Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.03.2003, Az. 3 StR 28/03

3. Strafsenat | REWIS RS 2003, 4046

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[X.]/03vom11. März 2003in der Strafsachegegenwegen [X.] des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 11. März 2003 gemäß § 349 Abs. 4StPO einstimmig [X.] Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 17. Juni 2002 mit den Feststellungenaufgehoben.2. [X.] wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen.Gründe:[X.] hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslangerFreiheitsstrafe verurteilt.Zugrunde liegt nach den getroffenen Feststellungen, daß der Ange-klagte dem späteren Tatopfer am Tattag nach 18.45 Uhr zufällig auf einemWaldweg begegnete, es in eine Tannenschonung zog und sich entschloß, mitihm geschlechtlich zu verkehren, wobei er es zu diesem Zweck töten oder inder Tötung geschlechtliche Befriedigung suchen wollte. Die vor ihm fliehende,bis auf die Socken nackte Frau, an der er zuvor mit einem Regenschirm sexu-elle Handlungen vorgenommen hatte, erstach er mit insgesamt 47 [X.]. Während das Opfer verblutete, vollzog der Angeklagte an ihm den [X.] bis zum Samenerguß. Eine DNA-Analyse hat zu dem Ergebnis [X.] -daß das in der Leiche gefundene Sperma dem Angeklagten zuzuordnen ist unddessen Identifizierungsmuster seltener als einmal unter einer Billion nichtblutsverwandter Personen vorkommt.Der Angeklagte hat den Geschlechtsverkehr mit dem Tatopfer einge-standen. Nach dem freiwilligen Geschlechtsverkehr sei er von dem lesbischveranlagten Opfer beleidigt und geschlagen worden, an das weitere [X.] habe er keine Erinnerung mehr.Die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revi-sion des Angeklagten macht Mängel in der Beweiswürdigung zum [X.] sowie zur unmittelbaren Vor- und Nachgeschichte geltend und rügt diefehlerhafte Behandlung mehrerer Beweisanträge. Mit der weiteren Beanstan-dung, daß an dem Urteil [X.] mitgewirkt hat, nachdem er wegen [X.] der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch mit Unrechtverworfen worden war, hat der Beschwerdeführer Erfolg.[X.] Der Rüge liegt folgender Verfahrenssachverhalt zugrunde:Im Laufe der Hauptverhandlung am 15. Februar 2002 sagte der Zeuge[X.] aus, daß dem Zeugen [X.]. am Tattag um 18 Uhr der [X.] später getöteten Frau M. entgegen gekommen sei, in dem eine weitere,eventuell männliche Person auf dem Beifahrersitz gesessen habe. Auf die er-staunte Nachfrage des Verteidigers bestätigte der Vorsitzende, daß sich einesolche Aussage nicht in den Ermittlungsakten befinde. Hierzu gab der [X.], er hätte sie in einer der zahlreichen Spurenakten gelesen. Am 19. [X.] übergab [X.]einen Karton mit den Spurenakten dem Gericht.Im Fortsetzungstermin vom 22. Februar 2002 wies der Verteidiger darauf [X.] -daß er noch Einsicht in die Spurenakten nehmen wolle. Er kündigte an, [X.] nach deren Durcharbeitung zu stellen. Der Vorsitzende fragtegleichwohl, ob die Beweisaufnahme geschlossen werden könne. Erneut wiesder Verteidiger darauf hin, daß er beabsichtige, die Spurenakten durchzusehenund noch Beweisanträge zu stellen. Daraufhin äußerte der Vorsitzende, mankönne heute die [X.] noch nutzen für das Plädoyer des Staatsanwalts. [X.] Beweisanträgen könne wieder in die Hauptverhandlung eingetre-ten werden. Die Beweisaufnahme wurde sodann geschlossen, der [X.] hielt sein Plädoyer.Am selben Tag rief der Vorsitzende in der Mittagszeit den Verteidiger [X.] fragte, ob er sein Plädoyer nicht einen Tag früher als zu dem ins Augegefaßten Fortsetzungstermin halten könne. Wieder wies der Verteidiger auf [X.] der Spurenakten, eine Besprechung mit dem Angeklagten sowie aufweitere Beweisanträge hin. Daraufhin äußerte der Vorsitzende, daß die Be-weisanträge möglicherweise alle abgelehnt werden könnten. Auf die Frage [X.], ob denn das Urteil schon feststehe, antwortete er, daß ein Täter,der ein Mordmerkmal erfülle, regelmäßig lebenslänglich bekomme, es [X.], der Verteidiger präsentiere den wahren Täter, vielleicht den Zwillings-bruder des Angeklagten mit derselben [X.] seiner dienstlichen Äußerung hat der Vorsitzende zu seiner Bemer-kung zur Ablehnung der Beweisanträge ausgeführt, daß er die Möglichkeit ge-sehen habe, daß die Verteidigung keine oder nur solche Beweisanträge stellenwürde, die das Gericht nach kurzer Beratung ablehnen könnte. Seine Antwortzur Frage nach einer lebenslangen Freiheitsstrafe sei lediglich der Hinweis aufeine Binsenwahrheit gewesen. Seine Bewertung mit dem Zwillingsbruder [X.] nur auf den Beweiswert der DNA-Analyse bezogen. Er habe weiter [X.] -daß Beweisanträge, die darauf abzielten, daß der Geschlechtsverkehr stattge-funden habe, bevor Frau M. ihrem Mörder begegnet sei, Erfolg habenkönnten. In einer ergänzenden Stellungnahme hat der Vorsitzende geäußert,daß er auf den hohen Beweiswert der DNA hingewiesen habe, daß bei einerstatistischen Wahrscheinlichkeit von mehreren Billionen oder Billiarden nurnoch ein Zwillingsbruder als möglicher anderer Täter in Frage komme, ande-rerseits aber auch die Möglichkeit bestehe, daß durch die DNA nicht die [X.] nachfolgende Tötung bewiesen werde.Nach Ablehnung dieses Befangenheitsantrages wurde wieder in die Be-weisaufnahme eingetreten; das Urteil wurde schließlich vier Monate späterverkündet.2. Bei diesem Sachverhalt ist das Ablehnungsgesuch des [X.] Unrecht verworfen worden. Die zitierten Äußerungen begründen die [X.] der Befangenheit; sie waren geeignet, Mißtrauen gegen die Unpartei-lichkeit des Vorsitzenden zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Denn sie konn-ten den Eindruck erwecken, der Vorsitzende ziehe eine schnelle Prozeßerledi-gung einer sachgemäßen Aufklärung der Sache vor und sei bereits davonüberzeugt, daß der Angeklagte nicht nur den Geschlechtsverkehr mit dem Op-fer, sondern auch einen Sexualmord begangen hatte.Angesichts des Umstandes, daß ein Polizeibeamter in der [X.] auf eine den Angeklagten entlastende Aussage des Zeugen [X.]. hingewiesen hatte, die dem Verteidiger und auch dem Vorsitzenden bislangunbekannt war, und die in Spurenakten enthalten war, die sich bisher nicht beiden Verfahrensakten befanden, und der daraufhin erfolgten Ankündigung [X.], nach Durcharbeitung der Spurenakten Beweisanträge stellen zuwollen, konnte die vom Vorsitzenden verfügte Beendigung der [X.] -me, seine Aufforderung an die Staatsanwaltschaft, das [X.] zuhalten, und die Äußerung dem Verteidiger gegenüber, daß dessen [X.] Beweisanträge möglicherweise alle abgelehnt würden, auch in einem be-sonnenen Angeklagten die Befürchtung wecken, [X.] sei ihm gegen-über nicht mehr unbefangen und geneigt, auf das prozessuale Vorgehen sei-nes Verteidigers ihm, dem Angeklagten gegenüber, in einer seiner [X.] Weise zu reagieren und die schnelle Sacherledigung einer sach-gerechten Aufklärung vorzuziehen (vgl. BGHR StPO § 24 II Vorsitzender 1).Hierbei ist zu berücksichtigen, daß durch das [X.] zunächstlediglich bewiesen wird, daß der Angeklagte Geschlechtsverkehr mit dem Op-fer hatte. Für die weitere Schlußfolgerung, daß er auch derjenige war, der [X.] erstochen hatte, kam es auf die Auswertung und Würdigung des ge-samten übrigen Spuren- und Beweisbildes an, weil dafür der zeitliche Abstandzwischen Geschlechtsverkehr und Tötungshandlung sowie deren Reihenfolgevon Bedeutung sind. Daß sich hierbei durchaus Anhaltspunkte aus den [X.] gewinnen ließen, die der Verteidigung Anlaß für Beweisanträge seinkonnten, lag nicht fern. Dies belegt bereits die von dem Zeugen [X.]wiedergegebene Beobachtung eines Zeugen, der in einem engen zeitlichenund örtlichen Zusammenhang zu der Begegnung des Angeklagten mit [X.] eine weitere "eventuell männliche Person" in deren Pkw gesehen [X.]. Bei dem vom Gericht angenommenen Geschehensablauf wäre dies einedritte Person gewesen, deren mögliche Verwicklung in das Geschehen hättebedacht werden müssen.Wenn sich schon in einem Verfahren das Mißgeschick ereignet, [X.], die möglicherweise erhebliche Ermittlungen enthalten, erst imLaufe der Hauptverhandlung auftauchen, wäre zu erwarten gewesen, daß das- 7 [X.] diese selbst im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2StPO eingehend prüft und auch den Verfahrensbeteiligten, insbesondere aberdem Verteidiger ausreichende Gelegenheit zur Nachholung der [X.] gibt, anstatt auf eine schnelle Verfahrensbeendigung zu drängen.[X.] bereits diese Verfahrensrüge zur Aufhebung führt, kommt es auf [X.] der weiteren Verfahrens- und Sachrügen nicht mehr an. Der [X.] weist jedoch darauf hin, daß auch in weiteren Punkten nicht unerheblicherechtliche Bedenken [X.] Das [X.] hat den Beweisantrag, die nach dem [X.] an der unbekleideten Leiche aufgefundenen und asserviertenHaare einer DNA-Analyse zu unterziehen, die ergeben werde, daß diese Haareweder dem Angeklagten noch dem Tatopfer zuzuordnen seien, abgelehnt. [X.] hat es ausgeführt, es handle sich bei der [X.] bloße Vermutung. Im übrigen hat die Kammer die unter Beweis gestellteTatsache als bedeutungslos bezeichnet, weil sie nach dem bisherigen Ergeb-nis der Beweisaufnahme auch dann, wenn sie erwiesen sei, aus ihr nicht denzwar möglichen, aber nicht zwingenden Schluß ziehen würde, daß die Spuren-übertragung durch einen anderen Täter stattgefunden habe.Beide Begründungen sind rechtlich bedenklich. Ein Antragsteller darfauch das, was er nur für möglich hält, also vermutet, zum Gegenstand einesBeweisantrags machen (vgl. [X.] in [X.]. § 244 Rdn. 44). Eine"aufs Geratewohl" aufgestellte, aus der Luft gegriffene Beweisbehauptung (vgl.[X.], 95) liegt bei dieser Sachlage, bei der es um die Zuordnungvon am Tatort tatsächlich aufgefundenen Spuren geht, ersichtlich nicht vor. Für- 8 -eine Behandlung als bedeutungslos fehlt es in Anbetracht des Umstandes, daßnach Sachlage durchaus die Beteiligung einer dritten Person zu prüfen war(vgl. die Beweiswürdigung ab [X.]), an einer ausreichenden Begründung.Denn zur Beurteilung der Frage der Erheblichkeit ist die [X.] so, [X.] sie bewiesen, in das bisher gewonnene Beweisergebnis einzufügen und alsTeil des [X.] in seiner indiziellen Beweisbedeutung zu würdigen(vgl. [X.] aaO Rdn. 74). Damit unterscheidet sich die erforderliche Be-gründung bei der Ablehnung eines Beweisantrags wegen [X.] nicht von den Begründungserfordernissen bei der [X.] durch Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen.Denn die Ablehnung eines Beweisantrages darf nicht dazu führen, daß [X.], zugunsten eines Angeklagten sprechende Umstände der [X.] im Rahmen der Beweiswürdigung entzogen werden (vgl.[X.], 292 f.). Es liegt hier auf der Hand, daß das Schwurgericht einBeweisergebnis, wonach auf der Haut der Leiche gefundene Haare weder [X.] noch vom Angeklagten, sondern von einer dritten Person stammen, nichtohne jegliche nähere Begründung hätte übergehen dürfen.2. Das [X.] ist zwar im Rahmen der Beweiswürdigung der Fragenachgegangen, ob ein unbekannter Dritter in das Geschehen verwickelt war.Es hat sich dabei jedoch nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, daß der- 9 -Zeuge [X.]. gegen 18.15 Uhr den Pkw des [X.] ihm langsam entge-genfahrend wahrgenommen und gemeint hat, am Steuer dieses Fahrzeugeseine Frau und daneben eine weitere - eventuell männliche - Person gesehenzu haben ([X.] [X.]Miebach von [X.] [X.]

Meta

3 StR 28/03

11.03.2003

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.03.2003, Az. 3 StR 28/03 (REWIS RS 2003, 4046)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 4046

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