Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.09.2004, Az. IX ZR 421/00

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2004, 1509

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/00
Verkündet am: 23. September 2004 [X.], Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

BGB § 852 Abs. 1 a.F., § 199 Abs. 1 Nr. 2 n.F.

Bei außergewöhnlichen Schwierigkeiten der Sachverhaltsfeststellung, die den [X.] veranlassen, die Hauptverhandlung auszusetzen und weitere Ermittlungen anzuordnen, erlangt der gesetzliche Vertreter der durch eine unerlaubte Handlung geschädigten Minderjährigen die Kenntnis von den anspruchsbegründenden Um-ständen und der Person des Schuldners nicht ohne weiteres durch die Anklage-schrift und den Inhalt der Ermittlungsakten.

[X.], Urteil vom 23. September 2004 - [X.]/00 - [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2004 durch [X.] [X.], die [X.], [X.], [X.] und die [X.]in [X.]
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 5. September 2000 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die 1979 geborene Klägerin berichtete im Juli 1993 ihrer Mutter, daß sie in den Jahren 1986 bis 1992 von deren damaligem Lebensgefährten [X.] sexuell mißbraucht worden sei. Die Beklagte zeigte am 8. November 1994 an, daß sie in dem eröffneten Hauptverfahren gegen [X.] mit der Vertretung der Nebenklage beauftragt worden sei. Am 25. Oktober 1996 wurde ihr von der Mutter der Klä-gerin dieses Mandat wieder entzogen. [X.] wurde in dem im November 1994 be-gonnenen, mehrfach ausgesetzten Strafverfahren durch rechtskräftig geworde-nes Urteil des [X.] vom 30. Dezember 1997 zu einer Frei-heitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen der an der Klägerin [X.] Taten verurteilt.
- 3 - Ein Antrag der Klägerin auf Prozeßkostenhilfe für eine Schadensersatz- und Schmerzensgeldklage gegen [X.] blieb am 29. September 1999 ohne Erfolg, weil nach Ansicht des [X.] diese Ansprüche der Klägerin verjährt [X.].

Im gegenwärtigen Rechtsstreit verlangt die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz, weil zivilrechtliche Ansprüche wegen der Straftaten vor Kün-digung der Nebenklagevertretung verjährt seien, ohne daß die Beklagte rechtzeitig auf diese Gefahr aufmerksam gemacht habe. Die Beklagte bestreitet ihre Verantwortlichkeit hierfür, weil die Wahrnehmung zivilrechtlicher Interessen der Klägerin nicht zu den Pflichten ihres Anwaltsauftrages gehört habe und die zivilrechtlichen Ansprüche der Klägerin gegen [X.] in der [X.] ihrer Nebenklagevertretung auch nicht verjährt seien.

Die Vorinstanzen haben die in der Berufung teilweise [X.] Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren zuletzt ge-stellten Berufungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet.

[X.] - 4 - Zutreffend ist der Ausgangspunkt des [X.], der Nebenklä-gervertreter (§ 395 StPO) müsse seinen Auftraggeber in der Regel darauf hin-weisen, daß zivilrechtliche Ansprüche aus den angeklagten Straftaten schon während des laufenden Strafverfahrens verjähren können. Denn für den recht-lichen Laien liegt der Irrtum nahe, daß die Verjährung dieser Ansprüche bereits durch das Strafverfahren als solches oder durch die Anschließung als Neben-kläger unterbrochen oder gehemmt wird. In einer solchen Lage muß der Rechtsanwalt den Mandanten auch vor Gefahren warnen, die außerhalb seines eigentlichen Auftrages liegen (vgl. [X.], Urt. v. 9. Juli 1998 - [X.] ZR 324/97, [X.], 2246, 2247; Zugehör/Sieg, Handbuch der Anwaltshaftung 1999 Rn. 664; Ganter, [X.] 6/2001 S. 10, 11).

Die Hinweispflicht des [X.] auf die laufende Verjäh-rung zivilrechtlicher Ansprüche des Opfers ergibt sich auch daraus, daß das Strafverfahren selbst mit dem Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff StPO) eine Mög-lichkeit bietet, um die vermögensrechtlichen Ansprüche des Geschädigten ge-gen den Täter durchzusetzen. Nach § 404 Abs. 2 StPO hatte der [X.] vor dem 1. Januar 2002 auch in seiner verjährungsunterbrechenden [X.] dieselbe Wirkung wie die Erhebung der Klage im bürgerlichen Rechtsstreit gemäß § 209 Abs. 1 BGB a.F. (vgl. jetzt § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB n.F.). Begann allerdings, wie das Berufungsgericht angenommen hat, für die Ansprüche der Klägerin gegen [X.] erst mit dem Erreichen der Volljährigkeit die kurze Verjährung gemäß § 852 Abs. 1 BGB, so war die Beklagte nicht ver-pflichtet, auf das kommende Verjährungsrisiko hinzuweisen. Denn es bestand weder Anlaß noch Möglichkeit, eine Verjährungsfrist zu unterbrechen, deren Lauf zur [X.] ihres Mandates als Nebenklagevertreterin noch gar nicht begon-- 5 - nen hatte (vgl. [X.], Urt. v. 18. März 1993 - [X.] ZR 120/92, [X.], 1376, 1377 unter [X.] 2. b, [X.]).
- 6 - I[X.]
Die Revision wendet sich erfolglos gegen die Auffassung des [X.], eine gerichtliche Verfolgung der Schadensersatzansprüche ge-gen [X.] sei der Mutter der Klägerin nicht zumutbar gewesen, bevor ihre Tochter am 19. Juni 1997 volljährig wurde, weil diese noch am 10. und 11. April 1997 durch weitere Sachverständige für das Strafverfahren umfassend psychiatrisch und psychologisch exploriert worden sei und sich hieran erst im Dezember 1997 die mit der Verurteilung endende Hauptverhandlung gegen den Ange-klagten angeschlossen habe. Das Berufungsurteil überspannt die Anforderun-gen an die nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. erforderliche Kenntnis vom Schaden und der Person des Schädigers nicht.

Die Vorschrift des § 208 Satz 1 BGB n.F., nach der die Verjährung von Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung bis zur Vollen-dung des 21. Lebensjahres des Gläubigers gehemmt ist, kann im Streitfall nach Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB noch nicht angewendet werden.

1. Nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. verjährten die Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen [X.] innerhalb von drei Jahren, nachdem ihre Mutter als ge-setzliche Vertreterin von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hatte (vgl. [X.], Urt. v. 20. Januar 1976 - [X.], NJW 1976, 2344; v. 16. Mai 1989 - [X.], NJW 1989, 2323; v. 22. Juni 1993 - [X.], NJW 1993, 2614; v. 29. November 1994 - [X.], NJW 1995, 776, 777). Dabei reicht im allgemeinen eine solche Kenntnis aus, die dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, mindestens in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, - 7 - ermöglicht; begründete Zweifel an dem Schaden und der Person des Ersatz-pflichtigen dürfen hiernach nicht mehr bestehen (vgl. [X.], Urt. v. 24. Juni 1999 - [X.] ZR 363/97, NJW 1999, 2734, 2735 m.w.N. - zur Kenntnis der Eltern eines geschädigten Kindes). Kommt es - wie hier - zu einer Anklage gegen den Schädiger, kann statt der Zumutbarkeit einer Klagerhebung auch auf die eines ihr nach § 404 Abs. 2 StPO gleichstehenden [X.]es abgestellt werden.

2. Wann mittelbar Geschädigte (vgl. [X.], Urt. v. 21. Dezember 1982 - [X.], [X.], 273 - zur Kenntnis der Witwe), anspruchsberechtigte Sozialversicherungsträger (vgl. [X.], Urt. v. 14. Oktober 2003 - [X.], NJW 2004, 510) oder gesetzliche Vertreter von Geschädigten, die ihre Kennt-nis auf keine unmittelbaren persönlichen Wahrnehmungen des [X.] stützen können, aus anderen Quellen hinreichend zuverlässige [X.] für eine Rechtsverfolgung gegen den Schädiger gewonnen haben, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Die Angaben einer Minderjähri-gen gegenüber dem erziehungsberechtigten Elternteil über einen erlittenen sexuellen Mißbrauch genügen zur Vermittlung der Kenntnisse, welche die [X.] nach § 852 Abs. 1 BGB in Lauf setzen, noch nicht, wenn allein [X.] von der über eine Rechtsverfolgung entscheidenden Person - hier die gesetzliche Vertreterin der Klägerin - die zur Kenntniserlangung notwendige positive Informationsbewertung noch nicht erwartet werden muß (vgl. [X.], Urt. v. 14. Oktober 2003, aaO - für die Kenntnis des Sozialversicherungsträgers von einer entsprechenden Schädigung). Wird die Wahrheit der vorgebrachten Beschuldigungen durch ein von der Staatsanwaltschaft [X.] Gutachten gestützt und führt dies zur Erhebung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens, so reicht auch der dadurch erlangte [X.] an - 8 - Sicherheit nicht stets für die verjährungsrechtlich notwendige Kenntnis eines an dem Geschehen unbeteiligten [X.] vom Schaden und Schädiger aus. Denn für die Erhebung der öffentlichen Anklage und die Zumutbarkeit privater Rechtsverfolgung des Opfers gegen den Angeklagten gelten unterschiedliche Maßstäbe.

Zwar hindert das verbleibende Beweisrisiko für den Zivilprozeß den [X.]sbeginn nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. in gewöhnlichen Fällen nicht (vgl. [X.], Urt. v. 21. Dezember 1982, aaO). In jenem Fall hatte die [X.] einer tödlichen Schlägerei und des ursächlichen Tatbei-trages der Angeklagten außer ihren widersprüchlichen Einlassungen als Be-weismittel acht Zeugen und sechs Sachverständige benannt, auf welche sich auch die nur von dritter Seite informierte Witwe des Getöteten bei der [X.] ihrer Schadensersatzansprüche stützen konnte. Unter Berücksichti-gung der Tatsache, daß die Staatsanwaltschaft mit der Anklageerhebung und das Gericht mit dem Eröffnungsbeschluß hinreichenden Tatverdacht gegen die Beschuldigten bejaht hatten, war dort auch von der mittelbar Geschädigten ob-jektiv eine positive Informationsbewertung zu erwarten und die Klageerhebung zumutbar, ohne das Ergebnis des Strafverfahrens abzuwarten.

Das Berufungsgericht hat sich dagegen von dem nicht ausdrücklich for-mulierten weiteren Rechtssatz leiten lassen, daß der nur von dritter Seite [X.] gesetzlichen Vertreterin einer geschädigten Minderjährigen die Rechtsverfolgung durch Klageerhebung oder [X.] noch nicht zuzumuten sei, wenn sie damit ein außergewöhnliches Beweisrisiko hätte übernehmen müssen, ohne persönlich von der Wahrheit der erhobenen [X.] überzeugt zu sein. - 9 -

Dieser Rechtssatz steht mit der neueren Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs zu § 852 Abs. 1 BGB a.F. nicht im Widerspruch. Auch dem Urteil des [X.] vom 19. Februar 1963 ([X.], NJW 1963, 1103, 1104) ist nichts anderes zu entnehmen, weil dort das Unfallopfer den Hergang des Unfallgeschehens wenigstens in den Grundzügen aus eigener Wahrneh-mung kannte.

Der erkennende Senat teilt die Auffassung, daß gesetzlichen Vertretern, mittelbar geschädigten [X.] (§§ 844, 845 BGB) und Legalzessionaren, de-nen eine persönliche Wahrnehmung der [X.] fehlt, die ver-jährungsrechtliche Kenntnis von Schaden und Schädiger noch nicht besitzen, wenn für sie die Bewertung der erhaltenen Tatsachenangaben offen ist und der Versuch einer Rechtsdurchsetzung auf dieser Grundlage außergewöhnlich ho-hen Feststellungsschwierigkeiten begegnet. Sind in einem solchen Fall die [X.] - wie hier in der Gestalt der eingeholten Gerichtsgutach-ten - noch nicht ausgeschöpft, so hängt die verjährungserhebliche Kenntnis davon ab, daß sich die objektive tatsächliche Ungewißheit auf das Maß des gewöhnlichen Feststellungsrisikos verringert oder die maßgebende Kenntnis-trägerin sich anderweitig von der Richtigkeit des Schädigungsverdachts über-zeugt hat.

Letzteres hat das Berufungsgericht für die Mutter der Klägerin nicht fest-gestellt, solange das Auftragsverhältnis zur Beklagten andauerte. Zumindest bis dahin trifft auch seine Annahme zu, daß für die Mutter der Klägerin die zum Beginn der kurzen Verjährung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. genügende Kenntnis von den Tatvorwürfen gegen ihren früheren Lebensgefährten fehlte aufgrund - 10 - der außergewöhnlich großen Feststellungsschwierigkeiten, welche die [X.] zur Einholung weiterer [X.] veranlaßt hatten, und der daraus für die eigene Informationsbewertung folgenden Unsicherhei-ten. Der Schädiger hatte die Anklagevorwürfe energisch bestritten, er war als unbescholtene, angesehene Persönlichkeit auch nicht von Haus aus weniger glaubwürdig als die Klägerin, und direkte andere Beweismittel als die Aussa-gen der geschädigten Minderjährigen gegen ihn standen nicht zu Gebote. [X.] Umstände hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei dahin gewürdigt, daß die Mutter der Klägerin nichts [X.] über die angeblichen Tathergänge wußte, um bei ihr zur [X.] des Mandates der Beklagten eine für den Beginn der kurzen Verjährung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. ausreichende Kenntnis anneh-men zu können.

Demnach muß die Klage, wie in den Vorinstanzen zutreffend entschie-den, abgewiesen bleiben.

[X.] am [X.] [X.]
ist in Urlaub und daher ver- hindert zu unterschreiben.
[X.]

Raebel [X.]

[X.]

[X.]

Meta

IX ZR 421/00

23.09.2004

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.09.2004, Az. IX ZR 421/00 (REWIS RS 2004, 1509)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 1509

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 115/01 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 345/99 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 114/01 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 329/10 (Bundesgerichtshof)

Gesetzlicher Anspruchsübergang auf Sozialversicherungsträger: Zeitpunkt des Anspruchsübergangs bei noch nicht bestehendem Sozialversicherungsverhältnis zum Zeitpunkt des …


IX ZR 255/00 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.