Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.06.2001, Az. 1 StR 179/01

1. Strafsenat | REWIS RS 2001, 2112

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[X.] DES VOLKESURTEIL1 StR 179/01vom27. Juni 2001in der Strafsachegegenwegen Mordes- 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung [X.] in der Sitzung vom 27. Juni 2001, an denen teilgenommenhaben:[X.] am [X.]. [X.] [X.] am [X.],[X.],[X.],[X.],Staatsanwalt als Vertreter der [X.],Rechtsanwalt als Verteidiger in der Verhandlung,Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin in der Verhandlung,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird [X.] des [X.] vom 30. [X.] mit den Feststellungen aufgehoben.Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, aneine andere als Schwurgericht zuständige Straf-kammer des [X.] zurückverwiesen.Von Rechts wegen Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes aus niedrigen Be-weggründen zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die Staatsan-waltschaft erstrebt mit ihrer Revision die Annahme weiterer Mordmerkmale unddie Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe; sie rügt die Verletzung sachli-chen Rechts. Das vom [X.] teilweise vertretene [X.] Erfolg.I.Nach den Feststellungen des [X.] nahm der nicht vorbestrafte,zur Tatzeit 36 Jahre alte Angeklagte nach einer Silvesterfeier mit seinem [X.] morgens gegen 5.30 Uhr die 16jährige [X.]alsAnhalterin mit. Nach kurzer Fahrtstrecke bog er in einen unbeleuchteten [X.] ein. Ihm war der Gedanke gekommen, er könne mit [X.]geschlecht-lich verkehren. Nach etwa einhundert Metern hielt er an und fragte [X.] , ob sie auch "bumsen" wolle. Das Mädchen sprang darauf aus dem [X.] rief, es werde den Angeklagten anzeigen. Der Angeklagte folgte ihr. [X.] zu einem Wortwechsel, bei dem [X.] erneut eine Anzeige [X.]. Der Angeklagte entgegnete: "Warum denn? Ich hab' dich nicht ange-langt, es ist nichts passiert! Das kannst du doch nicht machen!" Er ging davonaus, sich durch sein bisheriges Verhalten nicht strafbar gemacht zu haben. [X.] vor den Folgen einer Anzeige für seine Ehe hatte und eine "unterge-ordnete Wut und Enttäuschung über die Zurückweisung seiner sexuellen An-näherung" verspürte, zog er sein regelmäßig mitgeführtes Klappmesser undstieß es [X.] mit großer Wucht in den Rücken. Diese fiel zu Boden.Der Angeklagte versetzte ihr in Tötungsabsicht weiter mindestens sechs Sticheund Schnitte in den [X.] sowie 16 Stiche in den [X.]. Sodann fügte er[X.]vier Stich- und Schnittverletzungen im Genital- sowie im Anal-bereich zu und schnitt ihr den Bauch und den Brustkorb auf.Das [X.] hat angenommen, der Angeklagte habe aus [X.], nicht aber grausam oder zur Verdeckung einer anderen [X.] gehandelt. Aufgrund der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, hinzutre-tender konstellativer Faktoren und einer Blutalkoholkonzentration von maximal1,83 Promille sei seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit möglicherweise erheb-lich vermindert gewesen. Vom sicheren Vorliegen erheblich verminderterSchuldfähigkeit vermochte sich die [X.] nicht zu überzeugen. [X.] für sie auch eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischenKrankenhaus nicht in [X.] 5 -II.Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. [X.], mit der das [X.] eine erhebliche Verminderung der Steue-rungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht sicher meinte annehmen zukönnen, ist mit einem Erörterungsmangel behaftet. Sie wird gerade zu der [X.], ob bei dem Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit vorge-legen hat den an die gebotene Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Tatzu stellenden Anforderungen nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die [X.]hat sich in diesem Zusammenhang nicht noch einmal mit Besonderheiten [X.] gegen Ende des Tatgeschehens und mit einem früheren ag-gressiven Durchbruch gegenüber seiner damaligen Freundin auseinanderge-setzt.1. Die [X.] hat in Übereinstimmung mit dem psychiatrischenSachverständigen bei dem Angeklagten eine narzißtische Persönlichkeits-struktur mit einer Selbstwertstörung, Defiziten in den Ich-Funktionen, speziellder Affektverarbeitung und der [X.] festgestellt, die mit einer Angst-und Aggressionsproblematik einhergeht. Gegenüber Frauen ist bei ihm einegehemmte und unterschwellig feindselige Haltung bemerkbar. Schon bei [X.] kann es zu impulsiv auftretenden und unvermutet um-schlagenden Affekten - vor allem von Aggression und existentieller Angst - mitsich rasch aufbauenden und schlecht toleriertem Spannungsdruck kommen. [X.] Angeklagte nicht über stabile Regulations- und Steuerungsmechanismenverfügt, ist er zur [X.] statt dessen auf Hemmung und Blockade untergroßem psychischen Energieaufwand mit der Gefahr affektiver Durchbrücheangewiesen. Dies führt dazu, daß er Kränkungen, Infragestellungen und- 6 -Fremdbestimmung sowie aufkommenden Emotionen und Spannungszuständenschlecht gewachsen ist. Lassen die äußeren Umstände dann ein Ausweichennicht zu, kann es zur Dekompensation der Kontrollfunktionen und dem Ausa-gieren von Affekten kommen, die er sonst zurückhalten würde.Die [X.] führt weiter aus, die beschriebene Persönlichkeits-struktur erreiche nicht den Grad einer schweren anderen seelischen Abartig-keit. Allerdings könne solches im Zusammenspiel mit den in der Tatnacht hin-zugetretenen konstellativen Faktoren nicht ausgeschlossen werden. [X.] es in der bestehenden Alkoholisierung und der Übermüdung des Ange-klagten sowie in dessen Streit mit seiner Ehefrau, der ihn kränkenden Na-mensänderung seiner Kinder aus der ersten Ehe und einer bevorstehenden,ihn beunruhigenden Umstellung in der Datenverarbeitung an seiner [X.]. Die Kammer hebt hervor, der Sachverständige habe in seinem schriftli-chen Gutachten zwischen den Stichen in den Rücken und den [X.] und den nachfolgenden Stichen in [X.], [X.] und [X.] andererseits differenziert und zur zweiten und dritten [X.], es liege nahe, bei einer Zunahme der Intensität der aggressiven Affekteeine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit positiv festzustellen unddie medizinischen Voraussetzungen des § 21 StGB zu bejahen. In der [X.] habe er "hierzu konkretisiert", daß die erhebliche Steuerungsmin-derung nicht sicher festgestellt werden könne.Die Kammer meint, gegen das sichere Vorliegen einer schweren ande-ren seelischen Abartigkeit spreche auch das sehr gut erhaltene Beobachtungs-und Erinnerungsvermögen des Angeklagten zu den einzelnen Tatabschnitten.- 7 -Trotz der Stärke der aggressiven Impulse sei er noch zu [X.], in ge-wissem Umfang geordnetem und zielorientiertem Handeln fähig gewesen.2. Diese Begründung läßt im konkreten Zusammenhang ein Eingehenauf die Besonderheiten der Tat vermissen. Das [X.] hat zwar bei [X.] der [X.] ausgeführt, die Tat weise durchaus sexuelle Be-züge auf, insbesondere die Entblößung des [X.]s vor Beibringung [X.], das Herunterziehen der Hose und das Aufreißen der [X.] sowie die Verletzungen im Vaginal- und Analbereich deuteten in dieseRichtung. Im bisherigen Leben des Angeklagten hätten sich indessen keineerheblichen Hinweise auf eine sexuelle, insbesondere sadomasochistischePerversion gefunden. Auf diese Umstände hätte das [X.] aber auch beider Prüfung der Frage des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Ab-artigkeit und der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit zurückkommenmüssen. In der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, daß [X.] eines Täters zutreffend nur in einer Ganzheitsbetrachtung zuerfassen ist. Seine Entwicklung und sein Charakterbild sowie die Tat in ihrenkonkreten Zusammenhängen sind dabei untrennbar miteinander verbunden(BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4, 16). Dies wäre hier um so mehr er-forderlich gewesen, als der Angeklagte das Opfer eben nicht nur mit erhebli-chem Kraftaufwand vom Schambein aufwärts an Bauch und Brustkorb aufge-schnitten und ihm Stichverletzungen im Genital- und Analbereich beigebrachthat, nachdem er die Oberbekleidung des Opfers - Bluse, Unterhemd und BH -aufgerissen oder aufgeschnitten sowie die Hose bis unter die Knie herunterge-zogen und den Slip auf der linken Seite ebenfalls aufgerissen hatte. Er hat [X.] überdies am Rande des Feldweges in einer obszönen, sexualorientiertenWeise zurückgelassen: Die Arme waren seitlich abgespreizt und nach oben- 8 -abgewinkelt, die Beine im Kniebereich auseinandergespreizt ([X.] 15).Schließlich wäre auch auf einen vom [X.] festgestellten früheren [X.] gewesen, bei dem der Angeklagte gegenüber seiner [X.] "ausgerastet" war und mit einem kleinen Schraubenzieher etwa [X.] viermal gegen deren bekleidetes Geschlechtsteil gestoßen hatte ([X.] 5).Der Senat kann nicht ausschließen, daß das [X.] bei einer sol-chermaßen vertieften Erörterung, die hier angesichts der Besonderheiten [X.] und der Täterpersönlichkeit geboten war, das sichere Vorliegen einererheblich verminderten Schuldfähigkeit für feststellbar erachtet hätte und [X.] zur Folge hätte haben können, den Angeklagten auch in einem psychia-trischen Krankenhaus unterzubringen. Bei alledem ist zu beachten, daß es [X.] der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit erheblich i.S.d.§ 21 StGB ist, um eine Rechtsfrage handelt, die der Tatrichter ohne Bindungan Äußerungen von Sachverständigen zu beantworten hat (vgl. BGHR StGB§ 21 Erheblichkeit 2).3. Da die gesamte Entwicklung des Angeklagten und auch der Tatver-lauf im einzelnen Einfluß auf die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Ange-klagten haben können, hat der Senat das Urteil mit den Feststellungen aufge-hoben. Auf der Grundlage dieser aufgehobenen Feststellungen wäre allerdings- darauf weist der Senat hin - die Annahme des [X.], es liege weder- 9 -ein [X.] noch grausames Handeln des Angeklagten im Sinne des§ 211 Abs. 2 StGB vor, rechtlich entgegen der Auffassung der Beschwerdefüh-rerin nicht zu beanstanden gewesen.Schäfer Nack [X.] Kolz [X.]

Meta

1 StR 179/01

27.06.2001

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.06.2001, Az. 1 StR 179/01 (REWIS RS 2001, 2112)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2001, 2112

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