Bundessozialgericht, Urteil vom 06.10.2022, Az. B 8 SO 1/22 R

8. Senat | REWIS RS 2022, 9178

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Gegenstand

(Sozialhilfe - Ablehnung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs 1 Nr 2 SGB 12 bei Nachweis der Feststellung des Merkzeichens G - Überprüfungsantrag - rückwirkende Feststellung der vollen Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger - maßgeblicher Zeitpunkt für die Entstehung des Anspruchs)


Leitsatz

Maßgeblich für das Entstehen des Anspruchs auf einen pauschalierten Mehrbedarf wegen Zuerkennung des Merkzeichens "G" bei voller Erwerbsminderung ist der Zeitpunkt des Eintritts der vollen Erwerbsminderung, nicht die Bekanntgabe des Bescheids des Rentenversicherungsträgers.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 11. Mai 2021 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 30. April 2019 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte verpflichtet wird, den Bescheid vom 21. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2017 abzuändern.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] ist die Gewährung eines pauschalierten Mehrbedarfs für schwerbehinderte Menschen auch für die Monate September und Oktober 2017.

2

Der 1957 geborene, alleinstehende Kläger ist schwerbehindert (Grad der Behinderung von 100); ihm ist das Merkzeichen "G" zuerkannt worden (Bescheid des Versorgungsamts des Beklagten vom [X.]). Er bezog zunächst Leistungen nach dem [X.] ([X.]) vom Jobcenter des Beklagten, der als zugelassener kommunaler Träger (§ 6a [X.]; sog Optionskommune) auch Träger der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ist. Im August 2017 beantragte der Kläger beim Jobcenter unter Hinweis auf fortlaufende Arbeitsunfähigkeit und eine Krebserkrankung die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen krankheitsbedingt kostenaufwändiger Ernährung sowie die Gewährung eines Mehrbedarfs für schwerbehinderte Menschen nach § 30 Abs 1 [X.] - ([X.]) in Höhe von 17 Prozent des Regelbedarfs. Daraufhin bewilligte ihm das Jobcenter des Beklagten den Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung und lehnte die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs 1 Nr 2 [X.] ab. Zudem deutete es den Antrag um in einen Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 4 [X.] und lehnte auch diesen ab (zuletzt Bescheid vom 21.8.2017; Widerspruchsbescheid vom [X.]).

3

Auf seinen im September 2017 gestellten Rentenantrag bewilligte die [X.] ([X.]) [X.] dem Kläger rückwirkend eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.9.2017 (bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze 31.7.2023; Bescheid vom 8.11.2017). Der Beklagte bewilligte dem Kläger hierauf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) für den Zeitraum vom 1.12.2017 bis 30.11.2018 unter anderem unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung (Bescheid vom 16.11.2017). Hiergegen erhob der Kläger Ende November 2017 Widerspruch und beantragte erneut die rückwirkende Gewährung des Mehrbedarfs für schwerbehinderte Menschen ab dem 1.9.2017.

4

Im Jan[X.]r 2018 befriedigte der Beklagte den (nur) für November 2017 geltend gemachten Erstattungsanspruch des Jobcenters, hob den Bescheid vom 16.11.2017 auf und gewährte dem Kläger bereits ab 1.11.2017 Grundsicherungsleistungen einschließlich eines Mehrbedarfs für schwerbehinderte Menschen nach § 30 Abs 1 Nr 2 [X.], lehnte jedoch die Gewährung dieses Mehrbedarfs ab 1.9.2017 weiterhin ab (Bescheid vom 6.2.2018; Widerspruchsbescheid vom 7.2.2018).

5

Das hiergegen angerufene Sozialgericht ([X.]) [X.] hat den Beklagten unter Abänderung des Bescheides 6.2.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2018 verurteilt, dem Kläger auch für die Monate September und Oktober 2017 den begehrten Mehrbedarf in Höhe von jeweils 69,53 Euro, insgesamt 139,06 Euro zu zahlen (Urteil vom [X.]). Auf die Berufung des Beklagten hat das [X.] ([X.]) das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung hat es [X.] ausgeführt, ein Anspruch auf den Mehrbedarf bestehe nicht, da zwar volle Erwerbsminderung vorliege, jedoch nicht der für Grundsicherungsleistungen erforderliche Antrag für September und Oktober 2017. Der beim Jobcenter gestellte Antrag vom [X.] sei nicht ausreichend, da die Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem [X.] während des Leistungsbezuges nach dem [X.] ausgeschlossen sei. Dieser Antrag sei außerdem bestandskräftig abgelehnt worden. Für eine rückwirkende Gewährung des Mehrbedarfs für (fingiert) erwerbsfähige Leistungsberechtigte des [X.] sei kein Raum.

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 30 Abs 1 Nr 2 [X.]. Der erforderliche Antrag sei bereits im August 2017 gestellt worden. Eine rückwirkende Gewährung des Mehrbedarfs sei möglich, sobald [X.] die Voraussetzungen der vollen Erwerbsminderung festgestellt seien.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 11. Mai 2021 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 30. April 2019 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Beklagte verpflichtet wird, den Bescheid vom 21. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2017 abzuändern.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das Urteil des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist zulässig und begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.][X.]>). Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf den begehrten Mehrbedarf auch für September und Oktober 2017, wie das [X.] im Ergebnis zutreffend entschieden hat. Diesen Anspruch hat er aber im Wege eines Überprüfungsverfahrens mit Erfolg geltend gemacht, weshalb der Tenor des [X.]-Urteils, der sich ausschließlich auf die Verurteilung zur Leistung beschränkt, von Amts wegen klarstellend neu zu fassen war.

[X.]egenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 6.2.2018 in der [X.]estalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2018 (§ 95 [X.][X.]), mit dem der Beklagte nicht nur den Bescheid vom 16.11.2017 iS einer Teilabhilfe (§ 86 [X.][X.]) aufgehoben und dem Kläger [X.]rundsicherungsleistungen einschließlich des begehrten Mehrbedarfs ab 1.11.2017 bewilligt hat, sondern auch in der Sache im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Abs 1 [X.] - ([X.]B X) die vom Kläger beantragte (teilweise) Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom [X.] in der [X.]estalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] (konkludent) abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage, die von Beginn an als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, 4, § 56 [X.][X.]) auszulegen war.

Mit dem [X.] vom 23.11.2017 und dem Beharren auf der [X.]eltendmachung des Anspruchs auch für die Monate September/Oktober 2017 hat der Kläger in der Sache erkennbar auch einen Antrag auf Überprüfung der bestandskräftigen Ablehnungsbescheide des [X.] des Beklagten gestellt. Er hat zum Ausdruck gebracht, dass er an das vorangegangene Verwaltungsverfahren anknüpft und die bisher im Verwaltungsverfahren getroffenen Entscheidungen bezüglich des Mehrbedarfs für September und Oktober weiterhin für falsch hält. Anderweitig hätte der Kläger sein Ziel der Bewilligung des Mehrbedarfs ab September nicht erreichen können, da eine [X.]ewährung zunächst die Kassation der Ablehnung aus dem bestandskräftigen Bescheid des [X.] vom [X.] in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom [X.] voraussetzt (vgl zur Auslegung von Anträgen nach den §§ 133, 157 Bürgerliches [X.]esetzbuch und nach dem [X.]sgrundsatz [X.] <B[X.]> vom [X.] [X.] 10/19 R - [X.] 4-1500 § 88 [X.] RdNr 9; B[X.] vom 10.11.2011 - [X.] [X.] 18/10 R - [X.] 4-3500 § 44 [X.] Rd[X.]3; B[X.] vom 10.3.1994 - 7 [X.]/93 - B[X.]E 74, 77 = [X.] 3-4100 § 104 [X.] mwN). Hierüber hat der Beklagte auch entschieden.

Der Streitgegenstand des Verfahrens ist wirksam beschränkt auf die Überprüfung im Hinblick auf die Zuerkennung des pauschalierten Mehrbedarfs nach § 30 Abs 1 [X.] [X.]B XII (in der Normfassung des [X.]esetzes zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] vom 24.3.2011 <[X.] 453>) für die Monate September und Oktober 2017 (zur Abtrennbarkeit eines Mehrbedarfs als eigener Streitgegenstand zuletzt B[X.] vom [X.] - [X.] [X.] 25/16 R - [X.] 4-3500 § 30 [X.] Rd[X.]2 mwN). Zutreffend richtet sich die Klage nur gegen den für die Überprüfung zuständigen Beklagten (dazu sogleich). Einer Beiladung des [X.] bedurfte es schon deshalb nicht, weil der geltend gemachte Anspruch auf einen pauschalen Mehrbedarf sich ausschließlich nach den Vorschriften des [X.]B XII richten kann, sodass die Verurteilung des [X.] (vgl § 75 Abs 5 [X.][X.]) von vornherein ausschied. Ob und in welchen Fällen eine Beiladung sonst in Rechtsstreitigkeiten gegen sog Optionskommunen erforderlich ist (vgl B[X.] vom 16.12.2015 - [X.] [X.]/14 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.]8 Rd[X.]3 f mwN), kann dahinstehen.

Der streitgegenständliche Bescheid ist formell rechtmäßig ergangen. Der Beklagte ist die für die Entscheidung über die Rücknahme zuständige Behörde. Nach § 44 Abs 3 [X.]B X entscheidet über die Rücknahme nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist. Das bedeutet, dass nach Unanfechtbarkeit des Bescheides die allgemeinen Regeln über die sachliche Zuständigkeit gelten und diejenige Behörde zuständig ist, die nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung über die Korrektur des Verwaltungsaktes maßgeblichen Recht örtlich und sachlich zuständig ist (vgl B[X.] vom 9.6.2011 - [X.] AY 1/10 R - [X.] 4-1300 § 44 [X.]2 Rd[X.]0 mwN; B[X.] vom 17.7.1985 - 1 RA 35/84 - [X.] 1500 § 77 [X.]; B[X.] vom 9.6.1999 - B 6 [X.]/98 R - [X.] 3-2500 § 95 [X.]0). Die hier ohnehin von Anfang an bestehende sachliche Zuständigkeit des Beklagten für den geltend gemachten Mehrbedarf ergibt sich aus § 46b Abs 1 [X.]B XII (in der Normfassung des [X.]esetzes zur Änderung des [X.] vom 20.12.2012 <[X.] 2783>) iVm § 10 Abs 1, Abs 2, § 13 des [X.] zur Ausführung des [X.] (SächsA[X.][X.]B, in der Normfassung vom 1.5.2014 ).

[X.]emäß § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen gemäß § 44 Abs 4 Satz 1 [X.]B X nach den Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom [X.] in der [X.]estalt des Widerspruchsbescheides vom [X.], soweit mit diesem der Mehrbedarf iS des § 30 Abs 1 [X.] [X.]B XII für September und Oktober 2017 abgelehnt wurde. Nach § 30 Abs 1 [X.] [X.]B XII erhalten Personen, die die Altersgrenze nach § 41 Abs 2 [X.]B XII noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert sind und durch einen Bescheid der zuständigen Behörde iS des § 69 Abs 4 [X.] behinderter Menschen ([X.]B IX) aF oder einen Ausweis iS des § 69 Abs 5 [X.]B IX aF (vgl jetzt § 152 Abs 4 und 5 [X.] von Menschen mit Behinderungen - <[X.]B IX> in der Fassung des [X.] und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen - Bundesteilhabegesetz vom 23.12.2016, [X.] 3234) die Feststellung des Merkzeichens "[X.]" nachweisen, einen Mehrbedarf von 17 von Hundert der maßgeblichen Regelbedarfsstufe, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

Diese Voraussetzungen haben beim Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum vorgelegen. Die Schwerbehinderteneigenschaft nebst dem Merkzeichen "[X.]" war ihm bereits im März 2016 vom Versorgungsamt des Beklagten zuerkannt worden. Er hatte die maßgebliche Altersgrenze noch nicht erreicht und war jedenfalls ab dem 1.9.2017 voll erwerbsgemindert iS des § 43 Abs 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - [X.]esetzliche Rentenversicherung - ([X.]B VI), was das L[X.] für den Senat bindend (vgl § 163 [X.][X.]) festgestellt hat (vgl zu den erforderlichen gerichtlichen Tatsachenfeststellungen B[X.] vom 25.4.2013 - [X.] [X.] 21/11 R - [X.] 4-3500 § 43 [X.] Rd[X.]5).

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist maßgeblich für das Vorliegen der vollständigen Erwerbsminderung iS des § 30 Abs 1 [X.] [X.]B XII nicht der Zeitpunkt der entsprechenden Feststellung im Bescheid des Rentenversicherungsträgers. § 30 Abs 1 [X.] [X.]B XII stellt gerade nicht auf den Zeitpunkt einer bescheidmäßigen Feststellung der vollen Erwerbsminderung ab, sondern darauf, dass Personen, die die Altersgrenze nach § 41 Abs 2 [X.]B XII noch nicht erreicht haben, voll erwerbsgemindert nach dem [X.]B VI "sind". Dieser Wortlaut erklärt sich mit dem [X.]esetzeszweck. § 30 Abs 1 [X.] [X.]B XII dient sowohl der Kompensation eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs als auch dem Ausgleich der fehlenden Hinzuverdienstmöglichkeit tatsächlich voll erwerbsgeminderter Personen (vgl [X.], [X.]b 2011, 193 <196>); diese Bedarfslage ist unabhängig von einer bescheidmäßigen Feststellung der vollen Erwerbsminderung (vgl [X.] in [X.]rube/[X.]/[X.], [X.]B XII, 7. Aufl 2020, § 30 Rd[X.]2). § 30 Abs 1 [X.] [X.]B XII entspricht weitgehend dem früheren § 23 Abs 1 [X.] Bundessozialhilfegesetz (BSH[X.]), der von Anfang an einen Ausgleich für die fehlende Möglichkeit von [X.] schaffen wollte, sich - anders als arbeitsfähige Hilfesuchende - durch eigene Arbeit etwas hinzuzuverdienen und sich dadurch ein über den notwendigen Bedarf hinausgehendes, in bestimmtem Umfang anrechnungsfreies Einkommen zu verschaffen (vgl [X.] Verwaltungsgerichtshof vom 18.5.1972 - [X.] 36/71 - [X.] 21, 296). Durch das [X.]esetz zur Reform des Sozialhilferechts (vom 23.7.1996, [X.] 1088) ist die [X.]ewährung des Mehrbedarfs auf erwerbsunfähige gehbehinderte Schwerbehinderte beschränkt worden, ohne dass dadurch der ursprüngliche Zweck entfallen ist. Lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichens "[X.]" kann ausschließlich durch einen entsprechenden feststellenden Bescheid bzw Ausweis nachgewiesen werden; eine entsprechende Regelung hat der [X.]esetzgeber im Rahmen seiner [X.]estaltungsfreiheit aus [X.]ründen der [X.] und der Verwaltungsvereinfachung ausdrücklich eingeführt bzw in veränderter Form beibehalten (vgl dazu B[X.] vom 10.11.2011 - [X.] [X.] 12/10 R - [X.] 4-3500 § 30 [X.] Rd[X.]0 ff; B[X.] vom [X.] - [X.] [X.] 25/16 R - [X.] 4-3500 § 30 [X.] Rd[X.]7 f). Eine solche einschränkende Regelung besteht wegen des Vorliegens der vollen Erwerbsminderung aber nicht.

Anders als das L[X.] meint, fehlt es auch nicht am erforderlichen Antrag. Als Leistung der [X.]rundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wird der begehrte Mehrbedarf auf Antrag gewährt (§ 42 [X.] [X.]B XII, § 44 Abs 1 [X.]B XII). Der Antrag wirkt gemäß § 44 Abs 2 Satz 1 [X.]B XII frühestens auf den [X.] zurück, in dem die Voraussetzungen der [X.]rundsicherung gemäß § 41 Abs 1 [X.]B XII vorliegen. Kenntnis iS von § 18 Abs 1 [X.]B XII genügt insoweit nicht.

Indem der Kläger im August 2017 unter Hinweis auf die langanhaltende Arbeitsunfähigkeit und eine fortschreitende Krebserkrankung eine [X.]B-XII-Leistung beantragt hat, ist der erforderliche Antrag auch auf [X.]rundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des [X.]B XII gestellt gewesen. Anträge als empfangsbedürftige einseitige Willenserklärungen werden nach dem objektiven Empfängerhorizont und nach dem [X.]rundsatz der [X.] ausgelegt (s oben); beantragt ist das, was nach Lage des Falles vernünftigerweise in Betracht kommt. Da das Jobcenter des Beklagten nicht nur Kenntnis der anhaltenden Arbeitsunfähigkeit des [X.] hatte, sondern im Widerspruchsbescheid auch selbst von einem schweren Verlauf der Krebserkrankung ausgegangen ist, waren die für den Anspruch auf [X.]rundsicherung nach dem Vierten Kapitel des [X.]B XII relevanten Anhaltspunkte mehr als deutlich. Der Antrag ist in den Räumlichkeiten und damit im Machtbereich des Beklagten eingegangen; auf eine fehlende Weiterleitung (§ 16 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch [X.] - <[X.]B I>) kommt es deshalb nicht an. Wollte man dies anders sehen, bestünde jedenfalls Kenntnis (§ 18 Abs 1 [X.]B XII) von der Bedarfslage beim Jobcenter, die sich der Beklagte zurechnen lassen muss (dazu bereits B[X.] vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - B[X.]E 120, 149 = [X.] 4-4200 § 7 [X.]3, Rd[X.]9; B[X.] vom 20.1.2016 - [X.] [X.]/15 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.]7 Rd[X.]3, jeweils mwN; vgl auch Sächsisches L[X.] vom [X.] - L 8 [X.] 4/10 - [X.]/[X.]B 2013, 435, juris Rd[X.]3 mwN). Fehlt es nur am Antrag, besteht damit unter den im Übrigen unveränderten Voraussetzungen ein Anspruch nach dem [X.] (vgl B[X.] vom [X.] [X.] 10/19 R - [X.] 4-1500 § 88 [X.] RdNr 9).

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass der Bewilligungsbescheid des [X.] wegen der übrigen laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bestandskräftig geworden ist. Der Kläger ist nach den Feststellungen des L[X.] (jedenfalls) seit dem 1.9.2017 nicht (mehr) erwerbsfähig iS des § 7 Abs 1 [X.] iVm § 8 Abs 1 [X.]B II und nicht (mehr) dem [X.]runde nach leistungsberechtigt nach dem [X.]B II. Damit greift der Leistungsausschluss nach § 21 Satz 1 [X.]B XII nicht. Allein der Bezug der Leistung ist nicht entscheidend; eine Bindungswirkung hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit kommt der Bewilligung des [X.] nicht zu (B[X.] vom 11.12.2007 - [X.]/9b [X.] 12/06 R - [X.] 4-3500 § 21 [X.] Rd[X.]4; [X.]/[X.] in jurisPK-[X.]B XII, 3. Aufl 2020, § 21 Rd[X.]6).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.][X.].

[X.]

Meta

B 8 SO 1/22 R

06.10.2022

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Dresden, 30. April 2019, Az: S 42 SO 61/18, Urteil

§ 30 Abs 1 Nr 2 SGB 12 vom 24.03.2011, § 44 Abs 1 S 1 SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 06.10.2022, Az. B 8 SO 1/22 R (REWIS RS 2022, 9178)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9178

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