Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.03.2018, Az. IX R 12/17

9. Senat | REWIS RS 2018, 12441

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Gegenstand

Entschädigung für den Verlust von Versorgungsanwartschaften - Zwangslage bei Einigung mit Arbeitgeber


Leitsatz

NV: Widerruft der Arbeitgeber einseitig die bisherige betriebliche Versorgungszusage und bietet er den Beschäftigten eine neue betriebliche Altersversorgung an, die zu wesentlich niedrigeren Versorgungsansprüchen führt, so handelt es sich bei einer Zahlung des Arbeitgebers, die den zukünftigen Einnahmenverlust teilweise ausgleichen soll, um eine Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG .

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des [X.], [X.], vom 26. Juli 2016  6 K 1608/13 aufgehoben.

Die Einkommensteuer 2010 wird unter Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2010 in Gestalt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung auf den Betrag festgesetzt, der sich ergibt, wenn die Einkünfte des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit um 45.662 € niedriger angesetzt und in derselben Höhe tarifbegünstigte außerordentliche Einkünfte berücksichtigt werden.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit 1999 Angestellter der ... (A). Die A gewährte ihren Beschäftigten eine betriebliche Altersversorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen über eine eigene Versorgungseinrichtung. Zum 31. Dezember 2009 schloss die A diese Einrichtung und bot den Beschäftigten an, die bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Anwartschaften nach Maßgabe einer Dienstvereinbarung in ein beitragsfinanziertes System zu überführen. Bei Zustimmung zu diesem Angebot gewährte die A eine individuell berechnete Wechselprämie. Der Kläger nahm das Angebot zum Wechsel an und vereinnahmte im Streitjahr 2010 eine Wechselprämie von insgesamt 45.661,96 €.

2

Der Kläger und seine mit ihm zusammen veranlagte Ehefrau, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), gingen insofern von einer tarifbegünstigten Entschädigung aus. Die bis zum 31. Dezember 2009 gewährte Zusage hätte beim Kläger zu einer Altersrente in Höhe von 71,75 % des letzten Bruttogehalts (rd. 3.700 €/Monat) geführt. Die neue Zusage summiere sich dagegen auf voraussichtlich nur 2.699 € pro Monat. Um die Zustimmung zum Wechsel zu erhalten, habe der Arbeitgeber allen Betroffenen eine Wechselprämie als Teilentschädigung angeboten.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) folgte dem nicht, unterwarf die Wechselprämie dem Regeltarif (Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 6. Februar 2012) und wies den dagegen gerichteten Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 26. April 2013).

4

Das Finanzgericht ([X.]) hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision erheben die Kläger die Sachrüge (Verletzung von § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).

5

Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben, den Einkommensteuerbescheid für 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu ändern und die Einkommensteuer 2010 auf den Betrag festzusetzen, der sich ergibt, wenn die Einkünfte des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit um 45.662 € niedriger angesetzt und in derselben Höhe tarifbegünstigte außerordentliche Einkünfte berücksichtigt werden.

6

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

II.

8

Die Revision ist begründet. Sie führt zur [X.]ufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 [X.]bs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Unrecht die Voraussetzungen für eine tarifbegünstigte Entschädigung (§ 34 [X.]bs. 1, [X.]bs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) verneint.

9

1. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] u.a. ausgeführt, eine tarifbegünstigte Entschädigung könne nur angenommen werden, wenn das dem weggefallenen [X.]nspruch zugrunde liegende Rechtsverhältnis vollständig beendet sei (z.B. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 6. März 2002 [X.] R 36/01, [X.] 2002, 1144). Das [X.] hat insofern auf das [X.]nstellungsverhältnis des Klägers bei der [X.] abgestellt. Dieses sei nicht beendet, sondern fortgesetzt worden. Die Pensionszusage sei lediglich beschränkt bzw. modifiziert worden. Das genüge nicht.

2. Diese [X.]usführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Entschädigungen i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sind Leistungen, die "als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen" gewährt werden, d.h. an die Stelle [X.] oder wegfallender Einnahmen treten. Der Steuerpflichtige muss einen Schaden durch Wegfall von Einnahmen erlitten haben und die Zahlung muss unmittelbar dazu bestimmt sein, diesen Schaden auszugleichen (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Urteil vom 29. Februar 2012 IX R 28/11, [X.], 56, [X.], 569).

b) Ohne Rechtsverstoß ist das [X.] zunächst davon ausgegangen, dass die vom Kläger vereinnahmte "Wechselprämie" nicht nur einen [X.]nreiz für die Zustimmung zur Umstellung der betrieblichen [X.]ltersversorgung bieten sollte, sondern auch dazu bestimmt war, den zustimmenden [X.]rbeitnehmer für den Verlust zukünftiger Rentenansprüche (teilweise) zu entschädigen. Das ergibt die [X.]uslegung der Verträge. Zwar hat sich das [X.] im Urteil nicht ausdrücklich dazu geäußert, es hat die umstrittene Zahlung aber ohne weiteres als "[X.]bfindungszahlung" bezeichnet und nicht infrage gestellt, dass es sich (zumindest auch) um eine Ersatzleistung für entgehende Einnahmen handeln sollte. Der [X.] kann die [X.]uslegung selbst vornehmen, weil das [X.] den Tatbestand insofern vollständig festgestellt hat.

c) Zu Unrecht hat das [X.] jedoch angenommen, eine tarifbegünstigte Entschädigung sei nur anzunehmen, wenn darüber hinaus das zugrunde liegende Rechtsverhältnis vollständig beendet werde.

aa) Der erkennende [X.] hat bereits klargestellt, dass er der möglicherweise anders zu verstehenden Rechtsprechung des [X.]. [X.]s (z.B. [X.]-Urteile vom 10. Oktober 2001 [X.] R 54/00, [X.]E 197, 54, [X.], 181, und vom 12. [X.]pril 2000 [X.] R 1/99, [X.] 2000, 1195) insoweit nicht folgt ([X.]surteil vom 25. [X.]ugust 2009 IX R 3/09, [X.]E 226, 261, [X.], 1030). Das Gesetz verlangt nicht die vollständige Beendigung des [X.]rbeitsverhältnisses. Es genügt, wenn im Rahmen eines fortgesetzten Rechtsverhältnisses auf neuer Rechtsgrundlage eine Entschädigung für den Verlust (Wegfall) zukünftiger [X.]nsprüche geleistet wird (Teilentschädigung). Der [X.] hat dies insbesondere bei einer Entschädigung für die unbefristete Reduzierung der wöchentlichen [X.]rbeitszeit bei Fortsetzung des [X.]nstellungsverhältnisses bejaht ([X.]-Urteil in [X.]E 226, 261, [X.], 1030).

bb) Diese Rechtsprechung ist auf den Streitfall übertragbar. [X.] der [X.]rbeitgeber einseitig die bisherige betriebliche Versorgungszusage und bietet er den Beschäftigten eine neue betriebliche [X.]ltersversorgung an, die zu wesentlich niedrigeren [X.]nsprüchen führt, so handelt es sich bei einer Zahlung des [X.]rbeitgebers, die den zukünftigen [X.] teilweise ausgleichen soll, um eine Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Weggefallen sind die [X.]nwartschaften aus der bisherigen Versorgungszusage. Die [X.]bfindungszahlung, mit der dieser Verlust teilweise ausgeglichen werden soll, beruht insoweit auf einer neuen Rechtsgrundlage. Darin liegt nicht lediglich eine Modifikation des bisherigen Vertrags. Das gilt jedenfalls, wenn --wie im [X.] das System der betrieblichen [X.]ltersversorgung vom [X.]rbeitgeber vollständig um- und auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt wird.

cc) Das [X.] ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil kann deshalb keinen Bestand haben.

3. Die Sache ist spruchreif.

a) Unproblematisch ist zunächst, dass der Kläger der Verständigung mit dem [X.]rbeitgeber zugestimmt hat. Eine "[X.]", auf die es nach der Rechtsprechung für die [X.]nnahme einer Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 EStG ankommt, ist, wenn man an dem Erfordernis festhält (zweifelnd [X.]-Urteil vom 23. November 2016 [X.], [X.]E 256, 290, [X.], 383, Rz 26), beim [X.]rbeitnehmer jedenfalls nicht deshalb zu verneinen, weil er einer gütlichen Einigung zugestimmt hat (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 56, [X.], 569). Im Streitfall bestehen insoweit keine Besonderheiten. Der Kläger hat nachvollziehbar dargelegt, dass ihm die [X.] bei [X.] in [X.]ussicht gestellt habe, keine [X.]bfindung und lediglich reduzierte Versorgungsleistungen zu zahlen. Wenn der [X.]rbeitnehmer unter diesen Bedingungen dem neuen Regelwerk zustimmt, steht er dabei unter einem nicht unerheblichen Druck.

b) [X.]uf der Grundlage der vom [X.] festgestellten Tatsachen steht ferner fest, dass es beim Kläger im Streitjahr zu einer "Zusammenballung" von Einkünften und infolge dessen zu einer Progressionssteigerung als Voraussetzung für die [X.]nwendung von § 34 [X.]bs. 1 und [X.]bs. 2 Nr. 2 EStG gekommen ist (dazu zuletzt [X.]-Urteil vom 11. Oktober 2017 IX R 11/17, [X.]E 259, 529, Der Betrieb 2018, 163). Die [X.]bfindung von 45.662 € hat sich auf den Steuertarif erhöhend ausgewirkt.

4. [X.] beruht auf § 135 [X.]bs. 1 [X.]O.

Meta

IX R 12/17

13.03.2018

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 26. Juli 2016, Az: 6 K 1608/13, Urteil

§ 24 Nr 1 Buchst a EStG 2009, § 34 Abs 1 EStG 2009, § 34 Abs 2 Nr 2 EStG 2009, EStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.03.2018, Az. IX R 12/17 (REWIS RS 2018, 12441)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 12441


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IX R 12/17

Bundesfinanzhof, IX R 12/17, 13.03.2018.


Az. 6 K 1608/13

FG München, 6 K 1608/13, 26.07.2016.


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