Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.09.2017, Az. XII ZB 497/16

12. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 5453

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Gegenstand

Vormundschaft für einen minderjährigen unbegleiteten Flüchtling: Bestellung eines Rechtsanwalts zum Mitvormund


Leitsatz

Die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Mitvormund für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling zur Vertretung in ausländerrechtlichen Angelegenheiten einschließlich des Asylverfahrens ist auch dann unzulässig, wenn es dem Vormund an (einschlägiger) juristischer Sachkunde fehlt (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 29. Mai 2013, XII ZB 530/11, FamRZ 2013, 1206 und vom 4. Dezember 2013, XII ZB 57/13, FamRZ 2014, 472).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats - 2. Senat für Familiensachen - des [X.] vom 19. September 2016 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.

1

Der im Oktober 2000 geborene Betroffene hat die [X.] Staatsangehörigkeit. Er lebte schon früher mit seinen Eltern in [X.], wurde aber mit diesen 2004 nach [X.] abgeschoben. Von dort kehrte er 2015 nach [X.] zurück.

2

Das [X.] hat im Oktober 2015 das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt und dem Betroffenen im November 2015 einen Amtsvormund bestellt. Die Vormundschaft ist inzwischen auf das beteiligte [X.] (im Folgenden: Jugendamt) übertragen worden. Dieses hat beantragt, die Vertretung des Minderjährigen bei der Aufenthaltssicherung nach dem Asyl- und Ausländerrecht einem insoweit fachkundigen Rechtsanwalt als [X.] zu übertragen.

3

Das Amtsgericht hat den Antrag abgelehnt. Das [X.] hat die Beschwerde des Minderjährigen zurückgewiesen. Dagegen richtet sich dessen zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der er weiterhin die Bestellung eines [X.]s erreichen will.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

5

1. Nach Auffassung des [X.]s bedarf es keiner Bestellung eines Rechtsanwalts als [X.]. Wenn dem Vormund die einschlägige juristische Sachkunde fehle, sei es seine Sache, diesen Mangel an Eignung in eigener Verantwortung durch Inanspruchnahme fachspezifischer Hilfen auszugleichen. Er müsse sich daher um geeignete Rechtsberatung sowie um anwaltliche Vertretung im Verwaltungsverfahren und gerichtlichen Verfahren bemühen. Insoweit befinde sich der Vormund in der gleichen Situation wie ein sorgeberechtigter Elternteil, der sich bei Bedarf der Hilfe von Fachleuten bediene. Der Minderjährige erhalte damit denselben Rechtsschutz wie ein Volljähriger oder wie ein von einem sorgeberechtigten Elternteil begleiteter minderjähriger Asylbewerber.

6

Das gelte auch nach Inkrafttreten des Art. 6 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 604/2013. Ziel der Verordnung sei es, dem Minderjährigen einen wirksamen Rechtsschutz durch eine sachkundige Unterstützung/Vertretung in seinen asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten zu sichern. Das sei auch ohne Bestellung eines [X.]s gewährleistet, weil der Vormund in gleicher Weise für Rechtsschutz sorgen könne wie sorgeberechtigte Eltern oder Volljährige. Der Vormund könne im Fall des Fehlens entsprechender finanzieller Mittel - ebenso wie die Eltern als gesetzliche Vertreter ihres Kindes - die vom Staat zur Verfügung gestellten Sozialleistungsformen (Beratungshilfe, Anspruch auf Kostenerstattung im Verwaltungsverfahren sowie Prozesskostenhilfe) in Anspruch nehmen. Mit Art. 6 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 604/2013 werde ein Schutz, der über den Rechtsschutz Volljähriger oder Minderjähriger in Begleitung eines sorgeberechtigten Elternteils hinausgeht, nicht bezweckt. Deshalb könne auch der besondere Umstand, dass der Minderjährige an einer Nebennierenerkrankung leide, nicht ausnahmsweise die Bestellung eines [X.]s begründen.

7

Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 604/2013 ergebe zudem, dass der bezweckte Rechtsschutz nicht notwendig durch die Bestellung eines weiteren Vormunds gesichert werden müsse, anstelle der Vertretung sei auch die Unterstützung zulässig. Weder Art. 25 der Richtlinie 2013/32/[X.] noch Art. 24 der Richtlinie 2013/33/[X.] erweiterten den Schutz des Minderjährigen nach der genannten Verordnung.

8

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

9

a) Nach § 1773 Abs. 1 BGB erhält ein Minderjähriger einen Vormund, wenn er nicht unter elterlicher Sorge steht oder wenn die Eltern weder in den die Person noch in den das Vermögen betreffenden Angelegenheiten zur Vertretung des Minderjährigen berechtigt sind. Gemäß § 1775 Satz 2 BGB besteht der Vorrang der Einzelvormundschaft. Nur aus besonderen Gründen können dem Mündel mehrere Vormünder bestellt werden. Nach § 1779 Abs. 2 Satz 1 BGB soll das Gericht eine Person auswählen, die zur Führung der Vormundschaft geeignet ist.

Letzteres ist bei einem zum Vormund bestellten Jugendamt stets der Fall. Besondere Gründe zur Bestellung eines weiteren Vormunds als [X.] können nicht schon darin liegen, dass für den Minderjährigen [X.] oder asylrechtliche Fragen zu klären sind, die der spezifischen juristischen Sachkunde bedürfen.

aa) Nach der Rechtsprechung des Senats wird die generelle Eignung des Vormunds nicht dadurch in Frage gestellt, dass er die spezifische juristische Sachkunde im vorgenannten Sinne nicht aufweist. Verfügt der Vormund, dessen generelle Eignung nicht in Frage steht, nicht über die zur sachgerechten Besorgung einzelner Geschäfte des [X.] erforderliche Sachkunde, ist es vielmehr seine Sache, diesen Mangel in eigener Verantwortung durch Inanspruchnahme fachspezifischer Hilfen auszugleichen. Bei fehlender juristischer Sachkunde muss sich der Vormund daher um geeignete Rechtsberatung und im gerichtlichen Verfahren um eine anwaltliche Vertretung für seinen Mündel bemühen (Senatsbeschluss vom 29. Mai 2013 - [X.] 530/11 - FamRZ 2013, 1206 Rn. 18 mwN).

Stehen der Inanspruchnahme rechtlichen Beistands die finanziellen Verhältnisse des [X.] entgegen, ist dieser Mangel durch Beratungshilfe und im gerichtlichen Verfahren durch Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe zu beheben (Senatsbeschluss vom 29. Mai 2013 - [X.] 530/11 - FamRZ 2013, 1206 Rn. 19 mwN). Die [X.]schaft ist wie die Pflegschaft demgegenüber kein Instrument, um einem unbemittelten Kind aus öffentlichen Kassen Sozialleistungen zu gewähren, auf die ein mittelloses Kind ohne Einrichtung einer Pflegschaft keinen Anspruch hätte; dies gilt auch für Sozialleistungen im Bereich der Rechtspflege (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Mai 2013 - [X.] 530/11 - FamRZ 2013, 1206 Rn. 19 zur Pflegschaft).

Daran hat der Senat auch mit Blick auf Art. 6 der Verordnung ([X.]) Nr. 604/2013 des [X.] und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist ([X.]), sowie auf Art. 25 der Richtlinie 2013/32/[X.] des [X.] und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und auf Art. 24 der Richtlinie 2013/33/[X.] des [X.] und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, festgehalten (Senatsbeschluss vom 4. Dezember 2013 - [X.] 57/13 - FamRZ 2014, 472 Rn. 9 mwN).

bb) Diese zur Pflegerbestellung nach § 1909 BGB ergangene Senatsrechtsprechung schließt - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - auch den von Teilen der instanzgerichtlichen Rechtsprechung gewählten alternativen Weg der Bestellung eines [X.]s aus (a.A. [X.] [6. Familiensenat] FamRZ 2016, 1597; Rpfleger 2016, 648; [X.] 2014, 166; FamRZ 2014, 1128 [LS]; FamRZ 2014, 2015 [LS]; FamRZ 2015, 1412 [LS]; [X.] [7. Zivilsenat] FamRZ 2015, 682; AG Kerpen [X.] 2016, 105; vgl. auch [X.] [X.] 2015, 578), durch die in der Sache dasselbe Ziel wie mit einer Pflegerbestellung erreicht werden soll (vgl. [X.] 2014, 266). Wie für die Bestellung eines Pflegers besteht auch für einen [X.] weder Bedürfnis noch rechtliche Notwendigkeit. Da die Grundsätze gerade auch für den Fall gelten, dass dem Vormund ausreichende eigene spezifische Rechtskenntnisse fehlen, kann es nicht vom Einzelfall abhängen, ob ein [X.] zu bestellen ist oder nicht (so aber [X.] [6. Familiensenat] FamRZ 2016, 1597). Denn der Vormund muss nicht alle für den Mündel anfallenden Angelegenheiten in eigener Person sachkundig wahrnehmen können. Es liegt in der Natur der Sache, dass er sich vor allem in medizinischer und rechtlicher Hinsicht der Hilfe fachkundiger Dritter bedienen muss, ohne dass dadurch seine Eignung als Vormund in Frage gestellt wäre. Der Vormund soll vornehmlich die fehlenden oder an der Ausübung der elterlichen Sorge gehinderten Eltern des Minderjährigen ersetzen und an deren Stelle die Belange des Kindes wahrnehmen (vgl. [X.]/[X.] [2014] § 1773 Rn. 1). Wird diese Aufgabe dem Jugendamt übertragen, so ist [X.] der bei ihm gebündelten Fachkompetenz in besonderer Weise geeignet, die Vormundschaft im Interesse des Kindes wahrzunehmen (vgl. § 1791 b BGB). Demgegenüber ist - wie ausgeführt auch aufgrund des Europarechts (vgl. [X.] 2014, 266) - kein Grund gegeben, unbegleitete Flüchtlinge besser zu stellen als mit ihren Eltern eingereiste Minderjährige.

Die Rechtsschutzgleichheit unbemittelter Minderjähriger ist schließlich durch das vom [X.] Recht bereitgestellte System der [X.] gewährleistet (Senatsbeschluss vom 29. Mai 2013 - [X.] 530/11 - FamRZ 2013, 1206 Rn. 21 f.), das minderjährigen Flüchtlingen die gleichen Rechte einräumt wie inländischen Minderjährigen.

b) Die angefochtene Entscheidung entspricht den dargestellten Maßstäben in vollem Umfang. Da weder Zweifel an der Eignung des [X.] als Vormund noch besondere Gründe für die Bestellung mehrerer Vormünder bestehen, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Die Voraussetzungen einer Vorlage an den [X.] nach Art. 267 A[X.]V liegen nicht vor.

Dose     

      

[X.]     

      

Günter

      

Nedden-Boeger     

      

Botur     

      

Meta

XII ZB 497/16

13.09.2017

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 19. September 2016, Az: 3 WF 184/16

§ 1775 S 2 BGB, § 1779 Abs 2 S 1 BGB, Art 6 Abs 2 EUV 604/2013, Art 25 EURL 32/2013

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.09.2017, Az. XII ZB 497/16 (REWIS RS 2017, 5453)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 3520 MDR 2017, 1243-1244 REWIS RS 2017, 5453

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