamtvermögens geeignet ist, damit ein anderes Unternehmen als bisher (nämlich im Streitfall nunmehr eine Vermietung) zu betreiben.

Wäre eine Vermietung eines im Eigentum des Übertragenden stehenden Gegenstands nicht zu berücksichtigen, hätte dies den Vorteil der Rechtsklarheit. Denn es würde sich die Abgrenzung erübrigen, wann von einer (nicht steuerbaren) Übertragung eines Gesamtvermögens und wann von einer (steuerbaren) Vermietung oder Verpachtung eines Unternehmens auszugehen ist.

cc) Sollte im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 8 der [X.][X.] die Vermietung des Ladenlokals zu berücksichtigen sein, hält es der [X.] für zweifelhaft, ob an einen solchen Mietvertrag besondere --und gegebenenfalls welche-- Anforderungen zu stellen sind.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des [X.] ([X.]) kann eine Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1a UStG auch dann vorliegen, wenn einzelne wesentliche Betriebsgrundlagen nicht [X.] worden sind. Voraussetzung ist aber, dass sie dem Unternehmer langfristig zur Nutzung überlassen werden und eine dauerhafte Fortführung des Unternehmens durch den Übernehmer gewährleistet ist (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 4. Juli 2002 [X.], [X.]E 199, 66, [X.] 2004, 662). Dem hat sich die Finanzverwaltung angeschlossen (vgl. Abschn. 5 Abs. 1 Sätze 6 bis 8 der Umsatzsteuer-Richtlinien).

Der [X.] hat insoweit für eine langfristige Nutzungsüberlassung eines Betriebsgrundstücks durch Vermietung eine fest vereinbarte Mietdauer von zehn Jahren (vgl. Urteil vom 28. November 2002 [X.], [X.]E 200, 160, [X.] 2004, 665, unter II.1.d) und von acht Jahren (vgl. Urteil vom 23. August 2007 [X.], [X.]E 219, 229, [X.] 2008, 165, unter II.2.c) ausreichen lassen.

Damit ist der Streitfall nicht vergleichbar. Hier konnte der unbefristete Mietvertrag über das Ladenlokal von jeder Partei spätestens am dritten Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des folgenden Kalendervierteljahres gekündigt werden.

Das [X.] hat in einem rechtskräftigen Urteil --unter Berufung auf das [X.]-Urteil in [X.]. 2003, [X.], [X.] Beilage 2004, 128 und auf die dargelegte Rechtsprechung des [X.]-- eine Vermietung eines im Eigentum des Übertragenden stehenden Betriebsgrundstücks auf fünf Jahre nicht für hinreichend gehalten, um eine dauerhafte "Fortführung" des Unternehmens annehmen zu können (vgl. [X.], Urteil vom 28. September 2004 10 K 59/02, Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 1833).

c) Die Klärung der aufgezeigten Zweifel zur Auslegung von Art. 5 Abs. 8 der [X.][X.] ist dem [X.] vorbehalten; nur so kann eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems verhindert werden (vgl. [X.]-Urteil in [X.]. 2003, [X.], [X.] Beilage 2004, 128, Rz 32).

3. Rechtsgrundlage für die Anrufung des [X.] ist Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.

Meta

XI R 27/08

14.07.2010

Bundesfinanzhof 11. Senat

EuGH-Vorlage

vorgehend FG Münster, 30. April 2008, Az: 5 K 3601/04 U, Urteil

§ 1 Abs 1 Nr 1 S 1 UStG 1993, § 1 Abs 1a UStG 1993, Art 2 Nr 1 EWGRL 388/77, Art 5 Abs 1 EWGRL 388/77, Art 5 Abs 8 EWGRL 388/77, Art 6 Abs 5 EWGRL 388/77

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, EuGH-Vorlage vom 14.07.2010, Az. XI R 27/08 (REWIS RS 2010, 4826)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4826

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