Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.07.2015, Az. 2 C 43/13

2. Senat | REWIS RS 2015, 8053

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Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt einen Ausgleich für nach vorzeitiger Versetzung in den Ruhestand nicht mehr zeitlich ausgleichbare vorgeleistete Unterrichtsstunden ([X.]).

2

Die 1951 geborene Klägerin stand als Grund- und Hauptschullehrerin an einer Gesamtschule im Schuldienst des [X.]. Von August 1999 bis Juli 2008 leistete sie aufgrund einer Verwaltungsvorschrift aus dem [X.] ([X.]) über das wöchentliche Pflichtstundensoll hinaus Unterricht im Umfang von jeweils einer halben Unterrichtsstunde. Seit Januar 2010 war die Klägerin dauerhaft erkrankt. Mit Ablauf des 30. November 2010 wurde sie wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Deshalb konnten die von ihr geleisteten [X.] nicht mehr - wie im Erlass vorgesehen - in den Jahren vor Erreichen der Regelaltersgrenze zeitlich voll ausgeglichen werden. Einen Ausgleich in Geld schloss der Erlass aus.

3

Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin ab, ihr für die nicht zeitlich ausgeglichenen [X.] einen finanziellen Ausgleich zu gewähren. Der dagegen gerichtete Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos.

4

Auf die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. August 2012 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin durch die Weigerung des Beklagten, ihr einen finanziellen Ausgleich für nicht zeitlich ausgeglichene [X.] zu gewähren, in ihren Rechten verletzt wird. Im Übrigen - soweit die Klägerin für die Zeit der geleisteten [X.] einen finanziellen Ausgleich begehrt hat - hat es die Klage als unbegründet abgewiesen.

5

Auf die Berufung ausschließlich des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Eine Rechtsverletzung der Klägerin liege nicht vor. Die [X.]regelung betreffe lediglich den Teil der Arbeitszeit, den die Lehrkräfte durch Unterricht zu erfüllen haben und lasse die in der Arbeitszeitverordnung geregelte durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Beamten unberührt.

6

Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragt die Klägerin,

das Urteil des [X.] vom 25. März 2013 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 8. August 2012 zurückzuweisen, mit der Maßgabe festzustellen, dass die Klägerin durch die Weigerung des Beklagten in ihren Rechten verletzt wird, für die infolge ihrer Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nicht mehr im Wege des zeitlichen Ausgleichs kompensierbaren [X.] eine Regelung über einen angemessenen Ausgleich zu schaffen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Das angefochtene Urteil des O[X.]verwaltungsgerichts [X.]uht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) und die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 [X.]).

9

Das O[X.]verwaltungsgericht hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Schaffung einer angemessenen Ausgleichsregelung für geleistete, a[X.] zeitlich nicht mehr ausgleichbare [X.] verneint.

1. Die Feststellungsklage ist zulässig. Mit ihr kann die wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzte Klägerin die Feststellung begehren, die Weigerung des Beklagten, eine Regelung ü[X.] den angemessenen Ausgleich für die nicht mehr zeitlich gesondert kompensierbaren [X.] zu erlassen, verletze sie in ihren Rechten. Das einer Klärung zugängliche Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 [X.] ist die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Ausgleich für geleistete, a[X.] zeitlich nicht mehr erlassgerecht ausgleichbare [X.] hat und ob der Beklagte dadurch, dass er einen solchen Ausgleich ablehnt, Rechte der Klägerin aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Januar 2006 - 1 BvR 541, 542/02 - [X.]E 115, 81 <95 f.>).

Dem auf Feststellung eines Anspruchs auf [X.] gerichteten Klageantrag steht auch der Gedanke der Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 Satz 1 [X.]) nicht entgegen. [X.] gegenü[X.] Leistungsklagen gegen den Staat sind nur dann subsidiär, wenn andernfalls die Sonderregelungen ü[X.] Fristen und Vorverfahren für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen unterlaufen würden (stRspr, vgl. u.a. [X.], Urteile vom 2. Juli 1976 - 7 C 71.75 - [X.]E 51, 69 <75>, vom 25. Januar 2001 - 2 A 4.00 - [X.] 232 § 26 [X.] Nr. 39 S. 2 und vom 4. Juli 2002 - 2 C 13.01 - [X.] 240 § 49 [X.] Nr. 2 [X.]). Dies ist hier nicht der Fall.

Wegen der fehlenden normierten Rechtsgrundlage muss sich die Klägerin deshalb nicht auf den unsicheren Weg des [X.] verweisen lassen. Denn [X.] und Zahlung sind jeweils unterschiedliche Rechtsschutzbegehren.

Schließlich ist - entgegen der Auffassung des Beklagten - auch ein der Klärung zugängliches konkretes Rechtsverhältnis der Klägerin zu dem materiell-rechtlich verpflichteten Land gegeben. Die Klage richtet sich zwar gegen das [X.]. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass das [X.] gemäß der ihm in § 61 Nr. 3, § 78 Abs. 1 Nr. 2 [X.] eingeräumten Befugnis in § 6 des Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung vom 6. März 1990 ([X.]. Schl.-H. [X.], [X.]. [X.]) bestimmt hat, dass die Klage gegen die Landesbehörde zu richten ist, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat. Diese Regelung bewirkt, dass die Landesbehörde in passiver Prozessstandschaft für die Körperschaft handelt. Hat ein Land von der Ermächtigung in § 78 Abs. 1 Nr. 2 [X.] Gebrauch gemacht, kann die Klage nicht gegen den Rechtsträger erhoben werden, obgleich dieser allein [X.] des materiell-rechtlichen Anspruchs ist und daher durch das Urteil ausschließlich der Rechtsträger, nicht a[X.] die beklagte Behörde selbst verpflichtet wird (vgl. [X.], Urteil vom 25. August 1988 - 2 C 62.85 - [X.]E 80, 127 <128>; [X.] in: [X.]/[X.], [X.], 4. Aufl. 2014, § 78 Rn. 28).

2. Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schaffung einer angemessenen Ausgleichsregelung für die von ihr geleisteten, a[X.] zeitlich nicht mehr ausgeglichenen [X.]. Das Land ist verpflichtet, infolge von dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzten Lehrern einen angemessenen Ausgleich für erbrachte, a[X.] nicht mehr ausgeglichene [X.] zu gewähren, um eine gleichheitswidrige Benachteiligung gegenü[X.] den Vergleichsgruppen der Lehrer, die keine [X.] geleistet haben und der Lehrer, die einen vollständigen Zeitausgleich für erbrachte [X.] erhalten haben, zu vermeiden. Daher verletzt das Berufungsurteil Bundesverfassungsrecht, nämlich Art. 3 Abs. 1 GG.

Der allgemeine Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Es bleibt dem Normge[X.] ü[X.]lassen, aufgrund autonomer Wertungen die Differenzierungsmerkmale auszuwählen, an die er eine Gleich- oder Ungleichbehandlung anknüpft. Die Ungleichbehandlung von Sachverhalten ist erst dann geboten, wenn eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise ergibt, dass die Ungleichheiten so bedeutsam sind, dass ihnen Rechnung getragen werden muss. Dies setzt voraus, dass sich im Hinblick auf die Eigenart des in Rede stehenden Sach[X.]eichs ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Gleichbehandlung nicht finden lässt ([X.], Urteil vom 27. März 2014 - 2 C 50.11 - [X.]E 149, 244 Rn. 13).

Die vorliegend aufgrund des [X.]es aus dem [X.] zu beurteilenden Sachverhalte betreffen den bis zum Ende des Schuljahres 2013/2014 reichenden Ü[X.]gangszeitraum, bis zu dem die Rechtsprechung die Regelung von Pflichtstunden für Lehrer durch [X.] unbeanstandet gelassen hat. Seither sind [X.] durch Rechtsverordnung auf gesetzlicher Grundlage festzulegen ([X.], Urteil vom 30. August 2012 - 2 C 23.10 - [X.]E 144, 93 Rn. 15 f.).

Nach dem [X.] dient die Regelung der [X.] der Deckung eines vorü[X.]gehenden [X.]. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass [X.] wegen des späteren zeitlichen Ausgleichs die Regelarbeitszeit für Lehrer nicht erhöhen. Die vorü[X.]gehende Erhöhung der wöchentlichen Pflichtstundenzahl und deren späterer zeitlicher Ausgleich durch die Ermäßigung der Arbeitszeit nach Wegfall des Mehrbedarfs stehen in einem untrennbaren Zusammenhang. Durch die Einführung von [X.] wird die insgesamt gleich bleibende Arbeitszeit langfristig ungleichmäßig verteilt ([X.], Urteil vom 28. Novem[X.] 2002 - 2 CN 1.01 - [X.]E 117, 219 <222 f.>).

Der Beklagte hat bewusst einen Ausgleichsmechanismus durch die konkrete Verknüpfung zwischen [X.] und [X.] geschaffen. Zwischen der Vorleistung und dem späteren Ausgleich besteht ein untrennbarer Zusammenhang. Nach der [X.] soll nur derjenige Beamte in den Genuss des Ausgleichs kommen, der zuvor entsprechende Vorleistungen erbracht hat. Die Verpflichtung, [X.] zu leisten, unterliegt einer Altersbegrenzung, die den Zweck hat, die Möglichkeit eines späteren zeitlichen Ausgleichs der geleisteten Vorarbeit sicherzustellen. Im Übrigen sieht die [X.] vor, dass der zeitliche Ausgleich nur in dem Umfang erfolgen soll, in dem zuvor [X.] erteilt wurden. Dieser Gedanke kommt in § 8 Abs. 3 zum Ausdruck, der nur einen zeitanteiligen Ausgleich vorgeleisteter Stunden vorsieht. Der Ausgleichsmechanismus funktioniert, wenn der Lehrer die Regelaltersgrenze erreicht. Auch den Fall des [X.] etwa bei Altersteilzeit im Blockmodell löst der Mechanismus mit der Verblockung des zeitlichen Ausgleichs der [X.] sachgerecht.

Gestört wird der besondere, auf Kompensation ausgerichtete Mechanismus indes, wenn der Ersatz erbrachter [X.] durch [X.] ganz oder teilweise nicht mehr möglich ist, weil die Dienstleistungspflicht des Lehrers ohne vorherigen Ausgleich endet. Dazu kommt es bei der dauernden Dienstunfähigkeit des Lehrers. In diesen Fällen werden die betroffenen Lehrer sowohl gegenü[X.] der Vergleichsgruppe der Lehrer, die keine [X.] geleistet haben, als auch gegenü[X.] denjenigen, die einen vollständigen Zeitausgleich für erbrachte [X.] erhalten haben, ungleich behandelt. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen sachlichen Grund. Der Dienstherr muss sich an der von ihm gewählten Konstruktion festhalten lassen. Das gilt insbesondere dann, wenn dieser Ausgleichsmechanismus aus Gründen scheitert, die der betroffene Beamte nicht zu vertreten hat, hier die vorzeitige Zurruhesetzung infolge dauernder Dienstunfähigkeit. Andernfalls käme es bei dieser Gruppe von Lehrern faktisch zu einer Erhöhung der Pflichtstundenzahl und damit der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit. Nach der Rechtsprechung des Senats besteht ein Ausgleichsanspruch, den der Beamte durch "Vorarbeit" erdient hat, wenn die Inanspruchnahme der Gegenleistung - hier: der spätere zeitliche Ausgleich - nachträglich unmöglich geworden ist (vgl. zur Altersteilzeit im Blockmodell [X.], Urteil vom 16. Okto[X.] 2008 - 2 C 15.07 - [X.] 237.7 § 78b [X.] Nr. 2 Rn. 20 sowie zuletzt Beschluss vom 23. April 2015 - 2 [X.] - juris Rn. 9, 13).

Daraus folgt die Verpflichtung des Dienstherrn, für Lehrer, die den zeitlichen Ausgleich in dem dafür vorgesehenen Zeitraum aus von ihnen nicht zu vertretendem Grund nicht in Anspruch nehmen können, einen angemessenen anderen Ausgleich vorzusehen ([X.], Urteil vom 28. Novem[X.] 2002 - 2 CN 1.01 - [X.]E 117, 219 <227>). Bei derartigen Störungen eines besonderen, vom Dienstherrn gewählten Ausgleichsmechanismus kann aus Art. 3 Abs. 1 GG indes nicht ohne Weiteres ein Anspruch auf Ausgleich durch finanzielle Entschädigung hergeleitet werden. Vielmehr obliegt dem Dienstherrn zu entscheiden, welche angemessene Ausgleichsmaßnahme an die Stelle des nicht (vollständig) möglichen zeitlichen Ausgleichs in dem dafür vorgesehenen Zeitraum treten soll ([X.], Beschluss vom 15. Septem[X.] 2011 - 2 [X.] - juris Rn. 7).

In welcher Form der Rechtsverletzung abgeholfen wird, steht in der Entscheidungsfreiheit des Beklagten. Auf Grundlage der Rechtsprechung des Senats kommt etwa der Erlass einer Verordnung und eine (Rechtsfolgen-)Verweisung auf die Landesverordnung ü[X.] die Gewährung von [X.] und Beamte (Mehrarbeitsvergütungsverordnung) vom 8. Juni 2010 ([X.]. Schl.-H. 2010, 483) in Betracht. Auf die Besoldung als Ausgleichssurrogat kann nicht zurückgegriffen werden, da die Besoldung kein Entgelt im Sinne einer Entlohnung für konkrete Dienste darstellt, sondern vielmehr die Gegenleistung des Dienstherrn dafür ist, dass sich der Beamte mit voller Hingabe der Erfüllung seiner Dienstpflichten widmet. Sie ist nicht auf den Ausgleich oder die Entlohnung von Arbeitsstunden, sondern auf die Sicherstellung einer amtsangemessenen Lebensführung gerichtet (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juli 2012 - 2 C 29.11 - [X.]E 143, 381 Rn. 39 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 [X.].

Meta

2 C 43/13

16.07.2015

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 25. März 2013, Az: 2 LB 45/12, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.07.2015, Az. 2 C 43/13 (REWIS RS 2015, 8053)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8053

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