Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.05.2017, Az. 1 StR 176/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 10403

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:240517B1STR176.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 176/17

vom
24. Mai
2017
in der Strafsache
gegen

1.
2.
3.

wegen
Steuerhinterziehung u.a.

hier:
Revision des Angeklagten N.

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und des Beschwerdeführers
am 24. Mai
2017
gemäß §
349 Abs.
4, § 357
StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten N.

wird das Urteil des
[X.] vom 13. Dezember 2016 mit den zu-grunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der An-geklagte N.

und die Mitangeklagten B.

und
S.

verurteilt worden sind.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten N.

wegen Steuerhinterzie-
hung in fünf Fällen, wegen Betrugs, versuchten Betrugs sowie wegen [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Mona-ten verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten N.

freigesprochen. Ge-
gen den nicht revidierenden Mitangeklagten B.

hat es wegen Steu-
erhinterziehung in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung, gegen den Mitangeklagten S.

wegen
Steuerhinterziehung in fünf Fällen eine Gesamtfreiheitstrafe von einem Jahr und sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verhängt. Im Übrigen hat das [X.] den Mitangeklagten S.

freigesprochen.
1
-
3
-
Der Angeklagte N.

beanstandet seine Verurteilung mit einer auf die
Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat

ge-mäß §
357 StPO auch in Bezug auf die Mitangeklagten B.

und
S.

bezüglich deren Verurteilung wegen Steuerhinterziehung

Erfolg

349 Abs. 4 StPO).
1. Die Verurteilung des Angeklagten N.

hat keinen Bestand, da das
Urteil nicht den Anforderungen des §
267 Abs. 1 Satz 1 StPO genügt; es fehlt zu allen abgeurteilten Taten an tragfähigen Feststellungen des [X.] als Grundlage für den Schuld-
und Rechtsfolgenausspruch.
Nach §
267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwie-sen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen mitteilen, in dem die gesetz-lichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlosse-nen Darstellung aller äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt wer-den kann (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 12. Mai 2009

1 [X.], [X.], 2546; Beschlüsse vom 13. Juli 2011

1 [X.], [X.], 1823
und vom 1.
September 2015

1 StR 12/15, [X.], 477
mwN). Nur dann kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist
(§ 337 StPO).
Die Strafvorschrift der Steuerhinterziehung (§
[X.]) wird materiell-rechtlich ausgefüllt durch die im Einzelfall anzuwendenden steuerrechtlichen Vorschriften, aus denen sich ergibt, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung geführt hat (vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 2009

1
[X.], [X.], 2546 mwN). Auch 2
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4
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hierzu bedarf es ausreichender tatsächlicher Feststellungen, die eine Nachprü-fung durch das Revisionsgericht ermöglichen. Dazu gehören insbesondere die-jenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] müssen deshalb die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung regelmäßig nicht nur die Summe der jeweils verkürzten Steuern, sondern für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen angeben (vgl. [X.],
[X.] vom 26. April 2001

5 StR 448/00, [X.], 308 mwN).
Die Anwendung steuerlicher Vorschriften auf den festgestellten Sach-verhalt und die daraus folgende Berechnung der verkürzten Steuern, durch die der Schuldumfang der Straftat bestimmt wird, ist dabei Rechtsanwendung, die der Tatrichter selbst vorzunehmen hat. Auch die Ermittlung und Darlegung der Besteuerungsgrundlagen obliegt dem
Tatrichter. Die Verweisung auf Betriebs-prüfungsberichte oder die Übernahme der Ermittlungsergebnisse der Steuer-fahndung in das Urteil sind ebenso unzureichend wie die Wiedergabe von [X.], die Finanzbeamte als Zeugen in der Hauptverhandlung zur Behandlung steuerlicher Fragen gemacht haben (vgl. [X.],
Beschluss vom 26. April 2001

5 StR 448/00, [X.], 308). Das [X.] ist allerdings nicht gehin-dert, bereits im Ermittlungsverfahren erstellte Darstellungen rein mathemati-scher Berechnungen, die mit den eigenen Feststellungen übereinstimmen, in
das Urteil zu übernehmen. Dies gilt indes grundsätzlich nicht für die Feststel-lung der Besteuerungsgrundlagen, die im Wege freier richterlicher Überzeu-gungsbildung vom Tatrichter eigenverantwortlich zu ermitteln sind. Die Über-nahme einer Schätzung der Finanzbehörden kommt deshalb nur dann in [X.], wenn der Tatrichter diese eigenverantwortlich nachgeprüft hat und von ihrer Richtigkeit auch unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) überzeugt 6
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ist. Die Schätzungsgrundlagen müssen dabei in den Urteilsgründen für das [X.] nachvollziehbar mitgeteilt werden (st. Rspr.; [X.], Beschlüsse
vom 13. Juli 2011

1 [X.], [X.], 1823
und vom 1. September 2015

1 StR 12/15, [X.], 477
mwN). Eine [X.] ist nur dann ausnahmsweise insgesamt entbehrlich, wenn ein sachkundiger [X.], der zur Berechnung der hinterzogenen Steuern in der Lage ist, ein Ge-ständnis abgelegt hat (vgl. [X.], Beschlüsse
vom 13. Juli 2011

1 [X.], [X.], 1823
und
vom 25. Oktober 2000

5 StR 399/00, [X.], 200).
2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
a) In Bezug auf die Verurteilung wegen
Steuerhinterziehung fehlt sowohl eine Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen als auch eine Berechnungsdarstel-lung, an Hand derer sich die vom [X.] angegebene Steuerverkürzung nachvollziehen lässt.
aa) Hinsichtlich der verkürzten Steuern teilt das [X.] lediglich mit, dass die Umsätze der K.

GmbH, C.

GmbH und T.

GmbH in
den [X.] 2011 und 2012 durch drei unterschiedliche Mani-pulationsweisen gemindert wurden, ohne jedoch die maßgeblichen Besteue-rungsgrundlagen darzustellen. So sollen zum einen Veränderungen der Kassen -

S.
10) erfolgt sein. Welche konkreten Umsätze getätigt wurden und wovon hier Minderungen in der Buchführung vorgenommen
wurden, teilt das Urteil aber nicht mit. In Bezug auf die zweite Manipulationsweise, die Verbuchung von Scheinrechnungen in Höhe von insgesamt 112.000 Euro zuzüglich 21.280 Euro Umsatzsteuer ([X.]), benennt das Urteil zwar für einen Teilbetrag der [X.] die unberechtigt ausgewiesene Vorsteuer. Es fehlen jedoch weitere 7
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Angaben dazu, ob etwa eine Steuervergütung vorlag und ob ggf. eine gemäß §
168 Satz 2 AO erforderliche Zustimmung der Finanzbehörde abgegeben wurde. Auch zur Steuerverkürzung durch

insbesondere von Getränken ([X.]), fehlen nähere Angaben. Die [X.] enthalten keine Angaben zu deren Umfang; auch lässt sich nicht nachvollziehen, in welcher Höhe für Wareneinkauf nicht geltend gemachte Be-triebsausgaben bzw. Vorsteuern der Verschleierung von Betriebseinnahmen bzw. [X.] gedient haben.
[X.]) Daneben fehlen in den Urteilsgründen auch Ausführungen zur Be-rechnung der Körperschaftsteuer, des Solidaritätszuschlags hierauf sowie der
Gewerbesteuer vollständig, so dass dem Senat
auch insoweit eine Überprüfung der vom [X.] mitgeteilten [X.] nicht möglich ist. Dies gilt umso mehr,
als bei den [X.]n für die jeweiligen Steuerarten unklar bleibt, weshalb in Bezug auf die Gewerbesteuer sogar von höheren Be-trägen ausgegangen wird als bei der Körperschaftsteuer.
cc) Auf die [X.] konnte hier trotz des Geständnisses des Angeklagten N.

nicht verzichtet werden. Zwar hat der Angeklagte
N.

die Taten der Steuerhinterziehung vollständig dem Grunde und der
Höhe nach eingeräumt ([X.]). Jedoch kann nach den Feststellungen des [X.] zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten mit seiner Ausbildung zum Masseur und Physiotherapeuten ([X.]) nicht davon [X.] werden, dass es sich hierbei um einen sachkundigen Angeklagten handelt, der zur Berechnung der hinterzogenen Steuern
in der Lage ist. Dies gilt entsprechend auch für die beiden ebenfalls geständigen Mitangeklagten
B.

und S.

, bei deren Tätigkeit als [X.] ([X.]) bzw. Ausbil-
dung zum Angestellten in [X.] ([X.]) eine solche Sach-kunde ebenfalls nicht dargetan ist.
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dd) Auch genügt der Hinweis des [X.], dass die Angeklagten Taten der Steuerhinterziehung Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung e-ter des Finanzamtes bestätigt wird, nicht. Zwar war das Tatgericht

wie darge-stellt

grundsätzlich nicht gehindert, sich Steuerberechnungen der Finanzver-waltung anzuschließen, die auf entsprechenden Besteuerungsgrundlagen auf-bauen. Allerdings wird im Urteil nicht erkennbar, dass das [X.] als ihm obliegende Rechtsanwendung eine eigenständige Steuerberechnung durchge-führt und dabei

gerade im Hinblick auf die dargestellten Manipulationen

ei-ne gegebenenfalls erforderliche Schätzung selbst vorgenommen hat.
b) Den
Darstellungsanforderungen des §
267 Abs. 1 Satz 1 StPO genügt auch die Verurteilung des Angeklagten N.

wegen Betrugs, versuchten
Betrugs und Urkundenfälschung nicht.
aa) Zum Betrug im Fall II. 2. a) der Urteilsgründe wird vom [X.] nur mitgeteilt, dass der Angeklagte N.

gemeinsam mit drei weiteren an-
derweitig Verfolgten den Entschluss fasste, einen Verkehrsunfall mutwillig zu verursachen. Da aber der anderweitig Verfolgte Sa.

den Schaden verursach-
te und seiner Versicherung meldete, die den Schaden an beiden Fahrzeugen regulierte, bleibt offen, von welchem Tatbeitrag des Angeklagten
N.

das
[X.] ausgeht. Damit kann der Senat nicht nachprüfen, auf welche Um-stände das [X.] die mittäterschaftliche Begehung eines Betrugs durch den Angeklagten N.

stützt.
[X.]) Auch die Feststellungen zur Urkundenfälschung im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe genügen den Anforderungen an die Urteilsdarstellung nicht. Zwar lässt sich den Ausführungen des [X.] noch entnehmen, dass der An-12
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geklagte N.

der Vorlage eines geforderten Eigenkapitalnachweises als

entsprechenden Bescheinigung der Sparkasse Bo.

nachkam ([X.]).
Es fehlt aber an den ausreichenden Feststellungen zur [X.], da Sparkasse hatte und wer diese ausgestellt hat. Offen bleibt nach den [X.] auch, von welcher Tatbestandsvariante des §
267 Abs. 1 StGB das [X.] ausgegangen ist.
cc) Hinsichtlich des vom [X.] angenommenen versuchten [X.] im Fall II. 2. c) der Urteilsgründe lässt sich den Urteilsfeststellungen zwar entnehmen, dass der Angeklagte N.

absprachegemäß mutwillig den Pkw

des gesondert verfolgten St.

rückwärts gegen sein zum Innenhof zeigendes
Schlafzimmerfenster steuerte. Die Urteilsfeststellungen des [X.] ent-halten jedoch keine ausreichenden Tatsachengrundlagen zu der
Frage, ob der Angeklagte N.

hier als Mittäter oder nur als Gehilfe handelte. Insoweit
fehlt es an einer wertenden Gesamtbetrachtung
in Bezug auf das Interesse des Angeklagten N.

am Taterfolg, auf den Umfang der Tatbeteiligung sowie
die Tatherrschaft oder wenigstens den
Willen zur Tatherrschaft.
3. Der Senat hebt die lückenhaften Feststellungen insgesamt auf (§
353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.
4. Die Aufhebung des Urteils zugunsten des Angeklagten N.

ist
gemäß §
357 Satz 1 StPO auf die nicht revidierenden Mitangeklagten B.

und S.

zu erstrecken, soweit auch sie wegen mittäterschaftlich be-
gangener Steuerhinterziehung in den Fällen [X.] der Urteilsgründe verurteilt worden sind. Auch deren Verurteilung wegen Steuerhinterziehung beruht
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ebenso wie beim Angeklagten N.

auf einer unzureichenden Darstel-
lung der Besteuerungsgrundlagen.
Jäger Cirener Fischer

Bär Hohoff

Meta

1 StR 176/17

24.05.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.05.2017, Az. 1 StR 176/17 (REWIS RS 2017, 10403)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10403

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1 StR 176/17

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