Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.03.2022, Az. 6 StR 606/21

6. Strafsenat | REWIS RS 2022, 550

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Notwendige Feststellungen zum Vorliegen schweren anderen seelischen Abartigkeit bei diagnostizierter schizoider Persönlichkeitsstörung; Heranziehung früherer Taten bei der Gefährlichkeitsprognose


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 11. August 2021 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat weder im Schuld- noch im Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3

2. Hingegen hält die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4

Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.](en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.](en) zu entwickeln. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 26. September 2019 – 4 StR 24/19, NStZ-RR 2020, 9; vom 10. November 2015 – 3 [X.], [X.], 144 mwN).

5

Diesen Anforderungen wird die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB in zweifacher Hinsicht nicht gerecht.

6

a) Bereits die von der [X.] angenommene erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der [X.] ist nicht hinreichend belegt. Die Erwägungen des [X.]s, das im [X.] an den gehörten psychiatrischen Sachverständigen eine kombinierte schizoid-paranoid geprägte Persönlichkeitsstörung ([X.]) des Angeklagten angenommen hat, die die Qualität einer schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB erreiche und zu einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei der [X.] geführt habe, sind lückenhaft.

7

aa) Ob eine durch einen Sachverständigen diagnostizierte schizoide Persönlichkeitsstörung gemäß [X.] die Voraussetzungen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erfüllt, ist eine Rechtsfrage, die das Tatgericht wertend zu entscheiden hat (vgl. [X.], Urteil vom 14. April 1999 – 3 StR 45/99, [X.], 395). Dabei kommt es maßgebend auf den Ausprägungsgrad der Störung und ihren Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit des Betroffenen an. Von wesentlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob es infolge der die Persönlichkeitsstörung begründenden Verhaltens- und Erlebnisbesonderheiten auch im Alltag außerhalb der angeklagten Delikte zu Einschränkungen des beruflichen und [X.]n Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn sich das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als „schwere andere seelische Abartigkeit“ angesehen werden (vgl. [X.], Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 [X.], [X.]St 49, 45, 52 f.; Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 [X.], [X.], 309).

8

bb) Eine diesen Vorgaben entsprechende umfassende Bewertung der Schwere der angenommenen Persönlichkeitsstörung hat das [X.] nicht vorgenommen. Soweit sich die [X.] bei der Prüfung der Voraussetzungen der Maßregel nach § 63 StGB überhaupt zum Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit des Angeklagten verhalten hat, betrifft dies im Wesentlichen Umstände aus seiner Jugend und frühen Erwachsenenzeit wie etwa das Nichterreichen zunächst angestrebter schulischer oder beruflicher Qualifikationen ([X.] i.V.m. S. 31).

9

Wesentliche Umstände bleiben demgegenüber unerörtert. Aus den zur Person getroffenen Feststellungen ist ersichtlich, dass der zur Tatzeit im Dezember 2020 33-jährige Angeklagte im Jahr 2013 eine dreijährige Ausbildung zum Bürokaufmann erfolgreich abgeschlossen hatte, von 2012 bis zum Jahreswechsel 2018/2019 eine mehrjährige partnerschaftliche Beziehung führte, seinen aus dieser Beziehung stammenden [X.] mehrmals wöchentlich betreut, regelmäßig seinem Hobby, der Jagd, nachgeht, keine Vorstrafen hat, seit 2015 in einem Beamtenverhältnis berufstätig ist und im Jahr 2020 zum Beamten auf Lebenszeit ernannt wurde. Diese Umstände, die gegen eine gravierende Einschränkung der [X.]n Anpassungsfähigkeit des Angeklagten sprechen, hätten im Zusammenhang mit der Frage, ob es bei ihm zu zeitlich stabilen und gewichtigen Beeinträchtigungen seiner [X.]n Kompetenz gekommen ist, der Erörterung durch das [X.] bedurft.

b) Darüber hinaus hat die [X.] nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Angeklagten in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

aa) Das [X.] hat im [X.] an den gehörten Sachverständigen zur Begründung der Gefährlichkeitsprognose – neben der [X.] vom Dezember 2020 – maßgeblich auf frühere Brandstiftungen des Angeklagten in den Jahren 2004 und 2008 abgestellt, zu denen es bei der Darstellung der persönlichen Verhältnisse Feststellungen getroffen hat.

bb) Die Begründung der Gefährlichkeitsprognose hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Denn wenn das Tatgericht diese Prognose auch auf frühere Taten stützt, müssen die im Urteil dazu getroffenen Feststellungen belegen, dass auch sie auf der Erkrankung des [X.] beruhen, die die Einschränkung seiner Schuldfähigkeit bei der [X.] begründet (vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 13. Januar 2021 – 2 [X.]; vom 26. September 2019 – 4 StR 24/19, aaO; vom 10. Mai 2016 – 4 [X.], [X.], 719; vom 8. August 2007 – 2 StR 296/07, [X.], 468). Dies lässt sich den zu den früheren Taten getroffenen Feststellungen der [X.] nicht hinreichend entnehmen, zumal ein im Jahr 2008 im damaligen Strafverfahren eingeholtes psychiatrisches Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis gelangte, dass der Angeklagte eine Anpassungsstörung mit depressiven Symptomen ([X.] 32.1) aufgewiesen habe.

3. Über den [X.] muss daher nochmals tatrichterlich entschieden werden, naheliegend unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen. Der Schuld- und der Strafausspruch werden von der Aufhebung der Maßregel nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass eine erneute Verhandlung zur Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten führen wird.

Durch die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der schweren Brandstiftung und die deshalb vorgenommene Strafrahmenverschiebung ist der Angeklagte nicht benachteiligt.

[X.]     

      

Feilcke     

      

Tiemann

      

Wenske     

      

Fritsche     

      

Meta

6 StR 606/21

23.03.2022

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Schwerin, 11. August 2021, Az: 32 KLs 9/21

§ 20 StGB, § 63 StGB, § 306 StGB, §§ 306ff StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.03.2022, Az. 6 StR 606/21 (REWIS RS 2022, 550)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 550

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 494/12 (Bundesgerichtshof)

Jugendstrafverfahren: Schuldunfähigkeit wegen diagnostizierter schizoider Persönlichkeitsstörung; Verhängung von Jugendstrafe an Stelle der aufgehobenen Unterbringungsanordnung


4 StR 120/12 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Notwendige Urteilsfeststellungen zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit aufgrund …


4 StR 65/17 (Bundesgerichtshof)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Verminderte Schuldfähigkeit bei Borderlinestörung


3 StR 479/18 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Feststellung des Eingangsmerkmals im Rahmen der Schuldfähigkeit; Eingangsmerkmal bei emotional instabiler Persönlichkeitsstörung


1 StR 395/17 (Bundesgerichtshof)

Schuldfähigkeitsprüfung im Strafverfahren wegen des Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften: Anforderungen an Feststellung der Eingangsmerkmale …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.