Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.09.2015, Az. XI R 47/13

11. Senat | REWIS RS 2015, 5383

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Gegenstand

(Zur Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens bei unberechtigtem Steuerausweis i.S. des § 14c Abs. 2 UStG - Teilaufnahme eines wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Revisionsverfahrens durch Insolvenzschuldner)


Leitsatz

NV: Eine Gefährdung des Steueraufkommens ist nicht i.S. von § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG beseitigt, wenn die zuständige Steuerfahndungsstelle Zweifel daran hat, ob in Rechnung gestellte Leistungen tatsächlich ausgeführt worden sind .

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 12. September 2013  10 K 692/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die [X.]lägerin und Revisionsklägerin ([X.]lägerin) betrieb ab August 2010 einen "[X.]roß- und Einzelhandel mit [X.]lebebändern und Verpackungen sowie deren Bedruckung und Eventplanung".

2

Im Besteuerungszeitraum 2011 (Streitjahr) war die [X.]lägerin als "zwischengeschaltete" Unternehmerin in von ihr so bezeichnete "[X.]" (bei denen die Warenbewegung unmittelbar vom jeweiligen [X.] der [X.]lägerin an deren Abnehmer erfolgte) über die angebliche Lieferung von Aluminium- und Stretchfolien (nachfolgend: [X.]) eingebunden.

3

In der [X.] von März 2011 bis September 2011 erhielt die [X.]lägerin Rechnungen über angebliche [X.] von der E-[X.]mbH, [X.], [X.]-[X.]mbH, H-[X.]mbH und [X.] (nachfolgend gemeinsam: [X.]). Die in den eingegangenen Rechnungen gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von 133.788,51 € zog die [X.]lägerin als Vorsteuer ab. Zum [X.]punkt der streitgegenständlichen [X.] unterhielt nur die H-[X.]mbH ein wirtschaftlich aktives Unternehmen, hatte tatsächlich jedoch keine [X.]eschäftsbeziehungen zur [X.]lägerin.

4

Für die angebliche Weiterlieferung der Folien stellte die [X.]lägerin im gleichen [X.]raum an die B-[X.]mbH gerichtete Rechnungen aus, in denen sie Umsatzsteuer in Höhe von 147.069,63 € gesondert auswies.

5

Sowohl den [X.]ontakt zur B-[X.]mbH als auch den [X.]ontakt zu den [X.] vermittelte [X.].

6

Obwohl die angeblich gelieferten Folien sich zu keiner [X.] am Standort des Unternehmens der [X.]lägerin befunden hatten, brachte sie auf den eingehenden Lieferscheinen sowie auf den Ausgangsrechnungen und den dazugehörigen Lieferscheinen verschiedene Vermerke über Art und Weise der Lieferung an, wie z.B."Palettentausch" bzw. "alle Paletten getauscht" oder "Abholung per Spedition" bzw. "die Lieferung erfolgt per Selbstabholung".

7

Die angeblichen Lieferungen bezahlte die [X.]lägerin per Verrechnungsscheck. Sie übergab die Verrechnungsschecks jedoch nicht direkt den [X.], sondern an eine Bekannte, die die Schecks zunächst an [X.] weitergeben sollte, damit dieser sie an den jeweiligen [X.] weiterreichen konnte.

8

In ihrer im Juli 2012 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) eingegangenen Umsatzsteuererklärung für 2011 erklärte die [X.]lägerin u.a. steuerpflichtige Lieferungen an die B-[X.]mbH in Höhe von 716.987,76 € und errechnete eine Umsatzsteuer von 17.498,75 €.

9

Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung stellte die [X.] des Finanzamts X fest, dass sowohl den Wareneinkäufen bei den [X.] als auch den erklärten Umsätzen an die B-[X.]mbH tatsächlich keine Warenlieferungen zugrunde lagen und es sich bei den Rechnungen um sogenannte Scheinrechnungen handele, die ausschließlich dazu hätten dienen sollen, der [X.]lägerin (aus den Rechnungen der [X.]) und der B-[X.]mbH (aus den Rechnungen der [X.]lägerin) den Vorsteuerabzug zu ermöglichen. Der [X.]lägerin stehe ein Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der [X.] nicht zu; sie schulde die von ihr ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 14c Abs. 2 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (USt[X.]).

Mit Schreiben vom 30. August 2012 an die B-[X.]mbH unter deren neuer Firma "… [X.]mbH" forderte die [X.]lägerin die an die B-[X.]mbH gestellten Rechnungen zurück.

Das [X.] folgte der Auffassung der Steuerfahndung und erließ am 9. Oktober 2012 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr, in dem die Umsatzsteuer auf 162.129,16 € festgesetzt wurde.

Einspruch und [X.]lage hatten keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (F[X.]) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 77 veröffentlicht.

Das F[X.] entschied, das [X.] habe zu Recht die Umsatzsteuer in Höhe von 147.069,63 € gemäß § 14c Abs. 2 Satz 2 USt[X.] festgesetzt, da den von der [X.]lägerin ausgestellten und an die B-[X.]mbH ausgegebenen Rechnungen unstreitig keine Leistungen zugrunde gelegen hätten. Die Auffassung der [X.]lägerin, die vom Rechnungsaussteller gesetzte [X.]efährdung des Steueraufkommens bestehe nicht mehr fort, wenn der Fiskus die Zweifelhaftigkeit der Lieferung kenne bzw. kennen müsse, finde keine Stütze im [X.]esetz.

Den Vorsteuerabzug aus den zugehörigen Rechnungen habe das [X.] ebenfalls zu Recht versagt. Das Tatbestandsmerkmal "Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen" erfordere, dass die Leistung tatsächlich ausgeführt worden sei.

Die von der [X.]lägerin geltend gemachten [X.]esichtspunkte des Vertrauensschutzes seien im Festsetzungsverfahren nicht zu berücksichtigen. Sie sei auch nicht gutgläubig gewesen.

Mit der Revision rügt die [X.]lägerin sowohl Verfahrensfehler als auch die Verletzung materiellen Rechts (§ 14c Abs. 2 USt[X.]).

Das F[X.]-Urteil sei nicht i.S. von § 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung (F[X.]O) mit [X.]ründen versehen. Das F[X.] habe zum einen ohne weitere Auseinandersetzung und ohne eigene Tatsachenermittlung festgestellt, dass im Streitfall "unstreitig" keine tatsächlichen Leistungen erbracht worden seien. Diese Feststellung sei jedoch entgegen der Auffassung des F[X.] gerade nicht unstreitig. Zum anderen habe das F[X.] nicht ausgeführt, aufgrund welcher Tatsachenwürdigung es davon ausgegangen sei, dass die [X.]efährdung des Steueraufkommens nicht beseitigt worden sei. Es habe sich insoweit nicht einfach auf die Mitteilung des für die Besteuerung der B-[X.]mbH unzuständigen [X.] verlassen dürfen.

In materiell-rechtlicher Hinsicht habe das F[X.] § 14c Abs. 2 USt[X.] falsch angewendet. Die Steuerfahndung sei aufgrund ihrer Ermittlungen bereits im September 2011 davon ausgegangen, dass die B-[X.]mbH von ihr (der [X.]lägerin) Scheinrechnungen erhalten habe, und hätte daher die für die Umsatzbesteuerung der B-[X.]mbH zuständige Stelle des Finanzamts [X.] informieren müssen. Eine [X.]efährdung des Steueraufkommens wäre damit jedenfalls für die von ihr im September ausgestellten Rechnungen ausgeschlossen gewesen, da der Vorsteuerabzug hieraus frühestens im Oktober 2011 geltend gemacht werden konnte und vom Finanzamt [X.] hätte versagt werden können.

Während des Revisionsverfahrens eröffnete das [X.] mit Beschluss vom …. März 2014 ([X.]) das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.]lägerin. Die Zahllast aus der [X.] 2011 vom 9. Oktober 2012 (144.630,41 €) wurde vom [X.] nach Abzug bereits getilgter Beträge (6.094,46 €) in Höhe von 138.535,95 € zur Tabelle angemeldet und vom Insolvenzverwalter im Prüfungstermin vom 23. Mai 2014 in dieser Höhe festgestellt.

Der Insolvenzverwalter erklärte mit Schreiben vom 14. April 2014 die Freigabe "des Revisionsverfahrens vor dem [X.] wegen Umsatzsteuer 2011, [X.].: [X.]/13".

Der Prozessbevollmächtigte hat mit [X.] vom 28. November 2014 unter Vorlage einer erneuten Vollmacht im Namen der [X.]lägerin die Aufnahme des Verfahrens erklärt.

Die [X.]lägerin beantragt,
das Urteil des F[X.] aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung an das F[X.] zurückzuverweisen.

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Die von der [X.]lägerin gerügten Verfahrensfehler lägen nicht vor.

Eine "Überlagerung" der --hier vorliegenden-- abstrakten [X.]efährdung des Steueraufkommens durch ein Mitverschulden der Finanzbehörden scheide aus, da ein solches Mitverschulden gemäß der [X.]onzeption von § 14c Abs. 2 USt[X.] nur relevant sein könnte, wenn es sich --was hier nicht der Fall [X.] auf die Ausstellung der Rechnung bezöge.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O), soweit das Verfahren fortgeführt wird.

Die Klägerin konnte das Revisionsverfahren nur insoweit aufnehmen, als die streitgegenständlichen [X.] gezahlt worden sind (s. dazu unter 1.). Die von ihr erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg (s. dazu unter 2.). Das [X.] hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass die Klägerin die in den von ihr ausgestellten Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG schuldet und sie aus den an sie gerichteten Rechnungen keinen Vorsteuerabzug geltend machen kann (s. dazu unter 3. und 4.).

1. Das durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin zunächst gemäß § 155 [X.]O i.V.m. § 240 der Zivilprozessordnung unterbrochene Revisionsverfahren wird aufgrund der Erklärung der Klägerin nur in Höhe von 6.094,46 € fortgeführt.

a) Der Insolvenzverwalter hat den Rechtsstreit nicht aufgenommen. Die Freigabe eines streitbefangenen [X.] bedeutet regelmäßig, dass der Insolvenzverwalter die Aufnahme des Verfahrens ablehnt (MünchKomm[X.]/[X.], 3. Aufl., § 85 Rz 23, m.w.N.; vgl. auch Urteil des [X.] vom 24. Juli 2003 IX ZR 333/00, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2003, 943, unter [X.], Rz 18).

aa) Dies ist vorliegend nur in Höhe von 6.094,46 € der Fall. Von den fälligen Steuerschulden der Klägerin in Höhe von 144.630,41 € sind insgesamt 6.094,46 € getilgt worden (verrechnete Erstattung bezüglich Einkommensteuer 2012 und Solidaritätszuschlag 2012: 2.459 € und 133,61 €, Zahlung der Klägerin: 195,35 €, Zahlungen Dritter: 3.306,50 €). In dieser Höhe waren die [X.] entrichtet, was bedeutet, dass es sich insoweit um einen Aktivprozess i.S. von § 85 der Insolvenzordnung ([X.]) handelt, weil das Verfahren dazu führen soll, dass die zur Verteilung anstehende Masse vergrößert wird (vgl. dazu z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 7. März 2006 VII R 11/05, [X.], 11, [X.], 573, unter [X.], Rz 9; vom 27. Oktober 2011 III R 60/09, [X.], 576, Rz 10).

[X.]) Soweit die nicht getilgten [X.] in Höhe von 138.535,95 € zur Insolvenztabelle festgestellt worden sind, war die Klägerin nicht zur Aufnahme des insoweit vorliegenden Passivprozesses berechtigt. Liegt für eine Insolvenzforderung --wie im [X.] ein vollstreckbarer Schuldtitel vor, so obliegt es dem Insolvenzschuldner, einen von ihm erhobenen Widerspruch binnen einer Frist von einem Monat, beginnend mit dem Prüfungstermin, durch Aufnahme des anhängigen Rechtsstreits zu verfolgen (§ 184 Abs. 2 Sätze 1 und 2 [X.]; vgl. dazu: MünchKomm[X.]/[X.], a.a.[X.], § 184 Rz 8d; [X.], [X.] 2012, 103, 114). Dies ist nicht erfolgt. Die Klägerin hat das Verfahren erst am 28. November 2014 und damit mehr als einen Monat nach dem Prüfungstermin am 23. Mai 2014 aufgenommen. Ihre Aufnahmeerklärung ist daher insoweit unwirksam (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 11, [X.], 573, unter [X.], Rz 15; [X.] vom 19. März 2009 X B 224/08, [X.], 1149, unter II.2., Rz 22).

b) Die Klägerin war nur insoweit befugt, den Rechtsstreit aufzunehmen, als ein Aktivprozess vorliegt (§ 85 Abs. 2 [X.]; vgl. dazu z.B. [X.]-Urteil vom 19. Februar 2014 XI R 1/12, [X.], 1398, Rz 16, m.w.N.).

2. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel sind teilweise nicht ausreichend dargelegt und liegen im Übrigen nicht vor.

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das Urteil des [X.] i.S. von § 119 Nr. 6 und § 105 Abs. 2 Nr. 5 [X.]O mit Gründen versehen.

aa) Ein Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 6 [X.]O liegt nur dann vor, wenn die Urteilsgründe ganz oder zum Teil fehlen und sie den Prozessbeteiligten keine Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht, d.h. wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. dazu z.B. [X.] vom 26. September 2012 III B 222/10, [X.], 71, Rz 39; vom 9. September 2013 XI B 103/12, [X.], 1923, Rz 22). Eine aus Sicht des Beteiligten lückenhafte oder fehlerhafte Begründung des Urteils stellt aber grundsätzlich keinen Mangel i.S. von § 119 Nr. 6 [X.]O dar (vgl. z.B. [X.] vom 8. Januar 2014 XI B 120/13, [X.], 686, Rz 19, m.w.N.).

[X.]) Nach diesen Maßgaben ist die Vorentscheidung mit Gründen versehen. Die Entscheidungsgründe des [X.] lassen hinreichend erkennen, auf Grund welcher Erwägungen das [X.] zu dem von ihm gefundenen Ergebnis gelangt ist. Insbesondere ergibt sich --wie die Klägerin selbst in der Revisionsbegründung ausführt-- aus der Wiedergabe der Prüfungsfeststellungen im Tatbestand sowie aus den Ausführungen unter 1.d und 2.a cc, b hh der Entscheidungsgründe, dass das [X.] davon ausging, dass tatsächlich keine [X.] stattgefunden haben. Auch hat das [X.] unter 1.d der Entscheidungsgründe ausdrücklich die Auffassung der Klägerin zurückgewiesen, eine Gefährdung bestehe jedenfalls dann nicht, wenn der Fiskus die Zweifelhaftigkeit der Lieferung kenne oder kennen müsse.

b) Soweit die Klägerin mit ihren Ausführungen in der Revisionsbegründung die Verletzung der sich aus § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O ergebenden Sachaufklärungspflicht durch das [X.] rügen will, hat sie diesen Verfahrensfehler nicht schlüssig dargelegt.

aa) Eine schlüssige Aufklärungsrüge erfordert die genaue Bezeichnung der ermittlungsbedürftigen Tatsachen (präzise Angabe der Beweisthemen) sowie die substantiierte Darlegung, inwiefern das Urteil des [X.] --ausgehend von dessen materiell-rechtlicher Auffassung-- auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen könne und was das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 4. Mai 2011 II R 55/09, [X.], 1702, Rz 9; vom 10. April 2013 I R 45/11, [X.], 332, [X.], 771, Rz 25).

[X.]) Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen der Klägerin in der Revisionsbegründung nicht. Soweit die Revisionsbegründung überhaupt Ausführungen dazu enthält, welche Tatsachen das [X.] nach Ansicht der Klägerin hätte ermitteln müssen, fehlt jedenfalls jegliches Vorbringen dazu, welches voraussichtliche Ergebnis die Beweisaufnahme erbracht hätte.

3. Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin die in den von ihr an die B-GmbH ausgegebenen Rechnungen gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von 147.069,63 € nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG schuldet.

a) Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), schuldet gemäß § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG den ausgewiesenen Betrag. Das Gleiche gilt, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt (§ 14c Abs. 2 Satz 2 UStG).

§ 14c UStG beruhte im Streitjahr unionsrechtlich auf Art. 203 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), wonach die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet wird, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist. Zweck beider Bestimmungen ist es, als Gefährdungstatbestand den Missbrauch durch Ausstellung von Rechnungen zu verhindern und einem Ungleichgewicht von Steuer und Vorsteuerabzug zu begegnen sowie die unberechtigte Ausgabe von Abrechnungen mit gesondert ausgewiesener Steuer zu verhindern, die eine Gefährdung des Steueraufkommens dadurch herbeiführt, dass der Empfänger der Abrechnung in den Stand versetzt wird, unberechtigt einen Vorsteuerabzug vorzunehmen (vgl. dazu z.B. [X.]-Urteil vom 25. September 2013 XI R 41/12, [X.], 69, [X.], 135, Rz 12 und 13, m.w.N. aus der Rechtsprechung des [X.] und des Gerichtshofs der [X.] --[X.]--). Derjenige, der mit einer Rechnung (§ 14 Abs. 4 UStG) oder einer anderen Urkunde das Umsatzsteueraufkommen gefährdet oder schädigt, muss hierfür einstehen ([X.]-Urteil vom 7. April 2011 V R 44/09, [X.]E 234, 430, [X.], 954, Rz 13).

b) Nach diesen Grundsätzen schuldet die Klägerin gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG die mit Ausgabe der von ihr ausgestellten Rechnungen entstandene Steuer.

Das [X.] hat festgestellt, dass keine tatsächlichen Lieferungen von und an die Klägerin stattgefunden haben, da die angeblich an die Klägerin liefernden Gesellschaften entweder nicht existent bzw. wirtschaftlich inaktiv waren oder --im Fall der H-GmbH-- tatsächlich keine Geschäftsbeziehungen zur Klägerin unterhielten. Diese Feststellungen verstoßen weder gegen Denkgesetze noch allgemeine Erfahrungssätze und wurden von der Klägerin --wie oben unter 2. dargelegt-- nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen. Der Senat ist damit an diese Feststellungen gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O gebunden (vgl. dazu z.B. [X.]-Urteile vom 19. Mai 2010 XI R 78/07, [X.]/NV 2010, 2132, Rz 33; vom 28. Mai 2013 XI R 32/11, [X.], 419, [X.], 411, Rz 29 und 30; vom 13. November 2013 XI R 24/11, [X.], 471, [X.], 471, Rz 43 und 44).

c) Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob sie Kenntnis von einer ggf. unberechtigten Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs bei der B-GmbH hatte. Maßgeblich ist allein die durch die Klägerin erfolgte Ausstellung einer Rechnung über eine tatsächlich nicht ausgeführte Leistung. Der gesetzliche Tatbestand in § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG verlangt weder, dass der Aussteller der Rechnung (bzw. der Urkunde) deren missbräuchliche Verwendung durch den Rechnungsempfänger kennt, noch ist eine dahin gehende Absicht erforderlich (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 30. März 2006 V R 46/03, [X.]/NV 2006, 1365, unter [X.], Rz 14; in [X.]E 234, 430, [X.], 954, Rz 13, m.w.N.).

d) Im Streitfall war --entgegen der Auffassung der [X.] die mit Ausgabe der Rechnung eingetretene Gefährdung des Steueraufkommens auch nicht wieder dadurch beseitigt, dass die Steuerfahndung das für die Besteuerung der Rechnungsempfänger zuständige [X.] hätte informieren müssen.

aa) Für den Fall, dass eine mit Ausgabe der Rechnung eingetretene Gefährdung des Steueraufkommens nachträglich wieder entfällt, sieht § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG vor, dass der nach den Sätzen 1 und 2 geschuldete Steuerbetrag berichtigt werden kann, soweit die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. Die Gefährdung des Steueraufkommens ist nach § 14c Abs. 2 Satz 4 UStG (nur) dann beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer an die Finanzbehörde zurückgezahlt worden ist. Die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags ist beim [X.] gesondert schriftlich zu beantragen und nach dessen Zustimmung in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Voraussetzungen des § 14c Abs. 2 Satz 4 UStG eingetreten sind (§ 14c Abs. 2 Satz 5 UStG). Die aufgrund des unrichtigen Steuerausweises entstandene Umsatzsteuer besteht bis zur --ohne Rückwirkung eintretenden-- Berichtigung des Steuerbetrags (§ 14c Abs. 2 Satz 5 UStG; vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 19. März 2009 V R 48/07, [X.]E 225, 215, [X.], 92, unter [X.] [X.], Rz 39; ebenso [X.] vom 19. Mai 2015 V B 133/14, [X.]/NV 2015, 1116, Rz 6, m.w.N.). Eine rückwirkende Berichtigung eines unberechtigt ausgewiesenen Steuerbetrags widerspräche dem Regelungszweck von § 14c Abs. 2 UStG (vgl. zu § 14 Abs. 2 UStG in der bis 2003 geltenden Fassung: [X.] vom 6. April 2005 V B 60/04, [X.]/NV 2005, 1976, unter [X.], Rz 15).

[X.]) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Eine Berichtigung der streitgegenständlichen Umsatzsteuer 2011 kommt bereits nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin nicht in Betracht. Sie hat selbst ausgeführt, dass sie die Rechnungen erst im August 2012 berichtigt hat. Unter diesen Umständen ist eine Berichtigung noch im streitgegenständlichen Besteuerungszeitraum 2011 ausgeschlossen.

cc) Eine über § 14c Abs. 2 Satz 4 UStG hinausgehende Möglichkeit, wie eine eingetretene Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt werden kann, sieht das nationale Recht nicht vor. Soweit die Klägerin im Ergebnis meint, die Gefährdung des Steueraufkommens könne auch aufgrund anderer Umstände "entfallen" bzw. i.S. des § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG beseitigt werden, stellt sich diese Frage im Streitfall nicht; denn es ist weder vom [X.] festgestellt noch von der Klägerin vorgetragen worden, dass das für die Besteuerung der B-GmbH zuständige Finanzamt [X.] überhaupt Informationen über die Ermittlungsergebnisse der Steuerfahndung des Finanzamts X --deren Bericht vom 6. August 2012 datiert-- hatte. Die von der Klägerin vertretene Auffassung liefe im Übrigen darauf hinaus, dass die Steuerfahndung stets alle beteiligten Finanzämter über noch nicht abgeschlossene Ermittlungen unterrichten müsste. Dies ist abzulehnen.

e) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung des [X.].

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] wird der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer durch die von den Mitgliedstaaten vorzusehende Möglichkeit gewahrt, jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer zu berichtigen, wenn der Rechnungsaussteller seinen guten Glauben nachweist oder wenn er die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat (vgl. z.B. [X.]-Urteile [X.] - 56 vom 31. Januar 2013 [X.]/11, [X.]:[X.], [X.], 346, Rz 48; [X.] vom 13. März 2014 [X.]/13, [X.]:[X.], [X.], 705, Rz 55; ebenso die von der Klägerin zitierten [X.]-Urteile Schmeink & Cofreth und Strobel vom 19. September 2000 [X.]/98, [X.]:C:2000:469, [X.], 470, Rz 56 bis 58, und [X.] vom 18. Juni 2009 [X.], [X.]:[X.], [X.], 647, Rz 35 und 36). Dies ist vorliegend durch die Klägerin im Streitjahr nicht geschehen.

4. Das [X.] hat den Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen zu Recht versagt.

a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG). Diese Vorschriften beruhen im Streitjahr 2011 auf Art. 168 Buchst. a MwStSystRL.

b) Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist, dass tatsächlich eine Leistung ausgeführt worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung von [X.] und [X.] erstreckt sich das Recht auf Vorsteuerabzug nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung ausgewiesen ist; vielmehr muss die ausgewiesene Steuer aufgrund der tatsächlich erbrachten Lieferung oder sonstigen Leistung geschuldet werden (vgl. z.B. [X.]-Urteile Genius Holding vom 13. Dezember 1989 [X.]/87, [X.]:C:1989:635, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 632; [X.] vom 6. Dezember 2012 [X.]/11, [X.]:[X.], [X.], 195, Rz 31; Stroy trans vom 31. Januar 2013 [X.]/11, [X.]:[X.], [X.], 275, Rz 42; [X.] - 56, [X.]:[X.], [X.], 346, Rz 47; [X.], [X.]:[X.], [X.], 705, Rz 54; ebenso [X.]-Urteile vom 2. April 1998 V R 34/97, [X.]E 185, 536, [X.] 1998, 695; vom 24. Februar 1994 V R 43/92, [X.]/NV 1995, 358, unter [X.], Rz 14; vom 10. Dezember 2008 XI R 57/06, [X.], 1156, unter [X.], Rz 19).

c) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] zu Recht entschieden, dass der Klägerin kein Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der einzelnen Lieferanten zusteht, da die gegenüber der Klägerin von den einzelnen Lieferanten abgerechneten Lieferungen tatsächlich nicht erfolgt sind (zur Bindung des Senats an diese Feststellungen, s.o. unter 3.b).

5. Ob Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes, wie sie die Klägerin in der Klagebegründung geltend gemacht hat, nicht im Rahmen des [X.] berücksichtigt werden können, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Nach den für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen des [X.] war die Klägerin nicht gutgläubig. So hat sie die tatsächliche Geschäftstätigkeit der ihr unbekannten Lieferanten nicht geprüft, obwohl der Kontakt zu diesen [X.] wie zu ihrem Abnehmer [X.] vermittelt worden ist, der ihre zusätzliche Zwischenschaltung nicht nachvollziehbar erklären konnte und zudem die zur Zahlung der Lieferanten ausgestellten Schecks selbst entgegengenommen hat. Darüber hinaus wirkte sie zumindest insoweit aktiv mit, als sie Vermerke zur Art und Weise der Lieferung auf Unterlagen angebracht hat, ohne die zu Grunde liegenden Warenlieferungen tatsächlich zu sehen. Unter diesen Umständen hat das [X.] die Gutgläubigkeit der Klägerin zu Recht abgelehnt. Sie hätte jedenfalls erkennen können, dass ihre Umsätze in einen Mehrwertsteuerbetrug einbezogen waren. Die fahrlässige Unkenntnis von der Einbeziehung in einen Betrug schließt einen Gutglaubensschutz aus ([X.] vom 13. Oktober 2014 V B 19/14, [X.]/NV 2015, 243, Rz 6; s. auch z.B. [X.] vom 19. Dezember 2014 XI B 12/14, [X.]/NV 2015, 534).

6. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 47/13

16.09.2015

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 12. September 2013, Az: 10 K 692/13, Urteil

§ 14c Abs 2 UStG 2005, § 15 Abs 1 UStG 2005, Art 203 EGRL 112/2006, Art 168 Buchst a EGRL 112/2006, § 119 Nr 6 FGO, § 85 Abs 2 InsO, UStG VZ 2011, § 184 Abs 2 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.09.2015, Az. XI R 47/13 (REWIS RS 2015, 5383)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5383

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