Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.06.2011, Az. I ZB 9/10

I. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5527

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I [X.]
vom

22. Juni 2011

in der Rechtsbeschwerdesache

betreffend die Marke Nr.
301
33
025

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

Stahlschluessel
[X.] § 76 Abs. 6, § 83 Abs. 3 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Ist die mündliche Verhandlung im Beschwerdeverfahren vor dem Bundespa-tentgericht geschlossen (§ 76 Abs. 6 Satz 1 [X.]), ist der Anspruch eines Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt, wenn das Bundes-patentgericht nach Schluss der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung an [X.] (§ 79 Abs. 1 Satz 3 [X.]) zustellt, ohne zu klären, ob noch weiterer Vortrag beabsichtigt ist.
[X.], Beschluss vom 22. Juni 2011 -
I [X.] -
[X.]

-
2
-
Der [X.]
Zivilsenat des [X.] hat am 22.
Juni 2011 durch [X.] Dr. Büscher, Pokrant, [X.], [X.] und Dr.
Löffler

beschlossen:

[X.] gegen den am 16.
Dezember 2009 an [X.] Statt zugestellten Beschluss des 29.
Senats ([X.]) des [X.] wird auf Kosten der Markeninhaberin zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000

festgesetzt.

Gründe:

[X.] Die Antragstellerin hat die Löschung der am 29.
Mai 2001 angemelde-ten und am 14.
September 2001 für die Markeninhaberin für Waren und Dienst-leistungen der Klassen
9, 16, 38 und 42, unter anderem für

Software; auf Datenträgern
gespeicherte Computerprogramme und Dateien;
Druckerzeugnisse; Bücher, Handbücher, Broschüren, Loseblatt-Sammlungen, Zeitschriften

eingetragenen
Wortmarke Nr.
301
33
025

STAHLSCHLUESSEL

beantragt.
1
-
3
-

Das Deutsche Patent-
und Markenamt hat den Löschungsantrag zurück-gewiesen. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das [X.] den Beschluss des Patent-
und Markenamts aufgehoben und die Löschung der Marke angeordnet. Dagegen wendet sich die Markeninhaberin mit ihrer vom [X.] nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie die Versagung rechtlichen Gehörs rügt.

I[X.] Das [X.] hat angenommen, dass die Voraussetzun-gen für eine Löschung der Marke nach §
8 Abs.
2 Nr.
1, §
50 Abs.
1 und 2 [X.]
vorlägen. Das Schutzhindernis sei auch nicht durch eine [X.] überwunden.

II[X.] [X.] hat keinen Erfolg.

1. Die form-
und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist gemäß §
83 Abs.
3 Nr.
3 [X.] auch ohne Zulassung durch das Bundespatentge-richt statthaft, da die Anmelderin den im Gesetz aufgeführten, die zulassungs-freie Rechtsbeschwerde eröffnenden Verfahrensmangel der Versagung rechtli-chen Gehörs rügt und diese Rüge im Einzelnen begründet (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 28.
August 2003 -
I
ZB
5/03, GRUR 2004, 76 = [X.], 103 -
turkey & corn; Beschluss vom 28.
Oktober 2010 -
I ZB
13/10, MarkenR
2011, 177 Rn.
5

Ivadal
II).

2. [X.] ist jedoch unbegründet. Das Verfahren vor dem [X.] verletzt die Markeninhaberin nicht in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

2
3
4
5
6
-
4
-
a) Art.
103 Abs.
1 GG garantiert den Beteiligten eines gerichtlichen Ver-fahrens, dass sie Gelegenheit haben, sich zu dem der gerichtlichen Entschei-dung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, und dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (vgl. [X.] 96, 205, 216
f. [X.]).

b) [X.] rügt ohne Erfolg, das [X.] ha-be seine Entscheidung getroffen, ohne von der Markeninhaberin angekündigtes und entscheidungserhebliches Vorbringen zur Verkehrsdurchsetzung
der ange-griffenen Marke
abzuwarten. Das [X.] war auch nicht verpflich-tet, die Markeninhaberin gesondert
darauf hinzuweisen, wann es zu entschei-den beabsichtige.

aa) Das [X.] hat am 21.
August 2009 über die Be-schwerde mündlich verhandelt. Nach dem Sitzungsprotokoll hat der Vertreter der Markeninhaberin sich auf eine Verkehrsdurchsetzung der angegriffenen Marke berufen, ohne dies jedoch zu begründen, Beweismittel vorzulegen oder anzubieten. Auch eine Vertagung der mündlichen Verhandlung oder
eine Schriftsatzfrist hat er nicht beantragt. Nachdem die Antragstellerin, die die mündliche Verhandlung beantragt hatte, auf die Fortsetzung des Verfahrens in mündlicher Verhandlung verzichtet hatte, hat sie die Vorsitzende geschlossen (§
76 Abs.
6 Satz
1 [X.]).
Das schriftliche
Verfahren nach §
82 Abs.
1 [X.] in Verbindung mit §
128 ZPO hat das [X.]
anders als
die Rechtsbeschwerde geltend macht
ht angeordnet.

bb) Nach Schluss der mündlichen Verhandlung war die Markeninhaberin mit
erstmaligem

Tatsachenvortrag zur Verkehrsdurchsetzung grundsätzlich ausgeschlossen
(§ 82 Abs. 1 [X.] iVm § 296a ZPO). Solchen Vortrag zur Verkehrsdurchsetzung hätte das Beschwerdegericht nur berücksichtigen kön-7
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nen, wenn es deswegen die mündliche Verhandlung wiedereröffnet hätte (§
76 Abs.
6 Satz
2 [X.]).

cc) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die Senatsvorsit-zende des Beschwerdegerichts habe
dem Vertreter der Markeninhaberin zuge-sagt, mit einer Entscheidung abzuwarten, bis die Markeninhaberin zur Frage der Verkehrsdurchsetzung Stellung genommen hatte.

Eine solche Zusage lässt sich den Akten nicht entnehmen. Vielmehr [X.] sich dort
nur eine handschriftliche Notiz der Senatsvorsitzenden
über ein Telefongespräch mit dem Vertreter der Markeninhaberin am 3.
September 2009. Danach seien die Vergleichsverhandlungen der Parteien negativ verlau-fen und wolle die Markeninhaberin jetzt auf jeden Fall Durchsetzung [X.], wobei die Worte "bei [X.]" darauf hindeuten, dass die Markeninhaberin die Einholung eines demoskopischen Gutachtens bei der Industrie-
und Han-delskammer in Erwägung zog. Über eine Frist zur Vorlage relevanter Unterla-gen zur Verkehrsdurchsetzung oder eine Zusage, die
Entscheidung erst nach Eingang entsprechender Unterlagen
zu treffen,
verhält sich der Aktenvermerk nicht. In ihrer dienstlichen Äußerung
vom 12.
Januar 2010 hat die Senatsvorsit-zende erklärt, dass sie sich an den genauen Inhalt des Telefonats vom 3.
September 2009 nicht mehr erinnere.

In der
Telefonnotiz, die der Vertreter der Markeninhaberin über jenes Te-lefonat angefertigt hat, und deren inhaltliche Richtigkeit er eidesstattlich versi-chert, heißt es:

Auf Nachfrage gibt die Vorsitzende an, dass wir durchaus einmal versuchen könnten, die Verkehrsdurchsetzung auch ohne ein demoskopisches Gutachten glaubhaft zu machen. Sollte diese Glaubhaftmachung dem Senat nicht ausrei-chen, so werde der Senat uns dies auch so signalisieren, so dass wir dann [X.] noch ein entsprechendes Gutachten einholen und
vorlegen könnten.
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Ich verbleibe mit der Vorsitzenden wie folgt:

Der Senat geht davon aus, dass die Vergleichsverhandlungen gescheitert sind und wartet deshalb auf eine Stellungnahme von unserer Seite. In dieser Stel-lungnahme werden wir insbesondere zur Frage der Verkehrsdurchsetzung vor-tragen und versuchen, diese glaubhaft zu machen. Sollte dieser Vortrag dem Gericht nicht ausreichen, so werde das Gericht uns dies signalisieren. Es werde dann die Möglichkeit gegeben, ein entsprechendes demoskopisches Gutachten einzuholen.

Auch aus
diesen Aufzeichnungen des Vertreters der Markeninhaberin ergibt sich nicht, dass das Beschwerdegericht ohne eine Stellungnahme der Markeninhaberin zur Verkehrsdurchsetzung keine Entscheidung treffen wollte. Nach dem Inhalt der
Telefonnotiz konnte der Vertreter der Markeninhaberin nicht annehmen, zeitlich unbeschränkt nach Schluss der mündlichen Verhand-lung
noch zur Verkehrsdurchsetzung vortragen zu können. Selbst wenn hierfür zeitaufwendige Recherchen notwendig gewesen sind, ist es jedenfalls nicht zu beanstanden, dass
das [X.] nach Ablauf von mehr als drei Monaten seit der mündlichen Verhandlung
und mehr als zwei Monate, nachdem die Antragstellerin um Fortsetzung des Verfahrens gebeten hatte, eine Ent-scheidung getroffen hat, wenn in der Zwischenzeit
weder entsprechender Vor-trag noch ein
Hinweis der Markeninhaberin erfolgte, wann mit der Vorlage von Unterlagen zur Verkehrsdurchsetzung gerechnet werden könne.

dd) Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde auf eine Praxis des Deutschen Patent-
und Markenamts, nach der einem Markenanmelder regel-mäßig eine Frist von vier Monaten zugebilligt wird, um Belege für die [X.] vorzulegen. Das patentamtliche Verfahren ist mit dem Beschwer-deverfahren in Markensachen nach Schluss der mündlichen Verhandlung nicht zu vergleichen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Markenin-haberin im Hinblick auf das von der Antragstellerin geltend gemachte Schutz-hindernis fehlender Unterscheidungskraft bereits während des gesamten Lö-14
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schungsverfahrens Anlass hatte, zur Verkehrsdurchsetzung zu recherchieren und vorzutragen.

ee) Da die Markeninhaberin jedenfalls drei Monate nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit einer
Entscheidung des [X.] rechnen musste, war auch kein entsprechender Hinweis erforderlich, wann das [X.] entscheiden werde. Vielmehr musste die Markeninhaberin davon ausgehen, dass ihr nach einem angemessenen Zeitraum, der vorliegend jedenfalls nicht länger als drei Monate nach mündlicher Verhandlung lag, eine Entscheidung an [X.] zugestellt werden würde (§
79 Abs.
1 Satz
3 [X.]), nachdem das [X.] weder im Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wurde, eine Entscheidung verkündet noch einen gesonderten [X.]termin anberaumt hatte (§
79 Abs.
1 Satz
1 [X.]).

ff) Danach kann offen bleiben, ob die Markeninhaberin im vorliegenden Fall überhaupt aus einem Telefongespräch mit der Vorsitzenden des Senats des [X.]
unabhängig vom Inhalt des Gesprächs
einen [X.] ableiten könnte, der eine Verletzung des Anspruchs auf Ge-währung rechtlichen Gehörs rechtfertigte. Bedenken ergeben sich deshalb, weil nach Schluss der mündlichen Verhandlung über die weitere Verfahrensweise nur der Senat und nicht eines seiner Mitglieder entscheiden kann. Gegen die Begründung eines Vertrauenstatbestandes spricht zudem, dass die Antragstel-lerin an dem Telefongespräch nicht beteiligt war und für die Markeninhaberin keine Anhaltspunkte bestanden, dass die Unterrichtung anschließend [X.] worden ist. Auch die Antragstellerin hat einen Anspruch auf ein faires Ver-fahren (vgl. hierzu [X.] NJW 2008, 2243 Rn.
16) und auf Beachtung des Grundsatzes der Waffengleichheit der Parteien, der auch die [X.] umfasst (vgl. [X.] 69, 248, 254). Einseitige Gespräche zwischen ei-16
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nem Beteiligten und einem Mitglied des Gerichts bergen jedenfalls dann die Gefahr einer Verletzung des Anspruchs des anderen Beteiligten auf
Gewährung rechtlichen Gehörs, auf ein faires Verfahren und auf Beachtung des Grundsat-zes der Waffengleichheit, wenn nicht alle
Verfahrensbeteiligten von dem Ge-sprächsinhalt unterrichtet werden. Es ist deshalb zumindest zweifelhaft, ob ein Verfahrensbeteiligter aus einer von ihm veranlassten, im Verfahrensrecht nicht vorgesehenen Erörterung der Sache eine Verletzung des rechtlichen Gehörs herleiten kann.

[X.] [X.] beruht auf §
90 Abs.
2 Satz
1 [X.].

Büscher
Pokrant
Kirchhoff

Koch
Löffler
Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 25.11.2009 -
29 W(pat) 11/09 -

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Meta

I ZB 9/10

22.06.2011

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.06.2011, Az. I ZB 9/10 (REWIS RS 2011, 5527)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5527

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