Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.01.2012, Az. XI R 27/08

11. Senat | REWIS RS 2012, 10034

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Gegenstand

Geschäftsveräußerung - Übereignung des Warenbestands und der Geschäftsausstattung eines Einzelhandelsgeschäfts unter gleichzeitiger Vermietung des Ladenlokals


Leitsatz

Die Übereignung des Warenbestands und der Geschäftsausstattung eines Einzelhandelsgeschäfts unter gleichzeitiger Vermietung des Ladenlokals an den Erwerber auf unbestimmte Zeit, allerdings aufgrund eines von beiden Parteien kurzfristig kündbaren Vertrags, stellt eine nicht der Umsatzsteuer unterliegende Geschäftsveräußerung dar, sofern die übertragenen Sachen hinreichen, damit der Erwerber eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit dauerhaft fortführen kann .

Tatbestand

1

I. Streitig ist das Vorliegen einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung i.S. von § 1 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG).

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb bis zum 30. Juni 1996 in einem in ihrem Eigentum stehenden Ladenlokal ein Einzelhandelsgeschäft mit Sportartikeln. Laut Rechnung vom 29. August 1996 veräußerte sie zum 30. Juni 1996 folgende Gegenstände zu den angegebenen Preisen an die S-GmbH (GmbH):

3

          

Warenübernahme laut Übergabeinventur:

 ... DM

Ladeneinrichtung: 

 ... DM

 ... DM

4

Die Klägerin wies in der Rechnung keine Umsatzsteuer aus. Das Ladenlokal vermietete sie ab 1. August 1996 auf unbestimmte Zeit an die GmbH. Der Mietvertrag konnte gemäß der gesetzlichen Kündigungsfrist von jeder [X.] spätestens am dritten Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des folgenden Kalendervierteljahres gekündigt werden. Die GmbH führte das Sportgeschäft fort und gab es zum 31. Mai 1998 auf.

5

Die Klägerin behandelte die Veräußerung des [X.] und der Ladeneinrichtung als eine nach § 1 Abs. 1a UStG nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen und gab die Erlöse daraus nicht in ihrer Umsatzsteuererklärung für das [X.] an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) vertrat dagegen die Auffassung, dass die Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen nicht vorgelegen hätten, weil das Grundstück als wesentliche Geschäftsgrundlage nicht mitveräußert worden sei. Das [X.] setzte zuletzt mit Änderungsbescheid vom 24. Juli 2001 die Umsatzsteuer für 1996 auf ... DM fest.

6

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, dass die Übertragung des [X.] und der Ladeneinrichtung nicht steuerbar sei. Die Gesamtwürdigung der Umstände führe im Streitfall zum Vorliegen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S. von § 1 Abs. 1a UStG. Der zwischen der Klägerin und der GmbH abgeschlossene Mietvertrag habe eine dauerhafte Unternehmensfortführung ermöglicht. Die GmbH habe das Unternehmen auch tatsächlich als organische Einheit dauerhaft fortgeführt.

7

Mit seiner Revision hat das [X.] im Wesentlichen geltend gemacht, der Warenbestand und die Ladeneinrichtung stellten für sich allein kein hinreichendes Ganzes dar, um ein Einzelhandelsgeschäft betreiben zu können. Ohne Ladenlokal sei der Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts in der Regel nicht möglich. Eine dauerhafte Fortführung des Unternehmens sei bei einem Mietvertrag mit gesetzlicher Kündigungsfrist nicht gewährleistet.

8

Der Senat hat mit Beschluss vom 14. Juli 2010 [X.] ([X.], 480, [X.], 1117) das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem [X.] ([X.]) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

9

"1. Liegt eine 'Übertragung' eines Gesamtvermögens i.S. von Art. 5 Abs. 8 der [X.]/[X.] vor, wenn ein Unternehmer den Warenbestand und die Geschäftsausstattung seines Einzelhandelsgeschäfts an einen Erwerber übereignet und ihm das in seinem Eigentum stehende Ladenlokal lediglich vermietet?

2. Kommt es dabei darauf an, ob das Ladenlokal durch einen auf lange Dauer abgeschlossenen Mietvertrag zur Nutzung überlassen wurde oder ob der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit läuft und von beiden [X.]en kurzfristig kündbar ist?"

Der [X.] hat diese Fragen mit Urteil vom 10. November 2011 [X.]/10 --Schriever-- ([X.], 937) wie folgt beantwortet:

"Art. 5 Abs. 8 der Sechsten [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass die Übereignung des [X.] und der Geschäftsausstattung eines Einzelhandelsgeschäfts unter gleichzeitiger Vermietung des Ladenlokals an den Erwerber auf unbestimmte Zeit, allerdings aufgrund eines von beiden [X.]en kurzfristig kündbaren Vertrags, eine Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens im Sinne dieser Bestimmung darstellt, sofern die übertragenen Sachen hinreichen, damit der Erwerber eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit dauerhaft fortführen kann."

Das [X.] beantragt,

das [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich zu dem [X.]-Urteil nicht geäußert und ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass im Streitfall eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1a UStG vorliegt.

1. Nach § 1 Abs. 1a Satz 1 UStG unterliegen die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer. Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird (§ 1 Abs. 1a Satz 2 UStG). Der erwerbende Unternehmer tritt an die Stelle des Veräußerers (§ 1 Abs. 1a Satz 3 UStG).

2. Diese Vorschriften beruhen unionsrechtlich auf Art. 5 Abs. 8 der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ([X.]/[X.]) --nunmehr Art. 19 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame [X.] ([X.] 347/1). Danach können die Mitgliedstaaten die Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen.

3. Nach der im Streitfall ergangenen Entscheidung des [X.] (Urteil in [X.] 2011, 937) muss, damit eine Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines selbständigen Unternehmensteils i.S. von Art. 5 Abs. 8 der [X.]/[X.] festgestellt werden kann, die Gesamtheit der übertragenen Bestandteile hinreichen, um die Fortführung einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen (Rz 25). Weiter ist für die Anwendung von Art. 5 Abs. 8 der [X.]/[X.] erforderlich, dass der Erwerber beabsichtigt, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil weiterzuführen und nicht nur die betreffende Geschäftstätigkeit sofort abzuwickeln und gegebenenfalls den Warenbestand zu verkaufen (Rz 37).

Bezogen auf den Streitfall führt der [X.] aus:

"39     Aus den beim Gerichtshof eingereichten Unterlagen geht hervor, dass im Ausgangsverfahren die Übertragung des [X.] und der Ausstattung des [X.] unter gleichzeitiger Vermietung des [X.] dem Erwerber erlaubt haben, die zuvor vom Verkäufer ausgeübte selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortzuführen. In diesem Zusammenhang steht fest, dass diese Übertragung nicht als einfacher Verkauf eines [X.] angesehen werden kann. Denn sowohl der Warenbestand als auch die Geschäftsausstattung gehörten zur Gesamtheit der übertragenen Sachen. Außerdem bestätigt der Umstand, dass der Erwerber den Betrieb des [X.] fast zwei Jahre lang fortgeführt hat, dass er nicht beabsichtigte, die betreffende Tätigkeit sofort abzuwickeln.

40      Demnach stellte es im Ausgangsverfahren kein Hindernis für die Fortführung der Tätigkeit des Verkäufers durch den Erwerber dar, dass das Geschäftslokal an den Erwerber nur vermietet und nicht verkauft wurde.

41      Schließlich wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob die Dauer des Mietvertrags und die Bedingungen für seine Beendigung bei der Beurteilung, ob die Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines Unternehmensteils als Übertragung eines Gesamtvermögens im Sinne von Art. 5 Abs. 8 der [X.] angesehen werden kann, zu berücksichtigen sind.

42      Dazu ist festzustellen, dass Elemente wie die Dauer des gewährten Mietvertrags und die für seine Beendigung vereinbarten Bedingungen bei der Gesamtbeurteilung des Vorgangs einer Vermögensübertragung im Sinne von Art. 5 Abs. 8 der [X.] berücksichtigt werden müssen, da sie Auswirkungen auf diese Beurteilung haben können, falls sie ein Hindernis für die dauerhafte Fortführung der wirtschaftlichen Tätigkeit sein können.

43      Die Möglichkeit, einen Mietvertrag auf unbestimmte Zeit kurzfristig zu kündigen, ist jedoch nicht als solche für die Schlussfolgerung entscheidend, dass der Erwerber beabsichtigte, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil sofort abzuwickeln. Demnach kann die Anwendung von Art. 5 Abs. 8 der [X.] nicht allein aus diesem Grund abgelehnt werden."

4. Danach unterliegt die streitgegenständliche Lieferung des [X.] und der Ladeneinrichtung als Umsatz im Rahmen einer Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG nicht der Umsatzsteuer. Dieser Umsatz ermöglichte der GmbH nach den Feststellungen des [X.] (vgl. § 118 Abs. 2 [X.]O) die Fortführung des Geschäftsbetriebs. Anhaltspunkte dafür, dass die GmbH die Absicht hatte, die Geschäftstätigkeit sofort abzuwickeln, hat das [X.] nicht festgestellt.

Meta

XI R 27/08

18.01.2012

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 30. April 2008, Az: 5 K 3601/04 U, Urteil

§ 1 Abs 1 Nr 1 S 1 UStG 1993, § 1 Abs 1a UStG 1993, Art 2 Nr 1 EWGRL 388/77, Art 5 Abs 1 EWGRL 388/77, Art 5 Abs 8 EWGRL 388/77, Art 19 EGRL 112/2006

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.01.2012, Az. XI R 27/08 (REWIS RS 2012, 10034)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 10034

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