Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.07.2012, Az. IX ZB 270/11

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4702

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB
270/11

vom

12. Juli
2012

in dem Restschuldbefreiungsverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 329 Abs. 2
Das Gericht verletzt das Recht eines Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör, wenn es einen nach Beschlussfassung, aber vor Herausgabe des nicht verkündeten Beschlusses eingegangenen Schriftsatz unberücksichtigt lässt (Fortführung von [X.], [X.], 1368).
[X.], Beschluss vom 12. Juli 2012 -
IX [X.] -
LG [X.] in der Pfalz

AG [X.] in der Pfalz

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.]
Dr.
Kayser, [X.]
Dr.
Gehrlein, Dr.
Fischer, [X.] und die Richterin Möhring

am
12. Juli
2012
beschlossen:

Dem Schuldner wird Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1.
Zivilkammer des Landgerichts [X.] in der Pfalz vom 19. Sep-tember 2011 gewährt.

Auf die
Rechtsbeschwerde
des Schuldners wird der oben [X.] aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung -
auch über die Kosten des [X.] -
an das Beschwerdegericht zu-rückverwiesen.

ge-setzt.

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Gründe:

I.

Dem Schuldner, der seinem am 3.
April 1993 geborenen [X.] zum [X.] verpflichtet war,
wurde nach Insolvenzeröffnung am 13.
April 2005 durch Beschluss vom 6.
Dezember 2005 die Restschuldbefreiung angekündigt; am 23.
Januar 2005 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben. Er war in der Wohlverhaltensperiode selbständig tätig. Ein pfändbares Einkommen erzielte er nicht.

Am 13. Mai 2011 beantragte die Mutter für den
[X.], dessen
rückstän-dige Unterhaltsforderungen gegen den Schuldner in die Tabelle eingetragen sind, diesem die Restschuldbefreiung zu versagen. Zur Begründung führte sie aus: Der Schuldner sei seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit gegenüber dem minderjährigen [X.] nicht nachgekommen. Neben seiner selbständigen Tätigkeit hätte er zumindest eine
geringfügige Beschäftigung
annehmen müs-sen, um seinem [X.] Unterhalt zu zahlen.

Das Insolvenzgericht hat dem Schuldner die Restschuldbefreiung ver-sagt. Seine sofortige Beschwerde hat
keinen Erfolg
gehabt. Mit der Rechtsbe-schwerde möchte er die Zurückweisung des [X.] erreichen.

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II.

Dem Schuldner ist nach §§
233, 234 Abs.
1 und 2 ZPO Wiedereinset-zung
in die versäumte
Frist
zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu bewilli-gen.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 6, 300 Abs.
3 Satz
2, §
7 [X.], iVm Art.
103f EG[X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2, § 575 ZPO). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. [X.] hat unter Bezugnahme auf die erstinstanzli-che Entscheidung angenommen, dass der Schuldner den Versagungsgrund der §
295 Abs.
2, §
296 Abs.
1 [X.] verwirklicht habe. Denn er habe am Ende der Wohlverhaltensphase
an den Treuhänder nicht den
Betrag abgeführt, den er hätte abführen können, wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis in dem von ihm erlernten Beruf als Bäcker eingegangen wäre. Dabei hat es den Vortrag des Schuldners in der Beschwerdebegründung außer [X.] gelassen, die zwar erst einen Tag nach Beschlussdatum beim Beschwerdegericht eingegangen ist, jedoch

nach Kenntnisnahme durch den Richter
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drei Tage, bevor die Ge-schäftsstelle den Beschluss herausgegeben hat.

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2. Durch den angefochtenen Beschluss, der sich mit formelhaften [X.] begnügt und eine auf den Streitfall zugeschnittene Begründung [X.] lässt,
ist das Recht des Schuldners auf rechtliches Gehör verletzt worden. Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der [X.] zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es verstößt ge-gen diesen Grundsatz, wenn das Gericht einen ordnungsgemäß eingegange-nen Schriftsatz nicht berücksichtigt (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Oktober 2009
-
IX
ZR 237/06, [X.] aktuell 2010, 290
Rn.
4; vom 17.
Februar 2011 -
V
ZB 310/10, NJW
2011, 1363 Rn.
4).

a)
[X.] hat vorliegend die ihm rechtzeitig vorgelegte Beschwerdebegründung nicht beachtet
in der Annahme, den einen Tag zuvor unterzeichneten Beschluss nicht mehr ändern zu dürfen. Dabei hat es verkannt, dass ein nach §
329 Abs.
2 ZPO mitzuteilender Beschluss erst dann erlassen
ist, wenn er mit dem Willen des Gerichts aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgetreten ist. Bis dahin bleibt
er
ein Entwurf. Der Übergang vom inneren Geschäftsbetrieb zum äußeren Geschäftsgang ist dadurch gekennzeichnet, dass
das Gericht sich der Entscheidung entäußert hat. In diesem Sinn entäu-ßert war der angefochtene Beschluss jedenfalls nicht,
bevor ein Mitarbeiter der
Geschäftsstelle ihn
am 23.
September 2011 auf den Abtrag gelegt hat
(vgl. [X.], Urteil vom 1.
April 2004 -
IX
ZR 117/03, FamRZ
2004, 1368).

b)
Diese
Gehörsverletzung war
auch entscheidungserheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Rechtsmittel, hätte das Beschwerdegericht den übergangenen Vortrag erwogen, Erfolg gehabt hätte.
Nach § 295 Abs. 2 [X.]

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obliegt es dem selbständig tätigen Schuldner, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Das anzunehmende fiktive Nettoeinkom-men ist daher aufgrund einer angemessenen Anstellung zu berechnen. Ange-messen ist nur eine dem Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit ([X.], [X.] vom 19.
Mai 2011 -
IX
ZB 224/09, [X.], 596 Rn.
6). Der Schuldner hat mit der Beschwerdebegründung eine Bestätigung seines ehemaligen Ar-beitgebers vorgelegt, dass er seine Tätigkeit als Bäcker wegen einer Mehl-stauballergie beendet habe. Er kann mithin nicht mehr als Bäcker arbeiten, deswegen kann das Nettoeinkommen eines Bäckergesellen nicht zur Bestim-mung der abzuführenden Beträge herangezogen werden. Welche Tätigkeiten dem Schuldner möglich sind, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt
(vgl. [X.], Beschluss vom 2.
Dezember 2010 -
IX
ZB 160/10, Z[X.]
2011, 147 Rn.
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f). Jedenfalls ist dem Schuldner eine Tätigkeit als [X.] zumut-bar. Was eine [X.] in der Region, in der der Schuldner wohnt, mo-natlich hätte verdienen können und ob der Verdienst ausgereicht hätte, um un-ter Berücksichtigung des
Pfändungsfreibetrags
Beträge an den Treuhänder ab-zuführen, hat das Beschwerdegericht ebenso wenig ermittelt.

3. Die angefochtene Entscheidung ist damit aufzuheben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung des
Senats kommt wegen der fehlenden [X.] nicht in Betracht.

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Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Be-schwerdegericht zu
prüfen haben
wird, ob ein berechtigter Gläubiger einen [X.] gestellt hat.
Der weitere Beteiligte zu
1 war zum Zeitpunkt, als seine Mutter als seine Sorgeberechtigte für ihn den Versagungs-antrag gestellt hat,
bereits volljährig. Er hätte deswegen nur dann selbst den Versagungsantrag gestellt, wenn er seine Mutter hierzu bevollmächtigt oder ihre Antragstellung nachträglich gebilligt hätte. Seine Mutter wäre nicht berechtigt gewesen, in eigenem Namen einen Versagungsantrag zu stellen, weil
sie keine Insolvenzgläubigerin war (§ 296 Abs.
1 Satz
1 [X.]).

Der gemäß §
296 Abs.
1 Satz
1 [X.] erforderliche Gläubigerantrag ist nur zulässig, wenn die Versagungsvoraussetzungen glaubhaft gemacht wer-den, die sich aus § 296 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] ergeben. Der Gläubiger muss glaubhaft machen, dass der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungser-klärung eine seiner Obliegenheiten schuldhaft verletzt hat. Weiter
muss er glaubhaft machen, dass die Befriedigung der Insolvenzgläubiger durch die Ob-liegenheitsverletzung konkret beeinträchtigt ist. Im Rahmen des
§
295 Abs.
2 [X.]
muss der Gläubiger glaubhaft machen, dass der Schuldner einen Betrag an den Treuhänder hätte abführen müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Sep-tember 2011 -
IX ZB 133/08, Z[X.] 2011, 2101
Rn.
7). Diesen Anforderungen genügt der Versagungsantrag des weiteren Beteiligten zu 1 bislang nicht. [X.] hat er vorgetragen, dass der Schuldner an den Treuhänder nicht den Betrag abgeführt hat, den er bei Ausübung einer vergleichbaren abhängigen Tätigkeit nach dem üblichen Lohnniveau hätte abführen müssen, noch hat er glaubhaft gemacht, welche abhängige Tätigkeit dem Schuldner möglich gewesen wäre

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(vgl. [X.], Beschluss vom 19.
Mai 2011 aaO Rn.
7;
siehe auch [X.], [X.]
vom 1.
Dezember 2011 -
IX ZB 112/11, NZI
2012, 87 Rn.
2).

Ist glaubhaft gemacht und hat sich das Gericht davon überzeugt, dass der Schuldner in einer abhängigen
Beschäftigung so viel hätte verdienen [X.], dass er unter Berücksichtigung des Pfändungsfreibetrages
an den [X.] hätte abführen müssen, muss sich der
Schuldner von dem Vorwurf entlasten, seine [X.] schuldhaft verletzt zu haben (§
296 Abs.
1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]). Erkennt der Schuldner in der [X.], dass er mit der von ihm ausgeübten selbständigen Tätigkeit nicht genug erwirtschaftet, um seine Gläubiger so zu stellen, als übe er eine entspre-chende abhängige Tätigkeit aus, braucht er seine selbständige Tätigkeit [X.] nicht aufzugeben. Er muss sich dann aber -
ebenso wie ein beschäfti-gungsloser Schuldner -
gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 1 [X.] nachweisbar um eine angemessene Erwerbstätigkeit bemühen, um den [X.] zu ent-kräften ([X.], Beschluss vom 19.
Mai 2011, aaO).

Der übergangene Vortrag des Schuldners, als [X.] keine An-stellung gefunden zu haben, genügt diesen Anforderungen nicht. Im Anwen-dungsbereich des §
295 Abs.
1 Nr.
1 [X.]
muss der Schuldner im Regelfall bei der [X.] arbeitssuchend gemeldet sein und laufend [X.] zu den dort für ihn zuständigen Mitarbeitern halten. Weiter muss er sich selbst aktiv und ernsthaft um eine Arbeitsstelle bemühen, etwa durch stetige Lektüre einschlägiger Stellenanzeigen und durch entsprechende Bewerbungen.

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Als ungefähre Richtgröße hat der Senat zwei bis drei Bewerbungen in der [X.] angenommen, sofern entsprechende Stellen angeboten werden (Beschluss vom 19. Mai 2011, aaO Rn.
17).

Kayser
Gehrlein
Fischer

[X.]
Möhring
Vorinstanzen:
AG [X.] i.d. Pfalz, Entscheidung vom 23.08.2011 -
3 IK 27/05 -

LG [X.], Entscheidung vom 19.09.2011 -
1 [X.]/11 -

Meta

IX ZB 270/11

12.07.2012

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.07.2012, Az. IX ZB 270/11 (REWIS RS 2012, 4702)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4702

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