Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.11.2014, Az. VI ZR 76/13

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 1501

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BUN[X.]ESGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]ES VOLKES

URTEIL
VI [X.]/13
Verkündet am:

11. November
2014

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

ZPO § 286 ([X.]); BGB § 630h
a)
In [X.] hat der Tatrichter die Pflicht, Widersprüchen zwi-schen Äußerungen mehrerer Sachverständiger von Amts wegen nachzuge-hen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, auch wenn es sich um Privat-gutachten handelt.
b)
Legt eine [X.] ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so darf der Tatrichter den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt.
c)
[X.]as Fehlen der [X.]okumentation einer aufzeichnungspflichtigen
Maßnahme begründet die Vermutung, dass die Maßnahme unterblieben ist. [X.]iese [X.] entfällt weder deshalb, weil in der Praxis mitunter der Pflicht zur [X.]o-kumentation nicht nachgekommen wird, noch deshalb, weil die [X.]okumentati-on insgesamt lückenhaft ist.
[X.], Urteil vom 11. November 2014 -
VI [X.]/13 -
OLG [X.]

[X.]

-

2

-

[X.]er VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. November
2014 durch den Vorsitzenden [X.], den
[X.] Wellner, den [X.] Pauge, die [X.]in von Pentz
und den
[X.]
Offenloch
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts [X.]
vom 16. Januar
2013 aufgehoben.
[X.]ie Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
[X.]ie [X.]en streiten um Schadensersatzansprüche aus ärztlicher Be-handlung.
[X.]ie Klägerin zu 1 ist die Witwe
und Alleinerbin, die Kläger zu 2 und 3 sind die Kinder von
Christian B. (im Folgenden: Patient),
bei dem
im Sommer
2002 eine hochgradige exzentrische Mitralinsuffizienz bei partiellem Sehnen-abriss des hinteren [X.] festgestellt
wurde. [X.]er Beklagte zu 2, ge-schäftsführender
[X.]irektor und Chefarzt der Herzchirurgie der von der [X.] zu 1
betriebenen Universitätsklinik, empfahl ihm deshalb eine operative Korrek-tur der Mitralklappe. [X.]ie [X.] wurde
am 20. August 2002 durchgeführt,
ohne dass es dabei zu Komplikationen kam. Nach der [X.] wurde der
Patient auf die kardiochirurgische Intensivstation verlegt, wo die Beklagte zu 3
1
2
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3

-

als Krankenschwester
zu seiner Überwachung eingeteilt war, die Beklagte zu 5 die
Schichtdienstleitung
im Pflegedienst innehatte und die Beklagte zu 4 -
eine weitere Krankenschwester
-
ihren
[X.]ienst in einem anderen Krankenzimmer [X.]. Zwischen
22.30 Uhr und 23.00 Uhr kam es beim Patienten zu einem [X.] Zustand. Er wurde reanimiert und intubiert. Am Folgetag, dem 21. August 2002, wurde bei ihm eine hypoxische Hirnschädigung [X.]. Am 23. September 2002 verstarb der Patient in einer Rehabilitationsklinik.
[X.]ie Kläger, die insbesondere von Versäumnissen
bei der postoperativen Pflege und Überwachung des Patienten auf der Intensivstation ausgehen
und die Einwilligung des Patienten in die [X.] für unwirksam halten, nehmen
die [X.] auf Schadensersatz in Anspruch. [X.]ie Klägerin zu 1 verlangt
-
neben
der Feststellung der
Pflicht der [X.] zum Ersatz weitergehender Schäden
-
aus auf sie übergegangenem Recht des Patienten Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz wie insbesondere Fahrtkosten sowie aus eige-nem Recht Beerdigungskosten und
entgangenen Unterhalt.
[X.]ie Kläger
zu 2 und 3 machen
-
neben der Feststellung der [X.] auch ihnen gegenüber
-
ebenfalls entgangenen Unterhalt
geltend. Be-züglich der behaupteten
Überwachungs-
und Pflegeversäumnisse haben die
Kläger
insbesondere vorgetragen, die Beklagte zu 3 habe das Krankenzimmer des ununterbrochen überwachungsbedürftigen Patienten um 22.30 Uhr verlas-sen und sei erst um 22.48 Uhr zurückgekehrt, als der Patient, dessen Atemfre-quenz nicht in der gebotenen Weise alarmbewehrt überwacht worden
sei, be-reits bewusstlos und der Atemstillstand bereits eingetreten gewesen sei. Sie habe ihn damit pflichtwidrig 18 Minuten unbeaufsichtigt gelassen. [X.]er Tod des Patienten sei auf die durch den Atemstillstand verursachte Sauerstoffunterver-sorgung des Gehirns zurückzuführen.
3
-

4

-

[X.]as [X.] hat die
Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die dagegen gerichtete Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom erken-nenden Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Begehren wei-ter.
Entscheidungsgründe:
I.
[X.]as Berufungsgericht hat Behandlungs-
und Aufklärungsfehler verneint.
Hinsichtlich etwaiger Behandlungsfehler hat es nicht für erwiesen erach-tet, dass die Beklagte zu 3 den Patienten länger als
die -
unter den gegebenen Umständen nach den getroffenen Feststellungen noch nicht zu beanstanden-den
-
drei
Minuten unbeaufsichtigt gelassen hat. [X.]ie Beklagte zu 3 habe [X.] angegeben, die im Intensivpflegedokumentationssystem "Care Vue"
(im Folgenden: [X.]) um 22.35 Uhr vorgenommene Abspeicherung von den Bettnachbarn des Patienten betreffenden [X.]aten noch im [X.] des Patienten vorgenommen zu haben und erst dann weggegangen zu sein, um für den Patienten ein Schmerzmittel zu besorgen. Auch sei die Fest-stellung des [X.], die Beklagte zu 3 sei gegen 22.38 Uhr zurückge-kommen, als gerade der erste Alarm "Herzfrequenz unter 60"
losgegangen sei, nicht zu beanstanden. [X.]enn die Beklagte zu 3, die -
wie
die Beklagte zu 5
-
bei
ihrer Anhörung vor dem Berufungsgericht einen gewissenhaften und glaubwür-digen Eindruck gemacht habe, habe glaubhaft angegeben, sie sei zunächst
ins Nachbarzimmer
zu [X.]r. O., der diensthabenden Ärztin, gegangen, die dem Pati-enten sodann [X.]ipidolor verordnet habe, habe hierauf
das Medikament am "Stützpunkt"
bei der [X.] zu 5 abgeholt und habe sich dann zurück ins Krankenzimmer des Patienten begeben, was alles sehr schnell gegangen sei. Ihre
[X.]arstellung stimme mit den Angaben
der Zeugin [X.]r. O.
und der [X.] 4
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-

5

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zu 5 überein, die von keinen Verzögerungen berichtet und angegeben hätten, den Notruf der [X.]
zu 3 schon gehört zu haben, als diese quasi noch auf dem Rückweg gewesen sei. Auch aufgrund der räumlichen Verhältnisse auf der Intensivstation sei nachvollziehbar, dass die Abwesenheit der [X.] zu 3 rund drei Minuten gedauert habe. Für eine Rückkehr
der [X.] zu 3 gegen 22.38 Uhr spreche im Übrigen der Alarm "Herzfrequenz über 120"
von 22.45 Uhr, den der Sachverständige überzeugend als kardiale Antwort auf die medi-kamentöse Reanimation gewertet habe, weshalb die Reanimation zwischen 22.38 Uhr und
22.45 Uhr begonnen haben müsse.
[X.]ass die [X.] zu 3 und 5 in ihrem "[X.]"
vom 22. August 2002 und die Zeugin [X.]r. O. in ihrem Bericht vom Januar 2003 den Hilferuf der [X.] zu 3 erst für 22.48 Uhr bzw. den Beginn der Reanimation für 22.50
Uhr angegeben hätten, lasse nicht auf eine mehr als dreiminütige Abwe-senheit schließen. [X.]ie Zeitangaben könnten auf einem Irrtum beruhen. [X.]enn die Beteiligten hätten glaubhaft angegeben, den Bericht
ohne Abgleich mit den Krankenakten aus dem Gedächtnis
gefertigt zu haben; zudem habe für sie die Rekonstruktion der genauen Uhrzeit nicht im Vordergrund gestanden. Auch dass die Werte der Blutgasanalyse erst um 22.53 Uhr vorgelegen hätten, be-weise keine längere Abwesenheit der [X.] zu 3. [X.]enn nach den überzeu-genden Ausführungen des Sachverständigen könne man davon ausgehen, dass die dafür erforderliche Blutentnahme gegen 22.50 Uhr erfolgt sei, was nicht ungewöhnlich sei, da die Reanimation Vorrang habe und erst danach die Blutwerte
bestimmt würden. Hinzu
komme, dass die Systemzeiten des Herzfre-quenzalarms einerseits und des [X.]s andererseits voneinander abweichen könnten und die [X.]atenabspeicherung im [X.] um 22.35 Uhr nicht bedeute, dass die Beklagte zu 3 das Krankenzimmer nicht erst ein oder zwei Minuten später verlassen habe. [X.]a der Herzfrequenzalarm [X.] bezogen auf die Care-Vue-Zeit auch etwas später als 22.38 Uhr eingetre-7
-

6

-

ten sein
könne, könne sich die von den Klägern monierte [X.]iskrepanz zwischen Beginn der Reanimation und Blutabnahme relativieren. Weiter beweise auch der bei der Blutgasanalyse gemessene hohe [X.] nicht, dass der Patient länger als drei Minuten unbeaufsichtigt gewesen sei. [X.]enn der Sachverständige habe überzeugend ausgeführt, als Ursache hierfür komme neben einem etwa 10 bis 15-minütigen Atemstillstand bzw. einer länger andauernden Hypoventila-tion auch die Gabe von Natriumbicarbonat
während der Reanimation in [X.]. [X.]ass Natriumbicarbonat
im Rahmen der [X.] verabreicht worden sei, erscheine möglich,
auch wenn eine
Natriumbicarbonatgabe
nicht dokumen-tiert worden sei.
Zuletzt lasse sich auch aus der unstreitigen Tatsache, dass es zu einem hypoxischen Hirnschaden gekommen sei, nicht schließen, dass es vor der Reanimation eine länger andauernde Atemdepression und somit eine länger andauernde Abwesenheit der [X.] zu 3 gegeben haben müsse. [X.]enn der Sachverständige habe überzeugend ausgeführt, es sei ebenso denk-bar, dass sich die Schädigung erst während der Reanimation ereignet habe.
Auch einen Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Atemfre-quenzmessung habe das [X.] zu Recht verneint. Zwar sei zwischen den [X.]en unstreitig, dass die [X.] nicht alarmbewehrt gewe-sen sei, doch sei die im Streitfall festgestellte Handhabung nach
den überzeu-genden Ausführungen des Sachverständigen üblich und ausreichend.
Zuletzt sei die beim Patienten durchgeführte [X.] nach den überzeugenden Aus-führungen des Sachverständigen auch indiziert gewesen.
Bezüglich der von den Klägern erhobenen Aufklärungsrüge
hat das Be-rufungsgericht insbesondere ausgeführt, eine medikamentöse Behandlung und ein Hinausschieben der [X.] hätten nach den überzeugenden Ausführun-gen des Sachverständigen keine Heilungschancen geboten, vielmehr die Ge-fahr mit sich gebracht, dass sich die Herzfunktion verschlechtere und sich das 8
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7

-

Risiko bei einer späteren [X.] erheblich erhöhe oder die [X.] ganz undurchführbar werde. Echte Alternativen, über die aufzuklären gewesen wäre, hätten damit nicht vorgelegen.

II.
1. [X.]iese Erwägungen halten den Angriffen der Revision nicht in vollem Umfang stand.

a)
Nicht zu beanstanden ist
allerdings die Beurteilung
des Berufungsge-richts, der Patient sei im Hinblick auf die durchgeführte [X.] ordnungsge-mäß aufgeklärt worden, die von ihm erteilte [X.]seinwilligung mithin wirk-sam. [X.]ie von der Revision insoweit erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß §
564 Satz 1 ZPO abgesehen.
b)
[X.]ie Annahme des Berufungsgerichts, es sei nicht erwiesen, dass die Beklagte zu 3 den Patienten länger als drei Minuten unbeaufsichtigt gelassen habe, beruht indes auf [X.].
aa)
Grundsätzlich ist die Würdigung der Beweise dem Tatrichter vorbe-halten. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht gemäß §
559 Abs.
2 ZPO gebunden. [X.]ieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter ent-sprechend dem Gebot des §
286 ZPO mit dem Prozessstoff und den [X.] umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Be-weiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen [X.]enk-gesetze und Erfahrungssätze verstößt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Se-natsurteile vom 16. April 2013 -
VI
ZR 44/12, [X.], 1045 Rn.
13; vom 8.
Juli 2008 -
VI
ZR 274/07, [X.], 1126 Rn.
7; vom 1. Oktober 1996
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8

-

-
VI
ZR 10/96, [X.], 362, 364; [X.], Urteil vom 5. Oktober 2004 -
XI
ZR 210/03, [X.]Z 160, 308, 316 f.
mwN).
Solche Fehler sind im
Streitfall gegeben.
bb)
Auf [X.] beruht
zunächst die Annahme des Berufungsge-richts, aus der Tatsache, dass es beim Patienten zu einem hypoxischen Hirn-schaden gekommen sei, lasse sich nicht schließen, dass es vor der [X.] eine länger andauernde Atemdepression und somit eine länger andauernde Abwesenheit der [X.] zu 3 gegeben
habe. [X.]ie Revision beanstandet zu Recht, das Berufungsgericht habe zu dieser Einschätzung nicht gelangen [X.], ohne sich mit den entgegenstehenden Ausführungen aus dem
von den Klägern vorgelegten Privatgutachten
des [X.]r. W. auseinanderzusetzen.
(1) In [X.] hat der Tatrichter nach ständiger höchst-richterlicher Rechtsprechung
die Pflicht, Widersprüchen zwischen
Äußerungen mehrerer Sachverständiger
von Amts wegen nachzugehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, auch wenn es sich um Privatgutachten handelt
(z.B. Se-natsbeschlüsse
vom
11. März 2014 -
VI
ZB 22/13, [X.], 895 Rn.
12; vom 9. Juni 2009 -
VI
ZR 261/08, [X.], 1406 Rn.
7; Senatsurteile vom 10. Oktober 2000 -
VI
ZR 10/00, [X.], 525, 526;
vom 28. April 1998
-
VI
ZR 403/96, [X.], 853, 854; vom 24. September 1996 -
VI
ZR 303/95, [X.], 1535, 1536;
[X.]/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12.
Aufl., Rn. 765). Legt eine [X.] ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so darf der Tatrichter den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsbeschluss vom 11. März 2014 -
VI
ZB 22/13, [X.], 895 Rn. 12; [X.], Urteile vom 24. September 2008 -
IV
ZR 250/06, [X.], 1676 Rn. 11 mwN; vom 22. September 2004 -
IV
ZR 200/03, [X.], 676, 677 f.).
14
15
-

9

-

(2)
[X.]iesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht im Streitfall nicht [X.] geworden.
[X.]as Berufungsurteil stützt sich hinsichtlich der Annahme, aus dem Eintritt eines hypoxischen [X.] lasse sich nicht schließen, dass es vor der Reanimation eine länger andauernde Atemdepression und somit eine länger dauernde Abwesenheit der [X.] zu 3 gegeben haben müsse, auf die
-
vom Berufungsgericht als überzeugend erachteten
-
Ausführungen des ge-richtlich bestellten Sachverständigen. [X.]ieser hatte zuletzt ausgeführt, die Ursa-che des hypoxischen [X.] sei spekulativ; er müsse nicht schon vor der Reanimation eingetreten sein. Vielmehr könne er sich auch erst während der Reanimation ereignet haben; denn dies lasse sich auch bei einer als zügig und erfolgreich beschriebenen Reanimation nicht sicher vermeiden.
Nicht in den Blick genommen werden dabei die dieser Einschätzung ent-gegenstehenden Ausführungen des Privatgutachters [X.]r. W. [X.]ieser ist in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 8. Februar 2009 davon ausgegangen, die Hypoxie habe sich "zeitlich mit Sicherheit vor der Reanimation"
ereignet, und dies nachvollziehbar damit begründet, dass "ausweislich des [X.] rasch nach Beginn der Reanimation mit einem Sauerstoffdruck PO2
von 218 eine suffiziente Oxygenierung bestanden"
habe. [X.]em Berufungsurteil lässt sich weder
entnehmen, dass das Berufungsgericht diese fachliche Einschätzung bedacht hat, noch, aus welchen Gründen es der
Einschätzung des gerichtlich bestellten Sachverständigen den Vorzug gegenüber derjenigen des Privatgut-achters gegeben hat. Entsprechende [X.]arlegungen waren im Streitfall umso mehr veranlasst, als
-
worauf die Revision zutreffend hinweist
-
ursprünglich auch der
gerichtliche Sachverständige davon ausgegangen war, dass [X.] der rasch erfolgreich verlaufenen Reanimation davon ausgegangen wer-den müsse, "dass im Wesentlichen die Phase vor der Reanimation zerebroto-16
17
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-

10

-

xisch war"
(vgl. Ergänzende Stellungnahme zum intensivmedizinischen Fach-gutachten vom 29. Mai 2008, S. 9).
Erst im weiteren Verfahren hat er
diese Aussage dahingehend relativiert, angesichts der nach allen Berichten erfolgrei-chen Reanimation erscheine "die Theorie wahrscheinlich, dass die Hypoxie be-reits vorher eingetreten war", Beweise hierfür fänden sich aber nicht (so Ergän-zende Stellungnahme zum intensivmedizinischen Gutachten vom [X.] 2009, [X.]) bzw. im Rahmen einer Reanimation sei es auch bei optimalen Bedingungen immer möglich, dass es zu einem solchen hypoxischen Schaden wie beim Patienten komme (so Anhörung vom 7. Juli 2010). Insoweit drängte sich im Übrigen die vom Berufungsgericht nicht geklärte Frage auf, ob der Sachverständige mit der Möglichkeit einer Entstehung des hypoxischen Hirn-schadens erst im Rahmen der Reanimation
nur eine rein theoretische
Möglich-keit, die sich im Streitfall auf keine tragfähigen Anhaltspunkte stützen kann, dargelegt hat. Wäre dies der Fall, hätte sie im Rahmen der Beweiswürdigung
durch das Gericht
außer Betracht zu bleiben (vgl.
Senatsurteile
vom 24. April 2001 -
VI
ZR 258/00, [X.], 1262, 1264; vom
24. Juni 1980 -
VI
ZR 7/79,
VersR 1980, 940, 941; [X.], Urteile
vom 11. April 2013 -
I
ZR 152/11, NJW-RR 2014, 112 Rn. 17; vom 11. Juli 1991 -
III
ZR 177/90, [X.]Z 115, 141, 146).
cc)
Auf [X.] beruht darüber hinaus die Annahme des [X.], auch der bei der Blutgasanalyse gemessene [X.] von 92,0 beweise nicht, dass der Patient länger als drei Minuten unbeaufsichtigt gewesen sei.
(1)
[X.]as Berufungsgericht begründet dies
mit der Überlegung, der [X.] habe überzeugend ausgeführt, als Ursache dieses [X.]s komme neben einem etwa 10 bis 15-minütigen Atemstillstand bzw. einer über einen längeren Zeitraum andauernden Hypoventilation die
-
nach Auffassung des Berufungsgerichts
möglicherweise erfolgte
-
Gabe
von Natriumbicarbonat
19
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-

11

-

in Betracht. [X.]ass die Gabe von Natriumbicarbonat
nicht dokumentiert sei, stehe dem nicht entgegen. [X.]enn der Beklagte zu 2 habe glaubhaft erklärt, die Gabe von Natriumbicarbonat
im Rahmen einer Reanimation sei in der Herzchirurgie der [X.] zu 1 Routine. Auch der
Sachverständige
habe
bestätigt, dass es sich um eine Routinemaßnahme handle, sowie
darüber hinaus die Vermutung geäußert, dass die Gabe von Natriumbicarbonat
bei vielen Reanimationen nicht vermerkt werde.
[X.]a die [X.]okumentation im Streitfall auch an anderen Stellen lückenhaft sei, liege das nicht fern.
(2)
[X.]iese
Ausführungen verkennen
die Bedeutung der [X.]okumentation. Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats begründet das [X.] der [X.]okumentation einer aufzeichnungspflichtigen Maßnahme
die Vermu-tung, dass die
Maßnahme
unterblieben ist
(vgl. Senatsurteil vom 14.
Februar 1995 -
VI
ZR 272/93, [X.]Z 129, 6, 10; Senatsbeschluss vom 9. Juni 2009
-
VI
ZR 261/08, [X.], 1406 Rn. 4; ferner [X.]/Pauge, Arzthaftungs-recht, 12. Aufl., Rn. 548; [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., B Rn.
247; vgl. jetzt auch §
630h Abs.
3
BGB).
[X.]iese Vermutung
entfällt weder
deshalb, weil in der Praxis mitunter der
Pflicht zur [X.]okumentation nicht nachgekommen wird
(Senatsurteil vom 14. Februar 1995, aaO), noch deshalb, weil die [X.]oku-mentation insgesamt lückenhaft ist. Ob das Berufungsgericht -
was unklar bleibt
-
die [X.]okumentationspflichtigkeit der
Gabe von Natriumbicarbonat
im Rahmen einer
Reanimation aus medizinischen Gründen bejaht
oder ob es [X.] Frage letztlich offengelassen hat, kann für das Revisionsverfahren dahinste-hen. [X.]enn
die [X.]okumentationspflichtigkeit ist jedenfalls revisionsrechtlich zu unterstellen. War die Gabe
von Natriumbicarbonat
im Rahmen der Reanimation aber dokumentationspflichtig, so wäre zugunsten der Kläger zu vermuten, dass kein Natriumbicarbonat
verabreicht wurde,
und die -
von den [X.]
im Üb-rigen erst nach dem entsprechenden Hinweis des gerichtlichen Sachverständi-gen angesprochene und zudem auch dann nicht konkret
behauptete
-
Gabe
21
-

12

-

von Natriumbicarbonat
als alternative Ursache für den hohen [X.] mithin ausscheidet.
dd) [X.]a nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es sich mit den Ausführungen des
Privatgutachters [X.]r. W. auseinandergesetzt oder/und die Gabe von Natri-umbicarbonat
als Alternativursache für den hohen [X.] ausgeschlossen hätte, war das Berufungsurteil gemäß §
563 Abs.
1 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zu-rückzuverweisen.
2. Im Rahmen der erneuten Befassung wird das Berufungsgericht
auch die besondere Bedeutung zu berücksichtigen haben, die dem von den [X.] zu 3 und 5 nur
zwei Tage nach dem Vorfall verfassten "[X.]"
als Bestandteil der [X.] zukommt. Legt man die [X.]arlegun-gen im "[X.]", die Ansätze einer Erklärung für die dort angegebene Abwesenheitsdauer erkennen lassen ("[X.]ie Ampulle musste erst durch die Schichtleitung Michael"),
zugrunde, so ist von einer deutlich längeren Abwesenheitsdauer der [X.] zu 3 als die vom Be-rufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen noch als tolera-bel angesehene
[X.]auer von
drei Minuten auszugehen.
Ob vor diesem Hinter-grund im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung ein schadensursächli-cher Überwachungsfehler als bewiesen angesehen werden kann, wird das Be-rufungsgericht zu bewerten haben. Freilich wird es dabei -
wie auch bei der Bewertung der Aussagen des Sachverständigen
-
zu beachten haben, dass das "Für-Wahr-Erachten"
im
Sinne
des
§
286 ZPO vom [X.] keine absolute oder unumstößliche Gewissheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises [X.], sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Ge-wissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen
(vgl. 22
23
-

13

-

z.B. Senatsurteil vom 26. Oktober 1993 -
VI
ZR 155/92, [X.], 52, 53; ferner [X.]/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rn. 593).
Im Übrigen wird das Berufungsgericht im Rahmen der erneuten [X.] auch Gelegenheit haben, das weitere wechselseitige Vorbringen der [X.] in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.
Galke
Wellner
Pauge

von Pentz

Offenloch
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 16.03.2011 -
4 O 34/06 -

OLG [X.], Entscheidung vom 16.01.2013 -
7 [X.] -

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Meta

VI ZR 76/13

11.11.2014

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.11.2014, Az. VI ZR 76/13 (REWIS RS 2014, 1501)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1501

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