Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2006, Az. 4 StR 75/06

4. Strafsenat | REWIS RS 2006, 3276

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 75/06 vom 1. Juni 2006 in der Strafsache gegen wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a. - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 1. Juni 2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Maatz, [X.], [X.]innen am [X.] [X.], [X.]als beisitzende [X.], Staatsanwalt als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 16. August 2005 wird verworfen. [X.] hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das [X.] Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, so-weit das [X.] von der Anordnung der Sicherungs-verwahrung abgesehen hat. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer [X.] und wegen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit Raub und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. [X.] rügt mit seiner Revision die Verlet-zung formellen und materiellen Rechts. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom [X.] vertreten wird, wendet sich allein dagegen, dass das [X.] die Anordnung von Sicherungsver-wahrung abgelehnt hat. 1 - 4 - Der Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat hingegen Erfolg. [X.] 1. Nach den Feststellungen veranlasste der Angeklagte nur sechs Mona-te nach seiner letzten Haftentlassung aufgrund eines mit seinem Mittäter [X.] gefassten Tatentschlusses einen Drogenabhängigen mittels Drohung und Gewaltanwendung zur Herausgabe von etwa einem Gramm Heroin und seines Portemonnaies, dem der Angeklagte 50 • entnahm. Bei der Tat führte er, was das [X.] bemerkte, ein Messer mit sich ([X.] 1). Trotz eines wegen dieser Tat gegen ihn bestehenden, jedoch außer Vollzug gesetzten Haftbefehls über-fiel der Angeklagte vier Monate später den 87 Jahre alten [X.], den er beim [X.] eines Bankinstituts beobachtet hatte. [X.] vermutete, dass [X.] eine größere Geldmenge bei sich führte. Diese wollte er an sich bringen. Er ver-folgte deshalb [X.] auf dem Nachhauseweg und verschaffte sich gewaltsam [X.] zu dessen Wohnung. Dort stieß er das [X.] zu Boden und entnahm aus dessen Jacke eine Geldbörse mit 70 • Bargeld sowie weitere Gegenstände. Anschließend durchsuchte der Angeklagte die Wohnung des Geschädigten nach weiteren Wertgegenständen. Als er solche nicht finden konnte, warf er [X.], der im Begriff war, aus der Wohnung zu flüchten, erneut zu Boden und drückte ihm, um Hinweise auf weitere Wertgegenstände zu erhalten, die Spitze eines in der Wohnung aufgefundenen Brieföffners gegen das Gesicht, wodurch [X.] leich-te Schnittverletzungen erlitt. Da der Angeklagte weitere mitnehmenswerte [X.] nicht finden konnte, ließ er von [X.] ab und verließ die Wohnung ([X.] 2). 3 2. [X.] war bei Begehung dieser Taten bereits vielfach [X.]. Er wurde u. a. im Jahr 1982 wegen Beihilfe zur schweren räuberischen 4 - 5 - Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, 1985 wegen schwerer räuberischer Erpressung und Beihilfe zur schweren räuberischen [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren (Einzelfreiheitsstra-fen fünf Jahre und zwei Jahre drei Monate), sowie 1993 wegen schweren [X.] und wegen zwei Waffendelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren ([X.] acht Jahre, sieben Monate und zwei Jahre). [X.] Verurteilungen lagen jeweils Überfälle auf Bankinstitute bzw. auf eine Post-filiale zugrunde. Zuletzt wurde der Angeklagte im Mai 2002 wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren drei Monaten ([X.] jeweils ein Jahr drei Monate) verurteilt. Mit Ausnahme der Strafe aus dem zuletzt genannten Urteil, von welcher ein geringer Strafrest im Dezember 2003 zur Bewährung ausgesetzt worden war, verbüßte der Ange-klagte die vorgenannten Strafen vollständig. [X.] Revision des Angeklagten 5 1. Die auf die Verletzung des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO gestützten [X.] haben keinen Erfolg. 6 Zwar ist die unter Nr. 2 der Revisionsbegründung erhobene Rüge nicht, wie der [X.] meint, bereits deshalb unzulässig, weil der den Beweisantrag ablehnende Beschluss der [X.] in seinem Wortlaut in Ergänzung der [X.] erst nach Ablauf der Frist zur [X.] mitgeteilt worden ist. Der Beschwerdeführer hat in der Revisionsbegründung mit eigenen Worten den Inhalt dieser von ihm [X.] - 6 - deten Entscheidung der [X.] vollständig wiedergegeben. Einer darüber hinausgehenden wörtlichen Wiedergabe des Beschlusses, der in [X.] auf die von der Revision mitgeteilte Entscheidung der [X.] vom 12. Juli 2005 verweist, bedurfte es nicht (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Beweis-antragsrecht 4). Die erhobenen [X.] sind aber deshalb unzulässig, weil weitere in [X.] genommene [X.], nämlich das toxikologische Gutachten und das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. [X.], in der Revisions-begründung nicht mitgeteilt werden. Im Übrigen sind die Verfahrensrügen auch aus den vom [X.] zutreffend dargelegten Gründen unbegrün-det. 8 2. Die Überprüfung des Urteils auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. 9 [X.] Revision der Staatsanwaltschaft 10 1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Frage der Anordnung von Sicherungsverwahrung beschränkt. Zwar hat die Beschwerde-führerin in ihrer Revisionsbegründung die Aufhebung des Rechtsfolgenaus-spruchs insgesamt beantragt. Die erhobene Sachrüge ist jedoch nur insoweit ausgeführt, als das [X.] von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat. Nach dem [X.] ist deshalb davon auszugehen, dass das Urteil nur im Hinblick auf die [X.] der Maßregel angefoch-ten ist. Diese Rechtsmittelbeschränkung ist im vorliegenden Fall wirksam, da 11 - 7 - nach den Urteilsgründen auszuschließen ist, dass die maßvollen Strafen von dem Unterbleiben der [X.] beeinflusst worden sind (vgl. [X.] in [X.]. § 344 Rdn. 12 m.N.). 2. Die Ablehnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Nachprü-fung nicht stand. 12 Das [X.] ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB gegeben sind. Es ist ferner, insoweit in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständi-gen, zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Hangtäter handelt. Gleichwohl hat es von der Anordnung der Sicherungsver-wahrung abgesehen, weil es - entgegen dem Gutachten des Sachverständi-gen - gemeint hat, die nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderliche Gefährlich-keitsprognose nicht stellen zu können. Bei den vorliegenden Taten habe es sich, anders als bei den früheren Taten des Angeklagten, um "reine Gelegen-heitstaten" gehandelt, die der Angeklagte spontan und situativen Auslösereizen folgend begangen habe. Zudem lasse die bei den Taten jeweils erzielte geringe Beute, die geringen Tatfolgen und der Umstand, dass der Angeklagte die Tat zum Nachteil des [X.] bereue und sich dafür schäme, auf eine abnehmende In-tensität künftiger Straftaten schließen. 13 a) Die Beschwerdeführerin beanstandet mit Recht die Annahme des [X.]s, die [X.] seien als Gelegenheitstaten nicht symptomatisch für den rechtsfehlerfrei festgestellten Hang des Angeklagten zum Verbrechen und für seine Gefährlichkeit. Die [X.] hat ersichtlich verkannt, dass auch Gelegenheits- und Augenblickstaten als Symptomtaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB in Betracht kommen können und die Anwendung des § 66 StGB nur dann ausgeschlossen ist, wenn eine äußere Tatsituation oder eine 14 - 8 - Augenblickserregung die Tat allein verursacht hat (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 7). Auch bei einer Gelegenheitstat ist deshalb regelmäßig im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des [X.] und seiner Taten zu prüfen, ob die Tat [X.] zeigt (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 6). Eine solche Gesamtwürdigung hat das [X.] nicht vorgenommen. Nach den getroffenen Feststellungen sprechen jedoch gewichtige Gründe, die die [X.] nicht bedacht hat, dafür, dass auch die verfahrensgegenständ-lichen Taten Symptomtaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB sind. 15 [X.] ist nach den Ausführungen des psychiatrischen Sach-verständigen, denen das [X.] insoweit gefolgt ist, und den [X.] zu den früheren Straftaten vollständig in eine kriminelle Subkultur integriert und verfügt über eine fest verwurzelte Neigung, sich auf "kriminelle Weise" Geld oder andere Wertgegenstände zumeist mittels Gewaltanwendung oder Drohung zu verschaffen. Schon aus diesen Gründen liegt es nahe, dass zwischen der festgestellten Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und den verfahrensge-genständlichen Taten eine innere Beziehung besteht und deshalb auch diese Taten trotz der ihnen zugrunde liegenden Spontaneität Konsequenz seines verbrecherischen Hanges sind. Hierfür spricht darüber hinaus die Art und Weise der Durchführung der Taten. [X.] ging jeweils zielgerichtet und, ins-besondere im [X.] 2, im Rahmen eines zeitlich gestreckten, mehr- aktigen Geschehens gegen die [X.] vor. 16 b) Das [X.] hat auch keine tragfähigen Umstände festgestellt, die den Schluss rechtfertigen, beim Angeklagten sei nunmehr die [X.] im Hinblick auf die Begehung erheblicher Straftaten entfallen. Soweit die [X.] meint, eine abnehmende Intensität und Gefährlichkeit (auch) [X.] - 9 - tiger Straftaten daraus herleiten zu können, dass bei den [X.] die [X.] und die Verletzungsfolgen gering waren, beurteilt sie die Erheblichkeit dieser Taten rechtsfehlerhaft ebenfalls nur einseitig am eingetretenen Erfolg (vgl. [X.], 38). Die Massivität des Vorgehens des Angeklagten in beiden Fällen, insbesondere aber bei der Tat zum Nachteil des 87jährigen [X.]s im [X.] 2, das Mitsichführen bzw. Verwenden von gefährlichen Werkzeugen und die in beiden Fällen vorhandene höhere Beuteerwartung des Angeklagten lassen schwerlich eine andere Beurteilung zu, als dass es sich auch bei den [X.] um den Rechtsfrieden empfindlich störende, die [X.] erheblich in Mitleidenschaft ziehende und damit "erhebliche" Strafta-ten handelt. 3. Über die Anordnung von Sicherungsverwahrung muss mithin neu be-funden werden. 18 Tepperwien Maatz [X.] [X.] Sost-Scheible

Meta

4 StR 75/06

01.06.2006

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2006, Az. 4 StR 75/06 (REWIS RS 2006, 3276)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 3276

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