Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2014, Az. X ARZ 146/14

10. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 4685

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Gegenstand

Negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige: Zuständigkeitsbestimmung durch einen obersten Gerichtshof des Bundes; Bindungswirkung einer rechtskräftigen Rechtswegverweisung


Tenor

Als zuständiges Gericht wird das [X.] bestimmt.

Gründe

1

I. Der [X.] erhielt als Arbeitssuchender vom Jobcenter der [X.] eine Förderzusicherung in Form eines Aktivierungs- und Vermittlungsgutscheins gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 SGB III, um von einem berechtigten Träger der privaten Arbeitsvermittlung eine Arbeitsstelle vermittelt zu bekommen. Er schloss hierfür mit der Klägerin einen Vermittlungsvertrag, nach dem die [X.] bei der erfolgreichen Vermittlung einer Arbeitsstelle von der [X.] zu zahlen war, wenn der [X.] den Gutschein der Klägerin aushändigte. Für den Fall, dass der [X.] den Gutschein nicht aushändigte, sollte er selbst zur Zahlung der [X.] verpflichtet sein.

2

Die Klägerin vermittelte dem [X.]n eine Arbeitsstelle, dieser stellte ihr den Gutschein jedoch nicht zur Verfügung. Die Klägerin hat daraufhin Klage auf Zahlung der [X.] beim [X.] in [X.] erhoben. Dieses Gericht hat sich für sachlich nicht zuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht mit der Begründung verwiesen, der geltend gemachte Anspruch resultiere aus einem durch öffentlich-rechtliche Normen modifizierten Maklervertrag gemäß § 652 BGB, nach dem die Klägerin Inhaberin eines öffentlich-rechtlichen, gesetzlichen Zahlungsanspruchs geworden sei. Das Sozialgericht [X.] hat den Sozialrechtsweg für unzulässig erklärt und die Sache zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem [X.] vorgelegt, weil die geltend gemachte Klageforderung zweifelsfrei zivilrechtlicher und nicht öffentlich-rechtlicher Natur sei.

3

II. [X.] ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.

4

1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar. Obwohl ein nach § 17a [X.] ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine - regelmäßig deklaratorische - Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit dann geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 [X.] vor ihm anhängig ist ([X.], Beschluss vom 14. Mai 2013 - [X.] 167/13, [X.], 1242 Rn. 4 mwN).

5

So liegt der Fall hier. Sowohl das Amtsgericht als auch das Sozialgericht haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.

6

2. Der [X.] ist für die Entscheidung zuständig. Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des [X.], der zuerst darum angegangen wird ([X.], aaO Rn. 7 mwN).

7

3. Zuständiges Gericht ist das Sozialgericht [X.]. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des Beschlusses des Amtsgerichts nach § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.].

8

a) Ein nach § 17a [X.] ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen hat, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] bindend ([X.], Beschluss vom 14. Mai 2013 - [X.] 167/13, [X.], 1242 Rn. 9).

9

b) Der Antragsgegner hat den Verweisungsbeschluss nicht angegriffen. Der Beschluss ist damit unanfechtbar und für das Sozialgericht bindend geworden.

Das Gesetz misst zwar der Entscheidung des Rechtsstreits durch das Gericht des zulässigen Rechtswegs größere Bedeutung zu als der Entscheidung durch das örtlich oder sachlich zuständige Gericht. Das gesetzliche Mittel zur Sicherung einer Entscheidung durch das Gericht des zulässigen Rechtswegs ist aber allein die Eröffnung des Rechtsmittels gegen den Verweisungsbeschluss. Ist die örtliche oder sachliche Zuständigkeit zweifelhaft, ist die Verweisung nicht nur bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO), sondern auch der Überprüfung im Rechtsmittelzug entzogen (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Demgegenüber kann die Frage des Rechtswegs im Rechtsmittelzug - uneingeschränkt - überprüft werden, und insoweit muss gegebenenfalls das Interesse der nicht [X.] an einer zügigen Sachprüfung des Klagebegehrens zurücktreten. Damit hat es jedoch auch sein Bewenden: Nicht das Gericht des von dem verweisenden Gericht für zulässig erachteten Rechtswegs, sondern allein das Rechtsmittelgericht ist zu dieser Überprüfung berufen.

Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie sie im Anwendungsbereich des § 281 Abs. 1 ZPO insbesondere für objektiv willkürliche Entscheidungen anerkannt ist, ist deshalb jedenfalls grundsätzlich kein Raum. Nicht das Gericht, an das verwiesen wird, sondern die Parteien sollen vor willkürlichen oder sonst jeder gesetzlichen Grundlage entbehrenden Entscheidungen geschützt werden, mit der ihr Streitfall dem zuständigen Gericht und [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen wird. Steht den Parteien aber ein Rechtsmittel zu Gebote und wird dieses nicht genutzt, besteht kein Anlass, dem Gericht des für zulässig erklärten Rechtswegs die Befugnis zuzubilligen, sich an die Stelle des Rechtsmittelgerichts zu setzen ([X.], aaO Rn. 12).

c) Der [X.] hat bislang offenlassen können, ob gleichwohl noch Ausnahmefälle denkbar sind, in denen die bindende Wirkung einer rechtskräftigen Verweisung verneint werden kann, und diese Frage kann auch im Streitfall offenbleiben. Eine Durchbrechung der Bindungswirkung kommt, wie es das [X.]verwaltungsgericht formuliert hat (BVerwG, Beschluss vom 8. November 1994 - 9 AV 1/94, NVwZ 1995, 372), allenfalls bei "extremen Verstößen" gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden [X.] und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht ([X.], Beschlüsse vom 13. November 2001 - [X.] 266/01, NJW-RR 2002, 713; vom 8. Juli 2003 - [X.] 138/03, NJW 2003, 2990, 2991; vom 9. Dezember 2010 - [X.] 283/10, [X.], 253 Rn. 16; vom 18. Mai 2011 - [X.] 95/11, NJW-RR 2011, 1497 Rn. 9; vom 14. Mai 2013, aaO Rn. 13; s. auch [X.], Beschluss vom 12. Juli 2006 - 5 [X.], [X.], 2798 Rn. 5: nur bei "krassen Rechtsverletzungen").

Eine solche schwerwiegende, nicht mehr hinnehmbare Verletzung der Rechtswegordnung ist im Streitfall nicht zu erkennen. Nach der Rechtsprechung des [X.]sozialgerichts handelt es sich bei dem der Klage zugrundeliegenden Anspruch um einen privatrechtlichen Makleranspruch gemäß § 652 BGB, der durch öffentlichrechtliche Normen modifiziert wird (vgl. [X.], NJW 2007, 1902 Rn. 14 f.). Zuständig sind daher die ordentlichen Gerichte. Die Erwägungen des Amtsgerichts, dass mit dieser Modifikation ein besonderer Schutz des Arbeitssuchenden verbunden sei, das Vermittlungsgutscheinverfahren an die Stelle der ansonsten kostenfreien - vom öffentlichen Recht beherrschten - Vermittlung durch die [X.] trete und deshalb der Rechtsstreit vor den Sozialgerichten zu verhandeln sei, sind indessen nachvollziehbar und entbehren nicht jeglicher Anknüpfung an die gesetzliche Zuständigkeitsordnung. Auch wenn diese Argumentation im Ergebnis nicht richtig ist, handelt es sich gleichwohl nicht um einen so gravierenden Rechtsverstoß, dass es geboten wäre, entgegen den von den Parteien hingenommenen Wirkungen des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts dessen Bindungswirkung zu durchbrechen.

Meier-Beck                            Grabinski                           Bacher

                      [X.]

Meta

X ARZ 146/14

23.06.2014

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

vorgehend AG Lichtenberg, 29. Oktober 2013, Az: 18 C 310/13

§ 652 BGB, § 17a Abs 2 S 3 GVG, § 45 Abs 1 Nr 3 SGB 3, § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 281 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2014, Az. X ARZ 146/14 (REWIS RS 2014, 4685)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4685

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Referenzen
Wird zitiert von

X ARZ 146/14

Zitiert

X ARZ 167/13

X ARZ 95/11

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