Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.10.2012, Az. B 9 V 14/10 B

9. Senat | REWIS RS 2012, 1923

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - notwendige Beiladung der Krankenkasse - soziales Entschädigungsrecht - Erstattung von Reisekosten - Behandlung im Krankenhaus - schädigungsbedingtes oder schädigungsunabhängiges Leiden - Mitwirkungspflicht des Klägers - Zurückverweisung


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 17. September 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für Fahrten des [X.] zur Behandlung in einem Krankenhaus in [X.] in der [X.] vom 8.10.2001 bis 9.11.2001.

2

Den entsprechenden Antrag des [X.] vom 22.11.2001 lehnte das beklagte Land - nach erfolgreicher Untätigkeitsklage - mit Bescheid vom 17.7.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.9.2008 ab. Zur Begründung führte der Beklagte aus: Seit dem 1.1.1998 sei die Versorgungsverwaltung nur noch zuständig für Fußpflege, Zahnersatz, Ergotherapie, Bewegungstherapie und Sprachtherapie sowie die dazu gehörenden Fahrtkosten. Alle anderen Heilbehandlungsmaßnahmen und die entsprechenden Fahrtkosten fielen in den Zuständigkeitsbereich der Krankenkassen (§ 18c Abs 1 [X.] <[X.]>).

3

Das daraufhin vom Kläger angerufene [X.] ([X.]) hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom [X.] abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Der Kläger habe - jedenfalls zur [X.] - keinen Anspruch auf die begehrte Fahrtkostenübernahme. Zwar sei die beim Kläger vorliegende Multiple Sklerose als Impfschaden anerkannt, weshalb ihm wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung zustehe. Dazu gehöre auch ein Anspruch auf Übernahme der Reisekosten, die im Zusammenhang mit einer Leistung der Heil- oder Krankenbehandlung wegen der Schädigungsfolgen entstünden. Unabhängig von der Frage, wer für diese Leistungen zuständig sei, komme im vorliegenden Fall ein Anspruch des [X.] auf Fahrtkosten nicht in Betracht, weil sich aufgrund seines prozessualen Verhaltens nicht ermitteln lasse, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Übernahme von Fahrtkosten nach § 24 [X.] vorlägen.

4

Das [X.] [X.] (L[X.]) hat die Berufung des [X.] durch Urteil vom [X.] zurückgewiesen. Die zulässige Berufung sei unbegründet. Das [X.] sei zu Recht davon ausgegangen, dass sich ein Anspruch des [X.] auf Fahrtkostenerstattung gegen den Beklagten derzeit nicht feststellen lasse. Die Nichterweislichkeit gehe nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen zu Lasten des [X.]. Die gerichtliche Amtsermittlungspflicht ende dort, wo die Mitwirkungspflicht des [X.] beginne. Er habe indes jede weitere Amtsaufklärung durch seine auch in der Berufungsinstanz fortgesetzte beharrliche Weigerung, konstruktiv am Verfahren mitzuwirken, vereitelt. Eine Beiladung der Krankenkasse des [X.] nach § 75 [X.]G sei nicht erforderlich, weil der [X.] angesichts des völlig unzureichenden klägerischen Vortrags einen möglichen Anspruch des [X.] gegen die Krankenkasse nicht einmal ansatzweise prüfen könne.

5

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim [X.] (B[X.]) Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen eines [X.] (Unterlassung der notwendigen Beiladung der Krankenkasse) begründet.

6

II. Die Beschwerde des [X.] ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil ist unter Verstoß gegen die aus § 75 Abs 2 [X.]G folgende Pflicht zur Beiladung der Krankenkasse des [X.] ergangen.

7

Der Kläger hat den geltend gemachten Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 [X.] [X.]G). Der Verfahrensmangel liegt auch vor. Das L[X.] hätte vor seiner das Berufungsverfahren abschließenden Entscheidung die Krankenkasse, der der Kläger angehört, gemäß § 75 Abs 2 [X.]G beiladen müssen.

8

Nach dieser Vorschrift sind Dritte zu einem Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (1. Alt) oder sich im Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe oder in Angelegenheiten des [X.] Entschädigungsrechts ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt (2. Alt).

9

Obwohl der Kläger im sozial- und landessozialgerichtlichen Verfahren offenbar nicht deutlich gemacht hat, ob er in der genannten [X.] wegen der als Schädigungsfolge anerkannten Multiplen Sklerose oder wegen eines anderen Leidens in einem Krankenhaus in [X.] behandelt worden ist, auf wessen Veranlassung diese Behandlung erfolgt ist und ob es sich dabei um eine ambulante oder stationäre Behandlung gehandelt hat, liegen die Voraussetzungen des § 75 Abs 2 [X.]G vor. Dabei kann offenbleiben, ob hier die erste oder die zweite Alternative dieser Bestimmung eingreift.

Eine Beiladung der Krankenkasse hat zunächst grundsätzlich nach § 75 Abs 2 2. Alt [X.]G zu erfolgen. Ist der Kläger wegen seines sog [X.] behandelt worden, kommt die Zuständigkeit seiner Krankenkasse gemäß § 18c Abs 1 [X.] iVm § 24 [X.] in Betracht, wobei den Krankenkassen deren Aufwendungen gemäß § 19 [X.] erstattet werden (nach Maßgabe des § 20 [X.] in pauschaler Form). Ist der Kläger wegen eines [X.]en Leidens im Krankenhaus behandelt worden, kommt eine originäre Zuständigkeit seiner Krankenkasse nach den Vorschriften des [X.]B V in Betracht. Gemäß § 10 Abs 2 [X.] kann aber - für Ansprüche von [X.] auf Heilbehandlung wegen nicht als Folge einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen - auch die Zuständigkeit des Beklagten gegeben sein, sofern diese Ansprüche des [X.] nicht gemäß § 10 Abs 7 [X.] ausgeschlossen sind.

Die Voraussetzungen des § 75 Abs 2 1. Alt [X.]G (einheitliche Entscheidung) können wegen der sich aus § 14 [X.]B IX ergebenden Rechtsfolgen erfüllt sein. Danach kann sich unabhängig von der Art des im Krankenhaus behandelten Leidens (schädigungsbedingt oder [X.]) eine Zuständigkeit des Beklagten ergeben. § 14 [X.]B IX ist anwendbar, denn es handelt sich bei notwendigen Reisekosten anlässlich einer notwendigen Krankenhausbehandlung um Leistungen der medizinischen Rehabilitation gemäß § 26 Abs 2 und § 53 [X.]B IX und damit um Leistungen zur Teilhabe iS der §§ 4, 5 Nr 1 [X.]B IX. Sollte der Beklagte nach § 14 [X.]B IX als sog erstangegangener Träger anzusehen sein, der den Leistungsantrag des [X.] nicht zeitgerecht an die an sich zuständige Krankenkasse weitergeleitet hat, wäre er zwar vorleistungspflichtig, die Krankenkasse aber bei einer Leistungsverpflichtung nach dem [X.]B V erstattungspflichtig. In diesem Fall besteht die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung gegenüber der Krankenkasse iS des § 75 Abs 2 1. Alt [X.]G (s B[X.] Urteil vom 26.10.2004 - B 7 [X.] 16/04 R - B[X.]E 93, 283 = [X.]-3250 § 14 Nr 1).

Die Pflicht zur Beiladung der Krankenkasse wird entgegen der Auffassung des L[X.] nicht dadurch aufgehoben, dass der Kläger seinen Mitwirkungspflichten weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren hinreichend nachgekommen sein mag. Ersichtlich ging und geht es um die Erstattung notwendiger Reisekosten anlässlich der Behandlung des [X.] in einem Krankenhaus, so dass die Möglichkeit eines Anspruchs des [X.] gegen seine Krankenkasse naheliegt. Hinzu kommt, dass die Beiladung der Krankenkasse und deren Stellungnahme möglicherweise zu einer weiteren Klärung des Sach- und Streitstandes hätten beitragen können.

Nach § 160a Abs 5 [X.]G kann das B[X.] in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G vorliegen. Der [X.] macht im Hinblick auf die Umstände des vorliegenden Falles von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Das L[X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 9 V 14/10 B

25.10.2012

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Aachen, 5. Januar 2010, Az: S 12 (25,3) V 196/08, Gerichtsbescheid

§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG, § 75 Abs 2 Alt 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 10 Abs 2 BVG, § 18c Abs 1 S 3 BVG, § 24 BVG, § 4 SGB 9, § 5 Nr 1 SGB 9, § 14 SGB 9, § 26 Abs 2 SGB 9, § 53 SGB 9, SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.10.2012, Az. B 9 V 14/10 B (REWIS RS 2012, 1923)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1923

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 VJ 5/10 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Zurückverweisung - multiple Sklerose - Kostentragung für ein Medikament - sozialgerichtliches Verfahren - …


L 20 VU 2/19 (LSG München)

Versorgung, Krankenversicherung, Leistungen, Bescheid, Zahnarzt, Arbeitslosengeld, Berufung, Widerspruchsbescheid, Heilbehandlung, Zahnersatz, Behandlungskosten, Ermessensentscheidung, GdB, Krankenbehandlung, gesetzlichen …


B 3 KR 7/22 R (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Zurückverweisung - Verfahrensfehler - Beiladung - Krankenversicherung - Freistellung von Kosten der …


B 3 KR 5/22 R (Bundessozialgericht)


B 3 SF 1/14 R (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtsweg - Zuständigkeit der Sozialgerichte für Klage eines Gebärdensprachdolmetschers auf Vergütung erbrachter …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.