Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.04.2011, Az. III R 72/07

3. Senat | REWIS RS 2011, 7795

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Gegenstand

(Kindergeld für ein verheiratetes Kind - Keine einkünftemindernde Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen - Verfassungsmäßigkeit der Grenzbetragsregelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG)


Leitsatz

Bei der Prüfung, ob der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten ist, sind Unterhaltsleistungen des verheirateten Kindes an seinen Ehepartner nicht Einkünfte mindernd zu berücksichtigen .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhielt für seinen 1977 geborenen [X.] ([X.]) zunächst Kindergeld.

2

[X.] ist seit 1998 verheiratet. Er studierte von Oktober 2000 bis zum 31. März 2002 an der [X.] und nach einem [X.]tudienwechsel seit Oktober 2002 an der [X.] in .... In der [X.] von April bis Oktober 2002 übte [X.] eine Beschäftigung aus.

3

Mit Bescheid vom 30. Juli 2003 hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Festsetzung von Kindergeld für das [X.]treitjahr 2002 auf und forderte bereits ausgezahltes Kindergeld in Höhe von 1.848 € zurück, da das "Einkommen" des [X.] den maßgeblichen Grenzbetrag überschritten habe. Der hiergegen gerichtete Einspruch des [X.], mit dem er geltend machte, dass der Grenzbetrag bei Berücksichtigung der Unterhaltspflicht des [X.] gegenüber seiner --des [X.]-- Ehefrau unterschritten werde, blieb erfolglos.

4

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied, dass bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des [X.] kein Betrag für eine Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau abzuziehen sei.

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das [X.]treitjahr 2002 geltenden Fassung (E[X.]tG).

6

Der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG stehe dem Freibetrag eines Einkommensteuerpflichtigen gleich. Deshalb müsse ein verheiratetes, gegenüber seiner Ehefrau unterhaltsverpflichtetes Kind einen erhöhten Freibetrag in Anspruch nehmen können; andernfalls liege ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz und gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vor. Das verheiratete Kind, das neben seinem [X.]tudium arbeite, um den erhöhten Unterhalt für sich und seine Ehefrau zu finanzieren, dürfe nicht schlechter gestellt sein als ein nicht verheiratetes Kind, das nur für seinen eigenen Unterhalt zu sorgen habe. [X.] habe gerade wegen seiner Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG überschritten, um weitere staatliche Unterstützung zu vermeiden. Auch er selbst, der Kläger, werde in seinen Grundrechten verletzt, weil er unter Verstoß gegen Art. 3 und Art. 6 GG gegenüber dem unterhaltspflichtigen Vater eines unverheirateten Kindes schlechter gestellt werde. Allein die Tatsache, dass [X.] trotz seiner Heirat einen eventuellen zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch hätte, der im Kindergeldverfahren jedoch nicht berücksichtigt werde, verletze ihn, den Kläger, in seinen Rechten. Zudem sei die Ausgestaltung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG als Freigrenze ohne Übergangs- und Härtefallregelung verfassungswidrig.

7

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils den Bescheid vom 30. Juli 2003 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 21. November 2003 insoweit aufzuheben, als darin die Festsetzung von Kindergeld für das [X.]treitjahr 2002 aufgehoben wird.

8

Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist als unbegründet zurü[X.]kzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgeri[X.]htsordnung --[X.]O--). Dem Kläger steht für das [X.]treitjahr 2002 kein Kindergeldanspru[X.]h für [X.] zu.

1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das --wie [X.] im [X.]treitjahr 2002-- das 27. Lebensjahr no[X.]h ni[X.]ht vollendet hatte, besteht na[X.]h § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 [X.]atz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG Anspru[X.]h auf Kindergeld u.a. dann, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a E[X.]tG) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes ni[X.]ht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge den für das [X.]treitjahr maßgebli[X.]hen Grenzbetrag von 7.188 € im Kalenderjahr ni[X.]ht übersteigen.

2. In revisionsre[X.]htli[X.]h ni[X.]ht zu beanstandender Weise hat das [X.] festgestellt, dass [X.] in den Monaten Januar bis März und Oktober bis Dezember 2002, in denen er jeweils studierte, i.[X.]. des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a E[X.]tG für einen Beruf ausgebildet wurde, und dass er in den Monaten April bis [X.]eptember 2002 i.[X.]. des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes ni[X.]ht beginnen oder fortsetzen konnte, [X.] also im gesamten [X.]treitjahr 2002 einen Berü[X.]ksi[X.]htigungstatbestand erfüllte.

3. Na[X.]h der Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] ([X.]) haben Eltern eines verheirateten Kindes für dieses jedo[X.]h grundsätzli[X.]h keinen Anspru[X.]h auf Kindergeld mehr. Denn mit der Ehes[X.]hließung des Kindes sind ni[X.]ht mehr die Eltern vorrangig zu seinem Unterhalt verpfli[X.]htet, sondern der Ehegatte des Kindes (§ 1608 [X.]atz 1 des Bürgerli[X.]hen Gesetzbu[X.]hes --[X.]-- i.V.m. §§ 1360, 1360a [X.]). Es besteht nur no[X.]h eine na[X.]hrangige Unterhaltspfli[X.]ht der Eltern. Auf Grund der [X.]tatusänderung dur[X.]h Heirat und der dadur[X.]h we[X.]hselnden Pfli[X.]htenstellung zum Kind besteht na[X.]h der Ehes[X.]hließung des Kindes grundsätzli[X.]h kein Bedarf mehr für eine Entlastung der Eltern im Wege des Familienleistungsausglei[X.]hs. Anders liegt der Fall nur, wenn das Einkommen des Ehepartners so gering ist, dass er zum (vollständigen) Unterhalt ni[X.]ht in der Lage ist, das Kind ebenfalls ni[X.]ht über ausrei[X.]hende eigene Einkünfte und Bezüge verfügt und die Eltern deshalb weiterhin für das Kind aufkommen müssen --sog. [X.] (vgl. [X.]-Urteil vom 2. März 2000 [X.], [X.]E 191, 69, B[X.]tBl II 2000, 522; [X.]enatsurteil vom 19. April 2007 [X.]/06, [X.]E 218, 70, B[X.]tBl II 2008, 756; Abs[X.]hn. 31.2.2 Abs. 1 der Dienstanweisung zur Dur[X.]hführung des Familienleistungsausglei[X.]hs na[X.]h dem X. Abs[X.]hnitt des Einkommensteuergesetzes, B[X.]tBl I 2009, 1030, 1039).

Ein sol[X.]her Mangelfall liegt hier ni[X.]ht vor. Na[X.]h den den [X.]enat bindenden (§ 118 Abs. 2 [X.]O) Feststellungen des [X.] konnte zwar die Ehefrau im [X.]treitjahr 2002 keinen Unterhalt für [X.] leisten. [X.]eine eigenen Einkünfte und Bezüge übers[X.]hritten jedo[X.]h den maßgebli[X.]hen Grenzbetrag von 7.188 €. Dabei hat das [X.] im Ergebnis zu Re[X.]ht etwaige Unterhaltsleistungen des [X.] an seine Ehefrau ni[X.]ht Einkünfte mindernd berü[X.]ksi[X.]htigt.

a) Der Begriff der Einkünfte i.[X.]. von § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG entspri[X.]ht dem in § 2 Abs. 2 E[X.]tG gesetzli[X.]h definierten Begriff und ist je na[X.]h Einkunftsart als Gewinn oder als Übers[X.]huss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus ni[X.]htselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Re[X.]htspre[X.]hung, z.B. [X.]enatsurteil vom 17. Juni 2010 [X.]/09, [X.]E 230, 142, B[X.]tBl II 2011, 121). Darüber hinaus sind na[X.]h dem Bes[X.]hluss des Bundesverfassungsgeri[X.]hts --BVerfG-- vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02 ([X.] 112, 164) im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG Einkünfte [X.] wie die [X.] nur zu berü[X.]ksi[X.]htigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, wel[X.]he Teile der Einkünfte i.[X.]. des § 2 Abs. 2 E[X.]tG wegen eines sonst vorliegenden Grundre[X.]htsverstoßes im Wege verfassungskonformer Eins[X.]hränkung ni[X.]ht angesetzt werden dürfen (z.B. [X.]enatsurteil vom 21. Oktober 2010 [X.], [X.]/NV 2011, 251).

b) Dur[X.]h die Regelungen des Familienleistungsausglei[X.]hs soll eine verminderte Leistungsfähigkeit ausgegli[X.]hen bzw. steuerli[X.]h berü[X.]ksi[X.]htigt werden, die auf Unterhaltspfli[X.]hten der Eltern gegenüber ihren Kindern beruht. Einer entspre[X.]henden Entlastung der Eltern bedarf es allerdings ni[X.]ht, wenn eine Unterhaltspfli[X.]ht der Eltern ni[X.]ht besteht. Das ist hier der Fall.

Na[X.]h § 1601 [X.] sind nur Verwandte in gerader Linie verpfli[X.]htet, einander Unterhalt zu gewähren. Dementspre[X.]hend müssen Eltern nur ihr eigenes Kind und dessen Kinder unterstützen, ni[X.]ht aber au[X.]h den bedürftigen Ehepartner ihres Kindes. Die Ehes[X.]hließung des Kindes führt re[X.]htli[X.]h zu keiner erweiterten Unterhaltspfli[X.]ht der Eltern. Der von ihnen dem Kind zu gewährende Unterhalt erfasst ledigli[X.]h den Lebensbedarf des (bedürftigen) Kindes, ni[X.]ht aber die von diesem zu erfüllenden Unterhaltspfli[X.]hten. Von anderer [X.]eite gegen ein Kind geri[X.]htete Unterhaltsforderungen --wie hier etwaige Unterhaltsansprü[X.]he der [X.] erhöhen den eigenen Bedarf des Kindes gegenüber seinen Eltern ni[X.]ht. Andernfalls entstünde --mittelbar-- eine Unterhaltspfli[X.]ht über den gesetzli[X.]hen Rahmen hinaus (vgl. Urteil des Bundessozialgeri[X.]hts vom 27. April 1994  10 [X.] 16/93, [X.]ozialre[X.]ht 3-5870 § 2 Nr. 24, unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgeri[X.]htshofs --BGH-- vom 6. Dezember 1984 [X.], [X.], 123; ferner [X.] Düsseldorf, Urteil vom 14. Juni 2007  14 K 2833/06 Kg, Ents[X.]heidungen der Finanzgeri[X.]hte 2007, 1887). Es ist daher verfassungsre[X.]htli[X.]h ni[X.]ht geboten, Unterhaltsleistungen des verheirateten Kindes an seinen bedürftigen Ehepartner in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG einzubeziehen. [X.] kann deshalb, ob und ggf. in wel[X.]hem Umfang ein Unterhaltsanspru[X.]h der Ehefrau gegen [X.] im Hinbli[X.]k darauf, dass au[X.]h ein sol[X.]her Unterhaltsanspru[X.]h an der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpfli[X.]hteten auszuri[X.]hten ist (vgl. z.B. BVerfG-Bes[X.]hlüsse vom 25. Juni 2002  1 BvR 2144/01, Zeits[X.]hrift für das gesamte Familienre[X.]ht --FamRZ-- 2002, 1397, und vom 20. August 2001  1 BvR 1509/97, [X.], 1685; [X.] vom 15. März 2006 [X.], [X.], 351), überhaupt besteht.

4. Die vom Kläger behauptete [X.][X.]hle[X.]hterstellung des Vaters eines verheirateten Kindes gegenüber dem Vater eines ni[X.]ht verheirateten Kindes besteht ni[X.]ht. Denn beide sind nur verpfli[X.]htet, den Unterhaltsbedarf des eigenen Kindes zu de[X.]ken und werden insoweit in glei[X.]hem Umfang steuerli[X.]h im Rahmen des Familienleistungsausglei[X.]hs berü[X.]ksi[X.]htigt.

5. Dass der Gesetzgeber die Grenzbetragsregelung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG gesetzeste[X.]hnis[X.]h als Freigrenze und ni[X.]ht als Freibetragsregelung ausgestaltet hat, ist verfassungsre[X.]htli[X.]h ni[X.]ht zu beanstanden (z.B. BVerfG-Bes[X.]hluss vom 27. Juli 2010  2 [X.], Hö[X.]hstri[X.]hterli[X.]he Finanzre[X.]htspre[X.]hung 2010, 1109).

Meta

III R 72/07

07.04.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Bremen, 19. Juli 2007, Az: 4 K 69/05 (6), Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2002, § 1601 BGB, § 1608 S 1 BGB, § 1360 BGB, § 1360a BGB, Art 6 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.04.2011, Az. III R 72/07 (REWIS RS 2011, 7795)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7795

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 167/02

2 BvR 2122/09

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