Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.01.2011, Az. 2 AZR 646/09

2. Senat | REWIS RS 2011, 10013

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Gegenstand

Internationale Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit - Auslegung von Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO - "gewöhnlicher Arbeitsort" eines zwischen Deutschland und den Niederlanden verkehrenden Binnenschiffers


Leitsatz

Gewöhnlicher Arbeitsort iSd. Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO (juris: EGV 44/2001) ist der Ort, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag erfüllt.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 28. Mai 2009 - 13 [X.] 1492/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die [X.]irksamkeit einer von der [X.] ausgesprochenen ordentlichen Kündigung und in diesem Zusammenhang über die die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte.

2

Der 1981 geborene und in [X.] lebende Kläger trat im April 2003 als Binnenschiffer/Matrose gegen eine Monatsbruttovergütung von 1.766,96 [X.] in die Dienste der [X.]. Zuvor war er aufgrund befristeter Arbeitsverträge für die Reederei H. tätig gewesen, die zu dem - seit über 200 Jahren in [X.] ansässigen und weltweit operierenden - [X.] gehörte. Um 1995 hatte sich der H.-Konzern von der Seeschifffahrt, bis zum Jahre 2002 auch von der von [X.] aus betriebenen Binnenschifffahrt getrennt. Im Jahre 2003 wurden die vormals dem H.-Konzern zugehörigen Unternehmen der Schifffahrt in [X.] umbenannt. Die Beklagte ist ein Unternehmen dieser Gruppe, die von [X.] aus operiert. Eines der dort ansässigen Unternehmen der Gruppe ist die Muttergesellschaft der [X.].

3

Die Beklagte selbst bereedert Binnenschiffe, die im Eigentum der Muttergesellschaft stehen. Sie beschäftigt etwa 195 Mitarbeiter und hat ihren Sitz in [X.] im [X.], etwa 250 Meter von der [X.] Grenze entfernt. Dort unterhält sie ein Büro, in welchem zwei Mitarbeiter für Personalverwaltung und weitere zwei für Buchhaltung zuständig sind. Grundlage des Arbeitsverhältnisses bildete zuletzt der vom Kläger in dem [X.] Büro unterzeichnete Arbeitsvertrag vom 30. Dezember 2003. Der Geschäftsführer der [X.] arbeitet sowohl im [X.] Büro als auch in [X.]. Die Schiffe fahren unter [X.] Flagge. Die Beklagte ist nach luxemburgischem Recht Inhaberin einer Ausrüsterbescheinigung, welche sie berechtigt, das Schiff mit Personal nach luxemburgischem Recht zu besetzen.

4

Der Kläger war auf einem Schubschiff eingesetzt, das im sogenannten „[X.]“ den [X.] zwischen [X.] und [X.] befuhr. Der [X.] fließt auf dieser Strecke zu einem Drittel auf [X.] und zu zwei Dritteln auf [X.] Staatsgebiet. Im „[X.]“ schiebt das Schubschiff mit Erz beladene Leichter von [X.] nach [X.], liefert die Ladung ab, nimmt leere Leichter auf, schiebt diese zurück nach [X.] und so fort. Dabei fährt das Schubschiff rund um die Uhr. Landgänge der Besatzung finden nicht statt. An Bord befinden sich jeweils drei Besatzungen, die im Schichtbetrieb tätig sind. Die Arbeitnehmer haben im [X.]echsel jeweils zwei [X.]ochen Dienst und zwei [X.]ochen frei. Die Besatzungen bestehen zu [X.] aus [X.] und zu [X.] aus [X.] Staatsangehörigen. Auf den [X.] wurde ausschließlich deutsch gesprochen.

5

Aufgrund einer Anweisung der [X.] haben sich die Arbeitnehmer zu Beginn der zweiwöchigen Arbeitsschicht zunächst um 11:00 Uhr an einer Bäckerei im [X.]er Hauptbahnhof einzufinden. Von dort wird telefonisch erfragt, wo sich das Schiff gerade befindet, und alsdann festgelegt, an welcher Stelle der [X.]echsel der Schiffsbesatzungen stattfinden soll. Zwischen [X.] und [X.] bestehen etwa 15 bis 20 Haltepunkte, an denen ein [X.]echsel der Schiffsbesatzung möglich ist. Mit einem von der [X.] bezahlten [X.] fahren die Arbeitnehmer von [X.] zu der verabredeten Stelle und gehen an Bord. Teilweise reist auch einer der Arbeitnehmer mit einem von der [X.] gestellten Leihfahrzeug zum [X.]er Hauptbahnhof, nimmt dort Kollegen auf und fährt mit ihnen zur verabredeten Stelle. Die von Bord gehende Besatzung wiederum fährt mit dem [X.] oder dem Leihwagen zum [X.]er Hauptbahnhof zurück. Die Beklagte hat diesen Treffpunkt ausgewählt, weil er, bezogen auf die Haltepunkte an der [X.]strecke, für die aus dem ganzen [X.] anreisenden Arbeitnehmer am verkehrsgünstigsten gelegen ist. In [X.] fanden auch Betriebsversammlungen statt.

6

Ebenfalls in [X.] befinden sich nach Darstellung der [X.] zahlreiche ihrer Zulieferbetriebe. Sie versorgen die Schiffe der [X.] mit Material. Die Beklagte sieht [X.] als Standort an, wo Material oder auch Arbeitskleidung und Proviant für die Besatzungen mit dem sog. [X.] an Bord genommen werden können.

7

Durch Schreiben vom 10. Dezember 2007 sprach die Beklagte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien aus.

8

Mit seiner beim Arbeitsgericht [X.] erhobenen Klage hat der Kläger die [X.] der Kündigung geltend gemacht. Die [X.] Arbeitsgerichtsbarkeit sei zur Entscheidung des Falles international zuständig. Der Kläger hat behauptet, er sei regelmäßig in [X.] an bzw. von Bord gegangen. In [X.] habe er nur den Arbeitsvertrag unterschrieben, was etwa 90 Minuten gedauert habe, und sich einmal einer Eignungsuntersuchung gestellt.

9

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die unter dem 10. Dezember 2007 verfassten Kündigungen weder zum 31. Dezember 2007 noch zum 15. Februar 2008 sein Ende gefunden hat.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat gerügt, die Zuständigkeit der [X.] Gerichtsbarkeit sei nicht gegeben. Die gesamte Personalführung sei von [X.] aus erfolgt. [X.]ährend seiner Arbeitsunfähigkeit habe der Kläger auch Krankengeld von der [X.]ischen Krankenkasse bekommen und sei vom medizinischen Dienst der Krankenkassen nach [X.] eingeladen worden. Jedenfalls habe der Kläger keinen Arbeitsort in [X.] gehabt.

Das Arbeitsgericht hat sich als international unzuständig angesehen und die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte bejaht und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die [X.]iederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die [X.] Gerichte sind zur Entscheidung des Rechtsstreits zuständig.

I. Die internationale Gerichtszuständigkeit richtet sich nach der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ([X.]).

1. Die [X.] ist seit ihrem Inkrafttreten am 1. März 2002 in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar. Sie geht nationalem Recht im Rang vor ([X.] 24. September 2009 - 8 [X.] - Rn. 26 mwN, [X.] [X.] Art. 18 Nr. 1 = EzA [X.]-Vertrag 1999 Verordnung 44/2001 Nr. 4).

2. Die [X.] ist auf die Beklagte anwendbar, da sie ihren Sitz im [X.] hat. Nach Art. 60 Abs. 1 [X.] haben Gesellschaften und juristische Personen ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Das ist hier W im [X.].

II. Da Gegenstand des Verfahrens Ansprüche sind, die aus einem individuellen Arbeitsvertrag abgeleitet werden, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach dem Kapitel II Abschn. 5 der [X.], also nach deren Art. 18 ff., soweit darin nicht auf andere Vorschriften der [X.] verwiesen wird ([X.] 22. Mai 2008 - [X.]/06 - [Glaxosmithkline] Rn. 19, Slg. 2008, I-3965).

1. Die internationale Zuständigkeit der [X.] Arbeitsgerichte ergibt sich nicht aus einer rügelosen Einlassung der Beklagten. Eine stillschweigende Zuständigkeitsvereinbarung - zuständigkeitsbegründende Einlassung -, die auch im Rahmen der [X.] möglich ist ([X.] 20. Mai 2010 - [X.]/09 - Rn. 21, VersR 2010, 1099), ist nicht zustande gekommen. Die Beklagte hat von vornherein und - obwohl eine Einlassung im Gütetermin nicht zuständigkeitsbegründend wäre ([X.] 24. September 2009 - 8 [X.] - Rn. 38 mwN, [X.] [X.] Art. 18 Nr. 1 = EzA [X.]-Vertrag 1999 Verordnung 44/2001 Nr. 4) - noch vor dem Gütetermin die fehlende internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte geltend gemacht.

2. Die internationale Zuständigkeit der [X.] Arbeitsgerichte folgt nicht aus Art. 19 Nr. 1 [X.]. Die Beklagte hat ihren Wohnsitz nicht in [X.], sondern in Luxemburg.

3. Die [X.] Arbeitsgerichte sind jedoch nach Art. 19 Nr. 2 Buchst. a [X.] zuständig. Nach dieser Bestimmung kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, auch an dem Ort in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Dieser Ort - der gewöhnliche Arbeitsort - liegt im Streitfall in [X.].

a) Der [X.] hat die Frage einer Vorlage nach Art. 267 AEUV anhand der vom [X.] (21. Dezember 2010 - 1 BvR 506/09 - GRUR 2011, 225) aufgestellten Maßstäbe geprüft. Da die im Streitfall maßgebliche Auslegungsfrage geklärt ist, liegen die Voraussetzungen einer Vorlage nach Art. 267 AEUV nicht vor. Der für die Auslegung des Art. 19 Nr. 2 Buchst. a [X.] zuständige Gerichtshof der [X.] ([X.]) hat sich mit dieser Norm bisher zwar nicht unmittelbar befasst. In einem Art. 19 [X.] betreffenden Vorlageverfahren, das ihm vom [X.] von [X.] unterbreitet wurde, erklärte er sich für unzuständig nach Art. 68 [X.]-Vertrag ([X.] 10. Juni 2004 - [X.]/03 - [[X.]] Slg. 2004, [X.]). Jedoch hat der [X.] für die, soweit von Interesse, wortidentische Vorgängerregelung des Art. 19 Nr. 2 Buchst. a [X.], nämlich Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ([X.] Übereinkommen), bereits eine verbindliche Auslegung vorgenommen, auf die zurückzugreifen ist ([X.] 10. Juli 2008 - ObA 33/08y - IPRax 2010, 71; zustimmend [X.] 2010, 59; MünchKomm ZPO/[X.] 3. Aufl. Art. 19 [X.] Rn. 1 - 2; Hk-ZPO/[X.] 4. Aufl. Art. 19 [X.] Rn. 4). Der [X.] legt sie seiner Entscheidung zugrunde.

aa) Für die Bestimmung der Zuständigkeit im Rahmen von Art. 5 Nr. 1 des [X.] Übereinkommens ist diejenige Verpflichtung als maßgeblich anzusehen, die für den Arbeitsvertrag charakteristisch ist, also die Pflicht zur Verrichtung der Arbeit. Dabei steht das Bestreben nach einem stärkeren Schutz der Arbeitnehmer im Vordergrund ([X.] 26. Mai 1982 - [X.]/81 - [[X.]] Slg. 1982, [X.]). Dieses Ziel gilt nach dem Erwägungsgrund 13 auch für die [X.]. Sie will bei Arbeitssachen die schwächere [X.] durch die Zuständigkeitsvorschriften in den Art. 18 - 21 [X.] schützen. Die Regeln über die internationale Zuständigkeit sollen für die schwächere [X.] günstiger sein als die allgemeinen Regeln (Schlussanträge der Generalanwältin [X.] vom 16. Dezember 2010 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 50).

bb) Als Ort, an dem die für den Vertrag charakteristische Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, ist der Ort anzusehen, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber hauptsächlich erfüllt ([X.] 13. Juli 1993 - [X.]/92 - [[X.]] Rn. 24 und 26, Slg. 1993, [X.] - im [X.], das in dieser Rechtssache auch [X.] war, lautet dieses Kriterium: „lieu où ou à partir duquel le travailleur s'acquitte principalement de ses obligations à l'égard de son employeur“; Schlussanträge der Generalanwältin [X.] vom 16. Dezember 2010 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 100; Musielak/[X.] ZPO 7. Aufl. Art. 19 [X.] Rn. 2).

cc) In diesem Sinn hat der [X.] auch den Ort verstanden, den der Arbeitnehmer zum tatsächlichen Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit gemacht hat: Es ist derjenige Ort, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer den wesentlichen Teil der Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt ([X.] 9. Januar 1997 - [X.]/95 - [[X.]] Slg. 1997, [X.]).

dd) Zur Bestimmung dieses gewöhnlichen Arbeitsorts iSd. Art. 5 Nr. 1 des [X.] Übereinkommens hat der [X.] weiter präzisierend ausgeführt, er sei vom nationalen Gericht jeweils unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für das betreffende Arbeitsverhältnis zu bestimmen ([X.] 9. Januar 1997 - [X.]/95 - [[X.]] Rn. 25, Slg. 1997, [X.]; vgl. auch [X.] 27. Februar 2002 - [X.]/00 - [Weber] Rn. 49, Slg. 2002, [X.]; 10. April 2003 - [X.]/00 - [X.]] Slg. 2003, I-3573).

ee) Der gewöhnliche Arbeitsort in diesem Sinne wird vom [X.] als Ort für die Zuständigkeitsbestimmung ua. deshalb als geeignet angesehen, weil damit das der Vertragsbeziehung am nächsten liegende Gericht zuständig wird ([X.] 9. Juli 2009 - [X.]/08 - [[X.]] Rn. 37, Slg. 2009, [X.]). Damit wird regelmäßig derjenige Ort für die Klageerhebung zuständig, an dem der Arbeitnehmer am leichtesten klagen kann, weil er hier, worauf das [X.] zu Recht und im Einklang mit dem [X.] hingewiesen hat, das räumlich, sozial, sprachlich und kulturell am ehesten vertraute Umfeld vorfindet (vgl. zu diesem Gesichtspunkt: Schlussanträge des Generalanwalts [X.] Juni 2008 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 49, 60, Slg. 2008, [X.]). Vermieden werden soll eine prohibitive Wirkung etwaiger Klageerhebungskosten (Reisekosten, [X.] etc., vgl. zum Kostengesichtspunkt: Schlussanträge des Generalanwalts [X.] Juni 2008 - [X.]/07 - [[X.]] [X.]. 31 mwN, aaO). In dieselbe Richtung weisen auch die Erwägungsgründe 23 und 24 zur Rom-I-VO, wonach bei [X.], bei denen die eine [X.] als schwächer angesehen wird, die schwächere [X.] geschützt werden soll. Zu diesem Schutz gehört auch die Senkung der Kosten für Rechtsstreitigkeiten. Die Rom-I-VO findet zwar auf den Streitfall noch keine Anwendung, kann jedoch zur Auslegung der [X.] herangezogen werden ([X.] 7. Dezember 2010 - [X.]/08 - [[X.]] und - [X.]/09 - [[X.]] Rn. 42, 43, 56 - 59, NJW 2011, 505). Maßgebend ist der Gedanke, dass der Arbeitnehmer an einem Ort soll klagen können, mit dem er verbunden ist und an dem er mit den relativ geringsten Kosten seine Rechte wahrnehmen kann (vgl. [X.] 24. September 2009 - 8 [X.] - Rn. 44 mwN, [X.] [X.] Art. 18 Nr. 1 = EzA [X.]-Vertrag 1999 Verordnung 44/2001 Nr. 4). Außerdem ist der Ort, von dem aus die Arbeit aufgenommen wird, regelmäßig leicht zu erkennen. Damit ist dem Anliegen der [X.] gedient, eine möglichst rasche und einfache Klärung der [X.] zu erreichen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Schlussanträge der Generalanwältin [X.] vom 12. Januar 2010 - C-19/09 - [[X.]] Rn. 70; [X.] 13. Juli 2006 - C-4/03 - [[X.]] Rn. 28, Slg. 2006, [X.]; 13. Juli 2006 - [X.]/03 - [[X.] Nederland ua.] Rn. 37, Slg. 2006, [X.]; 1. März 2005 - [X.]/02 - [[X.]] Rn. 41, Slg. 2005, [X.]; vgl. ferner [X.] [X.] (2005) 719, 735; [X.] 2003, 21 ff.).

b) Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall [X.] als gewöhnlicher Arbeitsort anzusehen. Von hier aus nahm der Kläger die Arbeit auf und der Ort weist nach der Gesamtheit der Umstände des Falles die engsten Verbindungen zum Arbeitsverhältnis auf.

aa) Das Arbeitsverhältnis hat in [X.], also in [X.], seine Wurzeln. Es geht auf frühere Arbeitsverhältnisse mit einem in [X.] ansässigen Unternehmen zurück, das seinerseits zu einem ebenfalls in [X.] ansässigen Konzern gehörte.

bb) Die Beklagte gehört auch heute zu einem überwiegend von [X.] aus operierenden Konzern und wird im Wesentlichen geleitet von einer zumindest auch in [X.] ansässigen Geschäftsführung. Die Beklagte ist außerdem das Tochterunternehmen der in [X.] ansässigen Muttergesellschaft.

cc) Die Arbeitnehmer der Beklagten nehmen von [X.] aus die Arbeit auf und beenden sie regelmäßig in [X.]. Landgänge andernorts finden nicht statt. Die Arbeitnehmer werden - was Arbeitskleidung, Proviant etc. betrifft - von [X.] aus versorgt. Von hier aus werden auch die Zubringerdienste organisiert und bezahlt. Die Beklagte hält Betriebsversammlungen in [X.] ab.

dd) Die [X.] besteht weit überwiegend aus [X.] Staatsangehörigen. Auf dem Schiff wird deutsch gesprochen. Sowohl das Arbeitsumfeld als auch das [X.] sind entscheidend von der [X.] Sprache geprägt. Es liegt auf der Hand, dass die Zuständigkeit eines Gerichts, dessen [X.] ist, diesen Umständen besonders entgegenkommt. Das gilt sowohl für organisatorische Fragen als auch für die Kostenfrage. Es gilt aber besonders im Hinblick auf die für ein Gerichtsverfahren wünschenswerte Unmittelbarkeit des allseitigen Verständnisses für die räumlichen, kulturellen und sprachlichen Gegebenheiten und auf die - durch die nationale Rechtskultur vorgeprägten - Haltungen und Erwartungen der Prozessbeteiligten, in die ein Arbeitsrechtsstreit gewöhnlich eingebettet zu sein pflegt.

ee) Die Beziehungen zwischen dem Vertrag und dem [X.] fallen demgegenüber nicht ins Gewicht. Sie sind zwar insoweit nicht zufällig, als die Beklagte diesen Sitz mit Bedacht gewählt haben dürfte. Gleichwohl erweisen sie sich - was die Nähe zum gelebten Arbeitsverhältnis betrifft - als vernachlässigenswert und marginal (vgl. zur Bedeutungslosigkeit des Sitzes einer Fluggesellschaft und zur Maßgeblichkeit von [X.] und Zielort für den [X.]: [X.] 9. Juli 2009 - [X.]/08 - [[X.]] Slg. 2009, [X.]). Irgendwelche Arbeitsleistungen am Sitz der Beklagten hat der Kläger nie erbracht und konnte er nach Lage der Dinge in W oder sonst im [X.] auch nicht leisten. Weisungen wurden dem Kläger von dort aus nicht erteilt.

ff) Die Tatsache, dass der Kläger den etwas überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit auf dem Hoheitsgebiet des [X.] verbringen dürfte, könnte an sich ein Hinweis darauf sein, dass sich dort auch sein gewöhnlicher Arbeitsort befindet (zum Kriterium des [X.] vgl. Schlussanträge der Generalanwältin [X.] vom 12. Januar 2010 - C-19/09 - [[X.]] Rn. 76; [X.] 10. Juli 2008 - ObA 33/08y - IPRax 2010, 71). Indes sind angesichts der hier gegebenen Besonderheiten die während des Aufenthalts auf dem schwimmenden Schiff durch die räumliche und die zeitliche Dimension vermittelten Beziehungen flüchtig und fließend und für die rechtliche Anknüpfung ohne Aussagewert (vgl. zur Notwendigkeit einer wertenden Betrachtung: [X.] [X.] (2005) 719, 735; [X.] 2003, 21 ff.). Der Kläger betritt bei seiner Arbeit den Boden des [X.] so gut wie nicht. Seine Arbeitsleistung hat zu den arbeitsrechtlichen, sprachlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten im [X.] noch weniger Bezug als zu denjenigen im [X.]. Sie ist nicht durch die Lebensbedingungen in [X.] geprägt. Inhaltlich beeinflusst werden Arbeitsleistung und Arbeitsumfeld des [X.] allein durch die mit Weisungen und organisatorischen Vorkehrungen von [X.] aus den Arbeitsprozess steuernde und in ihn eingreifende Geschäftsführung, durch die in [X.] ansässige [X.], die ebenfalls dort tätigen Ausrüster des Schiffs und die überwiegend [X.] Mannschaft.

gg) Da der [X.] im Streitfall auf der Grundlage der Auslegung entschieden hat, die der [X.] in ständiger Rechtsprechung entwickelt hat, und der [X.] entsprechend dieser Auslegung den gewöhnlichen Arbeitsort anhand der Umstände des hier gegebenen Falles vorgenommen hat, lagen die Voraussetzungen einer Vorlage nach Art. 267 AEUV nicht vor. Eine klärungsfähige Auslegungsfrage hat sich nicht gestellt. Soweit etwa in der arbeitsrechtlichen Literatur die Auffassung vertreten wird, es sei vom [X.] noch nicht vollständig ausgeurteilt, welche Bedeutung der Ort besitzt, „von dem aus“ der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt ([X.] in [X.]/[X.] 15/2010 [X.]. 6), mag das in dieser Allgemeinheit zutreffen. Indes sind aus dem damit beschriebenen Problemkreis nicht sämtliche, sondern lediglich diejenigen Fragen vorlagefähig, die die Auslegung betreffen. Eine solche war hier schon deshalb nicht zu entscheiden, weil nach der Rechtsprechung des [X.] die Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsorts aufgrund der Umstände des Einzelfalles vom nationalen Gericht vorzunehmen ist.

hh) Der Entscheidung des [X.]s steht das Urteil des Achten [X.]s vom 24. September 2009 (- 8 [X.] - [X.] [X.] Art. 18 Nr. 1 = EzA [X.]-Vertrag 1999 Verordnung 44/2001 Nr. 4; dazu [X.] in [X.]/[X.] 15/2010 [X.]. 6; Noltin [X.]. EzA Verordnung 44/2001 [X.]-Vertrag 1999 Nr. 4) nicht entgegen. Die Entscheidung verhält sich ausdrücklich allein zu Fällen der internationalen Seeschifffahrt (vgl. [X.] 24. September 2009 - 8 [X.] - insbesondere Rn. 46, aaO).

c) [X.]. 19 Nr. 2 Buchst. b [X.] liegt nicht vor. Die Regelung greift ein, wenn ein gewöhnlicher Arbeitsort in einem Mitgliedstaat nicht besteht. Eben dies ist aber hier der Fall.

III. Die Kosten der erfolglosen Revision fallen nach § 97 Abs. 1 ZPO der Beklagten zur Last.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Beckerle    

        

    B. Schipp    

                 

Meta

2 AZR 646/09

27.01.2011

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Duisburg, 28. August 2008, Az: 2 Ca 2684/07, Urteil

Art 19 Nr 2 Buchst a EGV 44/2001

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.01.2011, Az. 2 AZR 646/09 (REWIS RS 2011, 10013)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10013


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 AZR 646/09

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 646/09, 27.01.2011.


Az. 2 Ca 2684/07

Arbeitsgericht Duisburg, 2 Ca 2684/07, 28.08.2008.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 Sa 415/11

2 Sa 414/11

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