Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.06.2011, Az. 5 StR 134/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 5908

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5 [X.]/11
(alt: 5 StR 123/10)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

vom 8. Juni 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
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Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 8. Ju-ni
2011, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter Basdorf,

Richter Dr. Raum,
Richterin [X.],
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay

als beisitzende Richter,

[X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwältin T.

als Verteidigerin,

Rechtsanwalt R.

als [X.],

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

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-
für Recht erkannt:

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 6. Oktober 2010 wird verworfen.

Der Nebenkläger trägt die Kosten seines Rechtsmittels
und die dem Beschuldigten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

[X.] n d e

Das [X.] hatte im Sicherungsverfahren mit Urteil vom 17.
Sep-tember 2009 die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Auf die Revision des Beschuldigten hatte der [X.] dieses Urteil

entsprechend dem Antrag des [X.]

mit den Feststellungen aufgehoben, davon jedoch die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf der
rechtswidrigen Tat ausgenommen
und die Sache im Umfang der Aufhebung an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen. Nunmehr hat das [X.] durch Ur-teil vom 6. Oktober 2010 den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbrin-gung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Dagegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte Revision des [X.].

1. Das [X.] ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:

a) Der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung
32
Jahre alte, nicht vorbe-strafte, in der [X.] geborene Beschuldigte leidet seit etwa Mitte der 90er 1
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-
Jahre an einer schizophrenen Störung mit paranoid-halluzinatorischer [X.], die trotz durchgängiger antipsychotischer Medikation nur unvoll-ständig remittiert
ist. In den Jahren 1997 und 1998 wurde er mehrere Monate stationär
psychiatrisch behandelt, nachdem er psychische Auffälligkeiten ge-zeigt hatte und es unter anderem

zu grundlos aggressiven Durchbrüc(UA S. 8)
gegenüber Dritten gekommen war. Im Oktober 2001 wurde er ein weiteres Mal stationär in einer psychiatrischen Klinik aufgenommen, nach-dem er einem Mitbewohner in seiner betreuten Wohneinrichtung einen Faustschlag in das Gesicht versetzt hatte. Im Februar 2002 wurde er teilre-mittiert und normal gestimmt entlassen. Seitdem wurde er bis zu seiner Fest-nahme in dieser Sache durch eine Institutsambulanz psychiatrisch betreut, wobei er durchgängig eine stabile Medikamenten-Compliance

aufwies. Auch während seiner einstweiligen Unterbringung im Krankenhaus des [X.] in dieser Sache zeigte er sich durchgehend
behandlungsbereit und nahm widerspruchslos seine Medikamente ein. Sein Verhalten war ruhig und angepasst; aggressive Tendenzen waren zu keinem Zeitpunkt erkenn-bar. Der Beschuldigte steht seit etwa zehn Jahren unter
Betreuung und hat seit 2005 zudem einen [X.]; zum Zeitpunkt der [X.] lebte er selbständig in einer gemieteten Wohnung.

b) Am Tattag, dem 16. Dezember 2008,
beobachtete eine Zeugin ei-nen Dritten bei
der Entwendung einer Kamera aus einem Kraftfahrzeug und sah, wie dieser
gleichzeitig mit dem
Beschuldigten ein
Wohnhaus betrat. Von der Entwendung der Kamera wusste
der Beschuldigte
nichts;
er hatte den

inzwischen rechtskräftig verurteilten

Täter, einen ihm
nicht näher [X.],
nur zufällig vor dem Haus getroffen. Die Zeugin machte eine uniformierte Polizeibeamtin auf das Geschehen aufmerksam, die an der Wohnung des Beschuldigten klingelte. Als er die Tür öffnete, forderte die Be-amtin ihn
auf, aus der Wohnung herauszutreten und die Hände nach vorne zu nehmen. Dieses Verhalten war dem Beschuldigten
nicht erklärlich und [X.]). Eine realistische 4
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5
-
Einschätzung der Situation und eine adäquate Reaktion waren
ihm vor dem Hintergrund seiner Erkrankung und der auch damals nicht vollständig remit-tierten psychotischen Symptomatik nicht möglich.

Auf Anforderung der Polizistin
erschienen nun weitere sieben [X.], unter ihnen der Nebenkläger, an der Wohnungstür. Sie
klingelten,
klopften und
Der psychotische Beschuldigte nahm
die Situation als zunehmend bedrohlich
wahr. Nach weiteren Versu-chen, die Tür zu öffnen, setzten die Beamten eine Ramme ein. Als die [X.] in seine Wohnung eindrangen, geriet der Beschuldigte in Todesangst. In wahnhafter Realitätsverkennung nahm er an, dass die Beamten ihn töten
wollten; er
wollte sich nicht kampflos geschlagen geben. Er
stach mit [X.] bedingtem Tötungsvorsatz
mehrmals gezielt in den Oberkörper
des Ne-benklägers
und verletzte diesen lebensgefährlich durch drei Stiche mit sei-nem Klappmesser in den Bauch und den Thorax.

2.
Sachverständig beraten gelangt die Strafkammer zu der Überzeu-gung, dass die [X.] aus einer Kombination eines reaktiv bedingten Angst-
bzw. [X.] und der psychischen Grundstörung einer schi-zophrenen Erkrankung

des Beschuldigten resultierte; seine Steuerungsfähigkeit sei dadurch aufgehoben gewesen. Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat sie
abgelehnt, da sie keine hinreichende Wahrscheinlichkeit sah, dass von ihm
infolge sei-nes Zustandes künftig erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind.

3. Die Revision des [X.] ist

entgegen der Auffassung des [X.]

unbegründet. Ausgehend von den rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen ist die Ablehnung der Unterbringung des [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu beanstanden.
Das gilt ungeachtet des kritischen, vom [X.] auch nicht verkannten Ausgangspunktes des Falles, dass die verfahrensgegenständliche Tat nach ihrer Schwere (§ 62 StGB) als [X.] für eine Unterbringung nach 5
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-
6
-
§
63
StGB in Frage kommt und auch auf die fortdauernde paranoide schizo-phrene Störung des Beschuldigten zurückzuführen ist.

Gleichwohl verneint das [X.]

dem Sachverständigen fol-gend

eine hinreichende Gewissheit, nd des zur Schuldunfä-higkeit führenden Zustandes des Beschuldigten eine bestimmte oder doch gewisse, über eine bloße Möglichkeit hinausgehende Wahrscheinlichkeit für die Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten bestehe und er des-halb für die Allg

23). Entsprechend den Hin-weisen des Senats in seinem Aufhebungsbeschluss vom
14. April 2010 stellt die [X.] dabei zum einen darauf ab, dass die [X.] in einer von dem Beschuldigten subjektiv als äußerst bedrohlich empfundenen Ausnahmesituation begangen wurde; dass sich eine derartige Ausnahmesi-tuation wiederholen könnte, schätzt die [X.] als äußerst fernliegend ein. In ihre Würdigung bezieht sie zum anderen das Verhalten des Beschuldigten seit dem [X.] ein, dem sie keine Hinweise auf eine Gefährlichkeit zu entnehmen vermag.
Seitdem er durch die Institutsambulanz medizinisch betreut wird, hatte der Beschuldigte keine Störungen des Rechtsfriedens mehr verursacht. In den vergangenen Jahren hatte
er durch-gängig eine gute Medikamenten-Compliance

gezeigt;
es ist deshalb nicht damit zu rechnen, dass er seine Medikamente in Zukunft eigenmächtig ab-setzen könnte. Akute Krankheitsschübe sind daher nicht zu erwarten. Schließlich berücksichtigt die [X.], dass selbst die in den Jahren vor 2002 aufgetretenen Krankheitsschübe nicht zu solch schweren Störungen des Rechtsfriedens geführt
haben, die den mit einer Unterbrin-gung in einem psychiatrischen Krankenhaus verbundenen schwerwiegenden Eingriff hätten rechtfertigen können.

Die Wertungen des [X.] sind nicht zu beanstanden: Eine all-gemeine Bereitschaft des Beschuldigten zu brutalen und lebensgefährlichen Verletzungshandlungen kann aus der Tat, freilich nur angesichts der [X.], nicht hergeleitet werden; dem Verhalten des 8
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7
-
Beschuldigten
ist auch

Angst-

s-punkt für die Gefährlichkeitsbeurteilung heranzieht,
nicht zu entnehmen.
Der Beschuldigte wurde in seiner Wohnung, mithin
in seinem persönlichen Schutz-
und Rückzugsraum, von einer
Übermacht von Polizeikräften in einer in erheblichem Maße
Angst
auslösenden
Weise bedrängt. Zur ursprüngli-chen Entstehung dieser Situation hatte der Beschuldigte nichts beigetragen; eine Konfrontation hatte er nicht gesucht, sich vielmehr bis zum Eindringen der Polizisten in seine Wohnung aus Angst gerade passiv verhalten. Auch aus seinem Verhalten während der letzten
Jahre ergeben sich keinerlei Hin-weise darauf, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Krankheit dazu neigt, in [X.] Konfliktsituationen hineinzugeraten und in diesen aus inadäquaten Panikreaktionen heraus Gewalthandlungen zu begehen.

[X.]

Raum Schneider

König

Bellay

Meta

5 StR 134/11

08.06.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.06.2011, Az. 5 StR 134/11 (REWIS RS 2011, 5908)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5908

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