Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.12.2012, Az. V B 114/11

5. Senat | REWIS RS 2012, 447

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Gegenstand

Keine Festsetzung unberechtigt ausgewiesener Umsatzsteuer ohne Prüfung der Rechnung


Leitsatz

1. NV: Das Gericht muss von sich aus die Akten beiziehen, die Informationen für die Entscheidung des Rechtsstreits enthalten können .  

2. NV: Bestätigt das FG die Inanspruchnahme eines Klägers wegen unberechtigten Steuerausweises (§ 14 Abs. 3 UStG a.F., ab 2004: § 14c UStG), muss es den Inhalt der Rechnungen jedenfalls dann durch deren Beiziehung aufklären und kann nicht auf die Feststellungen der Steuerfahndung Bezug nehmen, wenn der Kläger geltend macht, die Schriftstücke erfüllten nicht alle Merkmale einer Rechnung .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war bis zur Veräußerung seiner Anteile am 18. Oktober 2004 und der anschließenden Einstellung des Gewerbebetriebes Geschäftsführer der [X.] Im [X.] an eine Steuerfahndungsprüfung setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) mit Bescheiden vom 14. Januar 2005 die Umsatzsteuer auf der Grundlage des Ergebnisses der Prüfung fest. Nachdem das [X.] die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der N-GmbH mit Beschluss vom 13. Juni 2006 abgelehnt hatte, nahm das [X.] mit Bescheid vom 29. März 2007 den Kläger für rückständige Umsatzsteuer der Jahre 2000 bis 2004 nach § 69 i.V.m. §§ 34 und 35 der Abgabenordnung in Haftung.

2

Das Finanzgericht (FG) bestätigte den Haftungsbescheid  u.a. mit der Begründung, nach "den Feststellungen der Steuerfahndung in [X.] 5. des Ermittlungsberichts vom 2. 11. 2006 ([X.] 86 der [X.] 9315/07), denen der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten ist, hat dieser im Bericht im Einzelnen dargelegten Fällen Rechnungen mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer erstellt, ohne die in den Rechnungen ausgeführten Leistungen tatsächlich erbracht zu haben" und der "weitere Einwand des [X.], dass die fraglichen Rechnungen nicht alle Merkmale einer Rechnung i.S.d. § 14 UStG aufweisen würden, ist unbeachtlich, weil dies gerade keine Voraussetzung für die Anwendung des § 14c ist (Bundesfinanzhof --BFH-- Urteil vom 17.2.2011 V R 39/09, Bundessteuerblatt – [X.], 734)".

Entscheidungsgründe

3

II. Die Beschwerde, mit der der Kläger Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) geltend macht, führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O.

4

1. Zu Recht rügt der Kläger, das [X.] habe gegen die ihm nach § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O obliegende Sachaufklärungspflicht verstoßen.

5

a) Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Im finanzgerichtlichen Verfahren bilden die Akten bzw. der Akteninhalt eine wesentliche Entscheidungsgrundlage. Die beteiligte Behörde hat die den Streitfall betreffenden Akten vorzulegen (§ 71 Abs. 2 [X.]O). Zur Aufklärung des Sachverhalts kann das Gericht Akten und Urkunden anderer Behörden beiziehen und Auskünfte einholen (§§ 86, 79 Abs. 1 Nr. 3 und 4 [X.]O). Zwar hängen Umfang und Nachdruck der vom [X.] anzustellenden Ermittlungen grundsätzlich auch vom Vorbringen der Beteiligten ab; das Gericht braucht den Sachverhalt nicht "ins Blaue hinein" zu erforschen. Das Gericht muss aber von sich aus die Akten beiziehen, die Informationen für die Entscheidung des Rechtsstreits enthalten können (vgl. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 18. April 1975 III R 159/72, [X.], 527, 530, [X.] 1975, 741; [X.] vom 18. September 1989 IV B 3/89, [X.] 1990, 378).

6

b) Das [X.] hat bei der Prüfung der Frage, ob das [X.] zu Recht den Kläger für Umsatzsteuerschulden der GmbH nach § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der vor dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung (Streitjahre 2000 bis 2003) bzw. nach § 14c UStG in der ab 2004 geltenden Fassung (Streitjahr 2004) in Anspruch genommen hat, weil die GmbH Rechnungen über nicht von ihr erbrachte Leistungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer erstellt hat, den konkreten Inhalt der streitigen Rechnungen nicht selbst festgestellt, sondern sich insoweit allein auf die Feststellungen der Steuerfahndung gestützt. Zur Feststellung des genauen Inhalts der Rechnungen hätte jedenfalls Anlass bestanden, nachdem der Kläger --wie sich auch aus dem angefochtenen Urteil ergibt-- im finanzgerichtlichen Verfahren geltend gemacht hatte, die GmbH sei in Bezug auf diese Leistungen als Vermittlerin tätig geworden und es habe sich um [X.] in Bezug auf diese Leistungen gehandelt; auch wiesen die Rechnungen nicht alle Merkmale einer Rechnung i.S. des § 14 UStG aus. Auch wenn --wie das [X.] unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 17. Februar 2011 V R 39/09 ([X.], 94, [X.] 2011, 734) zu Recht ausführt-- ein unberechtigter Steuerausweis i.S. des § 14c UStG nicht voraussetzt, dass die Rechnung alle in § 14 Abs. 4 UStG aufgezählten Pflichtangaben aufweist, war die Feststellung des genauen Inhalts dieser Rechnungen durch das [X.] nicht obsolet.

7

c) Der Kläger hat diesen Verfahrensfehler, dass das [X.] die Akten, in denen sich nach dem Vortrag des [X.] die streitigen Rechnungen befinden, nicht beigezogen und den genauen Inhalt der Rechnungen nicht selbst festgestellt hat, ordnungsgemäß gerügt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O). Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass die Vorentscheidung bei Würdigung des gesamten Akteninhalts aufgrund des materiell-rechtlichen Standpunkts des [X.] anders ausgefallen wäre.

8

2. Das [X.] hat im Rubrum seines Urteils als Streitgegenstand "Haftung für Umsatzsteuer 2007" bezeichnet. Gegenstand des Verfahrens war jedoch --wie sich eindeutig aus Tatbestand und Entscheidungsgründen des Urteils ergibt-- der gegenüber dem Kläger erlassene Haftungsbescheid vom 29. März 2007 für Umsatzsteuerschulden der GmbH 2000 bis 2003 sowie für das 1. Vierteljahr 2004 und April 2004. Einer Berichtigung des Rubrums des angefochtenen Urteils des [X.], die im Beschwerdeverfahren grundsätzlich dem [X.] obliegt (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 8. Januar 2010 V B 99/09, [X.] 2010, 911; vom 24. Mai 2007 VII B 105/06, [X.] 2007, 1902), bedarf es nicht, weil das angefochtene Urteil aufgehoben wird.

9

3. Da das Urteil bereits aufgrund des Verfahrensfehlers keinen Bestand haben kann, bedarf es keines [X.] auf das weitere Vorbringen des [X.]. Von einer weiteren Begründung wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O, der auch für den Beschluss nach § 116 Abs. 6 [X.]O gilt, abgesehen (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 25. Oktober 2012 X B 22/12, juris; vom 23. September 2002 IV B 156/00, [X.] 2003, 191).

Meta

V B 114/11

12.12.2012

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 25. Oktober 2011, Az: 5 K 9315/07, Urteil

§ 71 Abs 2 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 79 Abs 1 FGO, § 86 FGO, § 115 Abs 2 FGO, § 14 Abs 3 UStG 1999, § 14c UStG 2005, § 14 Abs 4 UStG 2005

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.12.2012, Az. V B 114/11 (REWIS RS 2012, 447)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 447

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