Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.05.2019, Az. 4 StR 511/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 7436

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STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) STRAFTATEN REVISION (STRAFRECHT) SEXUELLER MISSBRAUCH SICHERUNGSVERWAHRUNG

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Gegenstand

(Trennung von Hang und Gefährlichkeitsprognose bei der Sicherungsverwahrung)


Tenor

1. Das Verfahren wird gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II.B.1. der Urteilsgründe wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften verurteilt worden ist; die insoweit entstandenen Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

2. Das Urteil des [X.] vom 16. Mai 2018 wird im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Vergewaltigung, Herstellung kinderpornographischer Schriften und mit Zwangsprostitution, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, schuldig ist.

3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung oder deren Vorbehalt abgesehen worden ist, sowie

b) zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.

4. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Strafausspruch, sowie

b) im gesamten Ausspruch über die Einziehung; die Einziehung der Sportschuhe, Jeanshose mit Gürtel, Jacke, T-Shirt und Automatikuhr entfällt.

5. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Vergewaltigung, Herstellung kinderpornographischer Schriften und mit Zwangsprostitution, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen und den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt. Von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung oder deren Vorbehalt hat das [X.] abgesehen.

2

Mit seiner auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen die Höhe der verhängten Strafen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet nach [X.] mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Rechtsmittel die unterlassene [X.].

3

Beide Rechtsmittel haben Erfolg.

A.

4

1. Nach den Feststellungen nahm der an einer Sexualpräferenzstörung in Form einer Pädophilie leidende Angeklagte Kontakt zu      [X.] auf, der den acht Jahre alten [X.] seiner Lebensgefährtin im [X.] gegen Entgelt zum sexuellen Missbrauch anbot. Nach vorheriger Verabredung mit      [X.] fuhr der Angeklagte Anfang des Jahres 2017 in zwei Fällen mit seinem Kraftfahrzeug zu den vereinbarten Treffpunkten nach [X.] und veranlasste den Jungen, teilweise unter Einsatz von Gewalt, zu manuellen und oralen Manipulationen an seinem entblößten Penis bis zum Samenerguss. In beiden Fällen filmte er das Missbrauchsgeschehen abwechselnd mit dem gesondert verfolgten      [X.], der das Kind in beiden Fällen gleichfalls missbrauchte (Fälle II.B.2. und 3. der Urteilsgründe). In einem Fall beteiligte sich auf Wunsch des Angeklagten auch die Mutter des [X.] an dem Missbrauchsgeschehen.

5

Darüber hinaus speicherte der Angeklagte mehrere kinderpornographische Aufnahmen, die ein reales Missbrauchsgeschehen zeigten und ihm von dem gesondert verurteilten      [X.] zeitlich vor den beiden Missbrauchstaten übersandt worden waren, auf einer externen Festplatte (Fall II.B.1. der Urteilsgründe).

6

2. Das [X.] hat [X.] von sechs Monaten (Tat II.B.1. der Urteilsgründe) und jeweils sechs Jahren (Taten II.B.2. und 3. der Urteilsgründe) verhängt und daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren gebildet. Die Anordnung der Unterbringung des nicht vorbestraften Angeklagten in der Sicherungsverwahrung oder deren Vorbehalt hat das [X.] abgelehnt. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen für die - fakultative - Anordnung von Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB) oder deren Vorbehalt (§ 66a Abs. 2 StGB) vor. Die materiellen Voraussetzungen seien jedoch nicht gegeben. Bei dem inzwischen fünfzig Jahre alten, nicht einschlägig vorbestraften Angeklagten sei weder ein Hang zur Begehung von Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern festzustellen noch sei sein Vorliegen wahrscheinlich.

B.

7

Der Senat hat das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft aus prozessökonomischen Gründen vorläufig eingestellt (§ 154 Abs. 2 StPO), soweit der Angeklagte im Fall II.B.1. der Urteilsgründe wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden ist. Insoweit erscheint fraglich, ob der Grundsatz der Spezialität einer Verfolgung dieser Tat entgegensteht.

8

Der Angeklagte wurde aufgrund [X.] Haftbefehls der Staatsanwaltschaft [X.] vom 19. Oktober 2017 von [X.] an [X.] ausgeliefert. Der [X.] Haftbefehl bezieht sich auf zwei Taten, die nunmehr als Fälle II.B.2. und 3. der Urteilsgründe abgeurteilt worden sind. Auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität hat der Angeklagte nicht verzichtet.

9

Zwar hat der [X.], dem Urteil des [X.] Gerichtshofs vom 1. Dezember 2008 - [X.]/08 [X.] - folgend, für Fallkonstellationen nachträglicher Einbeziehung einer nicht von der [X.] umfassten Vorverurteilung entschieden, dass der Grundsatz der Spezialität allein der Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion, nicht bereits der Verfolgung der Tat entgegensteht (§ 83h Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 [X.]; vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, [X.], 100; vom 20. Oktober 2016 - 3 StR 245/16; vom 10. November 2015 - 3 [X.]; vom 3. März 2015 - 3 StR 40/15, [X.], 563; und vom 4. Februar 2013 - 3 StR 395/12, [X.], 178). Nach erfolgter Teileinstellung des Verfahrens bedarf die Frage, ob der Senat dieser Auffassung auch für eine Fallkonstellation folgen könnte, in der - wie hier - eine von mehreren gleichzeitig zur Aburteilung anstehenden Taten von der [X.] bzw. von dem [X.] Haftbefehl nicht umfasst ist, keiner Entscheidung.

C.

Die Revision des Angeklagten:

Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die [X.] sind lückenhaft.

Das [X.] hat festgestellt, dass der Angeklagte mit rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens „voraussichtlich aus dem Bundeswehrdienst unter Aberkennung seines Ruhegehalts entlassen werden“ wird. Die [X.] lassen jedoch in ihrem Gesamtzusammenhang nicht erkennen, dass das [X.] diese für den Angeklagten mit der Verurteilung zu mehrjähriger Freiheitsstrafe verbundene belastende Wirkung strafmildernd in den Blick genommen hat.

Die beruflichen Wirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung sind regelmäßig als ein bestimmender [X.] zu berücksichtigen, wenn der Angeklagte durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert oder zu verlieren droht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. März 2019 - 5 [X.]; vom 12. Juli 2018 - 3 StR 595/17; vom 11. April 2013 - 2 StR 506/12, [X.], 522; vom 2. Februar 2010 - 4 [X.], [X.], 479 f.; und vom 26. März 1996 - 1 StR 89/96, [X.], 539, jeweils mwN; siehe auch [X.], Urteil vom 16. Dezember 1987 - 2 StR 527/87, [X.]St 35, 148, 149 mit ablehnender Anmerkung Streng, [X.], 485 ff.).

Auch wenn das Tatgericht, dem die Gewichtung dieses strafmildernden Gesichtspunkts obliegt, von Rechts wegen nicht gehalten ist, dem [X.] entscheidendes strafmilderndes Gewicht beizumessen (vgl. Schäfer/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 737), vermag der Senat ein Beruhen der [X.] auf diesem Erörterungsmangel nicht auszuschließen. Dies zieht die Aufhebung der [X.] sowie die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

II.

Auch die Einziehungsentscheidung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Gemäß § 74 Abs. 1 StGB können Gegenstände, die zur Vorbereitung oder zur Begehung einer vorsätzlichen Tat gebraucht oder bestimmt gewesen sind (Tatmittel), eingezogen werden. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts.

a) Zwar kommt die Einziehung des im Eigentum des Angeklagten stehenden Kraftfahrzeugs [X.] 535d nebst Zubehör als Tatmittel in Betracht, weil der Angeklagte es nach den Feststellungen im Fall II.B.3. der Urteilsgründe dazu genutzt hat, den [X.] auszukundschaften. Das Kraftfahrzeug diente damit der Vorbereitung der Tat. Die Ausführungen des [X.]s („war einzuziehen“) lassen jedoch nicht erkennen, dass das [X.] sich des Umstands bewusst gewesen ist, eine Ermessensentscheidung zu treffen, und von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat.

b) Hinsichtlich der vom Angeklagten bei der Tat II.B.3. der Urteilsgründe getragenen Bekleidung sowie seiner Uhr ist - worauf der [X.] in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat - eine Verwendung der Gegenstände als Tatmittel nicht festgestellt. Das bloße Tragen von Bekleidung und sonstiger Accessoires anlässlich der Tatbegehung stellt sich als bloßes Benutzen gelegentlich der Tatbegehung dar und vermag eine Einziehung als Tatmittel nicht zu rechtfertigen (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 74 Rn. 13). Weiter gehende Feststellungen, die eine Verwendung dieser Gegenstände als Tatmittel belegen könnten, erscheinen ausgeschlossen. Die Einziehung hatte daher zu entfallen.

2. Auch die auf die Vorschrift des § 184b Abs. 6 StGB gestützte Einziehung der beiden Laptops [X.] und [X.] hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil den Feststellungen auch in ihrem Zusammenhang ein [X.] nicht entnommen werden kann.

D.

Die Revision der Staatsanwaltschaft:

I.

Die Beschränkung der Revision auf die unterbliebene Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung in jeder in Betracht kommenden Form ist unwirksam.

Zwar ist eine Beschränkung der Revision auf die Frage der [X.] möglich; dies gilt auch für die [X.] der Sicherungsverwahrung. Zwischen Strafe und [X.] von Sicherungsverwahrung besteht aufgrund der Zweispurigkeit des Sanktionensystems grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. etwa [X.], Urteil vom 24. Mai 2018 - 4 [X.], NStZ-RR 2018, 305, 306 mwN). Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Tatgericht Strafe und Maßregel in einen inneren, eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließenden Zusammenhang gebracht hat (vgl. [X.], Urteile vom 22. Oktober 2015 - 4 StR 275/15, [X.], 337, 338; und vom 11. Juli 2013 - 3 [X.] mwN, insoweit in [X.], 707 nicht abgedruckt).

So liegt es hier. Das [X.] hat die [X.] auch mit Blick auf die Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs und die dadurch zu erwartende Haltungsänderung des Angeklagten abgelehnt. Damit hat es einen inneren Zusammenhang zwischen Strafhöhe und unterlassener [X.] hergestellt, der eine getrennte Überprüfung beider Rechtsfolgen ausschließt.

II.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

Das [X.] hat die formellen Voraussetzungen für die fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB rechtsfehlerfrei bejaht. Der Angeklagte wurde wegen zweier Taten der in § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB bezeichneten Art jeweils zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Begründung, mit der das [X.] einen Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB (vgl. § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB i.V.m. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB) bzw. die Wahrscheinlichkeit eines Hangs (vgl. § 66a Abs. 2 Nr. 3 StGB) verneint hat, hält hingegen revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das [X.] hat die Prüfung der [X.] mit Elementen der Gefahrenprognose vermischt und sich dadurch den Blick für die im Rahmen der [X.] erforderliche umfassende Vergangenheitsbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und der von ihm begangenen Taten verstellt.

1. Das [X.] hat im Rahmen der Prüfung der [X.] zunächst die Ausführungen des Sachverständigen wiedergegeben, der prognostisch ungünstige Umstände und prognostisch günstige Umstände einander gegenübergestellt hat. Als „prognostisch ungünstig“ hatte der Sachverständige bewertet, dass der Angeklagte aufgrund seiner Sexualpräferenzstörung, einer „homo- und heterosexuellen Pädophilie mit nachrangigen fetischistischen und dominanzorientierten Anteilen“, „zur vollen sexuellen Satisfaktion auf deviante Reizkonstellationen festgelegt“ sei und sich bislang weder mit seiner sexuellen Devianz auseinandergesetzt noch diese akzeptiert oder gar eine belastbare Kompensationsstruktur entwickelt habe. Unter Berücksichtigung der statistischen Basisrate bei Vorliegen einer homo- oder heterosexuellen Pädophilie, wie sie beim Angeklagten vorliege, die jedoch individuelle Gegebenheiten nicht berücksichtige und daher nur beschränkt aussagekräftig sei, müsse mit hoher, wenngleich nicht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte zumindest mittelfristig erneut Kinder in vorpubertärem Alter missbrauchen werde.

Diesen für eine künftige Straffälligkeit sprechenden Risikomerkmalen hat der Sachverständige mehrere „im Sinne einer langfristig positiven Legalprognose“ günstige Faktoren gegenübergestellt. Der Angeklagte werde durch die Sexualpräferenzstörung nicht in seinen Entscheidungs- und Verhaltensoptionen eingeengt, sein „pädosexuelles Interesse“ sei vielmehr „durch wirksame kognitive und affektive Strukturen überformt“. Darüber hinaus habe der Angeklagte eine „im [X.] unauffällige prädeliktische Persönlichkeitsentwicklung ohne dissoziale Züge“ genommen, weise ein hohes Maß an [X.] Kompetenz und Anpassungsfähigkeit mit gutem beruflichen Leistungsvermögen auf und sei erstmals im Alter von 50 Jahren mit pädosexuellen „Hands on“-Delikten straffällig geworden. Diese Einschätzung werde auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Angeklagte eigenen Angaben zufolge - auch im Rahmen seiner Dienstausübung - ein sexuell expansives, [X.] Verhalten an den Tag gelegt habe. Dieses auffällige Sexualverhalten habe der Angeklagte ausschließlich mit und gegenüber Erwachsenen gezeigt; deshalb liege hierin kein besonderes Risikomerkmal bezüglich etwaiger künftiger pädosexueller Delikte. Schließlich seien beim Angeklagten aufgrund seiner guten kognitiven Strukturierung und Introspektionsfähigkeit „gute Voraussetzungen für die Teilnahme an etablierten [X.] für Sexualstraftäter“ gegeben. Er verfüge über ein „grundsätzlich intaktes Normgefüge“, so dass zu erwarten sei, dass er „im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung“ durch die nunmehr zu erwartenden erheblichen strafrechtlichen Sanktionen zu beeinflussen sei.

[X.] hat auf der Grundlage der sachverständigen Ausführungen die Annahme bzw. die Wahrscheinlichkeit eines Hangs trotz der festgestellten Sexualpräferenzstörung verneint und auf die vom Sachverständigen aufgezeigten protektiven Faktoren verwiesen. Darüber hinaus hat das [X.] als gegen die [X.] sprechenden Gesichtspunkt angesehen, dass der Angeklagte aus „autonomen Motiven“ heraus den Kontakt zu      [X.] abgebrochen und versucht habe, „einen erheblichen Teil der kinderpornographischen Bilder zu löschen“, die er zuvor gespeichert habe; dies belege seine Fähigkeit zur Verhaltensumkehr.

2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das [X.] nicht hinreichend zwischen Hang und [X.] unterschieden hat. Darüber hinaus sind die Erwägungen zur [X.] lückenhaft und lassen wesentliche Gesichtspunkte außer Acht.

a) [X.] und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind, wie die begriffliche Differenzierung in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zeigt, keine identischen Merkmale.

aa) Der Rechtsbegriff des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB bezeichnet einen eingeschliffenen inneren Zustand, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Ein Hang liegt bei demjenigen vor, der dauerhaft zur Begehung von Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. September 2018 - 4 StR 192/18; und vom 24. Mai 2017 - 1 StR 598/16, [X.]R StGB § 66 Abs. 1 Hang 15; Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 [X.], [X.]St 50, 188, 195 f. mwN). [X.] ist auch derjenige, der [X.] ist und aus innerer Haltlosigkeit [X.] nicht zu widerstehen vermag.

Das Vorliegen eines Hangs im Sinne eines gegenwärtigen Zustands ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung in eigener Verantwortung wertend festzustellen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. Januar 2019 - 5 [X.]; und vom 24. Mai 2017 - 1 StR 598/16, [X.]R StGB § 66 Abs. 1 Hang 15; Urteile vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16, [X.], 246; und vom 6. Mai 2014 - 3 [X.], [X.], 271; Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 87/11, [X.], 272, 273).

bb) Demgegenüber ist im Rahmen der [X.] die Wahrscheinlichkeit dafür einzuschätzen, ob sich der Täter in Zukunft trotz Vorliegens eines Hangs erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 StR 598/16, [X.]R StGB § 66 Abs. 1 Hang 15; Urteil vom 28. April 2015 - 1 StR 594/14; Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, [X.], 203, 204). Der Hang ist dabei nur ein - wenngleich wesentliches - Kriterium, das auf eine Gefährlichkeit des Angeklagten hindeutet und als prognostisch ungünstiger Gesichtspunkt in die [X.] einzustellen ist (vgl. [X.], aaO, [X.]St 50, 188, 196).

b) Das Tatgericht hat in eigener Verantwortung zunächst das Vorliegen oder die Wahrscheinlichkeit eines Hanges unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des [X.] und der [X.] maßgeblichen Umstände vergangenheitsbezogen festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Juli 2017 - 4 StR 245/17, [X.]R StGB § 66a Abs. 1 Nr. 3 nF Voraussetzungen 1; und vom 25. März 2011 - 4 StR 87/11, [X.], 272). Prognostische Erwägungen sind erst in einem zweiten Schritt im Rahmen der [X.] anzustellen.

3. Gemessen hieran halten die Ausführungen, mit denen das [X.] einen Hang des Angeklagten bzw. die Wahrscheinlichkeit eines Hangs im Sinne des § 66a Abs. 2 Nr. 3 StGB verneint hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Das [X.] hat die Ablehnung eines Hangs mit prognostischen Erwägungen und unter Bezugnahme auf eine Reihe von protektiven Faktoren begründet. Dies gilt beispielhaft für die Erwägung, der Angeklagte bringe aufgrund „guter kognitiver Strukturierung und Introspektionsfähigkeit gute Voraussetzungen für die Teilnahme an etablierten [X.] für Sexualstraftäter“ mit. Insoweit hat das [X.] eine nur möglicherweise zu erwartende zukünftige Entwicklung zur Verneinung der [X.] herangezogen und damit verkannt, dass mögliche positive Wirkungen eines künftigen erstmaligen längeren Strafvollzugs sowie die Wirkungen von Therapieangeboten in der Haft zur Verneinung eines Hanges nicht herangezogen werden dürfen. Für die [X.] ist maßgeblich auf den Urteilszeitpunkt abzustellen; künftige, noch ungewisse Entwicklungen haben außer Betracht zu bleiben.

b) Darüber hinaus fehlt es an der erforderlichen umfassenden Erörterung der prädeliktischen Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten sowie an einer Auseinandersetzung mit den Besonderheiten der verfahrensgegenständlichen [X.]. Im Hinblick auf die prädeliktische Persönlichkeitsentwicklung und die spezifische Tatvorgeschichte hätte das [X.] in den Blick nehmen müssen, dass der Angeklagte ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen im Laufe der vergangenen Jahre immer rastloser auf der Suche nach sexuellen Kontakten war und seit dem [X.] bzw. 2013 nahezu täglich im [X.] nach sexuellen Kontakten suchte. Darüber hinaus hätte bedacht werden müssen, dass der Angeklagte, der im [X.] unter Vorspiegelung einer falschen Identität Kontakt zu      [X.] aufgenommen hatte, das spätere Missbrauchsgeschehen vor den Taten mit diesem im Einzelnen abgesprochen hatte und die Mutter des [X.] auf seine Initiative in das Tatgeschehen im Fall II.B.3. der Urteilsgründe einbezogen wurde. Auch das Verhalten des Angeklagten gegenüber dem Tatopfer, das sich nicht nur durch ein auffällig hohes Maß an Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid des Kindes auszeichnete, sondern mit einer Herabwürdigung des [X.] durch verschiedene drastische Äußerungen verbunden war, hätte der Erörterung bedurft.

4. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im unterbliebenen [X.] führt angesichts der Verknüpfung zwischen Strafe und [X.] zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.

5. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird außerdem Gelegenheit haben, den Anrechnungsmaßstab für die in [X.] erlittene Freiheitsentziehung zu bestimmen (vgl. § 51 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StGB).

Sost-Scheible     

        

Rin[X.] Roggenbuck ist im
Urlaub und daher gehindert
zu unterschreiben.

        

Bender

                 

Sost-Scheible

                 
        

Quentin     

        

     Bartel     

        

Meta

4 StR 511/18

09.05.2019

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Freiburg (Breisgau), 16. Mai 2018, Az: 6 KLs 1/18

§ 83h Abs 1 Nr 1 IRG, § 83h Abs 2 Nr 3 IRG, § 66 Abs 1 S 1 Nr 4 StGB, § 66a Abs 2 Nr 3 StGB, § 74 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.05.2019, Az. 4 StR 511/18 (REWIS RS 2019, 7436)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7436

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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