Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.07.2014, Az. VI ZB 15/14

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 4087

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB
15/14

vom
15. Juli 2014

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

ZPO § 85 Abs. 2; § 233 ([X.])

Da die [X.], die der Rechtsanwalt zuverlässigen Bürokräften überlassen darf, gerade der Vermeidung eines erfahrungsgemäß nicht gänzlich ausschließbaren Anwaltsversehens bei der Unterschriftsleistung dient, kann auf ein zeitlich vor der unterbliebenen Unterschriftskontrolle liegendes Anwaltsver-sehen im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Berufungsschrift regel-mäßig nicht zurückgegriffen werden.

[X.], Beschluss vom 15. Juli 2014 -
VI [X.]/14 -
OLG [X.]

[X.]
-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
15. Juli 2014
durch den
Vorsitzenden [X.], [X.], die Richterin Diederichsen
und [X.] und Offenloch
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der
Beklagten zu 1
wird der Beschluss des
1.
Zivilsenats
des [X.] Zwei-brücken
vom 5.
Februar 2014
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-rückverwiesen.
[X.]: 33.042,79

Gründe:
I.
Der Kläger begehrt wegen eines Unfalls von den Beklagten [X.]. Das [X.] hat den
Klageanspruch gegenüber der Beklagten zu 1 (künftig: Beklagte) dem Grunde
nach in Höhe von 50% für gerechtfertigt erklärt und gegen den Beklagten zu 2
abgewiesen. Das Urteil ist den Prozessbevoll-mächtigten der
Beklagten
am 26. April
2013 zugestellt worden. Am 24.
Mai
2013, einem Freitag, ist beim [X.]
eine Berufungsschrift aus der Kanzlei der damaligen Prozessbevollmächtigten der
Beklagten
ohne Unter-schrift des Rechtsanwalts der Beklagten eingegangen. Am Dienstag, dem 28.
Mai 2013, hat die Bedienstete der Geschäftsstelle das Fehlen der [X.]
-
3
-

schrift bei
der
Eintragung
der Berufung festgestellt. Mit Verfügung vom 31. Mai 2013, dem anwaltlichen Vertreter der
Beklagten
zugestellt am 6. Juni 2013, hat der Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats auf den Mangel hingewiesen. Am 18. Juni 2013 hat die Beklagte
eine
unterschriebene Berufungsschrift beim [X.] eingereicht und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ge-gen die Versäumung
der Berufungsfrist beantragt.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass ihr
Prozessbevollmächtigter versäumt habe, die ihm vorgelegte Berufungsschrift zu unterschreiben und -
wie geplant
-
persönlich zum [X.] mitzunehmen. Zur
Versäumung der Frist sei es gekommen, weil die Rechtsanwaltsfachangestellte B., die bereits seit 25 Jahren in der Kanzlei beschäftigt sei und sich bei der ihr obliegenden Fristenkontrolle stets als zuverlässig erwiesen habe, entgegen der bestehenden allgemeinen Anweisung
den Schriftsatz,
ohne zu kontrollieren, ob er unter-schrieben sei, zur Post gegeben und an das [X.] übermittelt [X.]. Hierbei handle es sich um einen einmaligen Fehler der Angestellten. Dazu hat der Prozessbevollmächtigte der
Beklagten
eidesstattlich versichert, dass [X.] seit 25 Jahren
in seiner Kanzlei beschäftigt sei
und sich
in dieser Zeit als kompetente und stets zuverlässige Fachkraft erwiesen habe.
[X.] hat die Angaben unter Versicherung an Eides statt
bestätigt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht
den [X.]santrag als unbegründet zurückgewiesen und darauf hingewie-sen, dass beabsichtigt sei, die Berufung der
Beklagten
als unzulässig zu ver-werfen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass das Versäumnis
des Prozess-bevollmächtigten der Beklagten, den Schriftsatz zu unterschreiben und mitzu-nehmen, die Fristversäumung
verursacht habe. Es sei weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass den Prozessbevollmächtigten daran kein Verschulden treffe. Die organisatorische Anweisung, alle ausgehenden Schriftsätze auf eine 2
3
-
4
-

vorhandene Unterschrift zu kontrollieren, habe für sich allein nicht sichergestellt, dass trotz eines auf dem Schreibtisch vorhandenen, nicht unterschriebenen Schriftsatzes zur Einlegung der Berufung die Berufungsfrist nicht versäumt werde. Zu sonstigen Anweisungen zur Sicherstellung der Einhaltung von [X.] sei nichts weiter vorgetragen.
Ob die Berufungsfrist bereits gestri-chen worden sei, als der Schriftsatz durch die Kanzleimitarbeiterin aufgefunden worden sei, weil der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufungsschrift mitnehmen sollte, lasse sich dem Vortrag ebenfalls nicht entnehmen. Die [X.]e Anweisung im Rahmen der Büroorganisation,
ausgehende Schriftsät-ze auf die Unterschrift hin zu kontrollieren, verfolge nicht den Zweck, einen vom Rechtsanwalt im Einzelfall vergessenen Schriftsatz auf den Postweg zu brin-gen.
II.
1.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §
522 Abs.
1 Satz
4,
§
238 Abs.
2
Satz 1,
§
574 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1
ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zuläs-sig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Ent-scheidung des Senats (§
574 Abs.
2 Nr.
2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss verletzt die Beklagte in ihrem
verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art.
2 Abs.
1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer [X.] die Wiedereinset-zung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflich-ten ihres
Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie
auch unter Berück-sichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. [X.] 79, 372, 376
f.; [X.], NJW-RR 2002, 1004).
4
5
-
5
-

a) Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Beklagte die bis zum Montag, dem 27. Mai 2013, laufende [X.] versäumt hat. Der am 24. Mai 2013 eingegangene Schriftsatz vom 22. Mai 2013 genügte den Anforderungen der §
519 Abs.
4, §
130 Nr.
6 ZPO nicht, weil er nicht von einem -
beim Berufungsgericht postulationsfähigen
-
Rechtsanwalt
unterschrieben war. Da auch die Beglaubigungsvermerke auf den beigefügten Abschriften nicht unterschrieben waren, kommt eine Ersetzung der fehlenden Unterschrift auf der Urschrift nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 5.
März 1954 -
VI
ZB 21/53,
LM §
519 ZPO Nr.
14; [X.], Beschluss vom 12.
Dezember 1984 -
IVb
ZB 103/84, [X.], 285, 286).
b) Der Beklagten ist
jedoch auf den fristgerecht gestellten Antrag [X.] in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren, wenn
sie letztlich ohne ein ihr
zuzurechnendes Verschulden ihres
Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Frist gehindert war (§
233 ZPO).
aa) Zwar trifft, wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, den Pro-zessbevollmächtigten der
Beklagten
ein Verschulden an der unterbliebenen Unterzeichnung der Berufungsschrift vom 22. Mai
2013, wenn er
den Schrift-satz ohne Unterschrift auf dem Schreibtisch zurückgelassen hat, anstatt ihn zu unterzeichnen und beim Berufungsgericht einzureichen.
Der
Prozessbevoll-mächtigte der Beklagten
musste nach Vorlage der Berufungsschrift [X.] dagegen treffen, dass
diese vor Unterzeichnung irrtümlicherweise in den Postausgang geraten
und ohne Unterschrift
bei Gericht eingereicht würde.
bb) Das Verschulden einer [X.] oder ihres Vertreters ist jedoch, worauf die Rechtsbeschwerde
zutreffend
hinweist,
dann nicht rechtlich erheblich, wenn die [X.] oder ihr Vertreter alle erforderlichen Schritte unternommen hat, die bei normalem Ablauf der Dinge mit Sicherheit dazu führen würden, dass
die 6
7
8
9
-
6
-

Frist gewahrt werden kann. Wird die Frist dennoch versäumt, ist nicht mehr das Verschulden der [X.] oder ihres Vertreters als ursächlich für die Versäumung der Frist anzusehen, sondern das von der [X.] nicht verschuldete Hindernis, das sich der Fristwahrung entgegengestellt hat ([X.], Beschlüsse
vom 28. No-vember 1957 -
IV
ZB 197/57, [X.], 62;
vom 29. Mai 1974 -
IV
ZB 6/74,
VersR 1974, 1001, 1002). In der Rechtsprechung ist deshalb anerkannt, dass
bei fehlender Unterzeichnung der bei Gericht fristgerecht eingereichten [X.] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ge-währt werden kann, wenn der Prozessbevollmächtigte sein Büropersonal [X.] angewiesen hatte, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der [X.] auf das Vorhandensein der Unterschrift zu überprüfen (vgl. Senatsbe-schluss vom 14. Oktober 2008 -
VI
ZB 37/08, [X.], 699
Rn. 7; [X.], Urteil vom 6. Dezember 1995 -
VIII
ZR 12/95, [X.], 910, 911; [X.], [X.] vom 30. Oktober 1974 -
VIII
ZR 30/74 = [X.], 135 unter [X.]; vom 12.
Dezember 1984 -
IVb
ZB 103/84, [X.], 285, 286; vom 23. [X.] 1986 -
VII
ZB 8/86,
VersR 1987, 383, 384; vom 27. September 1994
-
XI
ZB 9/94, [X.], 479, 480; vom 15. Februar 2006 -
XII
ZB 215/05,
[X.], 375 Rn. 9 und vom 1. Juni 2006 -
III
ZB 134/05, [X.], 1101; [X.],
NJW 1966, 799; [X.],
AP,
§
233 ZPO Nr. 66; siehe auch [X.]/
[X.],
ZPO, 30.
Aufl., §
233 Rn.
22). Da die [X.] -
die der Rechtsanwalt zuverlässigen Bürokräften überlassen darf (vgl. [X.], Beschluss
vom 23. November 1988 -
VIII
ZB 31/88, [X.], 209
mwN)
-
gerade der Vermeidung eines erfahrungsgemäß nicht gänzlich ausschließbaren Anwalts-versehens bei der Unterschriftsleistung dient, ist bei einem Versagen dieser Kontrolle ein Rückgriff auf ein Anwaltsversehen im Zusammenhang mit der Un-terzeichnung ausgeschlossen (vgl. [X.], Urteil vom 6. Dezember 1995 -
VIII
ZR 12/95, aaO).
-
7
-

cc) Dass
eine solche ausreichende Unterschriftskontrolle im Büro des
Prozessbevollmächtigten
der Beklagten
besteht, hat die Beklagte
dargelegt.
Danach sind
in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten alle An-gestellten
angewiesen, einen
Schriftsatz erst dann auf den Postweg zu geben, wenn er auf das Vorhandensein einer Unterschrift kontrolliert worden ist. Auch hat der Rechtsanwalt der Beklagten die Zuverlässigkeit seines Personals in der Befolgung von Anweisungen der eidesstattlichen Versicherung der Angestellten B. zufolge stichprobenartig überwacht. Eine darüber hinausgehende Überwa-chung ist nicht gefordert, wenn der Anwalt von der Zuverlässigkeit der Mitarbei-terin ausgehen durfte. Für Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der [X.] sprechen könnten, sind Anhaltspunkte nicht gegeben.
Mit den Erwägungen des Berufungsgerichts lässt sich mithin
ein der
Be-klagten
gemäß §
85 Abs.
2 ZPO zuzurechnendes, für die Fristversäumnis ur-sächliches
Verschulden ihres
Prozessbevollmächtigten nicht begründen.
c) Gemäß §
577 Abs.
4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. An einer Entscheidung in der Sache gemäß §
577 Abs.
5 Satz 1 ZPO ist der Senat gehindert. Es fehlt an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Beschluss. Ihm lässt sich nicht mit hinrei-chender Sicherheit entnehmen, ob das Berufungsgericht den auf den Wieder-einsetzungsantrag bezogenen Sachvortrag des [X.] für glaubhaft gemacht hält oder ob es ihn lediglich als wahr unterstellt, was von seinem -
allerdings unzutreffenden
-
Rechtsstandpunkt aus gesehen,
ausreichend wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 12. November 2013 -
VI
ZB 4/13, NJW 2014, 700
Rn.
16).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass
der angegriffene Beschluss im Hinblick auf die lückenhafte Darstellung des maßgeblichen Sachverhalts rechtlichen Bedenken begegnet.
Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unter-10
11
12
13
-
8
-

liegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge der [X.]en in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls sind sie nicht mit den nach dem Gesetz erforderlichen Gründen versehen (§
576 Abs.
3,
§
547 Nr. 6 ZPO). Das [X.] kann grundsätzlich nur von demjenigen Sachverhalt ausge-hen, den das Berufungsgericht festgestellt hat (§
577 Abs.
2 Sätze
1 und 4, §
559 ZPO). Fehlen tatsächliche Feststellungen im angefochtenen Beschluss, ist es zu einer abschließenden rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage (vgl. [X.], Beschlüsse vom 12. Juli 2004 -
II
ZB 3/03, NJW-RR 2005, 78 und vom 20. Juni 2002 -
IX
ZB 56/01, [X.], 2648, 2649).
Galke

[X.]
Diederichsen

[X.]
Offenloch
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 17.04.2013 -
4 [X.]/10 -

OLG [X.], Entscheidung vom 05.02.2014 -
1 [X.] -

Meta

VI ZB 15/14

15.07.2014

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.07.2014, Az. VI ZB 15/14 (REWIS RS 2014, 4087)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4087

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI ZB 15/14 (Bundesgerichtshof)

Versäumung der Berufungsfrist durch Einreichung eines nicht unterzeichneten Berufungsschriftsatzes: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen …


IX ZB 30/15 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei fehlender Anwaltsunterschrift auf dem Rechtsmittelschriftsatz: Allgemeine Anwaltsanweisung zur Unterschriftenkontrolle …


IX ZB 30/15 (Bundesgerichtshof)


III ZB 86/19 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist infolge Einreichung eines nicht unterschriebenen Schriftsatzes: Anwaltsversehen im Zusammenhang mit …


16 Wx 29/01 (Oberlandesgericht Köln)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VI ZB 15/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.