Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.06.2008, Az. 2 StR 577/07

2. Strafsenat | REWIS RS 2008, 3624

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 577/07 vom 4. Juni 2008 Veröffentlichung: ja [X.]St: ja [X.]R: ja _______________________ BtMG §§ 3, 13 Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1; [X.] § 5 Ein in der Substitutionsbehandlung von Drogenabhängigen tätiger Arzt ist von einer Erlaubnispflicht gemäß § 3 BtMG nicht befreit und daher wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG strafbar, wenn und soweit er Betäubungsmittel außerhalb des Anwendungsbereichs von § 13 Abs. 1 BtMG, § 5 [X.] an drogenabhängige Patienten zur freien Verfügung abgibt. [X.], [X.]. vom 4. Juni 2008 - 2 StR 577/07 - [X.] in der Strafsache gegen wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an einen anderen, durch die er

leichtfertig dessen Tod verursacht hat, u. a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 4. Juni 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am [X.] Dr. [X.] und [X.] am [X.] [X.], Prof. Dr. [X.], [X.], [X.], Staatsanwältin als Vertreterin der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Die Revision des Angeklagten gegen das [X.]eil des [X.] vom 17. August 2007 wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln in 133 Fällen und wegen unerlaubter Abgabe von Betäu-bungsmitteln unter leichtfertiger Verursachung des Todes eines anderen zu [X.] verurteilt und ihm die Ausübung einer Tätigkeit als Substitutionsarzt für die Dauer von fünf Jahren untersagt. Seine auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet. 1 1. Nach den Feststellungen des [X.]s war der Angeklagte als niedergelassener Arzt unter anderem auf dem Gebiet der Substitution von [X.] tätig. In seiner Praxis betreute er eine Vielzahl drogenabhängi-ger Patienten, denen er das Substitutionsmittel Levomethadon ([X.]) gab. Da die Zahl seiner Substitutionspatienten die von den [X.] als maximal vertretbar angesehene Grenze von 50 deutlich überschritt, behandelte er weitere Patienten als Privatpatienten. Der Angeklagte ist nicht im Besitz einer 2 - 4 - Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln gemäß § 3 BtMG und hat eine solche auch zu keinem Zeitpunkt beantragt. In dem vom [X.]eil umfassten Zeitraum von Januar 2000 bis Mai 2005 gab der Angeklagte in einer Vielzahl von Fällen das in der Anlage III zum BtMG aufgeführte Substitutionsmittel Levomethadon ([X.]) an drogenabhängi-ge Patienten ab, ohne die in § 5 der Betäubungsmittel-Verschreibungs-verordnung ([X.]) geregelten Vorschriften zu beachten; insbesondere hielt er die bis 30. Juni 2001 in § 5 Abs. 7, danach in § 5 Abs. 8 [X.] enthaltenen Vorschriften für so genannte Take-home-Verschreibungen von [X.] nicht ein. Er führte zu Beginn der Behandlung keine körperlichen Untersu-chungen und Kontrolluntersuchungen auf Beikonsum von Betäubungsmitteln durch, hielt die in § 5 [X.] vorgeschriebenen Mindestfristen für eine zunächst kontrollierte Verabreichung zur unmittelbaren Einnahme nicht ein, händigte den Patienten ohne Kontrolle deutlich überhöhte Mengen [X.] für den Haus-gebrauch zur freien Verfügung aus und unternahm nichts, um den Gebrauch zur gefährlichen intravenösen Injektion statt zur oralen Einnahme durch die [X.] zu verhindern. Teilweise händigte er Patienten schon beim ersten Be-such in seiner Praxis ohne nähere Untersuchung [X.] unter Überschrei-tung der Höchstmenge von sieben Tagesdosen aus; Patienten, die nach zwei Tagen wieder bei ihm erschienen, übergab er erneut eine die Höchstdosis überschreitende Menge; Hinweise auf Beikonsum von Opiaten oder intravenöse Injektion dokumentierte er in seinen Unterlagen, ignorierte sie jedoch bei sei-nem Verschreibungsverhalten. Auch nach Kenntnis des gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens und einer Durchsuchung seiner Praxis änderte er diese Handhabung nicht. 3 Der Verurteilung liegen nach Beschränkung der Strafverfolgung in den Fällen 1 bis 133 entsprechende Abgaben an 13 verschiedene Patienten [X.] - 5 - schen Januar 2000 und Mai 2005 zugrunde. In allen Fällen überschritt der An-geklagte die Höchstabgabemenge; vielfach ignorierte er Hinweise auf Beikon-sum oder missbräuchliche Verwendung des Substitutionsmittels, händigte mehr als die Höchstmenge des Betäubungsmittels in zu kurzen Abständen aus und übergab es ohne hinreichende Untersuchung und Kontrolle zur freien Verfü-gung. Im [X.] händigte der Angeklagte dem drogenabhängigen Patienten [X.], der ihn wegen akuter Entzugssymptomatik aufgesucht hatte, am 20. Januar 2004 die [X.] von 7 ml zum sofortigen [X.] in seiner Praxis aus und gab ihm ohne weitere Untersuchung weitere 7 ml zum Einnehmen mit nach [X.]. 5 Wie für den Angeklagten als erfahrenen Substitutionsarzt unschwer vor-hersehbar war, injizierte sich [X.] diese Menge [X.] in der darauf folgen-den Nacht; er verstarb an den Folgen einer hierdurch verursachten [X.]. 6 2. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Die zugelassene Anklage be-schreibt, wie der [X.] zutreffend dargelegt hat, das dem [X.] zur Last gelegte Verhalten hinreichend konkretisiert. 7 Hinsichtlich [X.] ist entgegen der Ansicht der Revision keine Verfah-renseinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO erfolgt. Der in der Hauptverhandlung vom 15. August 2007 ergangene Einstellungsbeschluss bezog sich unter Ziffer I allein auf die Fälle 1 bis 11 und 14 bis 22 der Anklage; der unter Ziffer II behan-delte Fall 24 der Anklage ([X.] der [X.]eilsgründe) war daher offensichtlich nicht Gegenstand der Einstellung. 8 - 6 - 3. Die Verfahrensrügen sind aus den vom [X.] schon in seiner Zuschrift an den Senat zutreffend dargelegten Gründen unbegründet. 9 4. Auch die Sachrüge zeigt Rechtsfehler des angefochtenen [X.]eils nicht auf. Der Tatbestand der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ist durch die rechtsfehlerfrei festgestellten Handlungen des Angeklagten erfüllt. Die Rechtsansicht der Revision, der Angeklagte sei als Substitutionsarzt von einer Erlaubnispflicht gemäß § 3 BtMG generell befreit, ist nicht zutreffend. 10 a) Grundsätzlich bedarf jeder Verkehr mit Betäubungsmitteln gemäß § 3 BtMG einer Erlaubnis. Ausnahmen von dieser Erlaubnispflicht enthält z.B. § 4 BtMG, aber auch § 13 BtMG für ärztliche Verschreibungen und für die Abgabe durch Apotheken. Ein im Rahmen der Substitutionsbehandlung von Drogenab-hängigen tätiger Arzt wird von § 29 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG oder von § 29 Abs. 1 Nr. 14 i.V.m. §§ 5, 16 Nr. 2 Buchst. a [X.] erfasst, wenn er als Substitutionsmittel verwendete Betäubungsmittel der in Anlage III zum BtMG bezeichneten Art entgegen den gesetzlichen Regelungen verschreibt oder an Patienten überlässt (vgl. Hügel/Junge/Lander/[X.], [X.], § 13 [X.]. 1, 12). Diese Straftatbestände entfalten aber keine Sperrwirkung für Taten nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG durch Ärzte, die zum Zweck der Substituie-rung mit Betäubungsmitteln verkehren, ohne dass die materiellen Vorausset-zungen des § 13 BtMG i.V.m. § 5 [X.] gegeben sind. Ein Arzt kann sich nicht dadurch von der Erlaubnispflicht des § 3 BtMG befreien, dass er unter dem Deckmantel einer ärztlichen Behandlung mit Betäubungsmitteln verkehrt, ohne dass die Voraussetzungen einer Verschreibung, Verabreichung oder Überlas-sung im Rahmen einer nach medizinischer Erkenntnis gebotenen und nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführten Substitutionsbehandlung vorliegen (vgl. Hügel/Junge/Lander/[X.] aaO § 13 [X.]. 12.1). 11 - 7 - b) So ist es im vorliegenden Fall. Der Angeklagte hat nach den der [X.] zugrunde liegenden Feststellungen weder Betäubungsmittel ver-schrieben, verabreicht oder zum unmittelbaren Gebrauch überlassen (§ 13 Abs. 1 BtMG) noch gegen Regelungen des § 5 Abs. 1, 2 und 8 [X.] über die [X.] zur Substitution verstoßen. Er hat daher, wie das [X.] zutref-fend erkannt hat, die Straftatbestände des § 29 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 14 BtMG nicht verwirklicht, da er außerhalb des Anwendungsbereichs des [X.] gemäß § 13 Abs. 1 BtMG handelte. Dies führt aber nicht zur Erlaubnisfreiheit und damit zur Straffreiheit, soweit der Angeklagte unter Missachtung der materiellen Voraussetzungen einer [X.] Betäubungsmittel vorrätig gehalten, entgegen medizinischer Indikation zur freien Verfügung in überhöhten Mengen abgegeben oder sonst mit ihnen verkehrt hat. Insoweit lagen hier die Voraussetzungen einer Abgabe gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG vor, für welche der Angeklagte einer Erlaubnis gemäß § 3 BtMG bedurft hätte, die, wie er wusste, nicht vorlag. 12 Die Revision beruft sich insoweit zu Unrecht auf den Hinweis in der Lite-ratur ([X.], BtMG 6. Aufl., § 29 [X.]. 1513), dass ein Arzt von der [X.] befreit sei, soweit er Betäubungsmittel der Anlage III zum BtMG im Rah-men einer ärztlichen Behandlung verschreibt und deren Anwendung begründet ist. Dies ist zwar zutreffend und folgt schon aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Satz 1 BtMG. Hieraus ergibt sich aber nicht im Gegenschluss, dass der Um-gang mit diesen Betäubungsmitteln ohne Erlaubnis zulässig wäre, wenn ein Arzt sich bei der Substitutionsbehandlung gerade nicht an die Begrenzungen nach § 13 BtMG, § 5 [X.] hält. [X.] der in § 13 Abs. 1 Satz 1 genannten Grenzen gilt vielmehr auch für einen Arzt, der - in missbräuchlicher Weise - als Substitutionsarzt tätig ist, die Erlaubnispflicht des § 3 BtMG (vgl. [X.] aaO § 29 [X.]. 1249; unklar [X.] [X.]. 1623). Die von der Revision vertretene Ansicht würde zu dem den Zwecken des BtMG offenkundig zuwider laufenden 13 - 8 - Ergebnis führen, dass ein Täter sich gerade dadurch von der Erlaubnispflicht des § 3 BtMG befreien könnte, dass er die Regelung des § 13 Abs. 1 BtMG von vornherein vorsätzlich missachtet. Dass der Angeklagte sein Verhalten irrtümlich für erlaubt gehalten haben könnte, liegt nach dem Zusammenhang der [X.]eilsfeststellungen fern. 14 c) Dass Verstöße gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 6 in Verbindung mit § 13 BtMG sowie nach § 29 Abs. 1 Nr. 14 BtMG in Verbindung mit § 16 [X.] nicht vor-liegen, spielt hier keine Rolle, da das [X.] die Verurteilung auf diese [X.] nicht gestützt hat. Zutreffend hat das [X.] vielmehr jeweils den Tatbestand der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1, [X.]. 7 BtMG als verwirklicht angesehen. Ein Überlassen zum unmittelba-ren Verbrauch gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG lag nicht vor, da der Angeklagte die Betäubungsmittel in allen abgeurteilten Fällen zur freien Verfü-gung mit nach [X.] gab. 15 d) Ein Fall einer dem Angeklagten nicht zuzurechnenden eigenverant-wortlichen Selbstschädigung lag im [X.] der [X.]eilsgründe nicht vor. Schon aus dem Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG ergibt sich, dass eine Straf-barkeit nicht schon dadurch ausgeschlossen ist, dass der Betroffene das Be-täubungsmittel, welches an ihn abgegeben worden ist, aus eigenem Entschluss konsumiert und hierdurch selbst die unmittelbare Ursache für seinen Tod setzt. An einer groben Leichtfertigkeit aufgrund eklatanter vorsätzlicher Missachtung der ihm als Substitutionsarzt obliegenden Pflichten, deren Einhaltung gerade die hier durch den Tod des Betroffenen verwirklichte Gefahr verhindern soll, bestehen nach den [X.] Feststellungen des [X.]s keine Zweifel. Darauf, ob der Betroffene [X.] wie das [X.] mit [X.] Erwägungen ausgeschlossen hat [X.] vor der Injektion der vom Angeklagten [X.] - 9 - haltenen Menge noch weitere Betäubungsmittel konsumiert hatte, kam es nicht an, da auch dieses für einen Abhängigen typische risikoerhöhende Verhalten für den Angeklagten jedenfalls vorhersehbar gewesen wäre. e) Auch der Rechtsfolgenausspruch ist rechtsfehlerfrei. Weder die [X.] noch die Untersagung der beruflichen Tätigkeit als Substitutionsarzt für die Dauer von fünf Jahren begegnen angesichts der gravierenden und sogar trotz Kenntnis des Ermittlungsverfahrens fortgesetzten Fehlverhaltens des [X.] rechtlichen Bedenken. 17 [X.] [X.] [X.] Appl [X.]

Meta

2 StR 577/07

04.06.2008

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.06.2008, Az. 2 StR 577/07 (REWIS RS 2008, 3624)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 3624

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