Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.06.2016, Az. XII ZB 581/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 9915

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:150616BXIIZB581.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII [X.]/15
vom
15. Juni
2016
in der [X.]

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG §§ 26, 68 Abs. 3 Satz 2, 278 Abs. 1 Satz 1 und 2
a)
Die [X.] kann im Betreuungsverfahren dann nicht eines ihrer
Mitglieder mit der Anhörung des Betroffenen beauftragen, wenn es wegen der Besonderheiten des Falles für die Entscheidung darauf an-kommt, dass sich die gesamte Kammer einen eigenen Eindruck von dem Betroffenen verschafft (im [X.] an Senatsbeschluss vom 9.
Novem-ber 2011
XII
ZB
286/11
-
FamRZ 2012, 104).
b)
Zu den erforderlichen Feststellungen dazu, ob der Betroffene bei der Ertei-lung einer Vorsorgevollmacht geschäftsunfähig war.
[X.], Beschluss vom 15. Juni 2016 -
XII [X.]/15 -
LG [X.]

Notariat [X.]

-
2
-
Der XII. Zivilsenat des [X.] hat am 15. Juni 2016 durch den Vorsitzenden [X.] Dose, die [X.] Dr.
Klinkhammer, Dr.
Nedden-Boeger und [X.] und die [X.]in Dr.
Krüger
beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu
1
wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.]s [X.]
vom 26.
Oktober
2015
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.
Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000

Gründe:
I.
Die im Jahre 1939
geborene Betroffene erlitt im Jahre 1997 einen Schlaganfall. Sie ist seither halbseitig gelähmt und hat [X.]. Ihr am 5.
Juni 2014 verstorbener Ehemann kümmerte sich zu seinen Lebzeiten weitgehend allein um die finanziellen Angelegenheiten
der Eheleute. Er hinterließ einen umfangreichen Nachlass.
Aus der Ehe sind zwei Töchter hervorgegangen, die Beteiligten zu
1 und zu
3.
Mit Schreiben vom 30.
Juni 2014 hat die Beteiligte zu
1 beim zuständi-gen
Notariat die Errichtung einer Betreuung für die Betroffene angeregt. Das 1
2
-
3
-
Notariat hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen den Beteiligten zu
2 mit Beschluss vom 6.
Oktober 2014 zum Betreuer für sämtliche Angelegenheiten der Betroffenen bestellt. Hiergegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens hat sie zunächst die Kopie einer
auf den 5.
Dezember 2014 datierten
Vorsorge-vollmacht vorgelegt, mit der sie die Beteiligte zu
3 umfassend bevollmächtigt hat. Später
hat sie die Kopie einer
auf den 30.
Januar 2015
datierten
Vorsorge-vollmacht zu den Akten gereicht, mit der sie den Beteiligten zu
4, den sie seit vielen Jahren daheim betreuenden Ergotherapeuten, ausschließlich für den Be-reich Gesundheitssorge/Pflegebedürftigkeit bevollmächtigt hat.
Das [X.] hat ein
[X.]
der Sachverständigen eingeholt, die Betroffene zweimal sowie die Beteiligten zu
1 und zu 3 angehört und dann mit dem angefochtenen Beschluss die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert sowie
die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene abgelehnt. Außerdem hat es der Beteiligten zu
1 die Gerichtskosten des Beschwerdever-fahrens und die außergerichtlichen Kosten der Betroffenen auferlegt.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu
1.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist sie gemäß §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
1 FamFG auch ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft, obwohl dieses vorliegend die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 18. März 2015 -
XII
ZB
370/14 -
FamRZ 2015, 844 Rn. 7 [X.]). Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1 als Tochter der Betroffenen ergibt sich aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.
3
4
5
-
4
-
Die Rechtsbeschwerde hat auch Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der [X.] Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Land-gericht.
1. Dieses hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der [X.] stehe der Wille der Betroffenen gemäß § 1896 Abs.
1a BGB entgegen. Zwar habe die Sachverständige die Fähigkeit der Betroffenen zur Bestimmung eines freien Willens verneint. Diese
Einschätzung kontrastiere [X.] zu dem persönlichen Eindruck, den die Betroffene bei ihrer Anhörung durch den beauftragten [X.] der Kammer hinterlassen habe. Es möge zwar sein, dass die vehemente Ablehnung einer Betreuung nicht nur auf Starrsinn beruhe, sondern Ausdruck einer krankheitsbedingten Unfähigkeit sei, die eige-ne Leistungsfähigkeit einzuschätzen. Zur Überzeugung des Gerichts stehe dies allerdings nicht fest. Die von der Sachverständigen herangezogenen Umstände ließen sich jedenfalls auch mit anderen, des Öfteren anzutreffenden Verhal-tensmustern erklären, denen im Allgemeinen kein Krankheitswert beigemessen werde.
Vor diesem Hintergrund bestünden auch keine durchgreifenden Beden-ken bezüglich der Wirksamkeit der von der Betroffenen erteilten Vorsorgevoll-machten. Zwar müsste man die Geschäftsfähigkeit der Betroffenen mindestens in den von der Sachverständigen benannten Teilbereichen verneinen, wenn man der Auffassung und Beurteilung der Sachverständigen in vollem Umfang folgte. Da das Gesetz die Geschäftsfähigkeit eines jeden volljährigen Menschen als Grundsatz annehme, könnten bloße Zweifel aber nicht die [X.] begründen. Solche bestünden zwar, worauf es jedoch im Hinblick auf die objektive Beweislastverteilung nicht ankomme.

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5
-
Die Betreuerbestellung sei auch nicht erforderlich. Die Betroffene habe jede Zusammenarbeit mit dem Betreuer verweigert. Gleichwohl sei sie in der Lage gewesen, ihren Alltag zu organisieren sowie die finanziellen Angelegen-heiten zu regeln. Zudem habe sie wirksame Vollmachten für jeweils unter-schiedliche Angelegenheiten erteilt. Die Besorgnis der Beteiligten zu 1, ihre Schwester werde die Vollmacht missbrauchen, entbehre einer tragfähigen [X.].
Die Kostenentscheidung sei angemessen und billig. Sie beruhe darauf, dass die Beteiligte zu 1 zu Unrecht die Bestellung eines Betreuers angeregt und vorangetrieben habe. Die vertiefte Auseinandersetzung der Beteiligten zu
1 mit den familiären und wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen zeige über-dies, dass das Ringen um die gesetzliche Vertretung nicht primär an den [X.] und Bedürfnissen der Betroffenen orientiert gewesen sei.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das [X.] hat unter Verstoß gegen §
26 FamFG auf einer unzureichend ermittelten Tatsachengrundlage die Voraussetzungen für eine Betreuung ver-neint.
a)
Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, hat das [X.] vor-liegend gegen den nach §
26 FamFG geltenden Amtsermittlungsgrundsatz ver-stoßen, indem es die Betroffene lediglich durch den beauftragten [X.], nicht aber durch die voll [X.] als den letztlich entscheidenden Spruch-körper angehört hat.
[X.]) Wie das [X.] noch richtig erkannt hat, konnte es vorliegend nicht nach §
68 Abs.
3 Satz
2 FamFG von der persönlichen Anhörung der Be-troffenen absehen. Dies folgt schon daraus, dass es das [X.] eingeholt und damit eine neue Tatsachengrundlage geschaffen hatte
(vgl. Se-9
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-
6
-
natsbeschluss vom 2.
Dezember 2015 -
XII
ZB
227/12
-
FamRZ 2016, 300 Rn.
9 [X.]).
bb) Diese Anhörung konnte hier jedoch nicht
in
zulässiger Weise durch den beauftragten [X.] erfolgen. Wenn das Beschwerdegericht der Anhörung des Betroffenen im Hinblick auf die noch durchzuführenden Ermittlungen ein besonderes Gewicht beimisst, wie es
hier offensichtlich der Fall gewesen ist, dann muss es diese auch in der vollen Kammerbesetzung vornehmen
(vgl. Se-natsbeschluss vom 9.
November 2011 -
XII
ZB
286/11 -
FamRZ 2012, 104 Rn.
26
ff. [X.]).
(1) Das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Ange-legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) enthält allerdings
keine konkreten Vorgaben, in welcher Form das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Betroffenen durchzuführen hat. Während §
69
g Abs.
5 Satz
2 i.V.m. §
68 Abs.
1 Satz
1 FGG bestimmte, unter welchen Voraussetzungen eine persönliche Anhörung des Betroffenen durch einen beauftragten [X.] vorge-nommen werden durfte, ist diese Frage im FamFG nicht geregelt. Die Anhörung des Betroffenen, die sowohl der Einräumung rechtlichen Gehörs als auch der Sachverhaltsermittlung dient, stellt keine Form der Beweisaufnahme im Sinne der zivilprozessualen Vorschriften dar, so dass der Verweis in § 30 FamFG auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung
-
etwa auf §§
361, 375
ZPO -
nicht einschlägig ist (Senatsbeschluss vom 9.
November 2011 -
XII
ZB
286/11
-
FamRZ
2012, 104 Rn.
26
f. [X.]).
(2) Gleichwohl kann die [X.] im Betreuungsverfahren unter bestimmten Voraussetzungen eines ihrer Mitglieder mit der Anhörung des Betroffenen beauftragen. Dabei kann dahinstehen, ob dies bereits -
gleichsam als Minus -
aus § 68 Abs. 4 FamFG folgt, wonach das Beschwerdegericht die 14
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-
7
-
Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen kann.
Gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG hat das Gericht den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Formulierung "das Gericht" lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass es sich um den voll besetzten, erkennenden Spruchkörper handeln muss. Wie die Anhörung durch das Gericht innerhalb eines aus
mehreren [X.]n zusammengesetzten Spruchkörpers [X.] ist, bestimmt sich vielmehr nach den Vorschriften über die Sachaufklärung gemäß § 26 FamFG. Daher kommt auch eine Anhörung durch den beauftragten [X.] in Betracht
(Senatsbeschluss vom 9.
November 2011 -
XII
ZB
286/11
-
FamRZ 2012, 104 Rn.
28
f. [X.]).
(3) Die Beauftragung eines Kammermitglieds mit der Anhörung des Be-troffenen scheidet allerdings dann aus, wenn es wegen der Besonderheiten des Falles für die Entscheidung darauf ankommt, dass
sich die gesamte Kammer einen eigenen Eindruck von dem Betroffenen verschafft.
Zwar kommt es bei der Anhörung im Betreuungsverfahren regelmäßig auf den unmittelbaren persönli-chen Eindruck von dem Betroffenen an. Das bedeutet indes nicht, dass sich zwangsläufig alle Mitglieder der [X.] diesen verschaffen müs-sen, wie bereits aus §
68 Abs.
3 Satz
2 FamFG
folgt. Letztlich obliegt es der [X.], im Rahmen der Amtsermittlung nach §
26 FamFG zu [X.], ob es für ihre Entscheidung wegen der
Besonderheiten des Falles [X.] ankommt, dass sich die gesamte Kammer einen eigenen Eindruck von dem Betroffenen verschafft. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Anhörung durch den beauftragten [X.] nur in ihrem objektiven Ertrag und als dessen persönlicher Eindruck verwertet werden darf (Senatsbeschluss vom 9.
November 2011 -
XII
ZB
286/11 -
FamRZ 2012, 104 Rn.
30
f. [X.]; vgl. auch Senatsbeschluss vom 14.
August 2013 -
XII
ZB
614/11 -
FamRZ 2013, 1726 Rn.
40 für die förmliche Beweisaufnahme im Unterbringungsverfahren).
17
-
8
-
(4)
Gemessen hieran ist es vorliegend mit §
26 FamFG unvereinbar, dass das [X.] die Betroffene lediglich durch den Vorsitzenden als beauf-tragten
[X.]
angehört hat.
Über Art und Umfang der im Rahmen von §
26 FamFG vorzunehmenden Ermittlungen entscheidet zwar grundsätzlich der Tatrichter nach [X.] Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat jedoch unter anderem nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens ein-gehalten hat, ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen [X.] ist (Senatsbeschluss vom 29.
Januar 2014 -
XII
ZB
519/13 -
FamRZ 2014, 652 Rn.
16 [X.]). Dieser Nachprüfung hält die angefochtene Entschei-dung nicht stand. Denn das [X.]
hat der Anhörung der
Betroffenen
ausweislich der Gründe des angefochtenen Beschlusses ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, indem es den in den Anhörungen gewonnenen per-sönlichen Eindruck von der Betroffenen zum Anlass genommen hat, sich so-wohl über die Feststellungen der Sachverständigen zum (Nicht-)Vorliegen eines freien Willens im Sinne des § 1896 Abs.
1a BGB hinwegzusetzen als auch auf dieser Grundlage eine Geschäftsunfähigkeit zu verneinen und auf die Wirksam-keit der Vorsorgevollmachten zu schließen.
Daher hätte es zwingend des per-sönlichen Eindrucks aller drei Kammermitglieder von der Betroffenen bedurft.
b) Ebenfalls rechtsfehlerhaft ist das [X.] zu dem Ergebnis ge-langt, einer Betreuung bedürfe es schon deshalb nicht, weil die Betroffene wirk-same Vorsorgevollmachten
erteilt habe. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, beruht auch dies auf unzureichenden Feststellungen und damit einer [X.] von §
26 FamFG.
[X.]) Zwar geht das [X.] dem Grundsatz nach zutreffend davon aus, dass ein bloßer Verdacht nicht genügt,
um die Vermutung der Wirksamkeit 18
19
20
21
-
9
-
einer vorliegenden Vollmachtsurkunde zu erschüttern, und die Bevollmächti-gung daher als wirksam zu behandeln ist, wenn die Unwirksamkeit einer [X.] nicht positiv festgestellt werden kann (Senatsbeschluss vom 3.
Februar 2016 -
XII
ZB
425/14 -
FamRZ 2016, 701 Rn.
11).
bb) Nach §
26 FamFG muss der Tatrichter aber die erforderlichen Ermitt-lungen durchführen, deren es
zur Beurteilung der Geschäftsfähigkeit der die Vorsorgevollmacht erteilenden Betroffenen bedarf,
diese Frage also ausermit-teln (vgl. Senatsbeschluss vom 3.
Februar 2016 -
XII
ZB
425/14 -
FamRZ 2016, 701 Rn.
12).
Dem wird die Vorgehensweise des [X.]s nicht gerecht. Vielmehr ist dessen Schluss aus den Feststellungen der Sachverständigen zum freien Willen auf die Geschäftsfähigkeit für die Erteilung der Vorsorgevollmach-ten nicht tragfähig, weil damit zwei unterschiedliche Fragestellungen
miteinan-der vermischt
werden.
(1) Im Zusammenhang mit §
1896 Abs.
1a BGB geht es darum, ob der Betroffene in
der Lage ist, seinen Willen hinsichtlich der Einrichtung einer Be-treuung frei zu bestimmen. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffe-nen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechen-den Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Be-troffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragwei-te einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraus-setzt, dass er seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf 22
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-
10
-
der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung spre-chenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann. Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen Dritter abzugrenzen (Senatsbeschluss vom 27.
April 2016
-
XII
ZB
7/16 -
juris Rn.
10
f.).
(2) Die Geschäftsfähigkeit
erfordert zwar auch die Einsichtsfähigkeit so-wie die Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Sie ist aber nicht deckungs-gleich mit dem Vorhandensein eines freien Willens, wie sich schon aus der Überlegung ergibt, dass ansonsten bei jeder gegen den Willen des Betroffenen angeordneten Betreuung auch dessen Geschäftsunfähigkeit feststehen müsste. Vielmehr ist ohne weiteres denkbar, dass es dem Betroffenen zwar am freien Willen hinsichtlich der Betreuung fehlt, er aber gleichwohl in vollem Umfang ge-schäftsfähig ist. Denn die Geschäftsfähigkeit und damit die für sie erforderliche Einsicht-
und Steuerungsfähigkeit muss sich nicht auf die Betreuung, sondern auf die vorzunehmenden Rechtshandlungen -
hier die Vollmachterteilungen
-
beziehen. Dazu hat das [X.] vorliegend aber keinerlei Ermittlungen durchgeführt.
c) Diese Rechtsfehler sind auch entscheidungserheblich. Weder bei der gebotenen Anhörung der Betroffenen in voller Kammerbesetzung noch bei Durchführung der erforderlichen Ermittlungen zur Geschäftsfähigkeit der Be-troffenen ist auszuschließen, dass das [X.] zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
Der Erforderlichkeit der Betreuung steht entgegen der Annahme des [X.]s insbesondere nicht entgegen, dass die Betroffene sich der Zu-sammenarbeit mit dem Betreuer bislang verweigert hat. Die Voraussetzungen 24
25
26
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11
-
einer sog. Unbetreubarkeit (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 28.
Januar 2015
-
XII
ZB
520/14 -
FamRZ 2015, 650 Rn.
11
ff.) hat das [X.] nicht [X.]. Soweit das [X.] darauf abhebt, die Betroffene habe offensichtlich alles auch ohne Betreuer organisieren können, könnte das eine Betreuung [X.] dann nicht überflüssig machen, wenn es der rechtlichen Regelung ver-schiedener Angelegenheiten bedarf und die Betroffene diese mangels Ge-schäftsfähigkeit weder selbst noch durch Bevollmächtigte vornehmen könnte.
3. Die Beschwerdeentscheidung ist daher gemäß §
74 Abs.
5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist an das [X.] zurückzuverweisen, weil weitere Ermittlungen durchzuführen sind und sie deshalb
nicht zur Endentscheidung reif ist (§
74 Abs.
6 Satz
1 und
2 FamFG).
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der in einem Betreuungsverfahren mit der Erstellung eines Gutachtens beauf-tragte Sachverständige gemäß §
280 Abs.
1 Satz
2 FamFG Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein
muss. Ergibt sich diese Qualifikation -
wie bei der in den Vorinstanzen tätigen Sachverständigen
-
nicht ohne Weiteres aus der Fachbezeichnung des Arztes, ist seine Sachkunde vom Gericht zu prüfen und in der Entscheidung darzulegen (Senatsbeschluss vom
16.
Dezember 2015 -
XII
ZB
381/15 -
FamRZ 2016, 456 Rn.
14 [X.]).
Soweit es die Kostenentscheidung anbelangt, wird das [X.] -
an-ders als in der angegriffenen Entscheidung -
bei seiner erneuten
Beschlussfas-sung alle für die Ermessensentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte zu be-rücksichtigen haben. Es wird daher nicht nur darauf Bedacht zu nehmen haben, dass immerhin die erste Instanz der Anregung der Beteiligten zu
1 gefolgt war. Vielmehr
kam auch die gerichtlich bestellte Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung 27
28
29
-
12
-
bestünden. Die nach Auffassung des [X.]s unter anderem der [X.] einer Betreuung entgegenstehenden Vollmachten sind erst während des Betreuungsverfahrens verfasst worden.
Ob es bei dieser Sachlage tatsächlich billigem Ermessen im Sinne des §
81 Abs.
1 Satz
1 FamFG entspricht
(vgl. da-zu Senatsbeschluss vom 19.
Februar 2014 -
XII
ZB
15/13 -
FamRZ 2014, 744 Rn.
11
ff.), der Beteiligten zu
1 die Kosten teilweise aufzuerlegen, bedarf einer eingehenden Überprüfung.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß §
74 Abs.
7 [X.], weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzli-cher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitli-chen Rechtsprechung beizutragen.
Dose

Klinkhammer

Nedden-Boeger

[X.]

Krüger
Vorinstanzen:
Notariat [X.], Entscheidung vom 06.10.2014 -
VG 26/14 -

LG [X.], Entscheidung vom 26.10.2015 -
5 [X.] -

30

Meta

XII ZB 581/15

15.06.2016

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.06.2016, Az. XII ZB 581/15 (REWIS RS 2016, 9915)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9915

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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