Bundessozialgericht, Urteil vom 11.02.2015, Az. B 13 R 15/13 R

13. Senat | REWIS RS 2015, 15644

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Gegenstand

(Ausführungen der Widerspruchsbehörde zu Ermessensgründen - bindende Wirkung nach § 163 SGG - Feststellungen des LSG zu einem Widerspruchsbescheid - Auslegung der Begründung des Widerspruchsbescheid - Empfängerhorizont)


Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. Februar 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme einer Rentenbewilligung.

2

Der beklagte Rentenversicherungsträger bewilligte der Klägerin nach dem Tod ihres geschiedenen Ehemannes (Versicherter) ab 1.9.2008 große Witwenrente mit einem Zahlbetrag von monatlich ca 400 Euro (Bescheid vom 8.10.2008). Nachdem die Ehefrau des Versicherten Einwendungen erhob, überprüfte die Beklagte diese Entscheidung und gelangte nunmehr zu dem Ergebnis, dass die Rentenbewilligung zu Unrecht erfolgt sei, da die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten von ihm keinen Unterhalt bezogen und angesichts ihrer eigenen Einkünfte iHv monatlich ca 1180 Euro auch keinen Anspruch darauf gehabt habe. Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 16.10.2008 zur beabsichtigten Aufhebung der Rentenbewilligung nach § 45 [X.]B X an und forderte sie auf, alle Umstände mitzuteilen, die aus ihrer Sicht einer solchen Entscheidung entgegenstünden; die Überzahlung für die Vergangenheit werde nicht zurückgefordert. Die Klägerin antwortete über ihren Prozessbevollmächtigten dahingehend, dass sie sich auf ihre Angaben im Rentenantrag und auf den Bewilligungsbescheid beziehe; das [X.] sei nicht nachvollziehbar. Die Beklagte hob sodann die Bewilligung der Witwenrente ab 1.12.2008 auf. Die Klägerin könne sich nicht auf schützenswertes Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheids berufen. Die Entscheidung sei auch bei Vornahme der erforderlichen Ermessensausübung gerechtfertigt, weil die nach Aktenlage erkennbaren wirtschaftlichen und [X.] Verhältnisse der Klägerin eine Bescheidrücknahme zuließen und zudem der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sowie die Verpflichtung zur zweckentsprechenden Verwendung der Mittel zu beachten seien (Bescheid vom 7.11.2008).

3

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie ihrem Rentenantrag alle notwendigen Unterlagen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Unterhaltssituation - beigefügt habe. Der Versicherte habe mit Beginn des Studiums der gemeinsamen Kinder entsprechend der getroffenen Vereinbarung keinen laufenden Unterhalt mehr an sie selbst, sondern stattdessen zusätzlichen Unterhalt an die Kinder gezahlt; zudem habe sie noch eine einmalige Unterhaltszahlung iHv 25 000 DM erhalten. Deshalb sei der Bescheid vom 7.11.2008 aufzuheben.

4

Die [X.] der Beklagten wies den Rechtsbehelf der Klägerin zurück. Im Widerspruchsbescheid vom [X.] ist näher ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Geschiedenenwitwenrente nicht erfüllt seien, weil die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten von diesem keinen Unterhalt bezogen habe. Daran schließt sich folgender Text an: "Der Bescheid über die Bewilligung der Witwenrente aus der Versicherung des geschiedenen Ehegatten vom 08.10.2008 wurde zu Recht nach § 45 [X.]B X zurückgenommen. Bei dieser Sach- und Rechtslage musste Ihrem Widerspruch der Erfolg versagt bleiben."

5

Das [X.] hat den Rücknahmebescheid und den Widerspruchsbescheid wegen eines Ermessensfehlers im Widerspruchsverfahren aufgehoben (Urteil vom [X.]). Das L[X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 16.2.2012) und ausgeführt, dass die [X.] der Beklagten nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit der Ausgangsentscheidung zu prüfen gehabt habe. Dazu habe sie selbst Ermessen ausüben müssen. Zwar habe die Klägerin weder im Rahmen der Anhörung noch im Widerspruchsverfahren Tatsachen vorgebracht, die bei der Ermessensentscheidung hätten Berücksichtigung finden können. Hierdurch sei die [X.] aber nicht an der Ausübung eigenen Ermessens gehindert gewesen. Diese sei, wie sich aus der Begründung des Widerspruchsbescheids ergebe, ihrer Verpflichtung zur Ermessensbetätigung erkennbar nicht nachgekommen. Sie sei auch nicht auf die [X.] der Ausgangsbehörde eingegangen, etwa indem sie sich diese zu Eigen gemacht oder auf sie Bezug genommen habe. Ein solcher Ermessensausfall im Widerspruchsbescheid habe zugleich die Rechtswidrigkeit und Aufhebung des [X.] zur Folge.

6

Die Beklagte rügt mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision eine Verletzung von § 45 [X.]B X. Der Rücknahmebescheid vom 7.11.2008 enthalte iS des § 35 [X.]B X ausreichende Ausführungen zum Ermessen. Da die Klägerin weder im [X.] noch im Widerspruchsverfahren auch nur ansatzweise ermessensrelevante Gesichtspunkte vorgetragen, vielmehr ausschließlich in materiell-rechtlicher Hinsicht Einwendungen erhoben habe, habe sich der Widerspruchsbescheid auf eine Auseinandersetzung mit den nicht vorliegenden Voraussetzungen des § 243 [X.]B VI konzentriert. Wenn er mit der Feststellung ende, dass der Bewilligungsbescheid vom 8.10.2008 zu Recht nach § 45 [X.]B X zurückgenommen worden sei, könne in einer solchen Konstellation von einem Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauchs keine Rede sein. Eine [X.], die einen ermessensfehlerfreien Ausgangsbescheid überprüfe und insgesamt bestätige, sei nicht verpflichtet, ausdrücklich und speziell auf die dort wiedergegebenen und von ihr nicht beanstandeten [X.] Bezug zu nehmen. Eine formelhafte Übernahme entsprechender Ausführungen des [X.] sei weder einer Selbstkontrolle der Verwaltung noch einer Entlastung der Gerichte dienlich. Aus der Regelung in § 95 [X.]G ergebe sich nichts anderes; ihr komme Bedeutung nur zur, wenn der Widerspruchsbescheid tatsächlich die Gestalt des [X.] ändere, etwa wenn [X.] verändert würden. Im [X.]G werde ebenso wie in der VwGO und in der FGO der ursprüngliche Verwaltungsakt und der Widerspruchsbescheid als Einheit gesehen. Der Widerspruchsbescheid ersetze den ursprünglichen Verwaltungsakt nicht; dieser bleibe vielmehr ebenfalls Gegenstand der Klage.

7

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 16. Februar 2012 und des [X.] vom 4. März 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die vorinstanzlichen Entscheidungen für zutreffend. Nach § 95 [X.]G komme es rechtserheblich allein auf die Formulierungen des Widerspruchsbescheids an; er gebe dem Ausgangsbescheid das für die Klage maßgebliche argumentative Gepräge. Folge man der Rechtsmeinung der Beklagten, wäre in Fällen wie dem vorliegenden ein Ermessensausfall oder Ermessensnichtgebrauch unabhängig von der Wortwahl im Widerspruchsbescheid von vornherein ausgeschlossen. Dies würde der Behörde im Widerspruchsverfahren einen Freibrief erteilen und das Rechtsfolgeermessen generell entwerten.

Entscheidungsgründe

[X.] der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Der [X.] kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des [X.] über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht abschließend entscheiden.

1. Als Rechtsgrundlage für die im Bescheid vom 7.11.2008 verfügte und im Widerspruchsbescheid vom [X.] bestätigte Aufhebung der Bewilligung von großer [X.] (in Gestalt einer sog Geschiedenenwitwenrente - § 243 Abs 1 und 2 [X.]) mit Wirkung für die Zukunft (ab 1.12.2008), weil deren tatbestandliche Voraussetzungen von Anfang an nicht vorgelegen haben, kommt nur § 45 [X.] in Betracht. Nach den gegebenen Umständen war die Klägerin - wovon auch die Beklagte zu Recht ausgeht - hinsichtlich der Bewilligung der [X.] nicht "bösgläubig", sodass von vornherein nur eine Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft in Frage kommt (vgl § 45 Abs 4 [X.], [X.]).

2. Die Regelung des § 45 [X.] erfordert eine Ermessensentscheidung, sofern sich - wie hier - aus den besonderen Teilen des [X.] (vgl § 37 [X.] I) nichts Abweichendes ergibt (stRspr - vgl [X.], 204, 206 f = [X.] 3-1300 § 45 [X.] f; BSG [X.] 3-1300 § 45 [X.]; BSG [X.] 4-2600 § 77 [X.] Rd[X.] 37; BSG [X.] 4-5868 § 12 [X.] Rd[X.] 35; BSG [X.] 4-1300 § 45 [X.]5 Rd[X.] 30; [X.] vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - Rd[X.] 29, zur Veröffentlichung in [X.] 4-7837 § 2 [X.] vorgesehen). Mithin hatte die Beklagte bei Erlass des [X.] vom 7.11.2008 Ermessen auszuüben. Der Ausnahmefall einer Ermessensschrumpfung auf Null, dh wenn nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige - den Betroffenen ganz oder teilweise begünstigende - Entscheidung rechtsfehlerfrei zulassen (vgl [X.] vom [X.] P 8/01 R - Juris Rd[X.] 26; [X.] vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - aaO Rd[X.] 29 f), liegt hier schon wegen der "Gutgläubigkeit" der Klägerin nicht vor. Auch die Beklagte geht im Revisionsverfahren davon aus, dass sie eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte und Ermessenserwägungen unabhängig davon anstellen musste, ob die Klägerin hierzu etwas vorgetragen hat.

3. Entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts kann ein Ermessensfehler, der zur Rechtswidrigkeit der Rücknahme der Rentenbewilligung führt und die Aufhebung des Bescheids vom 7.11.2008 gebietet, hier nicht festgestellt werden.

a) Ob eine Behörde das Ermessen zutreffend ausgeübt hat, unterliegt im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkter Überprüfung. Eine Ermessensentscheidung ist als solche nur rechtswidrig und auf Anfechtung hin nur dann aufzuheben, wenn der Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 [X.] I) verletzt ist (s auch § 54 Abs 2 S 2 SGG). Das Gericht darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen, sondern nur prüfen, ob ein Ermessensfehler vorliegt (Schütze in von [X.]/Schütze, [X.], 8. Aufl 2014, § 45 Rd[X.] 92; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 3. Aufl 2011, § 45 Rd[X.] 70). [X.] ist es, wenn die Behörde ihrer Pflicht zur Ermessensbetätigung überhaupt nicht nachgekommen ist (sog Ermessensnichtgebrauch) oder wenn ihr bei Ausübung des Ermessens Rechtsfehler unterlaufen sind (sog Ermessensfehlgebrauch). Dies ist zu beurteilen anhand der im Rücknahmebescheid angegebenen [X.] (§ 35 Abs 1 [X.] [X.]), sofern solche nicht ausnahmsweise entbehrlich sind (s den Katalog in § 35 Abs 2 [X.], der auch für [X.] gilt - vgl [X.] in von [X.]/Schütze, [X.], 8. Aufl 2014, § 35 Rd[X.]3). Sind [X.] notwendig, genügt es regelmäßig, wenn sie erkennen lassen, (1) dass sich die Behörde bewusst ist, eine Ermessensentscheidung zu treffen, (2) dass sie davon ausgeht, ihre Entscheidung werde beim Betroffenen zu keiner besonderen Härte führen, und (3) dass sie (a) entweder das Vorhandensein weiterer ermessensrelevanter Umstände verneint oder (b) ausführt, weshalb solche Umstände ein Absehen von der Rücknahme weder ganz noch teilweise rechtfertigen können (Steinwedel in [X.] Komm, § 45 [X.] Rd[X.] 56, Stand Einzelkommentierung Oktober 2011; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 3. Aufl 2011, § 45 Rd[X.] 69, jeweils mwN).

b) Der Rücknahmebescheid vom 7.11.2008, den die Beklagte nach ordnungsgemäßer Anhörung (§ 24 Abs 1 [X.]) der Klägerin erlassen hat, enthält in diesem Sinne hinreichende [X.]. Dass bei Erlass dieses Bescheids Ermessen ausgeübt wurde, ergibt sich bereits daraus, dass der Rentenbewilligungsbescheid nur für die Zukunft und nicht auch für die Vergangenheit zurückgenommen wurde, obwohl nach seiner (wenn auch unzutreffenden) Begründung ein Fall des § 45 [X.] vorlag, der gemäß § 45 Abs 4 [X.] [X.] grundsätzlich auch eine Rücknahme für die Vergangenheit eröffnet hätte (BSG [X.] 3-5425 § 24 [X.]4 - Leitsatz 2 bzw [X.] f). Darüber hinaus enthält dieser Bescheid die ausdrückliche Erklärung, dass eine Ermessensausübung vorgenommen wurde, aber die im Rahmen der Anhörung von der Klägerin vorgetragenen Gründe nicht geeignet seien, von einer Bescheidrücknahme abzusehen, zumal die erkennbaren wirtschaftlichen und [X.] Verhältnisse der Klägerin einer Rücknahme nicht entgegenstünden. Das lässt, wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, weder einen Ermessensausfall noch einen Ermessensfehlgebrauch erkennen.

c) Auch der Widerspruchsbescheid vom [X.] enthält keine durchgreifenden Ermessensfehler.

aa) Bei Ermessensentscheidungen muss auch die zur Entscheidung über den Widerspruch berufene Stelle (vgl § 85 Abs 2 [X.] [X.]) Ermessen ausüben. Das entspricht der Funktion des Vorverfahrens (Widerspruchsverfahrens), nicht nur - wie im gerichtlichen Verfahren - die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit der getroffenen Entscheidung nachzuprüfen (§ 78 Abs 1 [X.] SGG). Die [X.] darf deshalb - anders als nachfolgend das Gericht - ihr eigenes (ggf abweichendes) Ermessen an die Stelle des Ermessens der Ausgangsbehörde setzen. Damit korrespondiert, dass auch die [X.] in dem von ihr erlassenen Widerspruchsbescheid [X.] erkennen lassen muss. Nähere Vorgaben dafür, in welcher Weise die [X.] ihre Ermessenserwägungen zum Ausdruck zu bringen hat, bestehen jedoch nicht. § 85 Abs 3 [X.] SGG bestimmt lediglich, dass der Widerspruchsbescheid schriftlich zu erlassen und zu begründen ist; für die Begründung von Ermessensentscheidungen gilt ergänzend § 35 Abs 1 [X.] [X.] (vgl § 62 [X.]). Es ist daher eine Frage des Einzelfalls, ob die Widerspruchsbehörde die Erwägungen der Ausgangsbehörde ausdrücklich verwirft und durch eigene ersetzt oder diese durch eigene Überlegungen ergänzt, nur verdeutlicht oder aber ohne jeden Vorbehalt bestätigt (vgl BVerwG Beschluss vom [X.] - 4 B 24/87 - [X.] 310 § 68 VwGO [X.] 29 ). Aus Rechtsgründen besteht kein Zwang, die [X.] im Widerspruchsbescheid in bestimmter Weise darzutun (BVerwG aaO).

bb) Der [X.] ist aufgrund der Regelung in § 163 SGG nicht verpflichtet, der Ansicht des [X.] zu folgen, dass die [X.] der Beklagten ihrer Verpflichtung zur Ausübung von Ermessen erkennbar nicht nachgekommen sei.

Die Frage, ob die Widerspruchsbehörde Ermessen ausgeübt hat und ob ein Ermessensfehler vorliegt, ist anhand der Gründe des Widerspruchsbescheids zu beurteilen (vgl [X.] vom [X.] - 4 RA 71/96 - Juris Rd[X.] 24 mwN). Die Heranziehung anderer Erkenntnisquellen - etwa eine Vernehmung des Sachbearbeiters als Zeugen oder die Einholung einer dienstlichen Stellungnahme der Behörde - kommt nach dem Zweck der Regelungen in § 85 Abs 3 [X.] SGG iVm § 35 Abs 1 [X.] [X.] von vornherein nicht in Betracht (dies im Ergebnis ebenfalls ablehnend BVerwG Beschluss vom [X.] - 4 B 24/87 - Juris Rd[X.] 2 am Ende). Rechtlich maßgeblich ist somit insoweit nicht das tatsächliche Geschehen ("Was hat die Behörde bei Erlass des Verwaltungsakts wirklich erwogen?"), sondern allein das, was die Behörde in der Begründung des Widerspruchsbescheids anführt. In Übereinstimmung damit hat vorliegend auch das Berufungsgericht seine "Einschätzung" hinsichtlich des Fehlens einer eigenen Ermessensausübung der [X.] ausschließlich durch Auslegung der Begründung des Widerspruchsbescheids gewonnen.

Welchen Inhalt (iS von "Bedeutung" oder "Regelungsgehalt") ein Verwaltungsakt - insbesondere auch seine Begründung - hat, ist aber vom [X.] in eigener Kompetenz zu beantworten; es ist dabei nicht an die Auslegung des Bescheids durch das [X.] gebunden (stRspr - vgl [X.], 1 = [X.] 4-3250 § 33 [X.], Rd[X.]1 - unter Hinweis auf [X.], 104, 110 = [X.] 3-1300 § 32 [X.] 2 [X.]1 und [X.], 18, 23 mwN; [X.] vom [X.] KR 19/09 R - Juris Rd[X.] 21; BSG [X.] 4-1500 § 192 [X.] 2 Rd[X.]8 mwN; [X.] vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - Juris Rd[X.] 21; in diesem Sinne auch BVerwG Urteil vom 3.11.1998 - 9 C 51/97 - NVwZ-RR 1999, 277 ; BVerwGE 134, 335 Rd[X.]8; BVerwGE 143, 87 Rd[X.] 39). Mit bindender Wirkung (§ 163 SGG) vom [X.] für das [X.] vorentschieden sind lediglich dessen Feststellungen zum Wortlaut des Widerspruchsbescheids (auch insoweit als "Inhalt" bezeichnet - vgl BVerwGE 134, 335 Rd[X.]8; s hierzu auch [X.], [X.], 2. Aufl 1997, Abschn [X.] Rd[X.] 464 f).

cc) Die Auslegung der Begründung des Widerspruchsbescheids vom [X.] ergibt, dass auch die [X.] in nicht zu beanstandender Weise Ermessen ausgeübt hat.

Der [X.] legt seiner Auslegung den - im Übrigen unstreitigen - Wortlaut des Widerspruchsbescheids vom [X.] so zugrunde, wie ihn das [X.] im Tatbestand seiner Entscheidung (auf [X.] des Urteilsumdrucks) wiedergegeben hat. Zwar ist dort das Wort "Ermessen" nicht erwähnt. Der Widerspruchsbescheid befasst sich vielmehr ganz überwiegend mit der Darlegung der Rechtswidrigkeit des [X.] vom 8.10.2008 als tatbestandliche Voraussetzung einer auf § 45 [X.] gestützten Rücknahmeentscheidung. Die Verwendung des Begriffs "Ermessen" ist allerdings kein unverzichtbares Element der Begründung eines Verwaltungsakts, welcher die Ermessensbetätigung und die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte lediglich "erkennen lassen" muss (vgl § 35 Abs 1 [X.] iVm § 62 [X.]).

Die Formulierung "Der Bescheid (…) vom 08.10.2008 wurde zu Recht nach § 45 [X.] zurück genommen" zeigt jedoch aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles noch hinreichend deutlich, dass auch die [X.] der Beklagten davon ausgegangen ist, eine Ermessensentscheidung treffen zu müssen. Entscheidend für die Auslegung der Begründung des Widerspruchsbescheids ist, wie ein verständiger Empfänger sie verstehen muss (sog [X.] - vgl [X.], 86 = [X.] 4-1500 § 54 [X.] 21, Rd[X.]8 mwN; BSG [X.] 4-1500 § 192 [X.] 2 Rd[X.]8; [X.], 57 = [X.] 4-2500 § 103 [X.]3, Rd[X.] 24). Die vorgenannte Formulierung verdeutlicht, dass eine Abänderung der Ausgangsentscheidung durch die [X.] ersichtlich nicht gewollt war. Dies wäre zB dann der Fall, wenn die [X.] - anders als die Ausgangsbehörde - nunmehr eine rechtlich gebundene Entscheidung getroffen hätte. Dafür liegen hier aber keine Anhaltspunkte vor. Im Ergebnis hat die [X.] die Entscheidung der Ausgangsbehörde vielmehr als "zu Recht" getroffen übernommen. Sie hat damit auch auf deren Ermessenserwägungen inhaltlich Bezug genommen und sie bestätigt; einer weiteren Begründung (§ 35 Abs 1 [X.] [X.]) bedurfte es dann nicht. Jedenfalls kann daraus nicht geschlossen werden, dass sie die Zweckmäßigkeit außer [X.] gelassen hat. Mit dieser Auslegung korrespondiert, dass § 95 SGG den Ausgangsbescheid und den Widerspruchsbescheid als Einheit zur gerichtlichen Überprüfung stellt.

4. Im Ergebnis liegt somit auch hinsichtlich des Widerspruchsbescheids ein Ermessensfehler nicht vor. Ob die angefochtenen Bescheide aus anderen Gründen rechtswidrig oder aber rechtmäßig sind, kann der [X.] auf der Grundlage der vom [X.] getroffenen Feststellungen allerdings nicht abschließend entscheiden. Es fehlen - vom Rechtsstandpunkt des [X.] aus konsequent - tatsächliche Feststellungen, die eine Beurteilung durch das [X.] erlauben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme des [X.] vom 8.10.2008 vorliegen, insbesondere ob die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten von diesem Unterhalt erhalten oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf gehabt hat. Dies wird das Berufungsgericht nunmehr nachzuholen haben.

Das [X.] wird bei seiner abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Meta

B 13 R 15/13 R

11.02.2015

Bundessozialgericht 13. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Karlsruhe, 4. März 2010, Az: S 6 R 1688/09, Urteil

§ 39 Abs 1 S 2 SGB 1, § 243 Abs 1 SGB 6, § 243 Abs 2 SGB 6, § 35 Abs 1 S 3 SGB 10, § 45 Abs 1 SGB 10, § 45 Abs 2 S 3 SGB 10, § 45 Abs 4 S 1 SGB 10, § 54 Abs 1 S 2 SGG, § 54 Abs 2 S 2 SGG, § 78 Abs 1 S 1 SGG, § 85 Abs 2 S 1 Nr 2 SGG, § 85 Abs 3 S 1 SGG, § 95 SGG, § 163 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 11.02.2015, Az. B 13 R 15/13 R (REWIS RS 2015, 15644)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 15644

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