Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.05.2021, Az. 1 StR 62/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2021, 5814

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Gegenstand

Untreue im geschäftlichen Verkehr: Vorliegen eines Vermögensnachteils bei Abverfügungen und Überweisungen von einem Geschäftskonto zu eigenen Gunsten


Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. Oktober 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten B.                   wegen Untreue in 345 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen die Angeklagte S.                 hat es wegen Beihilfe zur Untreue in 30 Fällen eine Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 25 Euro mit Ratenzahlungsbewilligung verhängt. Zudem hat das [X.] jeweils [X.] getroffen. Die jeweils mit der allgemeinen Sachrüge geführten Revisionen der Angeklagten haben Erfolg.

I.

2

1. Nach den Urteilsfeststellungen gründete der Angeklagte B                      im Jahr 1999 drei Fondsgesellschaften ([X.]    Fonds), die in der Folgezeit [X.] von rund 2.000 Privatanlegern einwarben. Anfang 2010 gründeten beide Angeklagte mit weiteren Beteiligten die [X.]                   (nachfolgend: [X.]       ) mit Sitz in [X.]([X.]). Zweck der Genossenschaft waren unter anderem Investitionen in alternativen Anlagen, Fonds und Wertpapieren sowie in Waren, Sachwerte und Beteiligungen aller Art. Über die      [X.] als geschäftsführende Direktorin der [X.]        brachte der Angeklagte als Geschäftsführer der [X.]     Fonds als Mitglieder mit deren Beteiligungsgeldern in die [X.]      ein, deren Geschäfte er von [X.] ihrer Gründung allein führte. Im Zeitraum 30. November 2010 bis 3. November 2014 veranlasste der Angeklagte 345 Abbuchungen in Höhe von insgesamt 227.661,26 Euro vom einzigen Geschäftskonto der [X.]        für private Zwecke seiner Familie und einer Bürokraft. Hiervon betrafen 30 Abhebungen bzw. Überweisungen in Höhe von insgesamt 13.183,64 Euro Ausgaben seiner Ehefrau, der Angeklagten S.                , der er zu diesem Zweck die EC-Karte der Genossenschaft überließ.

3

2. [X.]hat sich dahin eingelassen, dass er für die Geschäftsführertätigkeit für die [X.]       keine Vergütung erhalten habe. Für „Beratungsleistungen“ habe es auch keinen Vertrag oder Abrechnungsleistungen gegeben. Die Gelder auf dem Geschäftskonto der [X.]        hätten ihm und seiner Familie bezüglich einer bestimmten „Anteilskategorie“ zugestanden, so dass die Abhebungen und Überweisungen insoweit berechtigt erfolgt seien. Auch seien die Geschäftsführervergütungen der [X.] unmittelbar in diese Anteilskategorie geflossen. Auf einen Jahresabschluss der [X.]        habe er nicht gewartet. Eine Abrechnung der Erlöse dieser Anteilskategorie sei seiner Ansicht nach nicht erforderlich gewesen, weil er sich unmittelbar von den auf dem Geschäftskonto der Genossenschaft befindlichen [X.] habe bedienen dürfen. Ebenso wenig sei eine Genehmigung seines Geschäftsführergehalts erforderlich, weil er schließlich die Geschäfte der [X.]        und der [X.]    Fonds geführt habe.

4

3. Die [X.] hat jede Abhebung bzw. Überweisung des Angeklagten als pflichtwidrige Verletzung seiner Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der [X.]        im Sinne des Untreuetatbestandes (§ 266 StGB) gewertet. Es habe weder ein vergütungspflichtiger Dienstvertrag des Angeklagten mit der [X.]        bestanden noch habe er geleistete Dienste abgerechnet. Auch ein Einverständnis aller Genossenschaftsmitglieder zu den getätigten Entnahmen habe er nicht eingeholt. Ein Ausschüttungsguthaben sei nicht erwirtschaftet worden, so dass der vom Angeklagten für sich beanspruchten Anteilskategorie nach den Bestimmungen der Satzung der Genossenschaft keine Erlöse zugeflossen seien. Gutschriften auf das Geschäftskonto der [X.]       seien lediglich durch Investmentbeteiligungen privater Anleger bzw. Zeichnungen weiterer Geschäftsanteile durch die [X.] sowie aus Zahlungen von Geschäftsführervergütungen einer der [X.] zugeflossen. Letztere Zuflüsse würden jedoch auch keine Abbuchungen für private Zwecke rechtfertigen, weil die [X.]       von den [X.] gemäß einer Vereinbarung vom 30. September 2011 die Geschäftsführung übernommen habe und diese Vergütungen in das allgemeine Jahresergebnis der Genossenschaft einzustellen gewesen seien und nicht in die vom Angeklagten für sich beanspruchte Anteilskategorie unmittelbar zufließen sollten.

5

[X.] im Sinne des § 266 StGB ergebe sich aus der Summe der Abverfügungen vom Geschäftskonto der [X.]     . Diese Beträge seien unmittelbar aus dem Vermögen der [X.]          und ohne Gegenleistung abgeflossen.

II.

6

Der Schuldspruch gegen den Angeklagten B.                     wegen Untreue (§ 266 StGB) in 345 Fällen hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dies führt auch zur Aufhebung des Schuldspruchs der wegen Beihilfehandlungen hierzu in 30 Fällen verurteilten [X.].

7

1. Zwar begegnet die Annahme des [X.]s, dass der Angeklagte B.                     seine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der [X.]      durch die Abverfügungen von deren Geschäftskonto zu privaten, nicht der Gesellschaft dienenden Zwecken pflichtwidrig verletzt habe – sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht – keinen Bedenken. Jedoch hat die [X.] das Vorliegen eines Vermögensnachteils der Genossenschaft nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.

8

2. [X.] im Sinne des § 266 StGB ist ein selbständiges, neben den Voraussetzungen der Pflichtverletzung stehendes Tatbestandsmerkmal, das nicht in dem Merkmal der Pflichtwidrigkeit aufgehen darf (sog. Verschleifungsverbot, vgl. [X.], Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., [X.]E 126, 170, 221 ff.; [X.], Beschlüsse vom 13. September 2010 – 1 [X.], [X.]St 55, 288 Rn. 43 und vom 19. September 2018 – 1 [X.] Rn. 24 jeweils mwN). Er ist, abgesehen von einfach gelagerten und eindeutigen Fällen, eigenständig zu ermitteln, gegebenenfalls anhand üblicher Maßstäbe des Wirtschaftslebens zu konkretisieren und zu beziffern (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 19. September 2018 – 1 [X.] Rn. 24 mwN). Vorliegend tritt ein Vermögensnachteil nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung dann nicht ein, wenn die Tathandlung selbst zugleich einen den Verlust aufwiegenden Vermögenszuwachs begründet. Hat der Täter einen Geldanspruch gegen das von ihm verwaltete Vermögen, so fehlt es an einem Schaden, wenn er über das Vermögen in entsprechender Höhe zu eigenen Gunsten verfügt (für Honoraransprüche des Rechtsanwalts bei Zugriff auf [X.]: vgl. [X.], Beschluss vom 26. November 2019 – 2 StR 588/18 Rn. 22).

9

3. Hieran gemessen erweisen sich die Feststellungen und Ausführungen des [X.]s als unzureichend. Im Rahmen der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung stellt es zwar fest, dass der Angeklagte eine „Strafbarkeit für einen Teil der Taten hätte vermeiden können, wenn er darauf hingewirkt hätte, für seine geleisteten Geschäftsführertätigkeiten im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung angemessen entlohnt zu werden“ ([X.]). Diesen Anspruch des Angeklagten auf angemessene Vergütung (vgl. u.a. § 612 Abs. 2 BGB für den Dienstvertrag, § 675 BGB für die entgeltliche Geschäftsbesorgung) hat die [X.] jedoch bei der Ermittlung des Vermögensnachteils nicht berücksichtigt. Unbeschadet der Frage, ob es der Einforderung eines Vergütungsanspruchs für die Geschäftsführertätigkeit gegenüber [X.]        oder des Einverständnisses der Genossenschaftsmitglieder bedarf oder ob eine Vergütungsforderung ohne ausdrückliche Abrechnung einen werthaltigen oder zur Kompensation geeigneten Anspruch beinhaltet, ist Voraussetzung einer nachteilsausgleichenden Kompensation, dass ein Vermögenszuwachs auf Seiten des Geschäftsherrn zu verzeichnen ist, weil er durch die Untreuehandlung von einer Verbindlichkeit befreit wird (vgl. [X.], Beschluss vom 26. November 2019 – 2 StR 588/18 Rn. 23 mwN). Dafür ist es erforderlich, dass der Vergütungsanspruch entstanden ist und beziffert werden kann. Dies ist nach den bisherigen Urteilsfeststellungen möglich, wobei gegebenenfalls durch Hinzuziehung eines Sachverständigen eine ortsübliche Vergütung ermittelt werden muss.

III.

Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der [X.] hat die Feststellungen insgesamt aufgehoben, um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neuprüfung der zugrundeliegenden Vertragsverhältnisse zu ermöglichen.

Raum     

        

Bellay     

Ri[X.] Dr. Bär und
Rin[X.] Dr. Pernice
befinden sich im Urlaub
und sind an der
Unterschriftsleistung
gehindert.

                          

Raum   

        

Hohoff     

                          

Meta

1 StR 62/21

18.05.2021

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 23. Oktober 2020, Az: 5 KLs 312 Js 153047/11

§ 266 StGB, § 612 Abs 2 BGB, § 675 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.05.2021, Az. 1 StR 62/21 (REWIS RS 2021, 5814)

Papier­fundstellen: NJW 2021, 3206 REWIS RS 2021, 5814

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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