Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.03.2014, Az. 4 StR 572/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 7166

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 572/13

vom
12. März
2014
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 12.
März
2014
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 10.
Juli
2013 aufgehoben
a)
mit den zugehörigen Feststellungen, soweit die [X.] in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist; die Anordnung entfällt;
b)
im [X.]; insoweit wird von einer Entscheidung über den Adhäsi-onsantrag abgesehen.
2.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3.
Die Kosten des Rechtsmittels
und die hierdurch entstande-nen notwendigen Auslagen des [X.] fallen dem Angeklagten zur Last. Die den [X.] gerichtlichen Auslagen des [X.] werden der Staatskasse auferlegt; die besonderen Kosten des [X.] im Übrigen sowie die dem [X.] entstandenen notwendigen Auslagen trägt der An-geklagte.

-
3
-
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, schwerer Körperver-letzung, gefährlicher Körperverletzung, Fahren ohne Fahrerlaubnis und uner-laubtem Entfernen vom Unfallort zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verur-teilt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie den [X.] von einem Jahr der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung ange-ordnet und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von vier Jahren verhängt. Des Weiteren hat es den Angeklagten dem Grunde nach verurteilt, an den Nebenkläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen
in Höhe
von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 30.
Juni 2013 zu zahlen,
und festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Nebenklä-ger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Vorfall vom 20.
August 2012 noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige [X.] sind.
Hiergegen wendet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zum Wegfall der Unterbringungsanordnung und zu einer Teilaufhebung der Adhä-sionsentscheidung; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
1.
Die Anordnung der Unterbringung
in einer Entziehungsanstalt hat
keinen Bestand, weil die Urteilsfeststellungen einen symptomatischen Zusam-menhang zwischen der Tat und dem Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum nicht ergeben.
1
2
3
-
4
-
a)
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt nach §
64 Satz
1
StGB

neben dem Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen

voraus, dass die [X.] im Rausch begangen wurde oder zumindest mitursächlich auf den Hang zurückgeht, wobei die erste auf die [X.] des Rauschmittels abstellende Alternative einen Unterfall der zweiten Alternative darstellt. Erforderlich ist, dass die [X.] Tat in dem Hang ihre Wurzel findet, sie also Symptomwert für den Hang des [X.] zum Missbrauch von
Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln hat, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (vgl. [X.], [X.] vom 11.
September 1990

1
StR
293/90, [X.]R StGB §
64 Abs.
1 Hang
2; vom 18.
Februar 1997

1
StR
693/96, [X.]R StGB §
64 Abs.
1 Rausch
1; [X.] vom 28.
August
2013

4
StR
277/13, [X.], 75). Da es sich bei der Unterbringung nach §
64 StGB um eine den Angeklagten beschwerende Maßregel handelt (vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Juni 1991

4
StR
105/91, [X.]St 38, 4, 7),
muss der
symptomatische Zusammenhang ebenso wie die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des §
64 StGB bei einer An-ordnung sicher feststehen (vgl. [X.], Urteil vom 24.
Juni 2003

1
StR
2
5/03, [X.], 431; Beschlüsse vom 1.
März 2001

4
StR
36/01, [X.], 295; vom 18.
Juni 2013

4
StR
145/13).
b)
Einen Rausch des Angeklagten im Sinne eines für das Rauschmittel Alkohol typischen, die geistig-psychischen Fähigkeiten beeinträchtigenden [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 20.
September 2011

1
StR
120/11, [X.], 72, 73) bei Begehung der Tat hat die [X.] nicht festgestellt.
Der Angeklagte, der in den siebeneinhalb Stunden vor der Tat den Inhalt von sechs Flaschen Bier à
0,5
Liter zu sich genommen hatte, wies zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 0,0 bis maximal 1,0

Sein Leistungsverhalten war nicht beeinträchtigt. Alkoholbedingte Ausfalls-4
5
-
5
-
erscheinungen beim Angeklagten sind weder von den zum Tatgeschehen ge-hörten Zeugen geschildert worden, noch haben
die Filmaufnahmen der Über-wachungskameras hierfür Anhaltspunkte ergeben. Die Annahme des Land-gerichts, der Angeklagte sei gleichwohl alkoholbedingt in gewissem Umfange in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen, entbehrt daher einer tat-sächlichen Grundlage.
Anhaltspunkte dafür, dass die Tat, obwohl nicht im Rausch begangen, doch auf den Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum [X.], bestehen nicht. Bei Taten, die nicht auf die Erlangung von [X.] selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielen, bedarf die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und [X.] besonderer
hierfür sprechender Umstände (vgl. [X.], Urteil vom 18.
Februar 1997

1
StR
693/96, aaO; Beschluss vom 28.
August 2013

4
StR
277/13, aaO). Insbesondere bei Konflikttaten oder bei Taten, denen eine Provokation des [X.] durch das Opfer vorausging, liegt ein solcher Zusammenhang wenig nahe (vgl. [X.], Urteil vom 20.
September 2011

1
StR
120/11, [X.], 72, 74). Für eine Hangtat sprechende Anhaltspunkte sind hier nicht gegeben.
Nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil beging der Angeklagte die Tat, weil er das zudringliche und penetrante Verhalten des [X.], der unbedingt eine Mitnahme im Fahrzeug des Angeklagten erzwingen wollte, als nervend und ärgerlich empfand und er den ihm extrem lästig gewordenen Nebenkläger loswerden wollte. Dass die Alkoholabhängigkeit des Angeklagten bei der [X.] eine Rolle spielte, ist nicht erkennbar. Schließlich vermag der [X.], dass der Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum für dessen frühere Delinquenz mitursächlich war, den [X.] der [X.] nicht zu begründen.
6
-
6
-
c)
Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Verhandlung noch Fest-stellungen zu einem Rausch bei der Tat oder einem anderweitigen symptomati-schen Zusammenhang zwischen Tat und Hang des Angeklagten zum übermä-ßigen Alkoholkonsum getroffen werden können, und lässt daher in entspre-chender Anwendung des §
354 Abs.
1 StPO die Unterbringungsanordnung ent-fallen.
2.
Hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung hält der Feststellungsaus-spruch einer sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand. Demgegenüber begegnet das zum Schmerzensgeldanspruch des [X.] ergangene Grundurteil keinen Bedenken.
a)
Die Verfahrensrüge, mit welcher der Angeklagte beanstandet, ihm sei zum Entschädigungsantrag des [X.] keine hinreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden, ist aus den in der Antragsschrift des [X.] zutreffend dargelegten Gründen
nicht zulässig erhoben (§
344 Abs.
2 Satz
2 StPO).
b)
[X.] hinsichtlich der Verpflichtung des Ange-klagten zum Ersatz künftiger materieller und immaterieller Schäden aus dem Tatereignis kann nicht bestehen bleiben. Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass den Nebenkläger ein erhebliches Mitverschulden am Eintritt des Schadensereignisses trifft, weil dieser die Mitnahme im Fahrzeug des [X.] erzwingen wollte und er keinen
nachvollziehbaren Grund und keiner-lei Berechtigung hatte, die Fahrt des Angeklagten aufzuhalten. Deshalb steht im Raum, dass der Nebenkläger einen Teil des ihm entstandenen Schadens selbst zu tragen hat, weshalb bei dem Feststellungsausspruch gemäß §
256 Abs.
1 ZPO wegen der diesem Ausspruch zukommenden [X.] eine 7
8
9
10
-
7
-
entsprechende Quote hätte festgestellt und ausgesprochen werden müssen, in welchem Bruchteil die Schadensersatzpflicht besteht (vgl. [X.], Beschluss vom 14.
Dezember 2011

5
StR
471/11, [X.]R StPO §
406 Grundurteil
6; Urteil vom 13.
Mai 1997

VI
ZR
145/96, [X.]R ZPO §
304 Feststellungsantrag
6).
c)
Entgegen der Auffassung des [X.] ist es nicht zu beanstanden, dass das [X.]
davon abgesehen hat, das in den [X.] festgestellte Mitverschulden des Geschädigten in seinem Grundurteil zum Schmerzensgeldanspruch
durch die Festlegung einer [X.] zum Ausdruck
zu bringen
(vgl. [X.], Urteil vom 19.
Juni 2001

VI
ZR
286/00, [X.], 1115; vom 28.
März 2006

VI
ZR
50/05, [X.], 2110, 2111). Das Mitverschulden des Verletzten stellt bei der Festset-zung eines Schmerzensgelds lediglich einen
Bemessungsfaktor neben anderen dar (vgl. [X.], Urteile vom 12.
März
1991

VI
ZR
173/90, [X.], 305; vom 2.
Oktober 2001

VI
ZR
356/00, [X.], 27, 28), der mithin nicht den Grund des Anspruchs, sondern dessen Höhe betrifft. In der obergerichtlichen Recht-sprechung wird es aus verfahrensökonomischen Gründen zwar für zulässig ge-halten, das
erst
im Betragsverfahren bei der Bemessung des [X.] in die endgültige Bewertung einzustellende Mitverschulden des [X.] bereits im Grundurteil durch
die
Angabe einer zu berücksichtigenden
Mitverschuldensquote festzulegen (vgl. [X.], Urteil vom 28.
März 2006

VI
ZR
50/05, aaO; Beschluss vom 21.
August 2002

5
StR
291/02, [X.]St 47, 378, 382; Urteil vom 21.
April 1970

VI
ZR
13/69, [X.], 624; [X.], [X.], 1052; [X.], [X.], 543; Vollkommer in
[X.], ZPO, 30.
Aufl., §
304 Rn.
14 mwN; [X.] in [X.], 6.
Aufl., §
253 Rn.
70; [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 3.
Aufl., §
304 Rn.
30; aA
Musielak, ZPO, 10.
Aufl., §
304 Rn.
8). Zwingend erforderlich ist dies indes nicht.
11
-
8
-
d)
Der Senat ist nicht gehindert, wegen der Zubilligung der [X.] abweichend vom Antrag des [X.]
durch Beschluss
zu entscheiden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8.
Juli 2009

2
StR
239/09, [X.], 382; vom 5.
Januar
1999

3
StR
602/98, [X.]R StPO §
406a Abs.
2 Beschluss
1).
3.
Der nur geringfügige Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch das Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen freizustellen (§
473 Abs.
4 StPO). Die das Adhäsionsverfahren betref-fende Kosten-
und Auslagenentscheidung ergibt sich aus §
472a Abs.
1 und 2 StPO.
Mutzbauer
Cierniak
Franke

Bender
Quentin
12
13

Meta

4 StR 572/13

12.03.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.03.2014, Az. 4 StR 572/13 (REWIS RS 2014, 7166)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7166

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